DIE NEUE BESCHEIDENHEIT

Ein Blick auf die Wiener Wahlen

„Damit können wir leben“, meinte der Wahlkampfleiter der Wiener SPÖ, als er noch glaubte, das Ergebnis sei 36 % zu 35 % SPÖ : FPÖ. „Damit kann I leben“, wiederholte der Bürger­meister, als er schon wusste, dass es nicht ganz so schlimm war und die Verluste der SPÖ „nur“ rund 5 Punkte, mehr als 10 % des Anteils von seinerzeit, ausmachten. Man muss eben bescheiden sein. Auch Faymann feiert in seinem inoffiziellen Parteiblatt den „Erfolg“ und freut sich, dass es jetzt bis 2018 keine Wahlen mehr gibt. Ich wünsche ihm noch etliche solche „Erfolge“, dann ist die SPÖ dort, wo sie hingehört…

Beginnen wir mit einem taktischen Blick. Die FPÖ hatte ein „Duell“ ausgerufen und damit der SPÖ den größten Gefallen getan, den diese sich wünschen konnte. Es war vermutlich Strache selbst, der diese Linie wählte. Wir wissen ja, er hat kein Hirn, „ka G’spür“, auch nicht in solchen Fragen, die für alle Politiker ganz im Vordergrund stehen. Überall, wo seine eigene Hand erkenntlich wird, geht es ziemlich sicher daneben, von der Einigung mit der Kärntner Bagage bis zur Übernahme der Frau Stenzel. Schon das wäre ein Grund, sich nicht allzu sehr vor ihm zu fürchten.

Aber versuchen wir lieber zu erkennen, was es politisch mit solchen Manövern auf sich hat.

Im Grund versucht hier die FPÖ und Strache persönlich, ein ähnliches Manöver zu fahren, wie vor gut einem Jahrhundert Karl Lueger in Wien: Er möchte die Unzufriedenen um sich scha­ren, aber gleichzeitig bestimmte Kreise der Eliten bedienen und absichern. Er baut also eine Rechts-Partei mit plebeischen Wählerstock auf, die von einer Gruppe von „gut-bürgerli­chen“ Freiberuflern geführt wird. Denn nichts Anderes ist diese sogenannte Burschenschafter-Partie, vom ehemaligen Justiz-Minister Ofner bis zum Fast-Nazi Andreas Mölzer. Strache selbst bildet mit seinem Adlatus Kickl und ähnlichen Figuren das Bindeglied zwischen den beiden Gruppen. Gerade für Wien ist diese Kombination und Strategie besonders offensicht­lich: Den Wahlkampf hat Strache geführt, und zwar fast als eine Ein-Mann-Show. Aber der Kopf der Wiener FPÖ, sowohl vor den Wahlen auch jetzt wiederum ist Johann Gudenus. Der aber kommt aus dem niederösterreichischen Provinz-Adel. Archäologisch Interessierten dürfte die Gudenus-Höhle ein Begriff sein, am Zusammenfluss von Krems und Kleiner Krems und unter der Burg der Familie.

Damit ist aber über den Klassen-Charakter der FPÖ schon ziemlich viel gesagt.

Warum aber fürchten sich die anderen Bürgerlichen so vor dieser Truppe?

Selbst in unserem parlamentarischen System, welches ohnehin durch die EU schon soweit kastriert ist, dass innerhalb des Systems keine Änderung mehr möglich ist, bedeutet ein plebeischer Charakter eine Gefahr. Es ist nie so sicher, dass man eine solche „Bewegung“ – ein Lieblingswort von Jörg Haider – wirklich unter Kontrolle halten kann. Und dann noch diese Unterschicht-Typen! Vor einigen Wochen konnten wir ja im „Profil“ nachlesen, wie eklig diese auf eine Journalisten wirkte, wie sehr sie diese Leute verabscheut.

Und überdies stimmen die Typen nicht zur Gänze in den Halleluja-Chor zur EU ein. Die Journalisten – und leider mit ihnen auch die meisten Strache-Wähler – haben ja übersehen, dass Strache seinen Schwenk schon gemacht hat. Er ist ja keineswegs gegen die EU. Er ist nur dafür, dass die Menschen in ihrem Frust Dampf ablassen können. Also spricht er sich nicht für einen EU-Austritt aus; „die EU von innen reformieren“ will er. Usw.

Wir brauchen dies hier nicht näher ausführen, wir kennen es gut genug. Anderswo, in Italien z. B. mit seiner linken Tradition, hat sich die neue plebeische Strömung nach links gewandt. Zwar sind auch dort viele Ambivalenzen vorhanden, und die M5S hat sozusagen rot und schwarz in ihren Reihen. Aber die Tendenz ist erkennbar. Hierzulande, in einem Kernland des westeuropäischen Zentrums, scheint es selbst den Unterschichten schwer, sich auf eine wirkliche Alternative zu postieren.

Doch zurück zu den Wiener Wahlen. Es gibt noch einige interessante Details, mehr als hier genannt werden können. Die Detail-Ergebnisse stehen noch nicht zur Gänze fest, weil Wahlkarten und Briefwähler noch nicht ausgezählt sind.

