DIE ITALIENISCHE BANKENKRISE UND DIE BANKEN-REGULIERUNG. Was überwiegt: Die Ideologie oder die politischen Nöte des Herrn Renzi?

Die Brexit-Volksabstimmung hat eine auf dem ersten Blick merkwürdige Konsequenz: In Italien wird eine Bankenkrise akut. Nicht dass diese Krise sonderlich überrascht. Man hat seit Längerem dort etwas erwartet. Aber das zeitliche Zusammenfallen ist auffällig.

Italien sitzt seit zwei Jahrzehnten in einer Falle von fehlendem Wachstum und hoher Staats­verschuldung – „a growth trap“, wie es in angelsächsischen Medien heißt. Das ist im We­sentlichen ein €-Problem. Seit die italienischen Regierungen, und im Besonderen der EU-Statthalter Prodi, unterstützt von den aus der KPI hervorgegangenen Demokraten, in den 1990ern den Beitritt zur Währungsunion beschlossen, geht nichts mehr weiter, stagniert die vorher so dynamische italienische Wirtschaft. Verwunderlich ist dies nicht. Der Versuch, mittels Ausgabenkürzungen die Fetisch-Ziele des Maastrichter-Vertrags zu erreichen, musste kontraktiv wirken. Da die italienische Wirtschaftspolitik überdies seit dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere seit den 1960ern auf ein Modell der hohen Inflation ausgerichtet war, das aber wachstumsstimulierend wirkte, war die auf das deutsche Modell ausgerichtete Euro-Union Gift für das Land.

Auf diese für Italien verheerende Grundsituation setzte nun die Bail-in-„Reform“ der EU / EZB auf und verschärft die Lage entscheidend.

Aber ist denn der Grundgedanke einer Beteiligung der Kapitalinhaber und Anteils-Eigner anstelle der sogenannten Rettungen mit Steuergeld höchst überfällig?

Teilen wir die Problematik in einen quasi-technischen und einen grundsätzlichen Teil und sehen wir dann weiter. Die Chose ist tatsächlich grundsätzlich. In einem kurzen Artikel ist dies nicht abzuhandeln. Aber wir werden in den nächsten Wochen und Monaten noch genügend Anlass haben, darauf zurück zu kommen.

Der quasi-technische Teil ist leicht erklärt. Die italienischen Banken sind nach den neuesten Vorgaben unterkapitalisiert. Der (frühere) Stresstest der EZB hat klar gestellt, dass nahezu alle Banken mehr Grundkapital brauchen, obwohl er dies nach Möglichkeit verschleiert. Der neueste Stresstest, mit viel Tam-tam eben veröffentlicht, ist im Grund ohne weitere Informa­tion. Er stellt mehr oder weniger eine PR-Übung der EZB dar, hauptsächlich zur Beruhigung des geschätzten Publikums gedacht. – Ich entschuldige mich jetzt bereits: Man müsste alle diese Vokabel in Anführungszeichen schreiben, weil sie alle durchtränkt von Ideologie sind. Aber der Text gewinnt dadurch nicht an Lesbarkeit, also lasse ich es weitgehend.

Kurz: Die italienischen Banken brauchen mehr Kernkapital, mehr Geld, als Sicherheit und um in Eigenregie darüber zu verfügen. Die Stagnation der letzten beiden €-Jahrzehnte hat zu einem starken Anwachsen der notleidenden Kredite geführt. Für eine weitere Krise, etwa in Folge des Brexit, gibt es keinen Bewegungsraum. Man spricht von 200 Mrd. € als aktuell not­leidender Kredite (8 % der Bilanzsummen) und weiteren 160 Mrd. € (also insgesamt 15 %), die es bald werden könnten. In den Medien kursieren noch höhere Werte. Man spricht von 18 % oder gar einem ganzen Fünftel.

Und dann gibt es auch noch den quasi internationalen Aspekt. Andere Banken außerhalb Italiens halten italienische Bankanleihen und Gelder. Die zittern um ihr Geld. Die italienische Bankenkrise könnte schnell auch die deutschen Banken erfassen. Ich finde im „Handelsblatt“ einen Artikel über die Commerzbank. Dort heißt es: Ihre Eigenkapitalquote sei gesunken, u. a. wegen „Kursverlusten bei italienischen Staatsanleihen“ (27. Juli 2016). Hier wird zwar nicht von den Banken gesprochen, wohl aber von ihrem institutionellen Hintergrund.

