Globalisierung und G20

Eine gemeinverständliche Kritik

von Rainer Brunath, Chemiker und Autor, lebt und arbeitete in Italien

Definition bei Wikipedia: Der Begriff Globalisierung bezeichnet den Vorgang, dass internationale Verflechtungen in vielen Bereichen (Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation) zunehmen, und zwar zwischen Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten.

Aber was bedeutet das nun im Konkreten? Ist diese Entwicklung auf dem Globus nicht zu komplex, zu undurchsichtig, um sie als Einzelner in ihrer Gesamtheit wirklich zu verstehen? Und was meinen die Politiker, die Mainstream-Medien, die internationalen Banken oder Finanzfachleute, wenn sie von der alternativlosen Globalisierung sprechen? Durchschaut es der Normalmensch, wenn behautet wird, dass sie allen zum Vorteil gereiche, in Wirklichkeit aber Individualinteressen, speziell jene von Großkonzernen und Monopolen, durchgesetzt werden sollen? Und nicht zuletzt erhebt sich die Frage ob die Verschiffung unendlicher Warenströme über weite Distanzen – meistens hinein in die westlichen Metropolen – wirklich für den Gesamtorganismus Erde ertragbar (Dreckschleudern Containerschiffe) und sinnvoll ist. Nehmen wir einige Fragen zur Globalisierung auf und versuchen den Nebel aufzureißen.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Der Kolonialismus Britanniens, Frankreichs, Spaniens, Portugals, Belgiens, Hollands, Deutschlands aber auch der USA waren erste Schritte hin zu einer globalen wirtschaftlichen Entwicklung, wobei die kolonisierten Länder durch ihre Mutterländer (Metropolen) ausgebeutet wurden. Sie waren Lieferant von Rohstoffen und manchmal gleichzeitig auch Importland von entwickelten Industrieprodukten aus den Metropolen. Die Kolonien bezahlten mit Rohstoffen oder mit ihren in den Metropolen gefragten Agrarprodukten wie Tee, Reis ecc. Der Reichtum floss also in Richtung der Metropolen – eine entsprechende Umkehrung fand nicht statt. Nur in wenigen Ausnahmefällen, wie z.B. im Weltkrieg II, als Indien Lieferant Britanniens für Kriegsausrüstungen wurde, verschuldete sich Britannien an der eigenen Kolonie.

Im Grunde war das ein Nullsummenspiel – mit Gewinnern auf Seiten der Metropolen und Verlierern auf Seiten der kolonisierten Länder und Erdteile. Nach dem Ende des Weltkrieg II zerfiel das Kolonialsystem. Maßgebend für diese Entwicklung war die Tatsache, dass die UNO entstanden war, und dass Befreiungsbewegungen in den kolonisierten Ländern friedlich oder mit militärischem Einsatz für Eigenständigkeit eintraten. Die Sowjetunion, weltpolitisch nach 1945 in die erste Reihe aufgerückt, konnte die Befreiungen der Kolonien direkt oder indirekt beeinflussen und den Prozess vorantreiben. Dieser Typus der Globalisierung zerbrach und aus dessen Nachlass entstand nach dem Sieg der westlichen imperialen Mächte im Kalten Krieg gegen die sozialistischen Länder die neoliberale Wirtschaftsordnung. Nach dieser Zäsur begann eine neue Entwicklung der internationalen Märkte, eine Ausformung der weltweiten nun erweiterten Kontakte mit dem Ziel, eine globalisierte, kapitalistische und endgültige Weltordnung zu schaffen. Das Märchen vom Ende der Geschichte wurde erfunden.

Es begann eine Entwicklung, die nicht nur den liberalisierten, also von Schutzzöllen befreiten Welthandel betraf, (Erweiterung der EU, Freihandelsblöcke unter der Ägide der USA) sondern alle Bereiche der Arbeit umfasste. Mit einbezogen wurden Kommunikation, Innovationsentscheidungen, Arbeitsplatzverlagerungen in bisher nicht gekanntem Maßstab, Verkehr und Containerisierung des Warentransportes, weltweites Internet, Digitale Revolution, deren Auswirkungen bisher noch nicht übersehbar sind.

Zur Frage der globalen Wirtschaft:

Ist diese Globalisierung heute immer noch ein Nullsummenspiel? Das allgemein bekannte oder anerkannte Feld der Globalisierung ist die Wirtschaft, wie sie oben in der Definition von Wikipedia, bezeichnet wird. Aber schon da beginnen die Fragen. Was umfasst der Begriff Wirtschaft?