Die ÖVP ist ihren neokonservativen Junglöwen mittlerweile zu zahm und in kultureller Hinsicht offenbar zu reaktionär. Sie hat, von ohnehin äußerst niedrigem Stand auf fast die Hälfte ihrer Stimmen (106 Ts. auf 59 Ts., allerdings ohne Briefwähler) abgebaut. Die gingen offenbar zum Großteil zu den Neos, wenn man SORA trauen darf. Das Institut hat sich aller­dings in der Prognose der Ergebnisse noch eine Stunde vor den ersten „richtigen“ Ergebnissen nicht ausgezeichnet. Sogar zur SPÖ ging ein doch erheblicher Teil früherer Wähler der ÖVP. Auch das kennzeichnet einen Stimmungswechsel unter den harten Konservativen. Für die ÖVP insgesamt bedeutet dies nichts Gutes.

Die Grünen als SP-Anhängsel, die sich in Wien vor allem dadurch auszeichnet, dass sie die Kern-Klientel der SP stets sein wenig schikaniert, sind Opfer ihrer eigenen Panikmache ge­worden. Dazu kommt: Sie sind nicht mehr unterscheidbar von den anderen Regierungspar­teien. Man muss das Interview des Herrn Ellensohn zu Mittag im ORF gehört haben, um das so richtig zu begreifen. Das war „gekonnt“ wie es eben alle machen, die von einer vor der Wahl abgegebene Stellungnahme schon am Tag nach der Wahl nichts mehr wissen wollen.

Um „Strache zu verhindern“, haben offenbar doch einige der früheren Grünwähler ihr Kreuzerl bei der SP gemacht. Aber es war von Anfang weg klar: Die Wiener SP ist Gefangene ihrer eigenen Strategie vor fünf Jahren, nämlich in der Koalition mit den Grünen nicht nur die billigste Lösung zu wählen, sondern auch damit einen deutlichen Schritt aus ihrer proletarischen Tradition heraus zu treten. Nun haben sie allein von den Zahlenverhältnissen kaum mehr eine andere Wahl.

Und ANDAS? Es gab für Oppositionelle kaum eine Motivation, diesen jämmerlichen Wurm­fortsatz der Grünen zu wählen, die sich zusammensetzt aus der EU-frommen Wiener KP unter dem Einfluss des Walter Baier und mit dem Gesicht des Didi Zach sowie den österreichischen Piraten – über sie brauchen wir wirklich kein Wort verlieren, siehe Innsbruck – mit der Spit­zenkandidatin Juliana Okropiridse, einer politisch unbedarften Physik-Studentin. Sie haben offenbar ernsthaft geglaubt, Chancen zu haben, schließlich aber nicht einmal das Ergebnis der KP von 2010 erreicht, das wiederum unter dem Ergebnis von 2005 lag. Wir haben nicht den geringsten Grund, uns über den Misserfolg dieses Versuchs zu freuen. Im Gegenteil. Das Problem ist nur: Auch mir ist nicht klar, warum ich gerade diese Liste hätte wählen sollen.

Eine Landtags- und Gemeinderatswahl hat selten soviel Aufmerksamkeit erregt wie diese. Doch die Regierungsparteien haben 2007 die Legislaturperiode verlängert, damit sie nicht ständig vom Volk gestört werden. Eine der Folgen ist, dass dieses Volks nun noch mehr als bisher auch andere Wahlen nützt, um der Regierung zu sagen, was es von ihr hält. Die GR-Wahlen wie auch die LT-Wahlen vor zwei Wochen sind also vor allem unter diesem Ge­sichtspunkt zu sehen. Wien ist zwar kein Paradies, und insbesondere die Vize-Bürgermeis­terin Brauner hat mit ihren Finanz-Spekulationen Einiges angerichtet und etliche Hunderte Millionen versenkt. Aber im Vergleich zu westeuropäischen Großstädten ist Wien noch halbwegs akzeptabel, auch wenn sich speziell die Grünen nach Kräften bemühen, dies zu ändern.

Noch eine Bemerkung ist am Platz. Offensichtlich haben viele noch immer nicht begriffen: Man stimmt heute nicht für eine Partei, sondern dagegen. Ein erheblicher Teil der Strache-Wähler hält weder ihn noch seine Partei für besser als die Konkurrenten. Aber die Regie­rungsparteien fürchten nun einmal ihn am ehesten. Also ist es gar nicht so irrational, der FPÖ die Stimme zu geben, wenn man die Regierung abstrafen will.

Und zum Schluss: Wahlen dieser Art sind Ersatz-Handlungen. Ich meine, dass sie immerhin eine, fast die letzte, Möglichkeit bilden, seinen Frust auszudrücken. Aber auch Nichtwählen ist unter diesen Umständen ein politischer Ausdruck. Was wir endlich ernsthaft diskutieren müssen, sind Alternative zu dieser Art von Wahl. Denn es scheint, als ob allein der Gedanke an Alternativen fast vollständig aus unseren Überlegungen verschwunden ist. Politische Tätigkeit auf Wahlen im Parlamentarismus zu reduzieren, ist der entscheidende Schritt zur Aufgabe jeden ernsthaften Anspruchs auf Änderung

12.°Oktober 2015, 14.00