Der Brexit schadet – aber wem? Eine Polemik des Albrecht Müller gegen Winfried Wolf

Thomas Z. hat einen link zu zwei Artikeln der NachDenkSeiten zum Brexit herum geschickt. (https://www.nachdenkseiten.de/?p=50633

Ich würde wirklich dringlich empfehlen, diese Artikel zu lesen. Da kann man nämlich sehen, mit welcher Konsequenz der deutsche Sozialdemokrat Albrecht Müller argumentiert, wenn er gegen einen halbwegs gut argumentierenden Artikel (Winfried Wolf) schreibt, der sich gegen die EU richtet. Ich halte mich vorerst an seine Nummerierung.

(1) Warum soll „mehr Druck von Oben“ das Ergebnis eines „harten Brexit“ sein? Das ist eine jener Behauptungen, die völlig unbegründet sind, auch wenn inzwischen allen Propaganda-Medien der EU dunkel vor der Katastrophe warnen – die sie nie benennen!

(2) Müller nützt einzelne tatsächlich ungeschickte Formulierungen Wolfs, die ganz klar aus dessen Bemühung kommen, die EU-frommen Leser der NachDenkSeiten nicht zu überfordern, für hinterhältige Untergriffe.

(3) Die Briten haben an der reaktionären Entwicklung der EU kräftig mitgearbeitet? Stimmt. Aber ist das ein Grund, für die EU zu sein?

(4) Die EU wurde mit Lissabon reaktionär. – Als ob nur Lissabon 2008 das Problem wäre! Hat er jemals von Maastricht 1992-94 gehört und von der Währungsunion?

(5) „Durch Nachdenken und durch Tatsachen ist nicht gestützt“, dass die EU durch Austritte besser wird. Da hat er recht, der Herr Müller! Es wird langsam humoristisch.

(6) In derselben schon humoristischen Tonart geht es weiter. Auch er sei gegen „Falsche Erwartungen“ beim EU-Beitritt der Balkan-Länder. Aber Wolf „versteht nicht“, dass dies ein Unterschied für die ist, die schon Mitglieder sind: „Dann ist man nämlich drin und nicht noch draußen!“

(7) „Zu glauben, dass sich durch den Brexit, noch dazu durch einen harten, die Lage für die Lohnabhängigen und die ärmeren Schichten in Großbritannien bessern würde, ist ohne Basis.“ Hier können wir endlich einmal eine ernsthafte Anmerkung machen: Es geht nicht darum, dass durch den Austritt allein „Alles besser“ wird. Das hat noch kein Linker gesagt. Es geht darum, dass dann die Möglichkeit für eine eigenständige, auch linke Politik erst wieder gegeben ist. Derzeit ist dies innerhalb der EU schlichtweg unmöglich. Ob sich die Möglichkeiten einer solchen Politik verwirklichen lassen, ist eine Frage der Kräfte-Verhältnisse und der Militanz. Die sind jedenfalls auf nationaler Ebene um eine Qualität besser als auf supra-nationaler, wo sie praktisch überhaupt nicht gegeben sind.

(8) „Folgen eines solchen Brexit werden hart sein.“ Siehe oben! Das ist das Dogma aller EU-Fanatiker.

(9) „52 %“ für den Brexit, ist doch viel zuwenig für eine demokratische Entscheidung!! Interessant, dass dieselben Leute nicht so argumentiert haben, als in Frankreich 1992 51 % für Maastricht waren; als Schweden mit 52 % der EG beitrat… Und doch gehört dies zu den Lieblingsargumenten der Remainer, übrigens auch in Österreich. Es zeigt auch, von welchen Eltern ihre Argumente stammen. Es erinnert mich an die diskrete Art der bürgerlichen Presse, Nachrichten zu manipulieren. Als Schweden mit knapp 52 % für die EG stimmte, war dies für die NZZ ein „deutliches Ergebnis“. Als wenige Wochen danach Norwegen mit fast exakt demselben Prozentsatz gegen die EG war, schrieb dieselbe NZZ: „knappe Ablehnung des EG-Beitritts“.

Und als Ergänzung schreibt mir Boris Lechthaler

Den wirklich köstlichen Punkt 13 hast Du uns vorenthalten:

(13) „Das eigentlich große Problem im Hintergrund: Sind Vereinigungen wie die Europäische Union vorstellbar und sinnvoll, wenn man das Rein und Raus und das Raus und Rein zu einem wesentlichen Grundprinzip und zu einer Grundforderung macht? Aus meiner Sicht ist eine solche Vereinigung so kompliziert und mit so vielen Folgen für die Gesetzgebung und für die Dispositionen von Millionen Menschen und Unternehmen und auch für finanzielle Verpflichtungen der einzelnen Staaten, zum Beispiel gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinschaft, verbunden, dass eine offensichtlich gewünschte Rein- und Raus-Praxis damit nicht verbunden sein kann. Man muss sich vor dem Beitritt überlegen, ob man so etwas will oder ob man es nicht will. Alle späteren Revisionen sind kompliziert. Und sie werden, das wird gerade der Brexit zeigen – anders als von Winfried Wolf vermutet und erhofft –, vor allem auf dem Rücken der Schwächeren und nicht zu deren Gunsten praktisch vollzogen.“ (Albrecht Müller abschließend zur Rein-Raus-Praxis)

Unfassbar, dass so etwas publiziert wird. Das Rein-Raus-Prinzip als Grundprinzip und, da haben wir’s schon, „Grundforderung“. Das geht gar nicht. Ziemlich deutsch, das Müllersche Europa.(B.L.)

Doch belassen wir dies dabei. Müller war ein Zuarbeiter des SPD-Kanzlers H. Schmidt. Er ist eben ein deutscher Sozialdemokrat dieser Prägung. Was sollen wir uns darüber wundern?

4. April 2019