EU-Wettbewerbsausschüsse zur Verschärfung der Ungleichheit

von Steffen Stierle, Berlin

Blitzinfo: Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit

Seit dem 1. Juli 2015 läuft formal die Umsetzung der ersten Stufe des 5-Präsidenten-Plans zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Ziel dieser Stufe ist es, die gegebenen vertraglichen Grundlagen so effektiv wie möglich zu nutzen, um „die Wettbewerbsfähigkeit und die strukturelle Konvergenz zu fördern, die Finanzunion zu vollenden, eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten und im Euro-Währungsgebiet insgesamt herbeizuführen und beizubehalten sowie die politische Rechenschaftspflicht zu stärken“ (S. 5). Ab 2017 sollen dann weitere Schritte folgen, die Vertragsänderungen erforderlich machen.

Die Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit werden von den Präsidenten im Kapitel zur Wirtschaftsunion vorgeschlagen. Laut dem Bericht „muss viel mehr unternommen werden, um zu gewährleisten, dass alle Mitglieder mit dem gleichen Elan auf die Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit hinarbeiten“ (S. 9). Den Schlussfolgerungen des Europäische Rates vom Dezember 2015 ist zu entnehmen, dass der Einrichtung dieser Räte (neben drei weiteren Vorschlägen der Präsidenten) im WWU-Vertiefungsprozess Priorität eingeräumt wird (Abs. 14).

Worum geht es?

Diskutiert wird der Vorschlag anhand einer Empfehlung der EU-Kommission vom 21. Oktober 2015, die an den Rat gerichtet ist (COM(2015) 601). Demnach soll in jedem Euroland ein unabhängiger Ausschuss gebildet werden, der die Aufgabe hat, Entwicklungen im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit und diesbezügliche politische Maßnahmen zu überwachen und zu bewerten sowie politische Empfehlungen herauszuarbeiten. Diese Ausschüsse sollen unabhängig von anderen Behörden sein, mit Experten besetzt werden und über „angemessene Ressourcen“ verfügen. Ihre jährlichen Berichte sollen veröffentlicht werden. Zugrunde liegen soll eine „breite Definition von Wettbewerbsfähigkeit“.

Die EU-Kommission soll mit den nationalen Ausschüssen in stetigem Austausch sein, um dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen des Euro-Währungsgebietes und der EU angemessen berücksichtigt werden. Hierzu sind Vor-Ort-Überprüfungen und Konsultationen vorgesehen. Die Kommission soll die Berichte der Ausschüsse zudem in die Analysen einfließen lassen, die dem Europäischen Semester und dem Verfahren gegen makroökonomische Ungleichgewichte zugrunde liegen.

Kritik an den Wettbewerbsausschüssen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert den Vorschlag zurecht als „Angriff auf die Tarifautonomie“. Ausschüsse ohne demokratische Legitimation sollen Einfluss auf die Lohnentwicklung nehmen. Noch dazu sollen sie das nicht anhand einer breiteren Fragestellung danach tun, welches Lohnniveau sozial und ökonomisch sinnvoll ist, sondern daran, welche Lohnentwicklung gut für die Wettbewerbsfähigkeit ist. So gedreht, sind immer die niedrigsten Löhne die besten, denn niedrigere Löhne verbilligen die Produktion und erhöhen so die Wettbewerbsfähigkeit. Dadurch werden stets jene Länder mit der schlechtesten Lohnentwicklung den europäischen Standard definieren. Von den anderen werden entsprechende Reformen zur Korrektur nach unten gefordert. So wird ein permanenter Druck auf die Tarifverhandlungen ausgeübt, der die Arbeitgeberseite begünstigt und Gewerkschaften schwächt.

