DIE BEIDEN KANDIDATEN DER ELITE UND DIE FRANZÖSISCHEN INSTITUTIONEN: Eine kurze Bemerkung unmittelbar vor der Wahl

„Frankreichs politische und intellektuelle Elite hat gestern in einem Aufruf in letzter Minute noch einmal klar gemacht: Es muss einen Zusammenschluss geben gegen Marine Le Pen.“ Macht der ORF plötzlich linke Sendungen in seinem Morgenjournal vom 6. Mai 2017? Weit gefehlt. Die naive Journalistin, die Korrespondentin ebenso wie die Moderatorin, glaubt, damit die Qualität ihres Wunschkandidaten Macron hervorheben zu müssen. Und damit es auch wirklich alle verstehen, blendet sie einige Sätze von Bernard-Henry Lévy ein, wo dieses Sprachrohr der Neuen Rechten, der Ideologe des zugespitzten Elitismus, zur Wahl seines Lieblings aufruft, und dafür „links und rechts“, wie er sagt, um sich sammelt.

Wir sollten aufhören, gebannt wie ein Karnickel auf die Schlange auf die Frage zu starren, ob Macron oder Le Pen gewinnt. Zum Einen ist es nicht entscheidend. Zwischen Cholera und Typhus wählt man nicht freiwillig. Zum Anderen: Auf der institutionellen Ebene hat auch der französische Präsident, der Wahlmonarch der Fünften Republik, beschränkte Gestaltungsmöglichkeiten, wenn ihm die Mehrheit im Parlament fehlt. Die Cohabitation Mitterrand – Chirac hat dies vor drei Jahrzehnten deutlich genug gezeigt: Mitterrand hat damals im Wesentlichen einige Vorhaben von Chirac eingebremst, die ihm besonders wenig behagten. Aber das ist keine Grundsatzüberlegung!

Wir können davon ausgehen, dass weder Macron noch Le Pen auch nur annähernd eine Mehrheit in der Nationalversammlung schaffen werden. Damit sind alle Ängste – insbeson­dere auch wegen eines Siegs von Le Pen – ziemlich gegenstandslos. Und im Übrigen ist es nicht einzusehen, warum Linke plötzlich für den Vertreter des härtesten Neoliberalismus sein sollen. Wenn wir auf Wahlen aufmerksam sind, dann sind die wirklich wichtigen Abstimmungen in vier Wochen zu erwarten.

Das wichtige Fakt war auf der Ebene der Bevölkerung, der Wähler, der erste Wahl­gang. Willi Langthaler hat dies in seinem Beitrag deutlich genug gemacht. Der zweite Wahl­gang ist auf dieser Ebene insofern wichtig, als es sich zeigen wird, wie sehr die Unterschich­ten auf die Hysterie wegen Le Pen einsteigen. Ich halte einen Sieg von Macron für ausgemacht: Noch hält das System. In diesem Sinn wäre es aus linker Perspektive vor allem wichtig, dass dieser Sieg so knapp wie möglich ausfällt, bei möglichst tiefer Wahlbeteiligung.

Ob dieser fromme Wunsch in Erfüllung gehen wird, bin ich mir weniger sicher. Ich fürchte eher, dass die „republikanische“ Hysterie noch einmal greifen wird. Die Eliten werden noch einmal die Gelegenheit haben, sich über die massive Zustimmung zu ihrem Kandidaten zu freuen – so lange, bis es wirklich kracht.

Vor vielleicht einem Jahrzehnt sah ich den Film La Haine von Matthieu Kassovitz. Einer der Hauptfiguren erzählt den Witz, inzwischen ziemlich geläufig in der Politik: Ein Mann fällt aus dem 20. Stock. Er fällt vorbei am 10. Stock und sagt sich: „Bis jetzt ist es gut gegangen!“ und er fällt vorbei am 2. Stock und wieder sagt er sich: „Bis jetzt ist es gut gegangen!“ …

Die Reaktion der Eliten und ihrer Journalisten auf die Wahl des Alexander van der Bellen, und auf den ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahlen, und … und … entspricht exakt diesem Witz.

Nach diesem Prozess sind, wenn wir schon ständig auf Wahlen schauen wollen, die gleichzeitigen am Sonntag sowie ein Woche später in deutschen Bundesländern stattfindenden Landtagswahlen fast ebenso wichtig. Dort werden wir sehen, wie im wirklich zentralen Land des Imperiums die Bevölkerung wählt, auch, ob sie sich tatsächlich von diesem Hampelmann der SPD blenden lässt: Gegenwärtig hat er ja schon mächtig an Glanz verloren.

Albert F. Reiterer, 6. Mai 2017

Achtungserfolg Mélenchons

Demokratisch-sozial-souverän hegemoniefähig
Überlegungen zu den Ergebnissen des ersten Wahlgangs der französischen Präsidentenwahlen

von Wilhelm Langthaler

  • Ein Fünftel aus dem Stand für Anti-Eliten-Kraft von links
  • Fast die Hälfte gegen das Establishment
  • Rechte nicht konsensfähig
  • Kollaps der PS und des Zweiparteiensystems
  • Wahlmonarchie mit Medienzauber gerade noch gerettet
  • Mélenchon nicht radikal genug
  • Aufruf zum Nichtwählen

Hier eine Detailkarte der Wahlergebnisse, sowie eine Darstellung nach Regionen, die die Kolonien mit einbezieht, wo Mélenchon überdurchschnittlich erfolgreich war.

1) Knapp 20% für „France insoumise“ zeigt Potential

Ohne allzu großen Apparat hat Mélenchon die Regimelinke marginalisiert und praktisch aus dem Stand 20% der Stimmen erobert. Knapp um 2 Prozentpunkte ist das politische Erdbeben, in die Stichwahl gegen Le Pen zu gelangen, verfehlt worden. Die Kandidatur hat die entscheidenden Punkte angesprochen:

Nicht nur Schluss mit der Austerität – das haben viele versprochen, aber bisher niemand auch nur ansatzweise getan, weil sie die Globalisierung nicht in Frage stellen wollen –, sondern es wurden auch die institutionellen Konsequenzen angesprochen. Nämlich Neuverhandlung der EU-Verträge als Plan A. Sollte das nicht gelingen, wird ein (noch wenig durchdachter und inkonsequenter) Plan B in Aussicht gestellt, der sich gegen die Diktate des Euro-Regimes richtet. Jedenfalls zurück zur nationalen Souveränität in der Tradition des demokratischen Republikanismus französischer Form (die auch problematische Elemente enthält). Doch die Forderung nach dem Ende der Wahlmonarchie und für einen konstitutionellen Prozess für eine sechste Republik ist goldrichtig. Genauso wie der Austritt aus der Nato und ein Ende des militärischen Interventionismus.

Das Feld demokratisch-sozial-souverän gegen die Herrschaft der globalistischen Eliten hat seine Fruchtbarkeit bewiesen. Das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft; das Programm noch nicht ausgearbeitet und mit vielen Schwächen behaftet; und auch organisatorisch kann man den Versuch erst als zartes Pflänzchen betrachten, dessen Überleben noch ungewiss ist.

2) Regime stützt sich nur mehr auf die Hälfte

Die Regimephalanx Macron, Fillon, Hamon (in einem gewissen Sinn) etc. haben mit Ach und Weh die Hälfte der Stimmbürger hinter sich gebracht, haben dabei aber ihre eigenen Institutionen in mehrfacher Weise arg zerzaust (dazu später).

Die Front National Le Pens als Erbe der historischen Rechten, der Vichy-Kollaborateure, des kolonialen Imperialismus und autoritären Polizeistaates, des reaktionären Kleinunternehmertums war ein Spielbein des Regimes, kein Standbein. Nach dem Ende der UdSSR und der KPF konnte sie jedoch bekanntermaßen die subalternen Schichten ansprechen, die tendenziell in Opposition zu den liberalen Eliten stehen. Sie erwarten sich von Le Pen ein Ende der Herrschaft der globalistischen Oligarchie. Bei aller Zwiespältigkeit enthalten die Stimmen für Le Pen unzweifelhaft ein Element gegen das Regime, insbesondere was das Eintreten für die nationale Souveränität betrifft. Im Gegensatz zur medialen Darstellung ist die Bereitschaft und Fähigkeit der FN zum Bruch jedoch nicht so klar, genauso wenig wie übrigens bei Mélenchon auch.

Hinzu kommt jedoch die Entleerung des Gaullismus. Im Gegensatz zum linken Regime-Gegenpart PS sind die „Republikaner“ als Apparat intakt geblieben. Aber Fillon repräsentiert das definitive Ende jedes gaullistischen Elements der staatlichen Lenkung, des sozialen Kompromisses und der nationalen Souveränität, während Chirac zumindest noch als dessen Reminiszenz aufgenommen werden konnte. (Niemand glaubte wirklich daran, es war mehr eine nostalgische Hoffnung.) Aber Fillon ist ultraliberal, reaktionär-konservativ, korrupt und vom gaullistischen Nationsbegriff bleibt nur mehr Kulturchauvinismus übrig, nicht anders als bei Le Pen. Er ist der finale Bankrott der bürgerlichen Kultur, ihre Auflösung in Egoismus, der Bodensatz des rechten Elitenblocks.

Der superstalinistische Dichter Louis Aragon sprach vom Flieder und den Rosen, dem Zusammenwirken von Gaullismus und Kommunismus, als Basis für die gedeihliche Entwicklung der französischen Nation. (Schon als die Worte ausgesprochen worden waren, hatte sie der Kalte Krieg überholt.) Beide sind in der Gluthitze der Globalisierung vertrocknet. Bisher war es nur Le Pen, die dieses wiedererwachende Traditionsfeld für sich zu nutzen versuchte – eigentlich als völlig Fremde, denn ihr Vater ist noch immer glühender Verfechter von General Pétain, Hitlers Partner. Es war hoch an der Zeit, dass da jemand von links der Erbschleicherin einen Riegel vorschiebt.

3) Die Rechte wird das Regime nicht kippen können

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert beackert die FN das beschriebene Terrain. Doch über ein Viertel der Stimmen kommt sie nicht hinaus und wird es auch in absehbarer Zukunft nicht.

Um ihre vagen Versprechungen gegen die Eliten zu realisieren, bräuchten sie die große Masse der Subalternen und auch der Mittelschichten für sich. Aber dafür sind die demokratischen, republikanischen und sozialistischen Traditionen zu bedeutend. Le Pens Verbindung zu den alten Eliten über die historische Rechte sind einerseits zu stark. Andererseits setzen die Eliten noch lange nicht auf die plebejische Rechte. Dafür haben sie noch zu viele andere Möglichkeiten.

Dennoch kann man mit Fug und Recht sagen, dass Le Pen indirekt funktional für das Regime ist. Sie kanalisiert plebejische Opposition in die Unwirksamkeit. Gleichzeitig dient die FN als Schreckgespenst, als Negativfolie, um den Konsens für die verschiedenen Regimevarianten aufrecht zu erhalten.

4) Kollaps der PS als Ende der Alternanz

Am klarsten ist der Teilzusammenbruch des alten Regimes am Abstinken der PS zu erkennen, deren Kandidat Hamon gerade einmal auf 6% kam – eine europaweite Tendenz. Er hatte sich bei den internen Primärwahlen (nach amerikanischem Vorbild) als der links stehende Kandidat gegen den Favoriten von Hollande und dem Apparat durchgesetzt. Doch die Apparatschiks zeigten sich defätistisch und unterstützten lieber den superliberalen Macron. So reduzierte sich die Funktion Hamons letztlich auf die Verhinderung Mélenchons. Hätte er sich zugunsten von France insoumise zurückgezogen, hätte letzterer mehr Chancen gehabt in die Stichwahl zu kommen.

Eigentlich hätte nach den Regeln der Alternanz nun wieder der Kandidat der Rechten ans Runder kommen sollen – und so sah es anfangs auch danach aus. Doch Fillon verstrickte sich in Korruption und war nicht gewillt zurückzuziehen. Nun kommt Macron die Aufgabe zu als gemeinsamen Kandidaten des Regimes, die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen.

Die Sozialistische Partei und mit ihr das ganze Regime hat ein zusätzliches Problem bei den ebenfalls bevorstehenden Parlamentswahlen. Es wird dort auch nach einem Mehrheitsverfahren gewählt. Einerseits werden die geschlagenen Parteiapparate Schwierigkeiten haben, ihre bisherige Dominanz aufrecht zu erhalten. Andererseits fehlt Macron, aber auch Mélenchon der notwenige Parteiapparat. Es kann sich durchaus ergeben, dass Präsident Macron über keine parlamentarische Mehrheit verfügen wird. Damit könnte er institutionell bereits geschwächt starten.

5) Retortenbaby Macron

Macron ist nicht nur ein Medienprodukt wie ein amerikanischer evangelikaler Prediger, wo viel Geld im Spiel ist. Er ist auch das reine Destillat des Wirtschafts- und Kulturliberalismus. Zudem ist er direkter Repräsentant der Wirtschafts- und Verwaltungsoligarchie, ohne zwischengeschalteten politischen Apparat. Sein Erfolg zeigt, dass die vierte Macht im Staat, die Medien, diejenige Institution sind, die am wenigsten zerrüttet ist.

Macron gilt als neu, frisch, jung, fotogen usw. In Wirklichkeit repräsentiert er die lineare Fortsetzung der Regierung Hollande, dessen Teil er war. Dieser Transformismus, alles zu ändern um alles gleich zu lassen, steht auf tönernen Füßen (siehe Renzi in Italien). Innerhalb weniger Monate wird die Medienblase zerplatzen und die Opposition der Subalternen wieder gegen die Institutionen stoßen. Diese sind zwar antidemokratisch gepanzert wie in keinem anderen westeuropäischen Land, aber ewig kann das nicht halten – angesichts einer sich weiter verschlechternden sozialen Lage der Mehrheit.

Angesichts des Unwillens und des Unvermögens der Eliten einzulenken, das ultraliberale Crash-Programm zu dämpfen, sind größere Brüche und Konflikte unvermeidlich.

6) Schwächen Mélenchons

Wir sind über den Erfolg Mélenchons hoch erfreut und er gibt Hoffnung. Das soll uns aber nicht für dessen eklatante Schwächen blind machen.

Da ist einmal die Unbestimmtheit gegenüber der EU. Man kann verstehen, dass er nicht als zu radikal erscheinen will. Daher der Plan A und der Plan B, obwohl bereits offensichtlich ist, dass es keinen Plan A geben wird. Mélenchon setzt da auf die größere französische Macht gegenüber dem deutschen Block, als es Griechenland jemals haben könnte. Bei dem einen oder anderen Kompromiss könnte das auch funktionieren. Doch hier geht es um viel mehr, nämlich um ein Ende des liberalen Regimes, wie es seit Mitte der 80er Jahre mittels EU-Binnenmarkt und Euro vertieft wird. Und da kann es für Berlin, wo die kapitalistischen Eliten unangefochten im Sattel sitzen, keinen Kompromiss geben, denn das war die Bedingung sine qua non der Errichtung der supranationalen Bürokratie und der gemeinsamen Währung. Der Bruch würde zur Notwendigkeit. Die Weichheit in dieser Frage versteckt Mélenchon hinter lauter nationaler Rhetorik. Die Konsequenzen aus der Kapitulation Syrizas würden noch nicht gezogen.

Ein zweites Problem ist die Konzentration auf seine Person, wie die das französische System überhaupt fördert. Es bedarf einer breiten Front verschiedener Komponenten auf der Basis von demokratisch-sozial-souverän. Ob das Mélenchon will und kann ist unklar.

Eine verfassungsgebende Versammlung für eine 6. Republik ist eine ausgezeichnete Sache. Doch dabei müsste man eine kritische Bearbeitung des Republikanismus wagen, allen voran des elitären Laizismus. Davon war bisher kein Jota zu spüren.

Nächste Etappe sind die Legislativwahlen. An denen kann man sehen, ob der Zug in die richtige Richtung fährt oder ob es eine Eintagsfliege war. Dass Mélenchon jedenfalls nicht für Macron aufgerufen hat, ist ein hervorragendes Zeichen. Sein Quasi-Vorläufer Chevènement hat sich damit bereits als Regime-Mann geoutet.

7) Ein Zeichen setzen – Wahl boykottieren

Eines der gefährlichsten Ideologeme des liberalen Regimes in ganz Europa ist jenes vom kleineren Übel gegenüber der Rechten. Da wird durch ein pervertiertes Antifa eine faschistische Gefahr an die Wand gemalt, angesichts derer nichts anderes mehr übrig bliebe, als die jeweiligen Regimevertreter zu wählen (egal ob in der links- oder rechtsliberalen Version).

Doch die Gefahr des Faschismus gibt es nicht, denn es wird vergessen, dass der Faschismus einzig mit der Unterstützung der Eliten an die Macht gekommen war. Es war ihre ultima ratio, von der heute noch lange nicht die Rede sein kann. Die liberale Diktatur („marktkonforme Demokratie“) ist heute die Hauptgefahr sowohl nach innen als auch nach außen.

Nachdem Le Pen oder ähnliche plebejische rechte Kräfte auch keine Alternative bieten können, bleibt nichts anderes übrig, als die Wahl zum gepanzerten System zu boykottieren. Das Maß des Erfolgs bestimmt sich durch den Anteil an Wahlenthaltung (und die darin ausgedrückte Delegitimierung) und in der Folge durch die politisch-sozialen Mobilisierung gegen das Regime – welche sowieso der bestimmende Faktor sind.

Alitalia als Symbol für das Land

Regierung will zusperren, Belegschaft verstaatlichen

Gespräch mit Fabio Frati, einem der Köpfe des Widerstands und Vorsitzendem der Basisgewerkschaft CUB Trasporti

von Wilhelm Langthaler

Wider Erwarten haben mehr als Zweidrittel der Belegschaft der Fluglinie gegen den drakonischen „Rettungsplan“ gestimmt. Die Oligarchie, die italienische wie die europäische, sowie ihren Medien schreien „Selbstmord“. Seit zehn Jahren will man die nationale Industrieikone des Wirtschaftswunders durch Privatisierung, Personalabbau, Verkleinerung und Präkarisierung sanieren. Die Beschäftigen sind nicht mehr bereit der neoliberalen Erzählung Gehör zu schenken und fordern die Verstaatlichung – zur Rettung ihrer Würde.

Fabio Frati am 14. März 2017 in Rom bei der Eröffnung der Konferenz „Alitalia – Nationalisierung die einzige Lösung“ (italienisch)

 

Die Lage von Alitalia ist verzweifelt. Die Regierung hat mit der Schließung gedroht, sollte ihrem Programm nicht zugestimmt werden. Warum habt ihr trotzdem dagegen gestimmt?

Unsere Arbeitsbedingungen, unsere Situation insgesamt, ist dramatisch. Die Medien sprechen von Gehaltskürzungen von 8%. Aber für einige Berufsgruppen sind es bis zu 30% weniger. Zudem kommen die befristeten Arbeitsverträge und die Unsicherheit. Viele verdienen unter Euro 1000, einige sogar nur 700. Und trotzdem wird noch immer die Mär von den Privilegien verbreitet. Die Leute fühlen sich wie Sklaven und sie haben nun ihre Würde verteidigt.

Wie war dieser Erfolg möglich?

Es war auch für mich unglaublich. Die Wut hat überwogen. Trotz der Einschüchterungen haben viele öffentlich gewählt. Sie kreuzten Nein an und warfen es der Wahlkommission einfach hin.

Die Direktion hatte, neben der Pistole an unserer Schläfe, auch die typischen Spaltungsmanöver vorbereitet. Man hatte dem Bodenpersonal versprochen, sie würden verschont bleiben. Doch diese Spiele wurden schon zu oft betrieben. Seit dem ersten Krisenplan sind die Hälfte der Leute weg und ein Großteil hat prekäre Verträge.

Als sich die Niederlage der Herrschenden abzuzeichnen begann, wurden sie nervös. Denn die Abstimmung sollte ursprünglich dazu dienen, ihren Liquidationsschritten Legitimität zu verleihen. Es drohten drei Minister, der Ministerpräsident selbst und auch die drei Generalsekretäre der konföderierten Gewerkschaften. Manche unserer Aktivisten wurden richtig persönlich bedroht – ganz nach Mafiamanier. Und dann ist da die geschlossene Medienkampagne gegen uns. Aber letztlich ist das alles nach hinten losgegangen.

Gibt es Solidarität aus der Gesellschaft?

Wenn Silvio Berlusconi eine solche Schweinerei veranstaltet hätte, wäre es zu einer Explosion gekommen. Aber jetzt bleibt die Front geschlossen. Der PD-Minister für Transport, Graziano Delrio, hatte sogar die Chuzpe zu sagen, dass man Alitalia gar nicht brauche, sondern dass Ryan Air die Rolle übernehmen könne.

Und die Gewerkschaften?

Das sind nur mehr Totengräber. Die hätten eigentlich allen Grund unseren Kampf zu unterstützen. Die Geschäftsleitung hat vergangenes Jahr unilateral die Kollektivverträge gekündigt und ihnen ihre Rolle weggenommen. Jetzt glauben sie noch eine Funktion als Vermittler der Todesnachricht zu haben. Sie haben sich historisch verkalkuliert. Sie versprachen die Globalisierung kontrollieren, ja gestalten zu können. Nun sind sie selbst überrollt worden. Aber Einsicht zeigen sie keine.

Was schlägt die CUB vor?

Die einzige Lösung ist die Verstaatlichung! Die Belegschaft hat in dem Referendum dafür gestimmt. Aber es ist uns klar, dass wir der Gesellschaft gegenüber Schwierigkeiten haben. Da wird noch immer so getan, als wären wir in den goldenen Zeiten geblieben. Tatsächlich arbeiten wir unter extremen Verhältnissen und wir sind was die Arbeitskosten betrifft die billigste Fluglinie Europas. Das Problem sind nicht wir, es ist die Unternehmensstrategie sowie das neoliberale Modell als Ganzes.

Man sagte vor zehn Jahren, die Privatisierung sei die einzige Rettung. Es wurden in nunmehr drei Krisenplänen mehr als 10.000 Arbeitsplätze vernichtet, Tausende in die Prekarität gestoßen die Verdienste massiv gesenkt. Man hat an Etihad verkauft, Destinationen gestrichen und Leistungen gekürzt. Legitimiert wurde das mit den Sachzwängen des Marktes und den EU-Regeln. Aber man fand nichts dabei, den Low-Cost-Gesellschaften wie Ryan Air und Easy Jet versteckte öffentliche Subventionen zu gewähren, wie Werbepartnerschaften oder Steuererleichterungen.

Austerität und der extreme Liberalismus des Euro-Regimes haben Italien als Ganzes in die Katastrophe gestürzt.

Die Regierung hat auch nach der Abstimmung die Nationalisierung dezidiert ausgeschlossen.

