GLOBALISIERUNG: BEISPIEL ÖSTERREICH. Auslandskapital und Direkt-Investitionen II

Karl W. Deutsch hat gerne darauf verwiesen, dass die Außenhandelsverflechtung vor dem Ersten Weltkrieg stärker war als zu seiner Zeit, d. h. noch in den 1950ern. Er hat daraus auf geringere globale Integration geschlossen. Doch der sinnvollere Indikator dafür ist die Kapitalverflechtung zwischen den Nationalwirtschaften. Gehen wir es einmal naiv an.

1974 machten die passiven Direktinvestitionen (DI) aus dem Ausland in Österreich umge­rechnet 2,128 Mrd. € aus. Dem standen 422 Mill. € von Kapital aus Österreich im Ausland gegenüber. Der eingegangene Bestand machte also das Fünffache des ausgegangenen aus. Damit sind wir von den Verhältnisse der End-1950er noch gar nicht so weit entfernt, wo es wenig Auslandskapital in Österreich gab, aber fast überhaupt keines aus dem Land wegging.. Das blieb auch noch einige Zeit so. Doch stiegen auf beiden Seiten Ströme und Bestände schneller als das BIP.

Die folgenden Daten stammen von der OeNB. Sie beginnt ihre vergleichbare Zahlenreihe mit 1968 eingehend („passiv“) bzw. 1974 ausgehend („aktiv“).

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Graphik 1

Quelle: Daten nach OeNB

Ab 1980 begannen die ausgehenden DI stärker zu steigen als die eingehenden. 1985 standen 4,36 Mrd. „fremden“ Kapitals in Österreich 1,36 Mrd. „österreichischen“ Kapitals anderswo gegenüber. Die Schere war also etwas enger geworden. Doch dann stiegen für wenige Jahren die ausländischen DI in Österreich schneller als die DI aus Österreich im Ausland (1988: 6,22 Mrd. zu 1,24).

Ab 1989 setzte schließlich eine doppelte Bewegung ein. Beide Ströme, und damit auch die resultierenden Bestände begannen stark zu steigen. Die ausgehenden, die „österreichischen“ allerdings stiegen wesentlich schneller als die eingehenden.

2003 war der Bestand von Kapital aus Österreich im Ausland schließlich zum ersten Mal höher als der eingekommene Bestand. 44,3 Mrd. im Ausland standen 42,6 Mrd. an Auslands­kapital in Österreich gegenüber. Ab 2008, also mit und nach der Finanzkrise, verfestigte sich diese Tendenz. Die letzten Zahlen stammen aus 2015. Nun macht der Bestand in Österreich 150,8 Mrd. aus. Die österreichischen Kapitalisten verfügten im Ausland hingegen über 186,6 Mrd. „im engeren Sinn“ – über die Zahlen und ihre Güte wird später noch zu sprechen sein.

Doch zum Verständnis muss man diese Daten in Bezug zu fundamentalen Größen der Wirt­schaft setzen. Man rechnet diese Stände z. B. als Prozentwerte wesentlicher ökonomischer Systemgrößen. Das könnten sein: das BIP, besser die Abschreibungen. Leider lässt sich die theoretisch entscheidende Größe, der Anteil am Gesamtkapital nicht seriös berechnen. Denn der gesamte Kapital-Bestand einer Wirtschaft unterliegt dem Bewertungs-Problem. Nun gibt es inzwischen eine Reihe von Versuchen, den Kapital-Koeffizienten (k = K/Y) zu berechnen. Man schätzt ihn in hoch entwickelten Wirtschaften meist auf etwa 3. Das heißt: Der gesamte Kapitalbestand macht das Dreifache des BIP aus. Das wäre für Österreich 2016 1.150 Mrd. Damit hat man einen Richtwert. Andere Rechnungen gehen wesentlich höher (vgl. Piketty / Zucman 2014; dazu kritisch Reiterer 2015). Es scheint, dass der Kapital-Koeffizient in sich de-industrialisierenden Dienstleistungswirtschaften in den letzten Jahrzehnten in der Tendenz sinkt, was wenig überraschend wäre. Das ganze hängt engstens mit dem zusammen, was man unter dem Slogan „tendenzieller Fall der Profitrate“ debattiert. Darüber wird ein anderes Mal zu sprechen sein.

