Die „Undenkbarkeit des Bruchs“ und seine Folgen: Stefan Hinsch / Wilhelm Langthaler (2016): Europa zerbricht am Euro. Unter deutscher Vorherrschaft in die Krise. Wien: Promedia. 204 Seiten. € 17,90

Die Euro-Krise stellt einen Bruch in der EG / EU-Entwicklung dar. Sie macht den bis damals verhüllten Gegensatz zwischen den Eliten samt ihrer Gefolgschaft in den (oberen) Mittel­schichten und dem immer stärker prekarisierten Unterschicht-Verband einer deutlichen Mehr­heit der Bevölkerung eklatant sichtbar, ebenso wie den Gegensatz zwischen dem Zentrum und den Peripherien im Süden und im Osten. Was aber heißt dies politisch für die, welche Partei für die „Erniedrigten und Beleidigten“, für die Unterschichten und Subalternen ergreifen? Noch folgt aus diesem Bruch nicht die weit verbreitete Notwendigkeit des Bruchs mit dem EU-System. Aber die „Undenkbarkeit des Bruchs“ (S. 48) ist keineswegs mehr so fixiert, wie noch vor zwei Jahren. Die Bevölkerung hat diese Notwendigkeit in starkem Maß bereits realisiert. Schwer tun sich dagegen die linksliberalen Intellektuellen.

Die beiden Autoren beschreiben die politische Entwicklung der EG/EU in den letzten Jahren und seit ihren Anfängen in ihrer Verschränkung von strukturell-ökonomischen und monetären Gegebenheit einerseits und der politischen Verarbeitung dessen. Im Zentrum steht deie Rolle der BR Deutschland. Die EWG entstand aus dem französischen Willen, ds neue Nachkriegs-Deutschland zu zähmen und gleichzeitig seine bewunderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter französischer Hegemonie zu nutzen.

In analoger Weise war die Währungsunion bzw. die EU nach der Einheitlichen Europäischen Akte bzw. Maastricht insgesamt von Paris us konzipiert. Sie wurde den damals sehr zögern­den Deutschen aufgedrängt. Heute ist die BRD oder vielmehr ihre Exportwirtschaft die große Gewinnerin. Aber nicht nur die Exportwirtschaft: Doie politischen Eliten haben einen Gewinn daraus gezogen, den sich Paris 1992 / 93 vermutlich nicht in den schlimmsten Träumen vorstellen konnte. Aber die Währungsunion musste „naturnotwendig“ die stärkere Wirtschaft begünstigen. Die Peripherisierung des Südens und die sich abzeichnende Abstufung der Rolle Frankreichs ins zweote Glied hätte sich eigentlich voraus sagen lassen.

Aber: Diese Entwicklung sprengt die Grundlage der E(W)G, den Historischen Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland. Damit wird aber die Geschäftsgrundlage der EG / EU selbst hinfällig. Das ist die zentrale Aussage des Buchs.

In einer kurzen Besprechung können die vielen Denkansätze in diesem Buch nicht einmal erwähnt werden. Nur noch zwei Hinweise:

Die sogenannte westeuropäische Integration ist Globalisierungsgeschichte. Globalisierung ist ein politischer Begriff, in Kontrast zum sozioökonomischen und kulturellen der Mondialisie­rung. Dieses Buch analysiert die Geschichte der EU und des Euro denn auch als regionalen Vorgang der Globalisierung. Der Europäismus ist eine Form des Globalismus, nicht etwa ihre Eingrenzung oder Regulierung. Daraus ergibt sich klar, wie grotesk die Hoffnung jener ist, die mittels EU die Globalisierung in den Griff bekommen wollen. Dieser Internationalismus der Eliten ist das gerade Gegenteil davon, was Internationalismus einmal war.

Eine Strategie daraus ist eine neue Betonung der nationalen Souveränität, die auch den Subalternen einen Einstie in die Teilnahme an Politik als selbstbestimmten Prozess bietet.

Es wären eine Reihe kritischer Anmerkungen fällig. Die Teile, die man eher als ökonomisch bezeichnen möchte, und jene zur politischen Analyse und Strategie sind mitunter nicht gut integriert. Die ökonomischen Ausführungen sind oft erstaunlich orthodox, während die politischen Passagen konsequent die Kritik am Euro-System durchhalten. Gerade im Diskurs um Geld- und Währungsfragen muss man sich vor ökonomistischen Zugängen hüten, vor solchen, welche Geld lediglich als ökonomisch-technische Kategorie auffassen. Die diversen sozialen Funktionen von Geld werden von der „Fach-Theologie“ z. T. vergessen, teils aber ideologisiert. Die ausgedehnten Passagen des Buchs, die sich mit der Währung befassen, gehen nicht selten in diese mainstream-Falle.

Das Buch kann als Ausgangspunkt einer gründlichen Debatte zum Thema EU und Euro sowie der damit verbundenen Problematiken – Demokratieabbau, Zerstörung des Sozialstaats, Finanzkapitalismus – dienen. Es ist keine Propagandaschrift, sondern von hoher analytischer Qualität. Man muss oder soll das Buch gründlich lesen und wird dabei eine Fülle an Anregungen erhalten!

Albert F. Reiterer, 24. April 2016