NATIONALISMUS UND SELBSTBESTIMMUNG

Die schottische Chefministerin, gleichzeitig Chefin der SNP, der Schottischen Nationalpartei, hat Schwierigkeiten mit ihrer Partei oder vielmehr mit deren Namen. Nicola Sturgeon seufzte im Fernsehen vor ein paar Monaten (The Telegraph, 18 August 2017): Der Name ihrer Partei sei „hugely, hugely problematic“, und sie würde sich wünschen, die Partei hätte bei ihrer Gründung 1934 einen anderen Namen gewählt.

Wie das? Ist Sturgeon plötzlich zu einer überzeugten Britin geworden? Hat sie ihre schmutzige Unterwerfung unter die EU überdacht?

Das gerade nicht. Sie denkt nach wie vor daran, sich vom Vereinigten Königreich abzuspalten, um sich in die Arme der Brüsseler Bürokratie zu werfen. Und deswegen will sie die Orientierung auf die Selbstbestimmung, die eine Zeitlang von ihrer Partei als Kern ihrer Existenz-Berechtigung mit aller Kraft verfolgt wurde, nicht mehr „national“ nennen.

Wenn es nicht geradezu an Lächerlichkeit grenzen würde, könnte man darüber aufrichtig lachen. Was ist der Kern der Nation? Es ist die Selbstbestimmung; es ist die Formulierung eines eigenen politischen Projekts; es ist, mit einem Wort, die Demokratie.

Diese demokratische Selbstbestimmung ist aber historisch an einige strukturelle Gegeben­heiten gebunden. Es war stets eine nationale Identität, welche als „kommunitaristischer“ Nukleus des politischen Projekts der Selbstbestimmung gedient hat. Denn es muss die Idee vorhanden sein, auf irgendeine Weise „zusammen zu gehören“, damit sich das Projekt der Selbstbestimmung seine Grenzen ziehen kann. Denn Grenzen sind notwendig, um die Einzel-Projekte, aus denen ein solches umfassendes nationales Gesamt-Projekt besteht, praktisch verwirklichen zu können. Die globale Ebene und die globalistische Idee haben sich bisher stets als Schleier für Eliten und Oligarchien erwiesen. Das Imperium funktioniert nur von oben herab, gesteuert von einer kleinen Gruppe von Bürokraten und deren Auftraggebern. Auch dort, wo die Idee des Internationalismus sich auf die Gleichheit aller Menschen berief, wurde sie mit der Missachtung nationaler Grenzen sofort zu einem Globalismus einer neuen herrschenden Gruppe. Der angebliche „proletarische“ Internationalismus der Zeit des Sowjet­systems war faktisch die Macht von zentralen Eliten, die ihren Sitz in Moskau hatten.

Nun will also Sturgeon es beiden Seiten recht tun: ihren nationalen Partei-Unterstützern, und den hegemonialen globalen Eliten, die antinational, weil antidemokratisch sind. Sie steht da nicht ganz allein. Ich finde in der neuesten Ausgabe einer Zeitschrift, „Nations and Nationa­lism“, gewidmet dem akademischen Spezialgebiet, welches ihr Name anzeigt, eine Ankündi­gung (Mûelenaere): Ein umfangreiches Projekt, situiert in Antwerpen – National Movements and Intermediary Structures in Europe (NISE) – will sich löblicherweise dieser hoch aktuel­len Thematik widmen. Aber: Im ganzen Text kommt das Vokabel Demokratie nicht vor. Da­für ist mehrmals von diversity die Rede. Es sollte sich auch nach Belgien herum gesprochen haben, dass „diversity“ eigentlich nur genutzt wird, um eher belanglose Unterschiedlichkeiten für Luxus-Bürger festzumachen. Wo es um Lebens-Chance geht, um Unterschiede im Ein­kommen, in den Lebenswelten, usw., wird immer von „difference“ gesprochen. Auf die kommt es an, wenn man die wesentlichen Fragen ansprechen will. Das gilt auch für ethnische und nationale Fragen. Aber auch hier gilt: Die Akademiker wollen vermutlich Geld von der EU, und daher müssen sie sich an die Sprachregelungen der hegemonialen Eliten halten.

Worum es in nationalen Belangen geht, ist Demokratie und eine Auflehnung gegen Außenbe­stimmung. Sturgeon hat dies offenbar nicht begriffen. Was die Schotten aber von ihrer Politik halten, haben sie bei den letzten Wahlen deutlich gemacht: Die SNP hat mehr als ein Drittel ihrer Mandate verloren. Und das war ausnahmsweise nicht das undemokratische und anti­quierte Wahlrecht, welches sonst im UK alle Wahlen so verfälscht. Die SNP hat auch 13,1 Punkte an Stimmen verloren und hat nun mehr nur mehr 35 % anstelle bisher 50 %.

Die SNP wird ihren Namen schon nicht ändern. Soviel weiß auch Sturgeon, dass dies ein Rezept wäre, die Partei zu spalten. Aber was offenbar wirklich über ihr Begriffsvermögen geht ist: Die SNP hat durch die Sturgeon-Politik jene an die Konservativen verloren, welche eine britische Einheit wollen – und damit die Konservativen in Schottland gerettet. Und sie hat an Labour, wenn auch deutlich weniger, Menschen verloren welche nun sehen, dass die SNP ihre vorübergehende Rolle nicht mehr wahrhaben will, die Labour-Rechte mit einer antiblairistischen sozialdemokratischen Politik unter Druck zu setzen.

Eine nationale Partei, die sich plötzlich schämt, national und damit demokratisch und sozial zu sein, das ist in Wirklichkeit eine neoliberale Partei. Davon aber gibt es schon genug, auch in Großbritannien.

AFR, 14. Jänner 2018