Ich kann heute nicht sagen, was passieren wird. Zumindest hat der Abstimmungserfolg unser Leben verlängert. Es ist ein Hilfeschrei, ein Aufschrei, vielleicht ein Fanal. Alitalia ist kein normales Unternehmen, sondern ein Symbol. Wenn man das Hirn benutzt, müsste die Regierung ein Interesse an der Rettung haben. Aber wer weiß, der Kampf ist offen.

Was sind ihre nächsten Schritte?

Wir müssen unser Anliegen hinaustragen, denn es geht alle an, wir haben Symbolwirkung. Wir müssen nun auf die Straße, wir brauchen Solidarität. Aber das muss man politisch vorbereiten und Konsens schaffen.

 

Streik und demonstration bei Alitalia am 23. Februar 2017 mit Fabio Frati an der Spitze (italienisch)

Sie sehen ihre Felle davonschwimmen …

Einige Worte, warum uns am heurigen 1. Mai zum Feiern zumute ist.

Die Erregung der europäischen Eliten angesichts ihres nicht mehr zu übersehenden Hegemonie-Verlustes ist erfreulich – trotz aller damit einhergehenden besorgniserregenden Aspekte.
Fanatisch setzen sich Brüssel und Berlin gerade für ihr Liebkind Macron in Frankreich ein, der dann bilderbuchartig im Nobellokal eine Champagnerparty feiert und auf die von Entlassung bedrohten Whirlpool-Arbeiter Amiens pfeift (wie diese auch hörbar auf ihn).
Bei dem Namen Theresa May brechen Merkel und Co in Hasstiraden aus. Ihr einziges kleines Trostpflaster: die geliebten EU-Freunde der Liberaldemokraten werden wohl den suspekten Jeremy Corbyn – schuldig des Verbrechens sich nicht aktiv gegen den Brexit eingesetzt zu haben – als wichtigste Oppositionspartei ausstechen.
Das Ziel der leidenschaftlichen Wahrungen der EU-Spitzenpolitiker vor den Populisten und ihren verantwortungslosen Experimenten ist klar: Sie wollen die Angst der Bevölkerung anheizen und ihr die Latte für die Entscheidung zum Bruch mit dem heruntergewirtschafteten europäischen Projekt möglichst hoch legen. Dass das ein Spiel auf Zeit ist, ist mittlerweile jedem klar. Beinahe jede Wahl wird zur Zitterpartie für die Kontinuität der etablierten neoliberalen Herrschaftsarchitektur.
Den Eliten fällt dazu nichts anderes ein, als weiterzumachen wie bisher und dies mit fortgesetzter Beschneidungen der demokratischen Entscheidungsspielräume der Mitgliedsstaaten, prekären Koalitionen aller „verantwortungsbewussten“ Kräfte“ und Angstmache vor den aufkommenden Alternativparteien abzusichern. Die Aversion der Bevölkerung kann das nur noch weiter steigern.
Die Frage ist nur mehr, welches Land zuerst den Sprung ins Unbekannte wagt und in welche Richtung – nach rechts oder links. Man ist ein wenig an die Belegschaft von Alitalia erinnert: nach Jahren der als alternativlos akzeptierten Einschnitte ist eine Situation erreicht, wo alle Drohungen nicht mehr wirken, nichts mehr zu verlieren übrig bleibt und das NEIN zu den wiederum gleichen „Lösungen“ zumindest die Würde bewahrt. Das blüht dem EU-Establishment früher oder später an einem seiner wunden Punkte und wird voraussichtlich eine Kettenreaktion nach sich ziehen.
Dass dadurch noch nichts zum Besseren gelöst ist, braucht uns niemand zu erklären. Wir sind schon mit den offenen Möglichkeiten der Geschichte sehr zufrieden, die sich dann für alle Spieler wieder ergeben werden. In diesem Sinn haben wir allen Grund heuer den altehrwürdigen „Kampftag der Arbeiterklasse“ ordentlich zu feiern.

Personenkomitee Euroexit gegen Sozialabbau

Rom: Nein zu Euro, EU, Nato

Gipfel 60 Jahre EU: Erste große Manifestation der Linken in Europa für den Bruch mit dem Euro-Regime

Tagelang sprachen die Medien vor allem von der Eurostop-Demo. Sie versuchten die Gefahr von Randale heraufzubeschwören. So wurden beispielsweise auf den Autobahnen nach Rom die Autos einzeln kontrolliert – eine reine Einschüchterungsmaßnahme. Und das half tatsächlich: die im Arbeitskampf befindlichen Al-Italia-Beschäftigten, die eine Teilnahme erwogen, kamen nicht, genauso wie viele Mitglieder der Basisgewerkschaft USB (die trotzdem eine wichtige Rolle spielten).

Doch wichtig ist der politische Kontext. Die Pro-EU-Demo der Regime-Linken, an der auch Varoufakis und alle möglichen Spitzen der traditionellen Linken teilnahmen, war wesentlich kleiner als Eurostop, obwohl ihnen alle Medien zur Verfügung stehen. Und die Demo der nationalen Rechten, geführt vom ehemaligen Römer Bürgermeister Alemanno, war noch kleiner.

Die Fünf-Sterne verstummten zum Thema Euro/EU gänzlich, während die Regierungspartei PD (und die Pro-EU-Linke) eine sehr tiefe Krise durchlebt, die die Rechte nicht richtig nutzen kann. Das politische Vakuum ist enorm und alle Umfragen zeigen die M5S an erster Stelle, trotz der Diskreditierung der Römer Bürgermeisterin.

Die erfolgreiche Demo von Eurostop ist ein guter Schritt. Doch politische Alternative ist diese schwierige Koalition der No-Euro-Linken noch lange nicht, denn vorerst sind es noch viele einzelne Gruppen.

Wilhelm Langthaler

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Rom, 25. März 2017: eine kämpferische Demo gegen Euro, EU und Nato

Erklärung der „Confederazione le la Liberazione Nazionale“ (CLN)

Die von Eurostop gemeinsam mit anderen antagonistischen Bewegungen organisierte Demonstration war die erste große Straßenaktion gegen die Euro und die EU. Dass sie sich gegen den parallel stattfindenden Gipfel der 27 EU-Führer richtete, verleiht ihr noch größere politische Bedeutung.

Endlich ist es der Anti-Euro-Linken gelungen mit klaren Forderungen auf die Straße zu gehen. Hier kamen die besten Teile der Basisgewerkschaften, der Linken und des sozialen Antagonismus [der in der italienischen Linken gebräuchliche Begriff meint antisystemische Kräfte, die Verankerung auch in den unteren Schichten haben] zusammen.

Die 10.000 Demonstrantinnen und Demonstranten hätten auch doppelt so viele sein können, wenn es nicht eine regelrechte Terrorkampagne der Medien gegeben hätte, bei dem das Innenministerium die Fäden zog. Es ging einfach darum abzuschrecken und die Teilnahme zu behindern. Die Tatsache, dass die Demo friedlich verlief, zeigt wie falsch die Vorwürfe waren.

Letztendlich demonstriert das die Angst unter den Herrschenden. Auch deswegen können wir zufrieden sein und von einem Erfolg sprechen. Wer gestern auf der Straße war, gehörte zum harten Kern der No-Euro-Linken. Unter gewissen Umständen wird sich dieser Kern in naher Zukunft erweitern können.

Aber es gibt noch eine andere politische Operation der Medien. Die Zeitungen behandeln Anti-Euro-Demonstration als linke Folklore, während sie der Aktion der Pro-EU-Linken („Unser Europa“) am gleichen Tag das Hauptaugenmerk geben, obwohl diese als gescheitert betrachtet werden kann.

