Salvini mutiert zum EU-Freund – Vorleistung zur Rolle des Premiers?

Der Plan der EU, den Euroskeptizismus zu besiegen

Salvini braucht die Unterstützung aus Brüssel, wenn er Premierminister werden will

Von Thomas Fazi

Matteo Salvini – das Wunderkind der italienischen Politik, das in einem halben Jahrzehnt eine marginale rechte Regionalpartei, die Lega Nord, in die Nummer eins des Landes verwandelt hat – baute sein politisches Vermögen weitgehend auf Kampagnen gegen illegale Einwanderung und die EU auf. Einige Jahre lang trug er sogar ein T-Shirt mit dem Slogan „no more euro“.

Beim Thema Brüssel scheint Salvini jedoch eine Wandlung durchgemacht zu haben. Bei mehreren Gelegenheiten im letzten Jahr hat Salvini erklärt, dass er nicht mehr glaubt, dass Italien den Euro verlassen sollte. Tatsächlich unterstützt die ehemals „anti-europäische“ Liga nun von ganzem Herzen die ultra-europäische italienische Regierung, die vom ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, geführt wird – genau die Verkörperung der europäischen Währung, gegen die Salvini einst wetterte.

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Swexit

von Wolfgang Streeck

Am 26. Mai erklärte die Schweizer Regierung das Ende der jahrelangen Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein sogenanntes Institutionelles Rahmenabkommen, das die rund hundert bilateralen Verträge, die die Beziehungen zwischen beiden Seiten regeln, konsolidieren und erweitern sollte. Die Verhandlungen begannen 2014 und wurden vier Jahre später abgeschlossen, doch der innenpolitische Widerstand der Schweiz verhinderte die Ratifizierung. In den darauffolgenden Jahren bemühte sich die Schweiz im Wesentlichen um vier Punkte: die Erlaubnis, die staatliche Unterstützung für ihren großen und florierenden Kleinunternehmenssektor fortzusetzen; die Einwanderung und das Recht, diese auf Arbeitnehmer zu beschränken, anstatt alle Bürger der EU-Mitgliedsstaaten aufnehmen zu müssen; den Schutz der (hohen) Löhne in den weltweit sehr erfolgreichen Schweizer Exportindustrien; und die von der EU beanspruchte Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union bei rechtlichen Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gemeinsamen Verträge. Da keine Fortschritte erzielt wurden, herrschte in der Schweiz der Eindruck vor, dass das Rahmenabkommen faktisch ein Beherrschungsabkommen und als solches zu nahe an einer EU-Mitgliedschaft sein sollte, die die Schweizer 1992 in einem nationalen Referendum abgelehnt hatten, als sie gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum stimmten.

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ArbeitsUnrechtsstaat BRD als Schweinestall Europas

Passage aus dem neuen Buch von Werner Rügemer: Imperium EU

Das verrechtlichte ArbeitsUnrecht ist offen hin zu verschiedenen Formen der Kriminalität, wie sie beim straflosen Nichtbezahlen des niedrigen Mindestlohns zeigt. Deutschland wurde mit EU-Beihilfen zum Führungsstaat bei der Mehrfachausbeutung von Fleischarbeitern: Betrügerische Werkverträge (gefakte Leiharbeit); gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen; unbezahlte Überstunden; Abzüge für Vermittlungskosten, Fehlverhalten, Transporte und überhöhte Mieten: moderne Sklaverei. Die Betroffenen bleiben angstvoll stumm und wagen nicht, vor Gericht zu gehen.

Bis zu 80% der Beschäftigten sind Werkvertragler. Marktführer Tönnies bezog sie aktuell von mindestens zwölf verschiedenen Vermittlern. Die Arbeiter kommen aus den durch die EU verarmten Staaten: Hohe Arbeitslosigkeit, niedrigste Niedrig- und Mindestlöhne, in Moldau 200 Euro im Monat. Sie kommen oft für zwei, drei Jahre, dann werden sie erschöpft ausgetauscht.

So rückte Deutschland zum „Schweinestall Europas“ auf. Deshalb gründeten die Schlachtkonzerne Vion aus den Niederlanden und Danish Crown im führenden ArbeitsUnrechtparadies große Schlachthäuser – zuhause sind die deutschen Praktiken verboten. Deutschland, von der EU gefördert, zog das ArbeitsUnrecht an und wurde nach den USA der größte Exporteur von Billigfleisch.

