Oben und unten bei der Präsidentenwahl … und nichts davon wählbar.

Wenn man in die liberale Mittelschicht, die „Gebildeten“ und „Aufgeklärten“, hineinhört – etwa an den Universitäten – dann spürt man eine Weltuntergangsstimmung: Brexit, Trump und nun vielleicht bei uns Norbert Hofer und dann HC Strache. An den Elfenbeinturm der Wenigen, die noch ihre individuelle Freiheit in Berufs- und Alltagsleben ausleben können, schlägt die Brandung einer um sich greifenden Unzufriedenheit, die mittlerweile Mehrheiten von den etablierten Parteien des Systems abfallen lässt. Diese Polarisierung versinnbildlichen auch die österreichischen Präsidentschaftskandidaten: der grüne Professor Van der Bellen ist Symbol für Intellektualität und Liberalismus, der blaue Hofer Repräsentant des Wutbürgers. Sozial ist Van der Bellen das Liebkind von allen mit Mittelschulbildung aufwärts, Hofer von jenen mit Pflichtschule abwärts.

Die Gebildeten mögen einwenden, dass doch liberale Freiheiten und Demokratie Errungenschaften für alle seien. Nun meine Lieben: früher hatten sich Euresgleichen noch dafür aufgeopfert, dass die schmutzige Unterschicht einmal die Chance bekommt, sich frei und demokratisch selbst zu bestimmen und nicht nur die sozial Bessergestellten. Heute ist euer Ruf nach Panzerung des Systems nicht mehr zu überhören. Darum die Liebe zu Van der Bellen, der einer Partei (FPÖ), die angeblich mit dem EU-Austritt liebäugelt, nicht die Kanzlerschaft geben würde, auch wenn sie die Wahlen gewinnt. Die demokratischen Werte sind ins Gegenteil verkehrt: zu ihrer Verteidigung wird die Demokratie zugunsten des Zensus der Gebildeten abgeschafft. Wenn es um die EU geht, würde der ruhige Professor wohl schon von seiner Position als Oberbefehlshaber des Bundesheers Gebrauch machen, um die den Kanzler fordernden FP-Wähler von der Straße zu fegen. Ist man sich da eigentlich bewusst, dass so ein Szenario (Nicht-Angelobung eines HC Strache mit fast 10 % Stimmenvorsprung; Öxit-Hysterie aus Brüssel) ein Spiel mit dem Feuer und ein Bärendienst an der FPÖ ist?

Der Hofer wählende Wutbürger wiederum wird fragt, was denn gegen die FPÖ einzuwenden sei, spreche sie doch offenbar die Sorgen der Mehrheit an. Leider sind diese Sorgen nun einmal ein chauvinistisch überprägtes Empfinden, dass man aus dem bröckelnden klassenübergreifenden Haus der westlichen Mittelschichtgesellschaft in ein neues Unterklassendasein hinausgeworfen wird. Der reale und/oder bevorstehende soziale Abstieg hat noch kaum neues Klassenbewusstsein mit neuer politischer und kultureller Identität hervorgebracht, das in die Lage versetzt, zwischen Profiteuren aus der globalisierten Elite und Opfern der Globalisierung zu unterscheiden. Und diese Blindheit der Unterschicht bestärken die erneuerten Altrechten mit ihrer Ausländerfeindlichkeit natürlich. (Die Rauschers, Ortners und anderen Kommentatoren der liberalen Presse sollten sich übrigens über diese Stimmung am wenigsten wundern: sie haben ja seit fast zwei Jahrzehnte die Verteidigung „unserer“ Werte gegen die rückständigen, demokratieunfähigen Moslems gepredigt. Heute ernten sie ihre Saat.)

Die wichtigste Tatsache aber bleibt: Van der Bellen ist der Kandidat jener (nationalen und supra-nationalen) Eliten, die den Weg in die gesellschaftliche Sackgasse anführen, in die uns das neoliberale (Euro-)Regime gebracht hat: Zerstörte sozialstaatliche Sicherheitsnetze, aufgekündigte Arbeits- und Pensionsrechte, abgeschaffte demokratische Regulationsmöglichkeiten. Mit der verlängerten Wirtschaftskrise seit 2008 hat die Ideologie, dass dies alles für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand nötig sei, heute ihre Glaubwürdigkeit verloren. Das ist die Strömung, auf der der Rechtspopulismus daher schwimmt, aber auch die neuen Alternativen von links, die zumindest in Südeuropa Hoffnung machen.

Natürlich verhindert in Österreich und den anderen Zentrumsländern Europas eine kleine, linke Alternative, die die Wut der Menschen gegen die Eliten ernst nimmt und aufgreift, noch nicht die gegenwärtige Hegemonie der Rechtspopulisten über die Globalisierungsverlierer. Die liegt sozial und ideologisch tiefer begraben. Aber wer versucht die Rechten mit einer Stimme für den Kandidat der Eliten aufzuhalten, der zeigt vor allem seine sozialdarwinistischen Vorurteile, dass ihm das neoliberale Establishment letztlich doch näher steht als dessen Verlierer. Gerade in einer Zeit, wo diesem Establishment die Kontrolle über sein System aus den Händen zu gleiten beginnen, verbaut das mit Sicherheit alle Möglichkeiten auf eine Alternative.

Gernot Bodner (Dozent an der Universität für Bodenkultur; als Verortungshilfe: kulturell fortschrittlich, politisch linksorientiert).