„FLÜCHTLINGSKRISE“ ODER KRISE DES NATIONALSTAATS?

Die deutsche Regierun, dann die österreichische, anschließend die slowenische und soweiter rückwärts, haben auf Wienerrisch gesagt, den Scherbn auf.

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel löste Mitte des Jahres mit einer unbedachten Bemerkung den neuesten präzedenzlosen Zustrom von Kriegs-Flüchtlingen und Migranten aus. Sie dachte damals wohl kaum daran, dass sie damit eine Krise der deutschen Politik und eine Gefähr­dung ihrer eigenen bisher so sicheren Stellung bewirken würde. Doch das Geschehen wird rundum auch als eine Krise der EU gewertet.

Eigentlich ist dies wenig verwunderlich. Zwar könnte man rational eine Zuwanderung von einer Million verkraften. Doch Merkel müsste dazu nicht nur ihren Fehler eingestehen. Das verweigerte sie bisher hartnäckig, nach bewährten Muster, ob in der Ukraine-Politik oder . gegenüber Syrien. Auch zeigt es sich, dass die Konstruktion der EU ein Problem darstellt. Sie beruht bisher darauf, dass das Zentrum Berlin-Brüssel die Politik vorgibt, welche dann in einem Verwaltungs-Föderalismus von den nationalen Mitgliedern nachvollzogen wird. Das Verwaltungs-Monopol der Nationalstaaten gibt ihnen aber auch die Möglichkeit, in heiklen Teilbereichen die Politik des Zentrums zu sabotieren. Dazu zählen alle Fragen, welche zur Identitäts-Problematik gehören. Dass Einwanderung ein Teil davon ist, steht außer Frage. Damit stellt sich also an einem Feld, welches rational betrachtet sicher nicht zentral ist, die Grundfrage des EU-Staats.

An der Flüchtlings- und Migrationsfrage des Herbstes 2015 hat sich ein Staatsversagen offenbart, das in diesem Ausmaß und in diesem grellen Licht bisher nahezu undenkbar schien. Die Bevölkerung hat dies sehr viel schneller und sehr viel klarer realisiert als die politische Elite. Bis heute versucht diese noch, ihr politisches Versagen mit hohl tönenden humanitären Phrasen zu bemänteln. Doch sehr viele Menschen haben erst mit Erstaunen und dann zune­hmend mit Beunruhigung den völligen Verlust der politischen Handlungs-Fähigkeit der nationalen Führung realisiert. Die nationalstaatliche Führung ist nicht mehr willens und vielleicht auch nicht mehr fähig, eine staatliche Kernaufgabe wahrzunehmen. Dabei waren es gerade die konservativen Ideologen, welche stets den Schutz der Grenzen als die grund­legendste Aufgabe ihres Staates bezeichneten. Alles andere war für sie ja eigentlich eine Überschreitung der Kompetenzen. Sollte doch der Staat vor allem ein Nachtwächter sein.

Für diese – nach ihrer Sicht – wesentlichste Aufgabe des Staats halten sich die Eliten ja angeblich auch diesen kostspieligen und für die Bevölkerung durchaus gefährlichen Apparat, welchen sie, je nach Geschmack, als Bundeswehr oder Bundesheer oder sonstwie ähnlich bezeichnen.

Woher kommt dieses Staatsversagen in der Kontrolle der Einwanderer? Wie immer man seine Einwanderung zu den Flüchtlingen einerseits, den sich an diese anhängenden Immigranten andererseits, definiert: Das wirklich Erstaunliche an den Geschehnissen der letzten Woche war die Handlungsunfähigkeit der nationalen Regierungen.

Diese so paradoxe Situation kommt aus der ungeklärten und noch nicht aufgehobenen Widersprüchlichkeit zwischen der politischen Wirklichkeit und den politischen Ansprüchen der nationalen politischen Klassen. Die wirklichen Entscheidungen fallen auf EU-Ebene, was immer dies konkret bedeutet, ob Brüssel oder Berlin. Doch die nationalen Politikern versu­chen noch immer, den Menschen vorzumachen, dass sie noch die sind, welche das letzte Wort haben. Sie geben vor, handlungsfähig zu sein. Dafür gibt es einen guten Grund: Sie sind diejenigen, die noch immer über Legitimität verfügen, nicht die Bürokraten in Brüssel oder Luxemburg oder Frankfurt. Doch mit der Einsicht der Bürger in ihre mittlerweile beschränkte Politikfähigkeit schwindet auch die Legitimität und wächst der Verdruss, die „Politik-Müdigkeit“.

Nun aber kommt eine Herausforderung, welche sie nicht erwarteten. Und nun starren alle gebannt auf die höhere Ebene, weisen auf „Europa“ und behaupten, dass sie eigentlich gar nicht zuständig sind. Denn nichts Anderes bedeutet dieses formelhafte beschwören, dass die Immigrationsfrage auf „europäischer Ebene “ gelöst werden müsse.

Es ist übrigens keineswegs das erste Mal, dass dieser Widerspruch auftritt. Im Gegenteil: Das ist einer der Gründe, warum die nationale Politik ständig an Ansehen verliert. Denn im Gegensatz zu den Eliten und zu ihren intellektuellen Apporteuren erkennt die Bevölkerung in immer größerer Anzahl, was da gespielt und vorgespielt wird.

Der Kaiser, die nationalen Politiker nämlich, ist nackt. Und nun steht er im Scheinwerferlicht, und einzelne „Kinder“ wagen es zu sagen: Aber er ist ja nackt!