Werner Rügemer: Imperium EU, ArbeitsUnrecht, Krise, Neue Gegenwehr

Papyrossa Verlag

Das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen Großbritannien und der EU: Minimaler Brexit

Stellungnahme der „The Full Brexit“-Gruppe

Die Steuergruppe von The Full Brexit besteht aus Christopher Bickerton, Philip Cunliffe, Mary Davis, Maurice Glasman, George Hoare, Lee Jones, Costas Lapavitsas, Martin Loughlin, Danny Nicol, Peter Ramsay, Anshu Srivastava und Richard Tuck.

Der zwischen London und Brüssel ausgehandelte Deal stellt keinen entscheidenden Durchbruch für die Volkssouveränität dar. Aber er beseitigt einige der schlimmsten Aspekte der EU-Mitgliedschaft und schafft Raum für das Entstehen einer echten Alternative zur neoliberalen Ordnung.

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Wizz Air raus aus Norwegen!

Boykott!

Eine sehr starke linke Kampagne will Wizz Air zwingen, entweder die norwegischen Rechte und Standards der Beschäftigten zu akzeptieren oder das Land zu verlassen – sie sagen Schluss mit den neoliberalen Angriffen!

Haupthebel von Wizz und den neoliberalen Eliten ist das Abkommen mit der EU (European Economic Area), das in der üblichen Weise unter dem Titel „Wettbewerb“ die sozialen Errungenschaften zu zerstören versucht.

Darum ist der Austritt aus der EU die EINZIGE MÖGLICHKEIT, alte soziale Errungenschaften zu verteidigen und neue zu erkämpfen. Darum ist das Handelsabkommen zwischen EU und England auch eine halbe Kapitulation, weil es genau solche Praktiken wie von Wizz Air erzwingen will.

Halbwarmer Brexit

von Wilhelm Langthaler

In letzter Minute einigte man sich doch noch auf ein Freihandelsabkommen. Die neoliberalen Eliten auf beiden Seiten zeigen sich erleichtert, insbesondere die deutsche Autoindustrie. Das ist schon ein starker Hinweis darauf, dass das demokratische und soziale Potential des Brexits begrenzt wurde.

Was ist der Kern des Abkommens? Waren können nun doch zollfrei bewegt werden – solange die EU-Vorgaben zu Wettbewerb, Umwelt und Arbeitsrecht eingehalten werden.

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Norwegen: Die Bewegung gegen Wizz

von Roy Pedersen

Der norwegische Verkehrsminister erklärte, dass die norwegische Regierung aufgrund des EWR-Abkommens mit der EU dem Dumping-Unternehmen Wizz Air nicht verbieten kann, Inlandsflüge in Norwegen durchzuführen.

Die Nutzung interner Flughäfen durch Wizz Air ist auf enorme Proteste gestoßen. Es begann mit einer Petition (www.opprop.net/wizz_air_ut) zur Unterzeichnung unter Gewerkschaftern. Diese Plattform wurde zuerst im Gewerkschaftskomitee der Organisation „Nein zur Europäischen Union“ diskutiert, wurde aber schließlich von den Leitern der Regionalkomitees des Norwegischen Gewerkschaftsbundes (LO) in den größeren Städten eingeführt. Sehr bald gewann sie eine große Unterstützung.

Die Kampagne wurde ins Parlament gebracht. Die Sozialdemokraten (mit ca. 21% Unterstützung), die Zentrumspartei (unterstützende Bezirke sind gegen die EU und das EWR-Abkommen mit der EU und haben laut Meinungsumfragen ca. 20% Unterstützung), die Sozialistische Linkspartei (ca. 7-8% Unterstützung) und die Rote Partei (ca. 4% Unterstützung) sind auf die eine oder andere Weise gegen Wizz Air in Norwegen.

Die konservative Premierministerin, Erna Solberg, hat erklärt, dass sie Wizz Air boykottieren wird. Lokale Stadtverwaltungen haben dasselbe erklärt. Im Februar wird es im Parlament eine große Diskussion über Wizz Air geben.

Der Arbeitgeberverband hat erklärt, dass Wizz Air in Norwegen operieren kann. Der offizielle LO wird die Petition nicht unterschreiben, formal, weil sie nicht von LO selbst eingeführt wurde, aber in Wirklichkeit, weil sie diese Kampagne als einen versteckten Angriff auf das EWR-Abkommen betrachten.

Eine sorgfältige Lektüre der Petition zeigt, dass das EWR-Abkommen nicht erwähnt wird. Das Hauptargument ist, dass Wizz Air ein Feind der Gewerkschaften ist und dass das Unternehmen die IAO-Konvention Nr. 87 nicht anerkennt, die das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und auf Tarifverhandlungen gibt. Unsere Forderungen sind, Wizz Air zu boykottieren und dass die Regierung sie aus Norwegen ausweisen soll. Sie können nur bleiben, wenn sie die Menschen sich organisieren lassen und den norwegischen Tarifvertrag für die Luftfahrtunternehmen unterschreiben.

Marcia della Liberazione – Italexit am Wachsen

von Wilhelm Langthaler

Am Samstag, 10.10.2020, fand am größten Platz Roms, der Piazza San Giovanni, der „Marsch der Befreiung“ statt. Fest stand bereits lange vorher, dass eine Demonstration aufgrund des Corona-Ausnahmezustands nicht genehmigt werden würde. Doch auch die Standkundgebung war bis zum letzten Tag unsicher, zumal gerade eben neue Maßnahmen, wie die Maskenpflicht auch im Freien, verordnet wurden.

Die vier Hauptlosungen lauteten: Arbeit, Einkommen, Demokratie und Souveränität. Die Plattform bestand aus zehn Punkten, die im Kern aus einem Investitionsprogramm insbesondere im Gesundheitssektor, Arbeitsbeschaffung, ein Ende des Ausnahmezustands sowie dem Bruch mit der neoliberalen EU bestanden. Die Klammer ist dabei immer die Wiederherstellung der antifaschistischen und sozialen Verfassung von 1948.

Die Initiative ist eine Herausforderung des nunmehr wieder bipolaren politischen Systems, sowohl für die regierende linksliberale Koalition als auch für das Rechtsbündnis.

Nach dem Sturz der sich selber als „souveränistisch“ bezeichnenden Regierung aus Fünfsternen und Lega, sind beide wieder in das Lager der Eliten und der Befürworter des Euro/EU-Regimes zurückgekehrt. Conte lässt sich sogar als Bezwinger Merkels feiern, der er den Recovery Fund abgetrotzt hätte. Salvini muss stumm bleiben, weil die Industrieeliten des Nordens im EU-System verbleiben wollen. Das souveränistische Lager, dass jedenfalls einen erheblichen Anteil der unteren Schichten umfasst, hat also keinen parlamentarischen Ausdruck mehr – und damit auch keinen medialen, was vielleicht noch wichtiger ist. Das politische Vakuum ist enorm und der Vergleich mit England drängt sich auf, als die Premierministerin Mey das Brexit-Votum auf Biegen und Brechen umgehen wollte. In Windeseile stieg die Brexitpartei von Farage zur stärksten Kraft auf. Johnson musste nicht nur den Brexit machen, sondern auch allerlei soziale Versprechungen dazu, auch um die Tories zu retten. Bis heute kämpft er mit den Konsequenzen – doch das ist eine andere Geschichte.

Die Initiative „Liberiamo l‘Italia”, ein linkssouveränistisches Bündnis, hatte schon unter Conte I damit angefangen, eine soziale und demokratische Alternative aufzuzeigen, die den Bruch mit dem EU/Euro-Regime unvermeidlich macht und hatte die Inkonsequenz der Fünfsterne/Salvini-Regierung kritisiert. Im Oktober 2019 veranstalteten sie bereits eine ähnliche Initiative, die einiges an Aufmerksamkeit erlangte, doch in den Regimemedien eine Randnotiz blieben.

Angesichts des beschriebenen Vakuums haben sich zwei profilierte Figuren aus der Riege der M5S-Abgeordneten auf der No-Euro-Seite positioniert. Einerseits ist das Gianluigi Paragone, ein bekannter RAI-Journalist, und andererseits Sara Cunial, eine profilierte Impfgegnerin, die sich auch gegen die Maskenpflicht und die Corona-Maßnahmen ausspricht. Beide verfügen über einen enormen Medienhebel. Paragone war im Sommer mit der Ankündigung einer Italexit-Partei vorgeprescht und hatte Liberiamo l’Italia dazu eingeladen, dies gemeinsam ins Werk zu setzen.

Nun kommt noch der Faktor der Krise des Salvinismus hinzu. Denn während sich die Fünfsterne unter Führung der PD durch Corona stabilisieren konnten, musste sich Salvini, der den nationalen Anti-EU-Plebejer gab, den EU-treuen nordistischen Lega-Kapitalisten und der Rechtskoalition mit dem abgehalfterten Berlusconi unterordnen. Zudem trägt er alleine die Verantwortung für den Sturz der souveränistischen Regierung im Dienst der EU. Nicht umsonst hat er im Frühjahr sogar Mario Draghi als Premier vorgeschlagen. Die nunmehr enttäuschten unteren Schichten, die den Druck für die Koalition mit den Fünfsternen gemacht hatten, versucht Paragone nun zu adressieren.