Spätestens wenn dann in Stufe 2 des Präsidenten-Plans eine Euro-Fiskalkapazität geschaffen wird, aus der öffentliche Investitionen zur Belebung der Wirtschaft finanziert werden, zu der aber nur Zugang hat, wer die Empfehlungen der Wettbewerbsausschüsse umsetzt, wird Lohndumping zu einem Grundprinzip der EU-Politik

Dass eine „breite Definition“ von Wettbewerbsfähigkeit zugrunde gelegt werden soll, lässt darauf schließen, dass eine Abwärtsdynamik nicht nur bei den Löhnen angetrieben werden wird, sondern bspw. auch bei Arbeitnehmerrechten, Unternehmensbesteuerung und öffentlichen Investitionen.

Der zweite wesentliche Kritikpunkt besteht im anti-demokratischen Charakter des Konzeptes. Experten sollen die Arbeit gewählter Volksvertreter überwachen, nicht umgekehrt. Zudem soll der Einfluss der EU-Technokratie auf die Politik der Euroländer erhöht werden: Einerseits sollen die Ausschüsse unabhängig von nationalen Behörden sein, andererseits soll die EU-Kommission u.a. durch Vor-Ort-Überprüfungen dafür sorgen, dass die Ausschüsse die „Interessen des Euro-Währungsgebietes und der EU berücksichtigen“. Es handelt sich also um Gremien, die national wirken, von ihrer Verankerung her aber EU-Interessen vertreten.

Linke Kontroverse

Der keynesianische Ökonom Heiner Flassbeck übt Kritik an der DGB-Position. Ihm zufolge hat die EU-Kommission „klar erkannt, was wir seit Jahren […] predigen: Die Währungsunion kann nicht ohne Lohnkoordination funktionieren.“. Da die Berichte der Ausschüsse von der Kommission aufgegriffen werden sollen, sieht er darin einen richtigen Ansatz auf dem Weg zur Lohnkoordination im Euroraum. Er verweist zudem darauf, dass die Kommission auch Reformen in Ländern fordert, die anhaltend zu hohe Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen – also in Deutschland.

Der Handelsblatt-Journalist Norbert Häring fasst das Problem mit Flassbecks Argumentation gut zusammen: „Ein Blick auf die jüngsten Stellungnahmen des EU-Rats zum deutschen Stabilitätsprogramm und zum deutschen Reformprogramm zeigt, dass die Kommission dabei nur neoliberale Lohndrückerei im Sinne hat. […] Deutschland soll das Arbeitsangebot erhöhen und damit direkt über niedrigere Sozialbeiträge und indirekt über Lohnkonkurrenz nach unten die Lohnkosten senken, indem es das Rentenalter erhöht, Sozialbeiträge senkt, kalte Progression reduziert und Arbeitsanreize für Minijobber und Frauen erhöht. Außerdem soll es die Kosten von Dienstleistungen durch Liberalisierung drücken. Das alles ist das genaue Gegenteil von der Intention, die Flassbeck und Spiecker der Kommission unterstellen. Reines Wunschdenken also.“

Härings Kritik an Flassbecks Position wäre noch hinzuzufügen, dass diese rein ökonomisch ist und keine Antworten auf das Problem des anti-demokratischen Charakters des Konzepts gibt.

Wie geht es weiter?

Der 5-Präsidenten-Bericht ordnet die Wettbewerbsausschüsse der ersten Stufe zu, die bis Mitte 2017 abgeschlossen sein soll (S. 20). In der Empfehlung der Kommission vom Oktober 2015 ist vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten die Ausschüsse innerhalb von sechs Monaten nach Annahme der entsprechenden Ratsempfehlung einsetzen. Der Europäische Rat hat den Rat im Dezember 2015 aufgefordert, die Vorschläge „zügig zu prüfen“. Es ist schwer einzuschätzen, ob es zwischen den Regierungen und EU-Institutionen relevante Kontroversen gibt, die den Prozess verzögern oder die Einsetzung der Ausschüsse verhindern könnten. Sollte dies nicht der Fall sind, ist mit einem raschen Prozess zu rechnen, der noch im Laufe des Jahres 2016 (spätestens Anfang/Mitte 2017) abgeschlossen sein wird.

 

Quelle:

Blitzinfo: Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit