Pilz‘ Quadratur des Kreises: Soziale Gerechtigkeit und EU

Mit ‚Hau den Erdo-Moslem‘ die FPÖ bekämpfen und Demokratie verteidigen?

von Wilhelm Langthaler

Peter Pilz hat Gespür: Das zeigen nicht zuletzt die guten Umfragewerte und die mediale Hilfe des Boulevards. Er erkannte richtig, dass man mit den Grünen als städtische, linksliberale Mittelstandspartei in der sich entfaltenden politisch-sozialen Krise kein Leiberl reißen kann – die Frage der sozialen Gerechtigkeit will er ins Zentrum stellen, garniert mit einer antiislamisch aufgepeppten linksliberaler europäistischen Identität. Mit seiner Kandidatur stößt er jedenfalls in ein politisches Vakuum, das die Sozialdemokratie in Jahrzehnten der Konterreform hinterlassen hat. Kann das gelingen?

Sein Bekenntnis zu einem „Linkspopulismus“ zeigt die notwendige Bereitschaft zu provozieren – denn das gesamte Regime samt seiner Medien hat den Populismus zum gefährlichen Feind erklärt und will damit Opposition von rechts und links gleichsetzen. Prüfen wir die Substanz.

Es gehe zuerst ums Soziale, um „Umverteilung von oben nach unten“. Dann kommen sogar sozialdemokratische Forderungen aus den goldenen Jahren wie die 35h bei vollem Lohnausgleich oder die Erbschaftssteuer, die die SPÖ geopfert hat. Ausgezeichnet – würde man gerne meinen – endlich zeigt es einmal einer den Feiglingen und Karrieristen von ÖGB und SPÖ, die der Pfründe wegen sich von ÖVP und Raiffeisen am Nasenring führen lassen.

Doch, wie um ein chiffriertes Signal an die Eliten zu senden, spricht sich Pilz für nebulöse „Startups“ aus, die im Wesentlichen auf eine versteckte Förderung von globalen Großkonzernen hinauslaufen und auf Kosten öffentlich finanzierter Bildung, Wissenschaft und Forschung gehen.

Aber ein noch viel deutlicheres Signal ist das Bekenntnis zur EU, versteckt hinter der Phrase von „unserer Heimat Europa“. Das Euro-Regime gelenkt von Brüssel und Berlin hat sich als antisozialer Bulldozer erwiesen, unter dessen Raupen für jedermann sichtbar das griechische Volk gekommen ist. Die EU-Verträge sind einbetonierter Neoliberalismus zugunsten der Starken und gegen die Schwachen. Nicht umsonst steht die EU-Kommission nicht zur Volkswahl und schon gar nicht die Verträge der demokratischen Entscheidung unterworfen, wie Präsident Juncker klargemacht hat. Wer also sich nicht gegen die EU zu stellen bereit ist, soll auch nicht über das Soziale reden. Pilz produziert die gleiche heiße Luft wie Kern in seinem Plan A – denn eine keynesianische Wirtschaftspolitik hat die EU nicht nur verboten, der Binnenmarkt ist genau dagegen gegründet worden!

Nun zu Pilz‘ identitärem Geschütz: „Und für unsere Heimat Europa – unsere Grundrechte von Meinungsfreiheit bis Pressefreiheit, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, unsere unabhängige Justiz, die Trennung von Religion und Staat, unsere Demokratie und vor allem: unser Recht, so zu leben wie wir wollen.“ Klingt nicht schlecht, so als wäre es das demokratische Komplement zum Sozialen.

Für die Identitätsstiftung viel wichtiger ist allerdings immer die Gegenfolie, das Feindbild, das Böse. Das wird uns natürlich gleich mitgeliefert: „Und damit gegen die, die das gefährden: die nationalistische Rechte und der politische Islam.“

Es sind also nicht die herrschende Oligarchie und ihr globalistisches Regime, die Sozialabbau betreiben und die Demokratie einschränken, sondern diejenigen, die, wenn auch in reaktionärer Form, dagegen aufbegehren. Treu der rot-grünen Methode wird das Bestehende indirekt als kleineres Übel entschuldigt. Pilz stellt sich damit auf Seiten jenen in der SPÖ, die zum Zwecke der Isolation der FPÖ die antisoziale große Koalition über Jahrzehnte betrieben und uns in die heutige Lage gebracht haben.

Gleichzeitig greift er das Feindbild Islam auf, jedoch in raffinierterer, politisch-korrekter Form. Das Böse sei lediglich der Politische Islam, personifiziert durch den Diktator Erdogan, gegen den man hart durchgreifen müsse. Das klingt legitim, denn es richtet sich scheinbar nicht chauvinistisch gegen eine soziokulturelle Gruppe, sondern eine bestimmte politische Strömung. Und die müsse man doch wohl noch kritisieren dürfen. Doch dazu müsste Pilz den gesellschaftlichen Kontext hervorheben und gerade das tut er nicht. So kann er letztlich doch das Ressentiment gegen Muslime und Türken bedienen und für eine Regime-Linke bis in den Mittelstand nutzbar machen.