Medienkampagne

Ignorieren war diesmal für die Medien, die eines der zentralen Machtmittel der Eliten bleiben, nicht möglich. Also blieb attackieren, ja verleumden. Systematisch sprach man von der Mobilisierung der negazionisti, also der Leugner, was klar mit dem Holocaust konnotiert ist und somit mit der Rechten assoziiert wird. Der absichtlich unscharf gemachte Bezug waren die Corona-Maßnahmen.

Doch auch da stimmt es keineswegs: Zwar haben sich die Organisatoren sehr deutlich gegen die politische Nutzung der Epidemie für autoritäre Zwecke und gegen die Angstmache gestellt. Das hat aber nichts mit Leugnung der Krankheit zu tun. Im Gegenteil. So wurde immer wieder von der Bühne aus zum Tragen der Masken aufgerufen, so wie es behördlich vorgeschrieben ist, auch wenn die Skepsis gegenüber dieser Maßnahme, zumal im Freien, unter den Teilnehmer sehr groß war. Hauptkritik war von Anfang an, dass die Spardiktate der EU und der diversen neoliberalen Regierungen nicht nur zum radikalen Abbau der Krankenhauskapazitäten geführt hat, sondern ihr auch die Einrichtungen zur Abwehr von Epidemien zum Opfer fielen.

Diese ungeheuerliche semantische Übertragung der Holocaustleugnung auf die Kritiker der Corona-Maßnahmen ist sicher die bedeutendste Form der Kampagnisierung. Aber es gab noch ein paar klassischere, wie die Darstellung einer völlig friedlichen Kundgebung als von gewalttätigen Verrückten oder auch die gemeinsame Berichterstattung mit einer zeitgleich stattfindenden Demo der neofaschistischen Forza Nova, die somit eine Nähe herstellen sollte.

Insgesamt hat die Exposition in den Medien den Marcia della Liberazione seines sozialen Inhalts gegen den Neoliberalismus als auch der Stellung gegen die EU zu entkleiden und auch als No Mask umzuetikettieren versucht. Das mag unter den passiven Schichten funktioniert haben, doch bei der subkutan brodelnden Rebellion nicht.

Bedeutender Erfolg

Natürlich kam es zum üblichen Streit um die Teilnehmerzahl, die die führende Repubblica zunächst mit 200, dann mit 2.000 angab, während die Organisatoren von 20.000 sprachen.

In jedem Fall handelt es sich um einen wirklichen politischen Erfolg. Nicht nur, dass es die erste große politische Mobilisierung im Corona-Ausnahmezustand war, just zu einem Zeitpunkt wo die Angst wieder zunimmt. Sondern es konnte ein massives politisches Signal gesetzt werden.

Auch das politische Bündnis um den Marcia della Liberazione hat sich erheblich erweitert. Neben den diversen linkssouveränistischen Gruppierungen und den ehemaligen Fünfsterne-Abgeordneten Paragone und Cunial haben sich bedeutende Figuren des öffentlichen Lebens wie Journalisten und Künstler angeschlossen, wie beispielsweise der Schauspieler Enrico Montesano oder Rosita Celentano, die Tochter des bekannten Sängers. Künstler sind immer auch Anzeiger des öffentlichen Einflusses.

Es ist auch ein Netzwerk an lokalen Komitees entstanden, die sich nun italienweit zu organisieren versuchen.

Italexit

Die führende Gruppe des Marcia della Liberazione versucht die Bewegung in Richtung einer Italexit-Partei zu entwickeln, die bis jetzt lediglich eine Proklamation von Paragone ist. Immer wieder bestätigen Umfragen, dass die Partei, würde sie kandidieren, gute Chancen auf den Einzug ins Parlament hätte. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der durch die Corona-Geschichte nicht kürzer wird.

Auf der anderen Seite hat eine Italexit-Bewegung ein enormes Potential, das Gebälk der der neoliberalen EU-Zwangsjacke zu erschüttern.

Eigene Bilder

Bericht der Nachrichtenagentur AGI, dar den Begriff negazionisti im Titel verwendet

La Stampa, ebenso

Video: Unterstützungserklärung eines deutschen Teilnehmers

Video: Bericht von Wilhelm Langthaler

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