Austausch von technologisch gleichwertigen Industrieprodukten zwischen Schwellenländern und den Metropolen? Schön wäre es, wenn darüber mal was in den Boulevardblättern stünde! Vergleichende Zahlen! Dieser Punkt bleibt ein Rätsel, wir erfahren aber durchaus etwas über die Ausbeutung von natürlichen Resourcen (Öl, Erdgas, Erze, Anbau von Monokulturen z.B. Palmöl, Bananen seitens der Metropolen (oder meinetwegen auch jener Schwellenländer) in den ehemaligen Kolonien in Afrika, Südamerika oder Fernost. Verwertung statt Hilfe – ein Nullsummenspiel. Nicht, dass es keine Entwicklungshilfe gäbe. Das sei unbezweifelt. Aber die Ergebnisse jener Entwicklungshilfe bleiben im Dunklen und sie machen eher den Eindruck als seien sie das Feigenblatt der Unschuld der Schuldigen, die genau wissen, dass sie nur ein Tropfen ist auf dem heißen Stein sind. Win-Win-Situationen? Es wird uns wohl eingeredet.

Und wie sieht es auf dem Feld des Austausches von Agrarprodukten aus? Auf einem Feld, von dem man annehmen könnte, dass es eher das Natürliche der ehemaligen Kolonien sei? Ja, es gibt solche Warenströme, z.B. jene der in den Metropolen nicht oder mit unbefriedigender Profiterwartung vom Markt genommener Geflügelreste, die nach Afrika gehen und dort mit ihren Preisen die dortigen, gewachsenen Strukturen ruinieren. Ist das Entwicklungshilfe? Das ist schwer verständlich, eher ist es wohl eine spezielle Variante der Globalisierung des Warenverkehrs als Nullsummenspiel.

Oder es kommen Weine aus Südafrika oder Südamerika, Gemüse aus Kenia, Fisch vom Viktoriasee in Zentralafrika in die Metropolen. Es sind hochwertige Produkte die zu Preisen angeboten werden, die sogar die heimische Agrarwirtschaft unterbieten. Wie ist das möglich? Transport und Logistik kosten und die Unternehmer in den ehemaligen Kolonien, teilweise sogar Investoren aus Europa oder den USA, machen das nicht zum Spaß, sie sind keine Philanthropen, keine Prediger auf dem Berg. Sie wollen Profit. Ist es so schwer verständlich zu erkennen, dass dieses nur mit Hungerlöhnen (vielleicht sogar durch Kinderarbeit) möglich ist, mit denen die Menschen in den fernen landwirtschaftlichen Betrieben abgespeist werden? Und in den Metropolen sind diese Produkte willkommen. Deren Angebot wird vom Konsumenten dort nicht oder nur oberflächlich hinterfragt. Bequemlichkeit? Auf jeden Fall wieder ein Nullsummenspiel bei dem u.a. der Verbraucher in den Metropolen der Gewinner ist.

Und damit sind wir beim Outsourcing von Arbeitskraft, der Verlagerung von Produktion aus den Metropolen, wo Arbeitsplätze vernichtet werden. Ziel der Akteure des Outsourcing sind Niedriglohnländer in Fernost oder Afrika. Diese Akteure beuten das Lohngefälle zwischen den Metropolen und den ehemaligen Kolonien aus. Sie schufen damit eine Produktionsweise, die, sehr allgemein gesehen, gekennzeichnet ist durch den Import von Rohwaren und Energieträgern in die Metropolen, wo daraus Halbfabrikate entstehen, die ihrerseits wieder in die ehemaligen Kolonien verbracht werden, um sie dort durch Ausnutzung billigster Arbeitskraft zu Fertigprodukten zu montieren. Danach kommen die Waren wieder nach Europa oder die USA, um nach mehreren Transporten – also hin und zurück – auf den Märkten zu Preisen angeboten werden, die nur durch niedrigste Arbeitslöhne in den ehemaligen Kolonien und lange tägliche Arbeitszeiten möglich sind.

Outsourcing der Produktion ist somit ein doppeltes Nullsummenspiel: Arbeitsplatzvernichtung in den Stammsitzen von Unternehmen in Europa und damit die Vermeidung von Lohnzahlungen dort sowie der kalkulierte Gewinn für die Wirtschaftseliten in den Metropolen durch nicht gezahlte Tariflöhne in den ehemaligen Kolonien.

