EU-DEBATTE UND NEOLIBERALE POLITIK IN ÖSTERREICH: EIN ZUSTANDSBERICHT

Österreich steht strukturell in einer fast seltsamen Position im Rahmen des Weltsystems und der EU: Das Land ist eindeutig Bestandteil des hoch entwickelten Kerns, ja hat – als Indikator – einen der höchsten Werte des BIP pro Kopf. Gleichzeitig ist es aber durch seine subalterne Beziehung zur BRD politisch und in gewissem Sinn auch wirtschaftlich ein System mit peripheren Zügen. Die schleichende politische Krise des Landes, die sich nicht zuletzt auch in den diversen Krisen der gegenwärtigen Regierung abbildet, ist auch auf diese Zwitterstellung zurück zu führen. Und die Alternativen?

Ein Blick auf die sichtbaren politischen Kräfte ist unerlässlich.

Der Rechtspopulismus ist in Österreich hauptsächlich in der FPÖ organisiert. Alle anderen Ansätze waren und sind ephemer. Im Gegensatz zum Rest Westeuropas ist aber diese Partei nicht anti-EU, oder jedenfalls nicht grundsätzlich. Der vergangene Wahlkampf Hofer vs.Van der Bellen war gekennzeichnet durch das Bemühen des FP-Bannerträgers, diese Punzierung abzuwehren. Parteiobmann Strache zieht gegenwärtig durch die Lande und versichert allen, die es hören wollen, und auch allen anderen: Wir sind nicht gegen die EU. Wir wollen ganz sicher drinnen bleiben. Aber es war kein Zufall, dass die FPÖ diese Punze bekam. Denn Strache versucht, auf gut Schweizerisch, eine Politik des Fünfers und des Wegglis: Ein ganz erheblicher Teil der Bevölkerung steht der EU höchst kritisch gegenüber. Insbesondere die Unterschichten, auf die er seine Hoffnung setzt, lehnt sie ab. Denen will er also signalisieren: Wir sind auch EU-kritisch. Gleichzeitig will er sich als „Staatsmann“ gerieren, der „verant­wortungsvoll“ für die Globalisierung arbeitet. Kurzfristig kann dies durchaus gelingen, denn eine Mehrheit der Bevölkerung will diese Regierung nicht mehr. Längerfristig ist es, wie die Politik der FPÖ insgesamt, zum Scheitern verurteilt. Man muss sie nur scheitern lassen.

Die SPÖ ist seit ihrer Wende zum neoliberalen mainstream Ende der 1980er EU-Partei. Als Vranitzky und Genossen die Partei umdrehten, verließen sie die letzten prominenten linken Gestalten. Vor allem aber setzte, erst langsam, dann rapide, der Verfall der Partei ein. Die Arbeiter, früher Kernwähler-Schicht, sind heute weitgehend weg. Die Jüngeren unter ihnen wählen fast alle die FPÖ. Die SPÖ ist halb so groß wie zu Kreiskys Zeit. Aber von den Verbliebenen steht noch immer ein gar nicht so geringer Teil in permanenter Opposition zur Partei-Führung. Das sind Menschen, an die wir uns zu wenden hätten. Denn die beginnen sich in letzter Zeit auch wieder zu rühren. Das Anti-CETA-Volksbegehren wurde von SP-Bürger­meistern und -Funktionären initiiert. Das Hauptproblem ist: In dieser Partei haben die „Kulturlinken“ die Hegemonie. Dazu später.

Die ÖVP ist seit Jahrzehnten die eigentliche neoliberale Partei ohne wenn und aber. Damit ist ihr die Mitgliedschaft zu Euro und EU ins genetische Programm geschrieben. Es gibt dort einfach niemanden, den wir als Gesprächspartner hätten.

Dasselbe gilt für die Grünen. Sie sind inzwischen die Janitscharen der EU. Die bedingungs­lose Unterwerfung unter die supranationale Politik wird vielleicht nur noch von den NEOS überboten. Beide Parteien wachsen aus demselben Sumpf der Mittleren und Oberen Mittel­schichten. Sie haben auch, empirisch nachweisbar dasselbe Elektorat. Fällt die Zustimmung der einen, so steigt die der anderen, und umgekehrt. Die Bobos der Grünen legen ein bisschen mehr Wert auf Ökologisches, die Jeunesse dorée der Neos wollen ein bisschen mehr Deregu­lierung. Denn die Grünen sind eine autoritäre Partei. „Die Natur kennt keine Demokratie“ schleuderte mir eine Aktivistin entgegen, als ich einmal meinte, man müsse Umweltpolitik doch demokratisch diskutieren. Direkt aus dem Völkischen Beobachter…

Die Zivilgesellschaft aber weist das in ganz Westeuropa schon gewohnte Bild auf. Es geht ein tiefer Riss quer durch die Gesellschaft. Ein wesentlicher Teil, eher die Mehrheit, fühlt sich nicht mehr repräsentiert, obwohl sie die bisherigen Parteien noch wählt. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die EU. Aber die Stimmung ist resignativ: Die Eliten machen, was sie wollen. Wir können nichts mehr ausrichten. Folge dieser Haltung ist eine allgemeine Entpolitisierung der ohnehin wenig an Politik interessierten Menschen.