Es handelt sich um den Versuch die No-Euro-Linke zu isolieren. Ein Versuch, der vereitelt werden kann, wenn es Eurostop gelingt nun einen notwendigen Sprung zu machen. Welchen? Wir müssen uns weniger ideologisch präsentieren, uns gegenüber breiten Schichten öffnen, als Ferment einer wirklichen Massenbewegung wirken.

Das ist heute nötig und auch möglich. Das ist unsere Überzeugung und diese haben wir als „Konföderation für die Nationale Befreiung“ (CLN) auch in die Demonstration getragen.

Übersetzter Aufruf Eurostop

Ein paar Bilder auf dem Online-Portal Contropiano

Videoaufnahme der gesamten Demonstration

 

 

Demonstration gegen EU-Sondergipfel in Rom

Wir dokumentieren im Folgenden den Aufruf eines breiten Bündnisses italienischer Organisationen zum Protest gegen das Treffen der EU in Rom. Die Träger dieser Initiative (Liste der Organisationen und Personen siehe Originalaufruf unter www.eurostop.info/909-2/) stellen einen wichtigen Kern der linken Opposition in Italien dar, die für den Euro-Austritt des Landes eintritt. Bereits am 11.-12. März fand in Rom eine Konferenz der europäischen Plan-B Bewegung statt, die Alternativen zu Euro und EU diskutierte (http://www.euro-planb.it/index.php/il-documento/) . Die Demonstration am 25. März steht ebenfalls in diesem Kontext, wobei angesichts der Tiefe der Krise in Italien für die Organisatoren sich ein Weg außerhalb des Euro als unerlässlich darstellt, um einen wirtschaftlichen und sozialen Neubeginn des Landes zu ermöglichen.

 

Aufruf zur Demonstration am 25. März gegen den EU-Sondergipfel zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge

Am 25. März wir in Rom der 60. Jahrestag der Römischen Verträge „gefeiert“ mit der Teilnahme von 28 Staatsoberhäuptern. Die Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahr 1957 gilt als die Geburtsstunde der Europäischen Union. In Wirklichkeit gibt es aber an diesem Jubiläum gar nichts zu feiern, denn die Entstehung der EU und die Einführung des Euro als einheitliche kontinentale Währung haben folgende Konsequenzen gehabt:

  • Eine deutliche und weit verbreitete Verschlechterung der Einkommen und des Lebensstandards der Arbeiterklasse, der Unterschichten und der Mittelklasse, oft bis an die Armutsgrenze, insbesondere im Süden Europas.
  • Eine Beschränkung der Demokratie durch die Anwendung von Verträgen, die die wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen zentralisieren und damit die Souveränität der europäischen Völker beschränken. Die von Renzi vorgeschlagene und durch ein Referendum abgelehnte Verfassungsreform diente genau dieser Entdemokratisierung.
  • Ein militärischer Interventionismus, der die Konflikte vermehrt, von der Ukraine bis zum südlichen Mittelmeer, insbesondere in Syrien und Libyen, und die dramatische Migration der in den Krieg involvierte Völker hervorgebracht hat.

Dies sind die Konsequenzen eines institutionellen Konstrukts, das heute noch dazu daran scheitert, eine tiefe ökonomische und soziale Krise zu bewältigen, bewiesen hat und somit die Unfähigkeit der herrschenden Klassen des Kontinents zeigt.

All dies vollzieht sich in einem Klima des wachsenden internationalen ökonomischen und militärischen Wettbewerbes, das heute von Trumps Präsidentschaft in den USA, auch durch die Wiederaufnahme der nuklearen Aufrüstung, angeheizt wird. Die Antwort der EU ist ein erneuerter, auch militärischer Protagonismus, wie er auch von Federica Mogherini, der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, auf der Konferenz in Deutschland am 57. Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, proklamiert wurde.

Aus all diesen Gründen sind wir der Überzeugung, dass der 25. März kein feierlicher Tag ist, sondern ein Tag des Kampfes und Mobilisierung gegen das Treffen in Rom werden soll.

Wir werden in Rom demonstrieren, um unseres Nein gegen Euro, EU und Nato und für Demokratie und soziales Rechte zu bekräftigen.

 

Niederlande: ein Sieg der Rechten?

Interview mit Frank Futselaar, ehemaliger EU-Abgeordneter der Sozialistischen Partei der Niederlande

Von Mustafa Ilhan

 

Frage: Herr Futselaar, wie beurteilen sie den Wahlausgang in den Niederlanden?

Die politische Landschaft der Niederlande ist nun mehr zersplittert als je zuvor. Die Wählerschaft war ganz offensichtlich mit der bisherigen Regierung und ihrer Austeritätspolitik unzufrieden. Sie haben als Alternative nun vielen verschiedenen anderen Parteien ihre Stimme geschenkt.

F: Nach den Wahlen verstehen viele Europäer die Ergebnisse als einen Sieg über die Rechtspopulisten – obwohl die Rechtsliberalen und die Rechtspopulisten die erst- und die zweitstärkste Partei sind und damit insgesamt die Rechten gewonnen haben. Gibt es einen Grund zum Feiern?

Es war kein Sieg der Rechten. Die liberale VVD büßte 10 Sitze ein. Die rechtsextreme populistische PVV gewann zwar 5 Sitze dazu, aber viel weniger als sie erwartet hatte. Man spricht von einer Enttäuschung für Wilders Partei. Nachdem niemand mit ihnen eine Koalition einzugehen bereit ist, bleiben sie irrelevant.

F: Die sozialdemokratische Partei PvdA hat die tiefste Niederlage ihrer Geschichte erlebt. Was sind die Gründe?

Die niederländischen Sozialdemokraten haben in den letzten Jahrzehnten praktisch immer die neoliberalen Projekte unterstützt. Unter der letzten Regierung waren sie direkt für die Politik des Sozialabbaus verantwortlich. Die Unterstützung für sie war bereits in den vergangenen Jahren zurückgegangen, nun scheint sie fast ganz verloren zu sein.

F: Auch die SP hat einen sitzt in Parlament weniger als zuvor. Was hat Ihre Partei falsch gemacht?

Die SP hat gegenüber 2012 0,4 Prozentpunkte verloren, das ist geringfügig. Wir wurden von den Medien schon seit langem heftig attackiert und waren auf schwerere Verluste vorbereitet. Unsere gute Kampagne hat geholfen größeren Schaden abzuwenden. Trotzdem ist es bedauerlich, dass wir angesichts des Zusammenbruchs der PvdA uns nicht besser schlagen konnten. Zudem waren wir gerade unter jungen Wählern nicht gut.

F: Wie stehen Sie und Ihre Partei zu €uro-Krise und zum Austritt aus der €urozone?

Wir glauben, dass der Euro in seiner heutigen Form unhaltbar ist. Wir treten nicht dafür ein, dass die Niederlande die Eurozone jetzt verlässt, aber es muss möglich werden, dass Länder wenn nötig den Euro verlassen können.

F: Was bedeutet das Wahlergebnis für Brüssel bzw. für die Zukunft der EU?

Kurzfristig wird sich wenig ändern. Sehr wahrscheinlich wird es wieder eine Mitte-Rechts-Regierung geben, die die EU und die Austerität unterstützt. Aber die Position von Minister Dijsselbloen als Vorsitzender der Eurogruppe steht in Frage.
F: Die rechtspopulistische Partei PVV hat intensiv einen Austritt aus der €urozone sowie Islamfeindlichkeit propagiert. Glauben Sie, dass dieses Politik Wilders was gebracht hat?

Die PVV hat eine sehr schwache Kampagne geführt. Aber ihre Ideen sind in großen Teilen der Wählerschaft populär. Aber Wilders wird als Politiker immer weniger geglaubt und daher ist auch der Erfolg der PVV beschränkt.

F: Die niederländische Regierung hat vor den Wahlen türkische Wahlkampfauftritte in den Niederlanden verboten. Inwiefern hat der Konflikt mit der Türkei beim Wahlausgang für die Rechten und Sozialdemokraten eine Rolle gespielt?