Nach dem Stresstest sollten die Banken zusehen, an neues Eigenkapital heranzukommen. Das Geld isr nur auf dem Finanzmarkt zu erhalten, wo es ohnehin eine Geldschwemme gibt. Aber die Spekulanten (die „Anleger“) wissen natürlich Bescheid über den Zustand der italienischen Wirtschaft und ihres Bankensystems. Es wäre von vorneherein ein Risiko, dort Geld hinein zu stecken. Dazu kommt die Bail in-Reform. Die Spekulanten müssen gewärtigen, bei einem künftigen und nicht unwahrscheinlichen Zusammenbruch gerade der Banken, die besonders dringlich Geld brauchen, dieses oder zumindest einen Teil davon zu verlieren. Also hüten sie sich wohl, gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen. Wie so oft, haben EU und EZB in ihrer „one size fits all“-Vorgangsweise solche Kleinigkeiten nicht bedacht. Die angeblich so groß­artige Reform verhindert eine sanfte Lösung des Problems.

Damit kommen wir zum Grundsätzlichen.

Warum braucht es überhaupt Beihilfen oder ein bail in? Warum tritt nicht der Staat als „lender of last ressort“, als Bereitsteller von Geld, quasi virtuell ein? Warum übernimmt er nicht das Banken-System in eigene Verantwortung und regelt das Geldwesen, den eigentli­chen Steuerungs-Apparat der Wirtschaft nach seinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen?

Hier muss eilends hinzugefügt werden: Das heißt nicht, die privaten Verluste zu vergesell­schaften. Das heißt vielmehr, dass solche Verluste aus Gier und leichtfertiger Spekulation gar nicht entstehen sollen, weil es dieses System nicht mehr gibt, weil Banken auf ihre gesell­schaftliche Funktion, die Geldversorgung und den Geldverkehr beschränkt werden.

Das „too big to fail“-Problem gibt es seit Langem. Neuerdings wird es sogar als Kürzel gebraucht, weil es so vertraut ist: TBTF. Es bedeutet nichts Anderes: Das Geld- und Banken­system ist in seiner privaten Struktur ungeeignet: Es ist zur Bedrohung von Wirtschaft und Gesellschaft geworden. Denken wir nur an das Hauptmittel, künftige Krisen zu vermeiden, die Erhöhung der Kapitalquote: Jedem, der sich nicht das Gehirn hat vernebeln lassen, muss klar sein: Ob das Kernkapital 5 % ausmacht oder aber 9 %, macht einen graduellen Unter­schied. Verhindern können 9 % eine Krise nicht. Das könnte nur die Gewissheit, dass die Gesellschaft insgesamt für ihre Versprechungen gerade steht.

Jenseits dessen, dass dies in einem kapitalistischen Marktsystem ein Widerspruch in sich ist, haben die Eurostaaten auch auf das entscheidende Instrument dazu verzichtet: eine handlungs­fähige eigene Zentralbank, die unter anderen dafür zu sorgen hat, dass rein technisch Geldüberhaupt vorhanden ist. Ereinnernwir uns an die Situation in Griechenland vor einem Jahr!

Doch dieses System der viel zu großen und daher erpresserischen Privatbanken entstand nicht einfach spontan aus dem sich selbst überlassenen ökonomischen Prozess. Die gesamtwirt­schaftlichen Probleme entstanden aus dem unsinnigen Marktfundamentalismus, der von der Wirtschaftspolitik gefördert und durchgesetzt wurde. Die Wirtschaftspolitik betet seit Jahren, dass „mehr Markt“ alles regle und der Weisheit letzter Schluss sei. Dieser Markt, der Geld- und Finanzmarkt, droht heute wieder einmal, die gesamte Gesellschaft in den Untergang zu stürzen. Und was ist die Antwort? Italiens „Finanzminister Pier Carlo Padoan sprach von ‚effektiven und nachhaltigen Marktlösungen’“ (FAZ, 29. Juli 2016). Damit wiederholt er nur, und zwar fast wörtlich, das Bla-bla des Gouverneurs der Bank of England, Mark Carney, als dieser im Mai 2014 Vorsitzender des Finanzstabilitätsrats der G-20 Länder war: Es gehe in Hinkunft um „strenge Marktdisziplin“.