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Graphik 2: Bestände der Direktinvestitionen in % des BIDI_Graphik3

Insbesondere die eingehenden Transaktionen sind enorm beweglich und instabil. Das deutet auf erhebliche spekulative Motivation hin. Die ausgehenden Investitionen pro Jahr sind eher stetig, wenn auch natürlich von Stimmungen und Konjunkturen abhängig. Das wiederum zeigt, dass sie sich eher an längerfristigen Unternehmens-Interessen orientieren. Die Betrachtung nach Branchen später wird dies tendenziell bestätigen.

Hier ist noch nicht der Platz, eine ausführliche Interpretation zu bringen. Dazu bräuchten wir auch die Daten zu den einzelnen Ländern und über die Branchen. Die möchte ich aus Platzgründen erst in Kürze präsentiere.

Doch der mir heute wesentliche Punkt ist in aller nur wünschbaren Deutlichkeit zu erkennen:

Die Verflechtung der österreichischen Wirtschaft mit der übrigen Welt war ein politisch ange­triebener Prozess. Zwar gab es bereits von etwa 1987 weg ein leichtes Steigen dieser Ver­flechtung. Vielleicht könnte man dies als spontane Mondialisierung kennzeichnen. Das ist allerdings fast irreführend. Denn 1986 gab es in Österreich einen Regierungswechsel. Die neue Regierung mit dem SP-Kanzler Vranitzky an der Spitze begann eine entschiedene Um­orientierung nicht nur der Wirtschafts-, sondern auch der Außenpolitik. Auch damals stand also die Politik als treibende Kraft im Hintergrund. Der Haupteffekt war der EG-Anschluss Österreichs. Tatsächlich schickte ie Regierung am 7. Juli 1989 den „Brief nach Brüssel“ ab, also das Anschlussbegehren.

Doch der entscheidende Wendepunkt kam 1999, mit der Währungsunion. Damals wurde der Euro zum Kern zum Kern der Wirtschaftspolitik, wennn auch auf den Papier-Zetteln im Umlauf noch „Schilling“ stand. Ab diesem Moment können wir das steile Ansteigen der Kapitalverflechtung beobachten. Österreich sollte unwiderruflich in die westliche, d. h. praktisch: deutsche, Kapital-Sphäre eingebunden werden. Selbst aber übernahm es die Funktion, den Rammbock gegen den Osten zu spielen. Dessen Einvernahme durch das Imperium erfolgte einige Jahre später.

Die Globalisierung ist ein hauptsächlich politischer Prozess. Sie läuft in Europa vor allem als Regionalisierung im Rahmen der EU ab. Alles Gerede um die unaufhaltsame sozio-ökonomi­sche Entwicklung ist ein Rauchvorhang. Die Unzulänglichkeit des Nationalstaats gegenüber der Umstrukturierung der Weltwirtschaft wird politisch erzeugt. Dahinter findet die zielge­richtete Politik der Abhängigkeit statt. Das muss man gegenüber Menschen betonen, die dies, mit dem einen oder anderen kritischen Schlenkerer, als „Analyse“ verkaufen (z. B. Scharpf). Ob dies aus unserer Sicht nun wünschenswert ist oder nicht, steht an dieser Stelle nicht zur Debatte. Hier geht es einzig um die klare Aussage: Globalisierung ist ein politisches Projekt, welches die Eliten in aller Zielstrebigkeit und mit hartnäckiger Energie durchsetzen.

Albert F. Reiterer, 20. März 2017