Die Stellung von Premier Rutte (VVD) wurde durch den Konflikt in der Tat gestärkt. Er konnte sich staatstragend geben und als Verteidiger niederländischer Rechte darstellen, insbesondere als die Töne aus Ankara immer hysterischer wurden.

F: Was halten Sie von Erdogans Nazibeschimpfungen? Wie haben die Niederländer darauf reagiert?

Die von der türkischen Regierung verwendeten Begriffe sind ziemlich schändlich, besonders wenn man die gegenwärtige Repression in der Türkei gegen Journalisten, Lehrer und Akademiker in Rechnung stellt. Während die Niederläger sich deswegen aufregen, wird wahrgenommen, dass der Konflikt Erdogan hilft. Er verwendet uns fast als „Feind“ um Stimmen für sein Referendum zur Verfassungsänderung zu bekommen.

F: Unter welchen Bedienungen können die Beziehungen mit der Türkei
wiedergutgemacht werden?

Die türkische Regierung will diesen Konflikt nutzen, um ihre Unterstützung zuhause zu stärken. Bisher haben sie nur diplomatischen und symbolische Maßnahmen ergriffen. Es ist zu erwarten, dass nach dem Referendum im April die Beziehungen stillschweigend wieder verbessert werden.

GLOBALISIERUNG: BEISPIEL ÖSTERREICH. Auslandskapital und Direkt-Investitionen II

Karl W. Deutsch hat gerne darauf verwiesen, dass die Außenhandelsverflechtung vor dem Ersten Weltkrieg stärker war als zu seiner Zeit, d. h. noch in den 1950ern. Er hat daraus auf geringere globale Integration geschlossen. Doch der sinnvollere Indikator dafür ist die Kapitalverflechtung zwischen den Nationalwirtschaften. Gehen wir es einmal naiv an.

1974 machten die passiven Direktinvestitionen (DI) aus dem Ausland in Österreich umge­rechnet 2,128 Mrd. € aus. Dem standen 422 Mill. € von Kapital aus Österreich im Ausland gegenüber. Der eingegangene Bestand machte also das Fünffache des ausgegangenen aus. Damit sind wir von den Verhältnisse der End-1950er noch gar nicht so weit entfernt, wo es wenig Auslandskapital in Österreich gab, aber fast überhaupt keines aus dem Land wegging.. Das blieb auch noch einige Zeit so. Doch stiegen auf beiden Seiten Ströme und Bestände schneller als das BIP.

Die folgenden Daten stammen von der OeNB. Sie beginnt ihre vergleichbare Zahlenreihe mit 1968 eingehend („passiv“) bzw. 1974 ausgehend („aktiv“).

(Bitte auf Link klicken)DI_Graphik2

Graphik 1

Quelle: Daten nach OeNB

Ab 1980 begannen die ausgehenden DI stärker zu steigen als die eingehenden. 1985 standen 4,36 Mrd. „fremden“ Kapitals in Österreich 1,36 Mrd. „österreichischen“ Kapitals anderswo gegenüber. Die Schere war also etwas enger geworden. Doch dann stiegen für wenige Jahren die ausländischen DI in Österreich schneller als die DI aus Österreich im Ausland (1988: 6,22 Mrd. zu 1,24).

Ab 1989 setzte schließlich eine doppelte Bewegung ein. Beide Ströme, und damit auch die resultierenden Bestände begannen stark zu steigen. Die ausgehenden, die „österreichischen“ allerdings stiegen wesentlich schneller als die eingehenden.

2003 war der Bestand von Kapital aus Österreich im Ausland schließlich zum ersten Mal höher als der eingekommene Bestand. 44,3 Mrd. im Ausland standen 42,6 Mrd. an Auslands­kapital in Österreich gegenüber. Ab 2008, also mit und nach der Finanzkrise, verfestigte sich diese Tendenz. Die letzten Zahlen stammen aus 2015. Nun macht der Bestand in Österreich 150,8 Mrd. aus. Die österreichischen Kapitalisten verfügten im Ausland hingegen über 186,6 Mrd. „im engeren Sinn“ – über die Zahlen und ihre Güte wird später noch zu sprechen sein.

Doch zum Verständnis muss man diese Daten in Bezug zu fundamentalen Größen der Wirt­schaft setzen. Man rechnet diese Stände z. B. als Prozentwerte wesentlicher ökonomischer Systemgrößen. Das könnten sein: das BIP, besser die Abschreibungen. Leider lässt sich die theoretisch entscheidende Größe, der Anteil am Gesamtkapital nicht seriös berechnen. Denn der gesamte Kapital-Bestand einer Wirtschaft unterliegt dem Bewertungs-Problem. Nun gibt es inzwischen eine Reihe von Versuchen, den Kapital-Koeffizienten (k = K/Y) zu berechnen. Man schätzt ihn in hoch entwickelten Wirtschaften meist auf etwa 3. Das heißt: Der gesamte Kapitalbestand macht das Dreifache des BIP aus. Das wäre für Österreich 2016 1.150 Mrd. Damit hat man einen Richtwert. Andere Rechnungen gehen wesentlich höher (vgl. Piketty / Zucman 2014; dazu kritisch Reiterer 2015). Es scheint, dass der Kapital-Koeffizient in sich de-industrialisierenden Dienstleistungswirtschaften in den letzten Jahrzehnten in der Tendenz sinkt, was wenig überraschend wäre. Das ganze hängt engstens mit dem zusammen, was man unter dem Slogan „tendenzieller Fall der Profitrate“ debattiert. Darüber wird ein anderes Mal zu sprechen sein.

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Graphik 2: Bestände der Direktinvestitionen in % des BIDI_Graphik3

Insbesondere die eingehenden Transaktionen sind enorm beweglich und instabil. Das deutet auf erhebliche spekulative Motivation hin. Die ausgehenden Investitionen pro Jahr sind eher stetig, wenn auch natürlich von Stimmungen und Konjunkturen abhängig. Das wiederum zeigt, dass sie sich eher an längerfristigen Unternehmens-Interessen orientieren. Die Betrachtung nach Branchen später wird dies tendenziell bestätigen.

Hier ist noch nicht der Platz, eine ausführliche Interpretation zu bringen. Dazu bräuchten wir auch die Daten zu den einzelnen Ländern und über die Branchen. Die möchte ich aus Platzgründen erst in Kürze präsentiere.

Doch der mir heute wesentliche Punkt ist in aller nur wünschbaren Deutlichkeit zu erkennen:

Die Verflechtung der österreichischen Wirtschaft mit der übrigen Welt war ein politisch ange­triebener Prozess. Zwar gab es bereits von etwa 1987 weg ein leichtes Steigen dieser Ver­flechtung. Vielleicht könnte man dies als spontane Mondialisierung kennzeichnen. Das ist allerdings fast irreführend. Denn 1986 gab es in Österreich einen Regierungswechsel. Die neue Regierung mit dem SP-Kanzler Vranitzky an der Spitze begann eine entschiedene Um­orientierung nicht nur der Wirtschafts-, sondern auch der Außenpolitik. Auch damals stand also die Politik als treibende Kraft im Hintergrund. Der Haupteffekt war der EG-Anschluss Österreichs. Tatsächlich schickte ie Regierung am 7. Juli 1989 den „Brief nach Brüssel“ ab, also das Anschlussbegehren.

Doch der entscheidende Wendepunkt kam 1999, mit der Währungsunion. Damals wurde der Euro zum Kern zum Kern der Wirtschaftspolitik, wennn auch auf den Papier-Zetteln im Umlauf noch „Schilling“ stand. Ab diesem Moment können wir das steile Ansteigen der Kapitalverflechtung beobachten. Österreich sollte unwiderruflich in die westliche, d. h. praktisch: deutsche, Kapital-Sphäre eingebunden werden. Selbst aber übernahm es die Funktion, den Rammbock gegen den Osten zu spielen. Dessen Einvernahme durch das Imperium erfolgte einige Jahre später.