Erinnern wir uns: In den 1990er Jahren wurde die Z (Zentralsparkasse der Gemeinde Wien) zuerst mit der Länderbank, dann mit der CA fusioniert, im Namen der Synergien von Großbanken. Dann verscherbelte die sozialdemokratische Stadtregierung ihr Filetstück, wieder im Namen desselben Prinzips. Häupl war schon Bürgermeister, und Sepp Rieder war Finanzstadtrat. Wenn man sie heute zu diesem unsinnigen Akt befragen würden, antworteten sie vermutlich: „Aber das haben damals doch alle getan!“ (Antwort sowohl des Ex-NB-Präsidenten Liebscher als auch des SP-Abg. Krainer, als sie nach Spekulationsverlusten gefragt wurden.) Und damit begann eine Odyssee. Zuerst ging die Bank an die HVB in München, dann an die Unicredit. Heute müssen Kunden und Politiker zittern, weil die Bank Austria, vor Kurzem noch eine der wenigen funktionierenden Teile der Unicredit, von dieser filettiert und damit in eine schleichende Krise gestürzt wurde. Die Unicredit aber ist ein nicht kleiner Teil des italienischen Bankenproblems.

Die Frage nach den Motiven ist rhetorisch, klar. Aber wir wollen weiter überlegen. Das gesamtwirtschaftliche System ist heute in einem Ausmaß kollektiv bestimmt, dass es überhaupt keinen Sinn mehr macht, einzelwirtschaftliche Probleme ohne Bezug auf die Gesamtwirtschaft zu betrachten. Auch wenn wir bei einer teilweisen Fein-Regulierung über den Markt bleiben – das ist nun ein ganz anderes Problem – , muss zumindest das Regel­medium selbst, das Geld, öffentlich gelenkt und bestimmt sein. Mit einem Geldsystem, welches auf Banken mit kürzestfristigen Profit-Interessen beruht, ist dies schlicht nicht möglich. Wie kurzfristig das Bankensystem agiert, entgegen den längerfristigen Not­wendigkeiten, zeigt am besten eine Tatsache: Es werden von den Banken vierteljährliche Bilanzen gelegt, und der Geldmarkt reagiert heftig auf die dort veröffentlichten Indikatoren, die es nach Bilanz-Grundsätzen gar nicht geben dürfte. Denn so kurze Handlungszeiträume sind schlicht unsinnig.

Über diesen grundsätzlichen Aspekt wäre viel zu sagen. Hier soll, für einen ersten Einstieg, aber etwas Anderes noch angemerkt werden. Das ist der politische Charakter der Krise.

Renzi geht laut Umfragen einer Niederlage entgegen. Rosstäuscher, der er ist wehrt er sich verzweifelt gegen den Absturz. Er kritisiert Draghi, dieser habe in seiner früheren Funktion als italienischer Notenbank-Chef nichts gegen die Bankenkrise getan. Das ist zwar richtig. Aber damit lenkt er nur vom eigenen Problem ab. Renzi will eine staatliche Rettung mit 40 Mrd. Aufwand an Steuergeld, nicht weil er dies wirtschaftlich für sinnvoll hält, sondern weil er die Volksabstimmung im Oktober und die nächsten Wahlen fürchtet. M5S hat die Demo­kraten in manchen Umfragen schon überholt. RenzisWunsch, wieder Steuergeld zu verstreuen, hängt nicht zuletzt mit den sogenannten Rentenreformen zusammen. Wie überall, bemühte man sich auch in Italien, die Altersversorgung auf die Kapitalmärkte auslagern. Renzi fürchtet den gut gestellten italienischen Mittelstand. Und die Helden der EU argumentieren bereits: Man dürfe Renzi nicht in der Bredouille sitzen lassen, man dürfe nicht zulassen, dass M5S die nächsten Wahlen gewinnt. Notfalls müsse man die gerade eben beschlossenen Regeln wieder brechen. Woher allerdings die Monti dei Paschi, die im Moment im Vordergrund der Sorgen steht, die dringlich nötigen 5 Milliarden nehmen soll, ist unklar. Man murmelt von einer privatwirtschaftlichen Lösung, ohne zu sagen, was das ist.

Kann es einen klareren Hinweis geben, wiesehr die Herrschaften in Panik sind? Wie orientie­rungslos sie agieren? Wie sie zuerst den eigenen ideologischen Lehrsätzen folgen und dann bei jedem kleinen Gegenwind bereit sind, diese über Bord gehen zu lassen?

Albert F. Reiterer, 31. Juli 2016