Begleitet wird diese Art der Globalisierung von einem Teilbereich der Welt der Finanzen und zwar jenem, der gebunden ist an Waren und deren Produktion. Banken überwachen und steuern die internationalen Verflechtungen dieser globalisierten Finanzwelt. Dank Digitalisierung sind heute Verschiebungen von Zahlungen weltweit in Sekunden möglich. So können die Akteure des Outsourcing quasi on time an Hand der sofort vorliegenden Zahlen Entscheidungen treffen, z.B. Entscheidungen darüber, ob der Daumen nach oben oder nach unten geht. Am grünen Tisch im Konferenzsaal fällt man Entschlüsse darüber, ob ein Standort in Fernost oder Afrika geschleift wird oder nicht. Ein Nullsummenspiel, bei dem sich die bestimmenden Akteure die Spielregeln selbst machen.

Und – die Welt der Finanzen ist nicht nur begrenzt auf die Bindung an die materielle Produktion von Waren. Sie hat sich verselbstständigt in der Art, das der Wert von national oder international aktiven Konzernen oder sogar Mittelstandsunternehmen an den Börsen überbewertet wird. Deren Aktienbesitzer (oder von Fonts, Pfandbriefen Schuldverschreibungen usw) sind durch diese Überbewertung (man nennt es Kurssteigerung) reicher geworden als sie es ohnehin schon vor dem Erwerb jener Wertpapiere waren. Um diesen gesteigerten Wert abzusichern, wird von den Banken mehr Geld in Umlauf gebracht. Ein Konjunktureinbruch jedoch, der zum System gehört wie Leben und Tod eine Einheit bilden, ändert an der Situation der Geldmenge im Markt aber nichts mehr. Dafür ist die Inflation, die Entwertung, da. Wieder ein Nullsummenspiel

Immobilienbesitzer konnten sich (und können es noch immer) in Zeiten der Kurssteigerungen reich rechnen. Rätselhaft und unverständlich erscheint das Verhalten von Millionen von ihnen, die in den USA auf die neuen, höheren Werte ihrer Häusle (oder ihrer Anlagen) Kredite aufnahmen. Sie ließen sich von Kreditangeboten ihrer Banken zu noch mehr Konsum verführen. Denn es war ja so leicht, an Geld zu kommen – und zurückgezahlt wurde wiederum mit geliehenem Geld. Aber weil kein Baum in den Himmel wächst, kam es wie es kommen musste. Die Nachfrage brach ein, ein sich selbst antreibender Kreislauf begann, bis die Katastrophe offenbar war. Kredite konnten nicht mehr abgelöst werden. Das war ein sehr großes Nullsummenspiel, bei dem auch die Banken der Verliererseite standen

Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation.

Die Nennung dieser Lebensbereiche steht bei Wikipedia nur, um dem einzigen Punkt, der die Eliten wirklich interessiert, Wirtschaft, noch etwas an die Seite zu stellen.

Politik: Es scheint nicht, dass man bei der Politik im allgemeinen von Globalisierung im Sinne gleichberechtigter weltweiter Partnerschaften reden kann. Solange sich noch Militärblöcke gegenseitig bedrohen, solange das eine oder andere Land mit einem Krieg begleitenden Regime Change überzogen wird, solange auf der einen Seite von Freihandel gefaselt wird und auf der anderen Seite Wirtschaftssanktionen, z.B. gegen Russland, Kuba oder dem Iran, verhängt werden, solange es Atomsprengköpfe gibt, die Staaten bedrohen, ist die Politik der westlichen Metropolen sehr schwer zu verstehen. Sie grenzt an Willkür gegenüber anderen Systemen, Kulturen und Religionen, ja sogar den Menschen der Metropolen gegenüber, wie es zuletzt bekannt geworden ist, dass heimlich nach dem gescheiterten TTIP ein Freihandelsblock mit Japan ausgehandelt wurde. Ein Block gegen China gerichtet. Ist das gleichberechtigter multilateraler Freihandel für alle?

Diese Art der Politik des Westens gegenüber der restlichen Welt begann schon kurz nach dem Weltkrieg II mit dem sogenannten Kalten Krieg und setzte sich nach dessen Ende nahtlos bis heute fort. Diese Politik enthält das größte Konfliktpotential, wie sich an den begleitenden Veranstaltungen, Demos und Protesten zu den G8, dann nach Ausschluss Russlands G7 und den später daraus entstandenen G20-Gipfeln immer wieder zeigt. Globalisierung mit positivem Vorzeichen und demonstrierter Einigkeit? Machen diese Politiker sich nicht total unglaubwürdig? Solange es noch Wirtschaftssanktionen westlicher Metropolen gegen China, Russland, totale Handelsblockade der USA gegen Kuba gibt, ist nichts gewonnen.