Die Medien sind eine Sache für sich. Im ORF hat die „Kulturlinke“ das Sagen. Der Ausdruck ist problematisch. Denn links ist daran eigentlich nichts mehr an ihnen. Sie treten für liberal-individualistische Anliegen ein. Sozio-ökonomisch stehen sie rechts. Homosexualität ist alle­mal wichtiger als Umverteilung – von letzterer würden sie verlieren. Von Immigration können sie potenziell gewinnen, und überdies ist Globalismus sowieso der Wert schlechthin, Identität. Es ist im Grund der alte Deutschnationalismus, der bei den österreichischen Intellektuellen bis 1945 so völlig herrschte. Nur ruft er jetzt „Europa“.

Für Menschen, welche der EU kritisch gegenüber stehen, ist da kein Platz. In der BRD bietet die Existenz der LINKEN noch einen gewissen Schutzschild. Deren linker Flügel ermöglicht die Artikulierung von Manchem, was ist Österreich zur völligen Marginalisierung führt. Kennzeichnend ist auch, dass attac in Österreich wirklich ein Teil der herrschenden Kräfte ist und dazu dient, eventuelle kritische Hirne in die allgemeine Hegemonie zu integrieren. Sie verwechseln systematisch, und ich glaube mit Absicht, Internationalismus mit Globalismus. Eine Aufregung tritt vielleicht einmal auf, wenn das Monopol der akademischen Position in Frage gestellt wird – kennzeichnend der Sturm im Wasserglas über Felbers „Gemeinwohl-Ökonomie“ in einem Schulbuch.

Ist also für uns der Kampf um eine andere Gesellschaft von vorneherein schon verloren?

Als wir vor mehr als zwei Jahren EUROEXIT gründeten, waren wir noch völlig isoliert. Mittlerweile bewegt sich etwas. Zugegeben: Die Arbeit ist mühsam. Auch können wir uns die Gesprächspartner nicht aussuchen. Wir finden sie oft mehr in der Tradition der alten Konser­vativen, und das intellektuelle Niveau ist nicht immer attraktiv. Nichtsdestoweniger: Berüh­rungsängste können wir uns gar nicht leisten. Wir müssen also den Dialog auch mit Rechts suchen, wenn diese Rechte wenigstens aufrichtig ist. Denn leider können wir dies bei den Menschen in der Tradition der alten reformistischen Linken nicht immer feststellen.

Was aber den rechten Populismus betrifft, so gäbe es eine ganze Menge zu sagen. Solange er Populismus ist, versucht er immerhin, auf die Anliegen der Menschen hinzuhören. Überdies: Die Parteien und Organisationen der traditionellen alten Linken, aus der in Österreich vor allem die SPÖ kommt, haben von sich aus auf die Vertretung der Menschen aus den Unter­schichten verzichtet. Wohin sollen sich also diese wenden, wenn sie nicht völlig apathisch sind? Wenn heute ein erheblicher Teil der Unterschichten nach rechts schaut, dann ist ausschließlich der alte Reformismus dafür verantwortlich, der diese Menschen nicht mehr vertritt, auch nicht in kleinen Alltags-Interessen.

Die KPÖ geht auf Bundesebene eben den Weg, den die SPÖ bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert ging. Die einzige erfolgreiche Landesorganisation allerdings hat sich links positioniert, die steirische KP. Ihr ist es noch nicht wirklich gelungen, als politische Kraft und nicht als linke Caritas wahrgenommen zu werden. Überdies lässt die Bewältigung der alten Ausrichtung auf die Sowjetunion als Modell durchaus zu wünschen übrig.

Der Verrat der Intellektuellen war ein Stichwort aus der Zwischenkriegszeit. Doch wann gab es je einen größeren Verrat der Intellektuellen als im Kampf gegen die Globalisierung und deren Hauptorganisation, die EU? Aber war er das wirklich? Die Mehrheit der Intellektuellen hat sich stets an die eigene Identität geklammert und die eigenen Interessen verfolgt. Es war immer eine Minderheit, und zwar eine kleine Minderheit, welche die Partei der Subalternen ergriffen hat. Aber diese Minderheit ist ganz und gar unverzichtbar. Wir als eine kleine Gruppe der konsequenten Linken haben diese Rolle gewählt. Unsere Funktion ist nun auch, andere aus unserer Umgebung anzusprechen, um das kritische Potenzial zu vergrößern. Es ist mühsam. Aber gegenwärtig haben wir mehr Chancen als seit Jahrzehnten.

Albert F. Reiterer, 31. Jänner, 2017