Der notwendige Kontext, der eine demokratische Kritik am Politischen Islam erst glaubhaft macht, ist die westliche imperiale Herrschaft über Nahost im Speziellen und über den globalen Süden im Allgemeinen. Nun stammt Pilz aus der „Gruppe Revolutionärer Marxisten“ und man kann ab und an von ihm verfremdete Versatzstücke aus diesem Fundus hören. Doch im Kern beschränkt er sich auf die abstrakte Forderung nach Demokratie ohne die konkreten Kräfte anzugeben, die diese tendenziell durchsetzen und entwickeln könnten. Bezüglich der Türkei vergisst er, dass die AKP eine laizistische Nato-Militärdiktatur mittels demokratischer und sozialer Versprechungen abgelöst hat – das Phänomen Erdogan ist also viel widersprüchlicher als der Mainstream, auf dem Pilz surft, glauben machen will. Immerhin hat er die soziale Schwere zugehen lassen und das allgemeine Lebensniveau massiv gehoben, etwas was Pilz noch beweisen muss. Westliches Hau-drauf wird da eher das Gegenteil von Demokratie bewirken. (siehe meine Analyse „Watschenmann Erdogan“) Und was das arabische Zentrum des Politischen Islam betrifft, so ist er eine Folge der gescheiterten linken Befreiungsversuche. Nicht demokratisch getarnter Interventionismus hilft da, sondern nur ein Ende des israelischen Kolonialismus, Selbstbestimmung und soziale Entwicklungsmöglichkeiten gegen das Freihandelsregime kann dem Terrorismus den Boden entziehen. Dafür muss man zum Bespiel die demokratisch gewählte Hamas anerkennen, genauso wie ein potentiell auf demokratische Selbstbestimmung gerichtetes Moment im Politischen Islam. Genauso wie nicht jeder Arbeiter, der FPÖ wählt, ein Nazi ist, sondern, wie Pilz selbst sagt, seine sozialen und demokratischen Anliegen ernstgenommen werden müssen.

Doch Pilz kann dem Widerstand gegen die neokolonialen Kriege nichts abgewinnen. Was ihm indes missfällt, ist, dass die USA alleine das Sagen haben. Zwar ist da was Wahres dran, aber Pilz geht es nicht um eine Systemkritik, sondern um den Aufbau der EU als imperiale Alternative mit demokratischer Tarnung. Darum hat er den Krieg gegen Jugoslawien, dem EU-Hinterhof, unterstützt. Und darum hatte er nichts gegen den Abbau der Neutralität und Aufrüstung, wenn es sich im Sinne eines EU-Imperiums vollzieht – ein Möchtegern-Joschka also.

Doch auch in Bezug auf die europäischen Gesellschaften kann der Kontext der massiven antiislamischen Mobilisierung aus demokratischer Sicht nicht ausgeblendet werden. Die säkularistischen Anspielungen verwischen den grundlegenden Unterschied zwischen dem historischen Herrschaftsapparat der katholischen Kirche, der den Eliten diente, und den heutigen Muslimen in Europa, die im Wesentlichen die marginalisierten Anderen darstellen, die in Gegenwehr zur Unterdrückung sich ebenfalls identitär formieren.

Pilz verspricht Demokratie und Freiheiten zu verteidigen, aber das Einfallstor für polizeistaatliche Maßnahmen und Aushebelung der demokratischen Rechte ist gerade die „Gefährdung durch den Politischen Islam“. Zwischen Amerikas Verteidigung „unserer Lebensweise“ und Pilz‘ „Recht, so zu leben wie wir wollen“ ist kaum ein Unterschied erkennbar, zumal sie das selbe Feindbild pflegen. Und wer wird in der politischen Nutzung des Bösen wohl die Oberhand behalten – die NSA oder Pilz?

Es ist durchaus möglich, dass Pilz ins Parlament einzieht. In einem gewissen Sinn handelt es sich um einen Test der Tiefe der Krise der SPÖ. Alles deutet darauf hin, dass der Versuch Kerns, die verschiedenen und widerstrebenden Tendenzen hinter einem medial inszenierten Macher-Image zu vereinen, scheitert. Da sind die neoliberalen Großkoalitionäre mit ihren Pfründen; die linksliberalen städtischen Mittelstands-Anti-FPÖler mit ihren Pfründen; der tiefe Staat, der mittels Anti-Migration und Repression die Arbeiter bei der Stange zu halten können glaubt, ebenfalls mit seinen Pfründen; und ein paar zerquetschte Altlinke und Gewerkschafter, die sich die EU nicht zu kritisieren trauen und sich mit einem mageren Schweigegeld zufriedengeben. Ist da Peter Pilz nicht die perfekte Melange all dessen, noch dazu mit dem Image des Saubermanns und Aufdeckers? Denn Wendigkeit und Mut hat er mehr als alle SPler zusammengenommen.

Wie dem auch sei, für den Aufbau einer demokratischen und sozialen Systemopposition ist Pilz dennoch gefährlich, denn er könnte für einige Zeit unseren Platz besetzen – den wir zugegebenermaßen nicht einzunehmen in der Lage waren. Auch Roland Düringer schickte sich dazu an, doch auch für ihn ist Pilz eine unerwartete Konkurrenz. Das im medialen Alleingang präsentierte „paradoxe Kunstprojekt“ will selbst nicht politisch sein, was zu zahm sein könnte. Aber solange keine Systemopposition auf die Bühne tritt, wird es so wie in anderen Ländern linkspopulistische Versuche geben. Vielleicht sind diese sogar notwendiger Durchgang zu einer echten Kraft des Bruchs.

Alle Zitate von www.peterpilz.at

 

Hinweise:

Demokratisch-sozial-souverän-neutral: Vorschläge für eine österreichische Systemopposition

Symposium 30.9.2017