AUßENHANDELSÜBERSCHÜSSE, STAATSVERSCHULDUNG UND PROFITE. Die Gedankenspiele der Ökonomen und ihre realen Bedeutungen

Profit lässt sich zerlegen in: Konsum der Kapitalisten, Investition, den Außenhandels-Über­schuss und die laufende (Netto-) Staatsverschuldung. Dies ist eine originelle „Analyse“ von Michał Kalecki (1899 – 1970). Der war ein polnischer Ökonom und Links-Keynesianer; manche nennen ihn ehrfürchtig einen Vorläufer von Keynes. Er legte dabei Kreislauf-Überlegungen zu Grunde. Die Aussage soll als das gesehen werden, was ökonomische „Theorie“ die längste Zeit war und ist: ein „Längeres Gedankenspiel“ – © Arno Schmidt; Schmidt sprach dabei allerdings von Belletristik und Karl May, nicht von so seriös-gravitä­tischen Wissenschaften wie der Ökonomie. Es war übrigens Joan Robinson, eine andere Links-Keynesianerin, welche diesen Charakter der Ökonomie hervorhob, zumindest in ihren Anfängen.

Diese Zerlegung beruht zwar auf einer „heroischen Simplifizierung“ (Hyman P. Minsky). Aber sie gibt einen höchst anregenden Ausgangs-Impuls. Obwohl ein Kreislauf-Argument, weist sie nämlich auf die Motivation hin, welche z. B. die deutsche Wirtschaft und die deutsche Wirtschaftspolitik in ihrer schon fast verrückten, jedenfalls aber destruktiven Jagd nach Außenhandels-Überschüssen treibt. Export-Überschüsse sind eine der wesentlichen Quellen, woraus sich hohe Profite alimentieren. Um solche aber zu erreichen, braucht es vorher schon niedrige, „zu niedrige“, Löhne. Insofern zäumt man mit dieser Behauptung das Pferd beim Schwanz auf.

Flassbeck und Genossen aus der linkskeynesianischen Tradition haben auch diesen Zugang gewählt. Sie sind damit auf dem besten Weg, die fundamentale Rolle der Verteilung für die derzeitigen Probleme zu erkennen. Im Weg steht ihnen nur mehr der Keynesianismus selbst. Mit seiner vordergründigen Betonung des Kreislaufs vergisst Keynes ständig auf das viel fundamentalere Problem der Verteilung. Er übersieht den Wald vor lauter Bäumen.

Bei dieser Kalecki-Formel stellt sich aber eine wesentliche politische Frage: Wenn Profite, unter anderem, aus Staatsschulden bestehen, warum stellen sich dann die Konservativen so erbittert gegen Staatsschulden?

Dafür gibt es eine Reihe von Motiven.

Das erste und wahrscheinlich unwichtigste ist rein dogmatischer Natur. Für neoklassische und heute neoliberale Ökonomen ist der Staat an sich des Teufels. Nochmals ein Schlenker zu Kalecki: Er nennt die Netto-Verschuldung einen „Binnen-Export“. Die groteske Vorstellung dahinter ist: Der Staat „gehört nicht zur Wirtschaft“. So ist es kein Zufall, dass es insbesonde­re die Professoren sind, welche besonders grimmig gegen die Staatsverschuldung wüten. Sie haben allerdings Einfluss auf die Politik, wo ihre Adlaten sitzen, ob in der EZB, der EU-Kom­mission oder im Fed.

Die Abneigung gegen den Staat wuchs umso stärker, als der Staat seit dem Zweiten Weltkrieg für kurze Zeit zum Sozialstaat wurde. Damit kommen wir zum zweiten Motiv. Das ist wesent­lich wichtiger. Staat hat in der Periode des Politischen Keynesianismus mit einem gewissen Erfolg versucht, die Primär-Verteilung ein wenig zu korrigieren. Die Mittel- und Unterschich­ten sollten eine Garantie gegen die unvermeidbaren Wechselfälle des Lebens erhalten, spezi­ell auch gegen die Arbeitslosigkeit. Das ging nicht nur teilweise (aber nur teilweise!) auf Kosten der Profite und der besser Verdienenden. Vor allem schwächte es kurzfristig die Verhandlungs- und Macht-Position des Kapitals. Ein wesentliches Disziplinierungs-Mittel verlor einige seiner Giftzähne.