Die Globalisierung ist ein hauptsächlich politischer Prozess. Sie läuft in Europa vor allem als Regionalisierung im Rahmen der EU ab. Alles Gerede um die unaufhaltsame sozio-ökonomi­sche Entwicklung ist ein Rauchvorhang. Die Unzulänglichkeit des Nationalstaats gegenüber der Umstrukturierung der Weltwirtschaft wird politisch erzeugt. Dahinter findet die zielge­richtete Politik der Abhängigkeit statt. Das muss man gegenüber Menschen betonen, die dies, mit dem einen oder anderen kritischen Schlenkerer, als „Analyse“ verkaufen (z. B. Scharpf). Ob dies aus unserer Sicht nun wünschenswert ist oder nicht, steht an dieser Stelle nicht zur Debatte. Hier geht es einzig um die klare Aussage: Globalisierung ist ein politisches Projekt, welches die Eliten in aller Zielstrebigkeit und mit hartnäckiger Energie durchsetzen.

Albert F. Reiterer, 20. März 2017

DER „WAHLSIEG“ DER NEOLIBERALEN IN DEN NIEDERLANDEN UND DIE ÖSTERREICHISCHE POLITIK: Anmerkungen mit einem Blick auf uns selbst

Die Regierung in den Niederlanden hat eine wahrhaft vernichtende Niederlage erlitten. So­wohl an Stimmen wie auch an Mandaten wurde sie annähernd halbiert. Das sind nicht mehr spanische, das sind bereits griechische Verhältnisse. Die Sozialdemokratie ist völlig zusam­mengebrochen, nach derzeitigem Stand von 24,8 % auf 5,7 %. So stark hat es nicht einmal die Pasok 2014 – 2016 erwischt. Nicht einmal mehr ein Viertel des Ausgangsbestands also; und der war ohnehin schon historisch niedrig. Jeroen Dijsselbloem muss sich wohl einen neuen Job in der EU suchen. Aber ob ihn die noch will? Zwar ist eine Wahlniederlage dort fast eine Voraussetzung für den Posten eines Kommissars oder auch der/des Außenbeauftragten. Denn das belegt, dass sich die betreffende Figur nicht um die Bevölkerung kümmert. Aber doch wiederum nicht in diesem Ausmaß! Er kann sich ja mit Varoufakis zusammen nun um eine neue Kraft in Europa kümmern.

Die VVD hat auch fast ein Fünftel ihres Bestands verloren, von 26,6 % auf 21,3 %. Aber sie konnte ihren neoliberal-konservativen Stamm einigermaßen halten.

Was die Linke in den Niederlanden betrifft, bin ich zu schlecht informiert, um hier urteilen zu können. Die Grünlinken scheinen mir denn doch zu sehr nach den rechten „Linken“ etwa der BRD auszusehen. Aber da sollen Informiertere urteilen.

Und die österreichischen und deutschen Weltblätter vom „Straubinger Tagblatt“ über die „Rhein-Neckar Zeitung“ bis zu den „Niederösterreichischen Nachrichten“ schreiben und vor allem der ORF spricht vom „Erfolg“ der EU-Kräfte. Zum Einen kann man nur sagen: Wir wünschen uns dringend einen weiteren solchen Erfolg. Zum Anderen aber ist doch festzu­halten: Diese Desinformations-Kampagne ist ein absoluter Skandal. Aber er liegt seit Jahren auf der Linie des ORF. Dies ist also das erste Problem dieser Wahlen hier, in Österreich und auch übrigens in der BRD, wenn dort vielleicht auch ein wenig abgeschwächt.

Wir müssten etwas gegen den ORF unternehmen. Insbesondere der Hörfunk mit seinen Journalen fährt diesen Kurs nunmehr seit vielen Jahren. In letzter Zeit ist es aber immer übler geworden. Figuren wie die Frau C. Vospernik verbreiten nur Propaganda und Hetze. Es ist eine Mischung aus Dummheit, Faulheit und Bösartigkeit – Faulheit, weil sich diese Typen gar nicht mehr die Mühe antun, sich zu informieren, obwohl dies heute leichter als je wäre. Es erinnert wahrhaft bereits an dunkle Zeiten, die wir seit langem hinter uns glaubten.

Dann gibt es einen weiteren Punkt, der für uns höchst interessant ist, und der besonders auch in den letzten Monaten sonnenklar geworden ist. Er hat insofern mit den Niederlanden zu tun, weil bei uns die FPÖ in dieselbe Kategorie wie Wilders gesteckt wird, und auch hier die Staatstragenden, also die gesamte Medienlandschaft, mit „Pfeifen im Walde“ reagieren, nämlich mit dem Versuch, sich die für sie beunruhigenden Ergebnisse schön zu reden – siehe Präsidentschaftswahlen.

Es findet derzeit eine diskrete Umstrukturierung des politischen Systems auch in Österreich statt. Nicht nur ich sah bis vor kurzem folgendes Szenario als die wahrscheinlichste Entwick­lung der politischen Oberfläche in Österreich: Die FPÖ gewinnt bei den nächsten Wahlen wiederum stark und wird zur personell bestimmenden Kraft der künftigen Regierung. Da sie aber keine politische Potenz hat, zeichnet sich schnell wieder ein Szenario ab, wie wir es schon einmal zwischen 2000 und 2007 kannten: Die Partei bricht entweder zusammen, oder aber sie verliert jedenfalls stark an Unterstützung. Das müsste dann politische Spielräume für neue Kräfte eröffnen.

Doch nun können wir etwas Anderes beobachten: Die FPÖ mausert sich bereits zur Regie­rungspartei, bevor sie noch in der Regierung ist. Sie unterscheidet sich nur mehr in einzelnen, z. T. recht hässlichen Nuancen von der bisherigen Regierung. Damit verliert sie auf Dauer ihren Appeal als Oppositions-Symbol für die Bevölkerung. Die Wahrscheinlichkeit des oben skizzierten Szenarios nimmt ab.

Es wird allerdings etwas dauern, bis die Bevölkerung realisiert, was da vor sich geht. Es ist eine Frage der Zeit. Diese Wandlung zur Regierungspartei kann der FPÖ das Genick brechen, bevor sie noch in der Regierung ist, je später die Wahlen angesetzt werden, umso eher.

Auch das macht politischen Raum frei, aber nicht in derselben Klarheit, wie es eine formelle Regierungspartei FPÖ bringen würde. Die Frage stellt sich z. B., welche Rolle solche Kräfte wie Dühringer in diesem Zusammenhang bzw. in diesem Raum spielen. Ich muss gestehen, dass ich selbst eher skeptisch bin. Da ist zu viel Naivität im Spiel.

Die Frage stellt sich, ob es irgendeine Kraft in Österreich gibt, die hier ansetzen kann. Unsere hoffnungsvollen Blicke in ein südliches Bundesland sind u. U. doch mehr vom Wunsch als von der Realität bestimmt. Wir selbst aber sind (noch?) Zaungäste der politischen Entwick­lung und müssen uns vorderhand auf Analyse, Kommentare und Zurufe beschränken.