Politik sollte eigentlich für alle da sein, wird aber, so scheint es, von den meisten gewählten und regierenden Politikern von Staaten mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung nicht so verstanden, obwohl sie immer wieder versuchen es so darzustellen. Sie verwenden den Begriff Demokratie und meinen damit das Herrschaftssystem oder den Machtblock, für das sie sich zum Diener machen und das sie gegen alle Widerstände sichern wollen. In der Tat trifft hier der Begriff Globalisierung zu, denn sie weiten ihre Herrschaft und damit ihre Demokratie über den ganzen Globus aus. Und da finden sich unterschiedliche Formen der Vorgehensweise jener Weltpolitiker, die um die besten Plätze rangeln und den Beginn von Kriegen gegen ungehorsame Politiker und deren Staaten (Libyen, Syrien) nicht scheuen. Alternativen bieten sie nicht, denn sie verfolgen nur ihre Interessen und die ihrer Auftraggeber. Wenn der Normalbürger diesen Politikern glaubt, wird er bis zum St. Nimmerleinstag warten müssen, dass sich etwas zu seinem Wohl bewegt, dass Frieden einzieht.

Kultur, Sport und Kommunikation:

Diese Bereiche tangieren Globalisierung im positiven Sinne, denn oft engagieren sich Kulturschaffende, Sportler von der anderen Seite des Globus in Europa für Frieden und Umwelt, oder die sie unterstützen NOG´s (Non Government Organisations) wie Greenpeace ecc bei ihrer Arbeit. Leider ist diese Arbeit unerlässlich, weil eben egoistische und partielle Wirtschaftsinteressen in den verschiedensten Bereichen sich immer wieder durchsetzen und Allgemeininteressen, wie z.B. der Erhalt von Fischbeständen in den Weltmeeren, geschädigt werden. Die Arbeit der genannten NOG´s könnte entfallen, ja deren Kreativität könnte vorantreibend wirken, würde sich die Wirtschaft wirklich global verantwortlich verhalten.

Umwelt und Klima:

Diese Bereiche sind so bedeutend, dass deren Beratung nicht nur den G20-Politikern überlassen werden darf. Hier sind alle Länder auf dem Globus gefragt. Es sind globale Themen und deren Brisanz hat ein Niveau erreicht, das keine Verzögerung mehr zulässt. Die Einflussnahme des Menschen, sprich seine wirtschaftlichen Ausbeutungsmechanismen auf die natürlichen Resourcen der Erde sind so gewaltig geworden, dass die Menschheit, macht sie ungebremst so weiter, seine eigene Ausrottung vorbereitet. Diese globale Frage ist ein für die Menschheit existenzieller Tagesordnungspunkt, dessen Behandlung nicht eine Minute aufgeschoben werden sollte.

Was also sollen oder wollen die globalen G20 Politiker auf ihren pompösen Treffen verhandeln? Und was können sie? Die zweite Frage ist die entscheidende. Als Diener ihres eigenen Wirtschaftssystems, als Butler ihrer Bosse, die sich die Interessen der Chefetagen zu Eigen gemacht haben, müssen sie dafür sorgen, dass ihre Machtgrundlage, das aktuelle unsoziale Wirtschaftssystem, unangetastet bleibt. Man kann nicht erwarten, dass sie gegen ihre eigenen Interessen verstoßen, da sie auch Mitverdienende im Räderwerk der Machterhaltung geworden sind. Es geht bei diesen Treffen also nur darum, die Abschluss-Verlautbarungen so zu schreiben, dass ein gewisser Eindruck entsteht, die Lebensinteressen des normalen und im Arbeitsleben stehenden Menschen wären berücksichtigt worden. So jedenfalls war es bei G8/7 und G20-Treffen der Fall und so wird es weiterhin sein. Wie Globalisierung sich in Zukunft entwickeln wird, wird nicht auf den zukünftigen G20-Gipfeln entschieden sondern durch machtvollen millionenfachen politischen Protest (Petitionen, Streik, Manifestationen) und vielleicht auch an den Wahlurnen. Dort allerdings sind diejenigen, die sich Alternative nennen nicht die Alternative, sondern populistische Strömungen, die eher dem lokalen als dem internationalen Kapital verbunden sind, Protektionisten sind, und eben deshalb keine zukunftsorientierte Politik anbieten können.