Schließlich aber strebt das Kapital im allgemeinen und das Finanzkapital im besonderen eine gesellschaftliche Organisation an, wo es selbst die Rahmenbedingungen festlegt und die Lebensumstände der Menschen bestimmen kann. Staat ist, insbesondere in Zeiten des allgemeinen Wahlrechts, stets ein Risiko-Faktor für die Herrschenden der Grundstruktur. Nicht dass man daher die sich anbietenden Profite aus der Staatsverschuldung verachtet – ganz im Gegenteil. Aber vor die Wahl gestellt, ob man sie einstreift oder ob man eine Deregulierung bevorzugt, ist zumindest für das Finanzkapital die Wahl klar.

Keynesianismus will die Nachfragelücke in einer Unterkonsumtions-Situation füllen: Die kann durchaus auch ein „Gleichgewicht“ auf zu tiefer Ebene sein, wo hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Dazu ruft er den Staat auf, sich zu verschulden. In Kaleckis Gedankengang und in der Wirklichkeit heißt das: indem er nochmals die Profite erhöht. Damit sollte aber klar sein: Das heißt den Teufel mit Belzebub austreiben. Das kann auf Dauer gar nicht funktionieren. Irgendwann muss der Staat die Schulden zurück zahlen. Mit welchen Mitteln? Außerdem heißt dies in der Logik von Kalecki: Er senkt diesmal die Profite.

Wenn man aber von der Verteilung ausgeht und dazu auch noch die Kreislauf-Analyse be­rücksichtigt, bietet sich eine ganz andere Politik an. Offensichtlich sind die Profite zu hoch, nicht zu niedrig. Man muss die Verteilung korrigieren. Ein erster Schritt dazu wäre: Man muss die überschüssigen Profite wegsteuern, um die Nachfragelücke zu verkleinern bzw. zu füllen.

Aber das ist noch nicht Alles. Keynesianische Politik in einer Welt der offenen Grenzen und der Kapitalverkehrs-Freiheit zwischen Gebieten (Ländern) unterschiedlicher Produktivitäts-Entwicklung ist an sich bereits zum Scheitern verurteilt. Wenn die 300 Mrd. € des Herrn Juncker – die sich bei näherem Zusehen noch dazu auf läppische 3 Mrd. € reduzieren – irgend einen Effekt tun sollten, werden die Milliarden dorthin fließen, wo sie am ehesten und am leichtesten einen Gewinn erkennen. Dann werden sie die deutsche Wirtschaft ein klitzeklein wenig fördern und so die Differenzen zur Peripherie noch vergrößern.

Quantitative Easing hingegen ist die kostspieligste und im Aufwand-Ertrags-Verhältnis am wenigsten effektive Art der Wirtschaftspolitik. Dieser monetaristische Keynesianismus verfolgt offen das Ziel, die ohnehin hohen Profite nochmals zu steigern. In den USA hat er nach mehr als einem halben Jahrzehnt ein bisschen Wirkung gezeigt – aber zu welchen Kosten! Der Gini-Koeffizient zeigte in der Finanzkrise einen kleinen Knick nach unten. Nunmehr geht er wieder nach oben. Und dabei ist der Gini-Koeffizient keineswegs das geeignetste Maß für das Thema hier. Viel interessanter wäre der Anteil des obersten Prozents bzw des obersten Promilles. Völlig zu Recht weist Stiglitz immer und immer wieder auf diesen Anteil hin.

Die EU und die EZB waren durch ihren Dogmatismus unter deutscher Fuchtel eine Zeitlang verhindert, diesen für ihre eigentliche Klientel so erfreulichen Effekt zu erkennen. Jetzt haben sie offenbar ihren Fehler eingesehen. Nun treiben auch sie es seit einer Zeit schon mit QE.

Keynesianische Politik will kurzfristig die Stagnation überwinden, erhöht aber auf Dauer die Profite. Das wäre schlimm genug. Doch mittlerweile kommt noch was Schlimmeres hinzu: Keynesianische Politik funktioniert einfach nicht mehr.

Die Folgerung daraus ist: Es muss Rück-Umverteilung geben. Da dies aber in der EU nicht möglich ist, mag jede und jeder die Konsequenzen selbst ziehen.

Kalecki, Michał (1976), Werk-Auswahl. Rezession und Prosperität im Kapitalismus. Mit einer Einleitung von Dr. Karl Kühne. Neuwied: Luchterhand.

Minsky, Hyman P. (1995), Financial Factors in the Economics of Capitalism. In: J. of Financial Services Research 9, 197 – 208.

Stiglitz, Joseph (E.) (2015), Reich und Arm. Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft. München: Siedler.

AFR, 17. Dezember 2015