Albert F. Reiterer, 17. März 2017

 

WAS BRINGT DIE GLOBALISIERUNG FÜR ÖSTERREICH? Die Beschäftigungswirkung von Kapitalströmen nach Österreich und aus Österreich

Vorbemerkung: Das Folgende ist ein Detail-Ergebnis aus einer umfangreicheren Arbeit über Direkt-Investitionen aus und in Österreich

Anfang der 1970er schrieben zwei Referenten der Wiener Arbeiterkammer eine Studie über „Auslandskapital in Österreich“ (Grünwald / Lacina 1970). Die Arbeit erregte ein gewisses Aufsehen und machte die beiden bekannt. Für beide war sie der Beginn einer persönlich er­folgreichen Karriere. Grünwald wurde 1978 Vorstandsvorsitzender der ÖIAG, der Dachge­sellschaft der verstaatlichten Industrie; später Aufsichtsratsvorsitzender der ÖMV. Lacina wurde erst Kabinetts-Chef bei Kreisky, 1982 dann Staatssekretär, 1984 Verkehrsminister und schließlich ab 1986 langjähriger Finanzminister. Über ihn wäre noch Einiges zu sagen, was abeer nicht hierher gehört. Mit der Arbeit über Auslandskapital hatte er sich einen „linken“ Ruf erworben. Als Finanzminister führte er eine hart neokonservative Politik nach dem Muster eines seiner Vorgänger, des Stefan Koren, oder dem des Wolfgang Schäuble. Insbesondere schenkte er den Konzernen durch die Körperschaftssteuer-Senkung viele, viele Milliarden.

Auslands-Kapital, Direkt-Investitionen aus dem Ausland, hatte in Österreich seit je einen zweifelhaften Ruf. Hatten doch die Nazis in der Zwischenkriegszeit starke deutsche Unter­nehmungen in Österreich als Fünfte Kolonne eingesetzt. Die Austrofaschisten setzten 1934 sogar einen „Regierungskommissar zur Bekämpfung staatsfeindlicher Umtriebe in der Pri­vatwirtschaft“ ein, der ausnahmsweise nicht gegen Arbeiter gerichtet war. „Die Industriere­gion Leoben-Donawitz sowie Eisenerz zählten am 25. und 26. Juli 1934 .. zu den Haupt­gebieten der nationalsozialistischen Putschaktion. … Leitende Angestellte des größten Industriekonzerns Österreichs, der Österreichischen Alpine Montangesellschaft (ÖAMG), [spielten] eine führende Rolle. Die Ursachen dafür lagen vor allem in jenen Entwicklungen innerhalb der ÖMAG, die eng mit der Übernahme von 56 % ihrer Aktien durch die Düsseldorfer Vereinigten Stahlwerke im Jahr 1926 zusammenhingen“ (Staudinger 1984, 15; weiters Fischer 1983).

In den 1950ern kontrollierte die österreichische Regierung die Investitionen sehr strikt. „Bis Anfang 1959 waren ausländische Direktinvestitionen bewilligungspflichtig. Die Nationalbank achtete darauf, daß die Beteiligungen nach Möglichkeit unter 50% lagen Sie wurden bewil­ligt, wenn sie zur Ausweitung der Produktion oder zur Schaffung neuer Produktionszweige beitrugen“ (WIFO 1960).

Es ist also von politischer Bedeutung, dass Lacina am Beginn seiner Karriere kritisch zum Auslandskapital stand, dann aber, nach der Vranitzky’schen Wende der Sozialdemokratie zum Neoliberalismus offenbar voll und ganz auf eine kritiklos-positive Betrachtung umge­schwenkt ist. Es hat Sinn, dies hier zu erwähnen. Das Problem besteht darin, dass auch manche Linke heute den Globalismus noch immer als Internationalismus sehen.

Und es war in der Vergangenheit immer von Auslandskapital in Österreich die Rede. Die ausgehenden Ströme bzw. die Bestände von Kapital österreichischer Eigner im Ausland waren unbedeutend. Die österreichische Wirtschaft und Gesellschaft damals hinkte der westeuropäischen Entwicklung so sehr nach, dass dies fast natürlich schien.

Ein Blick auf die heutige Situation ist höchst aufschlussreich.

Nicht erst die Propagandisten der EU, alle, welche sich stets um eine Rechtfertigung für Steu­er-Geschenke an Unternehmungen bemühten, haben stets auf die Beschäftigungswirkungen des Auslandskapital in Österreich hingewiesen. Man müsse die Körperschaftssteuer senken, so der Exminister Lacina immer wieder, die Einkommenssteuer der Unternehmen somit. Denn sonst würden die nach Bratislava abwandern.

Die Beschäftigung durch Kapital aus dem Ausland in Österreich und umgekehrt wird von der ÖNB so errechnet, dass die Beschäftigung der Unternehmen mit ausländischer Beteiligung mit dem Anteil der Beteiligung gewichtet wird. Die Zahl, sowohl beim einkommenden wie auch beim ausgehenden Kapital ist somit ein synthetischer Wert. Aber er ist von hohem Interesse.

1990 ergab diese Methode eine Beschäftigungswirkung von 226.100 Arbeitsplätzen vonseiten des einkommenden Kapitals. Nicht wenig, könnte man meinen. Doch die Verflechtung hat sich intensiviert: Seit 1990 haben die Bestände des Auslandskapitals sich ver-18facht auf der einkommenden Seite; auf der ausgehenden Seite ver-51facht. Dem 18fachen Kapital steht eine Steigerung der Beschäftigtenzahl auf 251.082, also um 11 % gegenüber. (folgenden link bitte anklicken!)

 

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Und die „Aktiv“-Seite, die ausgehenden Kapitalien?

Nach derselben Methode gerechnet, waren 1989 29.500 Arbeitsplätze von österreichischem Kapital im Ausland geschaffen. 2015 waren es 801.200. Das ist eine Steigerung von 2.617 %. Das also ist der Gewinn der Kapitalfreiheit für österreichische Beschäftigte. Anders ausge­drückt: Im Jahr 1989 schuf die Differenz von einkommenden Kapital zu ausgehenden 196.600 Arbeitsplätze in Österreich. Im Jahr 2014 ließ dieselbe Differenz, die sich im Vorzeichen des Saldo mittlerweile ja umgedreht hatte, 550.100 Arbeitsplätze in Österreich verloren gehen. Sie hätten mit Kapital aus Österreich hier geschaffen werden können. Dass dies unter bestehenden Verhältnissen nicht mechanisch geschehen wäre, ist schon klar. Doch wäre das nicht einer der Gründe, die bestehenden Verhältnisse zu ändern?

Gehen wir in einzelne Branchen. Der Anteil der „headquarters“ macht die Hälfte des Aus­landskapitals in Österreich aus. Doch davon werden nicht einmal 3000 Arbeitsplätze geschaffen! Eine wirklich nennenswerte Beschäftigungswirkung ergibt sich nur im Handel. Dort lautet die Angabe 73.58 Beschäftigte. Die aber wären so oder so vorhanden. Hier hat das ausländische Kapital nur die österreichischen Unternehmungen und ihre Profite übernommen. Billa war vor und nach dem Verkauf des Jahres 1996 an den deutschen Rewe-Konzern vorhanden. 1998 hatte Billa rund 25.000 Beschäftigte, im Jahre 2016 dagegen 18.400. In diesem Fall von einer Beschäftigungswirkung durch Auslands-Investitionen zu sprechen, wäre regelrecht verblendet. Selbst im Finanz- und Versicherungswesen, welches den zweitgrößten Anteil (s.o.) am Auslandskapital ausweist, zeigt die Beschäftigungstendenz seit fast drei Jahrzehnten eher nach unten (1989: 16.035; 2014: 15.725 Beschäftigte).

Die angeblich so wichtigen Direkt-Investitionen in und aus Österreich zeigen also für die Beschäftigten eine eindeutige, und enorme, negative Bilanz. Doch der Kapitalexport, vor allem in die Ostländer, findet nicht zufällig satt. Gewinnen schon die Arbeiter und Angestellten nichts, verlieren vielmehr, so gewinnen die Exporteure umso mehr an Profiten.

Albert F. Reiterer, März 2017