„POLITISCHE KRISE“: Kurz, Strache, Gudenus und Rendi-Wagner

„Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ (Marx, 18. Brumaire – MEW 8, 155)

Vielleicht, wahrscheinlich wiederholt sich die Geschichte nicht. Aber es wiederholen sich die Geschichten. Haben Knittelfeld und Ibiza aber wirklich etwas miteinander zu tun?

Unsere Analyse „vor Kurz / Strache“ war: Die FPÖ muss in die Regierung. Erst dann kann man sie entzaubern. Wir dachten dabei eher an ihre Politik. Die Zerschlagung der Sozialver¬sicherung und der Abbau des Sozialstaats (Sozialministerin Hartinger-Klein) wurde auch gleich auf den Weg gebracht; die direkten Angriffe auf die bisherige demokratische politische Kultur setzten unmittelbar ein (Innenminister Kickl); die volle Unterstützung der neoliberalen Finanzpolitik ließ nicht auf sich warten (Staatssekretär Fuchs und Strache selbst sowie Hofer).

Aber erstaunt und fast ein bisschen verzweifelt stellten wir fest: Die Bevölkerung reagiert nicht, jedenfalls laut Umfragen. In Wahlen gab es immerhin eine gewisse erkennbare Unzufriedenheit, in der AK verloren ÖVP und Freiheitliche geringfügig.

Aber nun stellten sich Strache und Co. selbst ein Bein. Vielmehr, und das ist nicht unwichtig: Sie hatten es sich bereits vor den Wahlen gestellt. Findet nun Knittelfeld doch statt?

Man muss sich einigermaßen verrenken, um in Ibiza den sozialen, den Klassen-Konflikt zu finden. Aber schauen wir etwas genauer hin!

Die Handelnden dort repräsentierten paradigmatisch die FPÖ und ihre Wirklichkeit. Hier agierten der altadelige Burschenschafter und das plebeische Gesicht der Partei, das in die Diskotheken zu den jungen Proleten geht und auf dem Viktor Adler-Markt Reden hält. Der Burschenschafter schleppt eine (angebliche) russische Oligarchin aus Estland an, und der plebeische Vorsitzende schlägt ihr einen, was heißt einen, eine ganze Reihe von Handel vor. Sie soll die „Krone“ übernehmen; sie bekommt in Hinkunft die Aufträge des STRABAG-Haselsteiners; usf. Dafür erwarten die Typen von der FPÖ natürlich was. Gudenus erwähnt Glock und macht peng-peng.

Es ist übrigens kennzeichnend, dass die „Oligarchin“ aus Estland kommen soll und nicht aus Russland. In der BRD schreiben die Zeitungen: Wer mit Russland assoziiert wird, ist politisch tot. Ich halte dies für eine gewaltige Übertreibung, aber es hat ein Wahrheits-Element. „Russland“ ist seit der Nazi-Zeit im Westen zum Synonym der Barbarei geworden, und diese ideologische Kontinuität ist nicht abgerissen, wurde immer wieder aufs Neue geladen…

Aber vergessen wir nicht: Das Video stammt aus 2017, kurz vor der NR-Wahl. Der Wille, selbst in eigener Person die Regierungs-Macht zu ergreifen, ist durch die Umfragen gedämpft. Die fiktive Gelegenheit, die „Krone“ in die Hände zu bekommen, lässt Strache euphorisch werden: „Da haben wir dann nicht 28 %, sondern 34 %!“ Vielleicht doch Kanzler!

Die „Oligarchin“ trifft sich nochmals mit Gudenus, aber rührt sich dann nicht mehr. Es wurden bei der NR-Wahl nicht einmal 28 % für die FPÖ, sondern 26 %. Aber die beiden haben inzwischen im Wesentlichen erreicht, was sie wollen. Zum Kanzler hat es nicht gereicht, aber Strache darf den Frühstücks-Vizekanzler spielen. Die FPÖ ist wieder etwas bescheidener geworden. Wie schon 2000, spielen sie im Großen und Ganzen die Mehrheitsbeschaffer und Erfüllungsgehilfen für die ÖVP und deren Politik. Und dabei legen sie nun eine gewisse Geschicklichkeit an den Tag. Sie sind vorsichtiger als seinerzeit Riess-Passer und Grasser. Sie versuchen, die Bevölkerung kurzfristig zu schonen. Langfristig schaffen sie Bedingungen, welche die Gesellschaft i. S. von Kurz umkrempeln werden. Das neoliberale und neokonservative Projekt der ÖVP-Extremisten, das Projekt der EU, wird somit durchgezogen. Und die von der FPÖ repräsentierten Oberen Unterschichten, darunter 60 % der Arbeiter – blieben weitestgehend vereint hinter der Trommel.

Kommt nun die große Ernüchterung?

Aber wie soll die aussehen? Kurz versucht nun mit einer Neuwahl, einige zusätzliche Punkte zu ergattern, die von der FPÖ kommen sollen. Wir sind Beobachter, denn zum eindrücklichen Agieren sind wir zu schwach. Für uns stellen sich jedoch eine Reihe von Fragen. Soll und wird dies Alles also nur auf ein Wahlmanöver hinauslaufen? Welche anderen politischen Handlungs-Möglichkeiten gibt es? Und es stellt sich, wie immer, auch die Frage der Organisation, der Partei wieder in voller Schärfe. Ebenso wie sich in aller Schärfe das Problem stellt, sich nur auf Wahlen zu konzentrieren. Wir sollten uns allerdings hüten, von uns aus die Frage der Partei praktisch zu stellen.

Fangen wir auf der trivialen und ein wenig öden Ebene der Wahlen an! Auch die SPÖ könnte den einen oder anderen Prozentpunkt von der FPÖ gewinnen – gewiss ist dies nicht. Inhaltlich-strategisch dürfen wir uns von dieser Partei sowieso nichts erwarten. Sie ist aber auch taktisch völlig unfähig. Kurz thematisiert mit einer Antiregulierungs-Aussage ein Problem, das vielen Menschen, einer Mehrheit vermutlich, ziemlich wichtig ist, und er macht dies nicht ungeschickt, in rechts-populistischer Manier, mit dem Alltags-Beispiel: Wie braun darf, laut EU, ein Schnitzel sein? Er fügt dann die unsinnig-technokratische Idee von den „1000 Deregulierungen pro Jahr“ hinzu. Und was macht die SPÖ? Sie erkennt keineswegs, dass Kurz damit ein verbreitetes Unbehagen angesprochen hat, wie seinerzeit mit der „Balkan-Route“. Nein, sie reagiert auf den Zuruf eines senilen Journalisten – oder auch mehrerer. Die machen daraus Identitäts-Politik: „Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger…“ Dann wundert sie sich, dass die Partei nicht vom Fleck kommt.

Aber jetzt hat auch diese extrem unfähige Parteiführung eine Chance. Wenn die FPÖ ansehnlich verliert, wird auch für die SPÖ etwas abfallen, das geht politisch-arithmetisch gar nicht anders. (Die ersten Umfragen, unzuverlässig in dieser Situation und unseriös, zeigen allerdings, dass die SPÖ gar nichts gewinnt.) Und dann wird sich diese Parteiführung bestätigt fühlen – bis zum nächsten Zusammenbruch, der unweigerlich kommt.

Und die KPÖ? Wie alle wissen, ist die Bundes-KPÖ ein Anhängsel des Grün-SPÖ-Komplexes. Die steirische KP aber wagt den Sprung auf die Bundesebene nicht. Dafür gibt es gute Gründe, und ich gebe zu: Das wäre ein enormes Risiko. Zudem braucht es eine solide Vorbe¬reitung, und dazu wird die Zeit möglicher Weise knapp. Aber irgendwann führt kein Weg darum herum.

Österreich ist Teil des okzidentalen Zentrums, auch wenn man es als Subzentrum unter dem dominanten deutschen Zentrum in Europa sehen muss. Es wird somit kaum zum Brennpunkt sozialer und politischer Bewegungen werden. Gelbwesten oder auch nur Fünfsterne sind in Österreich kaum zu erwarten. Aber es ist nicht aus der Welt, eine Reaktion der hiesigen Unterschichten auf die für sie rundum schädliche Politik der heimischen Neoliberalen-Neokonservativen und der EU kommen zu sehen. Das gilt umso mehr, als ja die hiesige politische Klasse, keineswegs nur ÖVP und FPÖ, sondern ebenso SPÖ und natürlich Grüne, dieselben politischen Grundsätze vertreten. Aber es wird dauern. Bis auch die alten Männer, die Hauptfans von Kurz und Genossen, realisieren, dass sie verkauft und verraten sind, werden noch Jahre vergehen, falls sie dann noch leben.

Wird es dann Österreich noch geben?

AFR, 19. Mai 2019