DIE BEIDEN KANDIDATEN DER ELITE UND DIE FRANZÖSISCHEN INSTITUTIONEN: Eine kurze Bemerkung unmittelbar vor der Wahl

„Frankreichs politische und intellektuelle Elite hat gestern in einem Aufruf in letzter Minute noch einmal klar gemacht: Es muss einen Zusammenschluss geben gegen Marine Le Pen.“ Macht der ORF plötzlich linke Sendungen in seinem Morgenjournal vom 6. Mai 2017? Weit gefehlt. Die naive Journalistin, die Korrespondentin ebenso wie die Moderatorin, glaubt, damit die Qualität ihres Wunschkandidaten Macron hervorheben zu müssen. Und damit es auch wirklich alle verstehen, blendet sie einige Sätze von Bernard-Henry Lévy ein, wo dieses Sprachrohr der Neuen Rechten, der Ideologe des zugespitzten Elitismus, zur Wahl seines Lieblings aufruft, und dafür „links und rechts“, wie er sagt, um sich sammelt.

Wir sollten aufhören, gebannt wie ein Karnickel auf die Schlange auf die Frage zu starren, ob Macron oder Le Pen gewinnt. Zum Einen ist es nicht entscheidend. Zwischen Cholera und Typhus wählt man nicht freiwillig. Zum Anderen: Auf der institutionellen Ebene hat auch der französische Präsident, der Wahlmonarch der Fünften Republik, beschränkte Gestaltungsmöglichkeiten, wenn ihm die Mehrheit im Parlament fehlt. Die Cohabitation Mitterrand – Chirac hat dies vor drei Jahrzehnten deutlich genug gezeigt: Mitterrand hat damals im Wesentlichen einige Vorhaben von Chirac eingebremst, die ihm besonders wenig behagten. Aber das ist keine Grundsatzüberlegung!

Wir können davon ausgehen, dass weder Macron noch Le Pen auch nur annähernd eine Mehrheit in der Nationalversammlung schaffen werden. Damit sind alle Ängste – insbeson­dere auch wegen eines Siegs von Le Pen – ziemlich gegenstandslos. Und im Übrigen ist es nicht einzusehen, warum Linke plötzlich für den Vertreter des härtesten Neoliberalismus sein sollen. Wenn wir auf Wahlen aufmerksam sind, dann sind die wirklich wichtigen Abstimmungen in vier Wochen zu erwarten.

Das wichtige Fakt war auf der Ebene der Bevölkerung, der Wähler, der erste Wahl­gang. Willi Langthaler hat dies in seinem Beitrag deutlich genug gemacht. Der zweite Wahl­gang ist auf dieser Ebene insofern wichtig, als es sich zeigen wird, wie sehr die Unterschich­ten auf die Hysterie wegen Le Pen einsteigen. Ich halte einen Sieg von Macron für ausgemacht: Noch hält das System. In diesem Sinn wäre es aus linker Perspektive vor allem wichtig, dass dieser Sieg so knapp wie möglich ausfällt, bei möglichst tiefer Wahlbeteiligung.

Ob dieser fromme Wunsch in Erfüllung gehen wird, bin ich mir weniger sicher. Ich fürchte eher, dass die „republikanische“ Hysterie noch einmal greifen wird. Die Eliten werden noch einmal die Gelegenheit haben, sich über die massive Zustimmung zu ihrem Kandidaten zu freuen – so lange, bis es wirklich kracht.

Vor vielleicht einem Jahrzehnt sah ich den Film La Haine von Matthieu Kassovitz. Einer der Hauptfiguren erzählt den Witz, inzwischen ziemlich geläufig in der Politik: Ein Mann fällt aus dem 20. Stock. Er fällt vorbei am 10. Stock und sagt sich: „Bis jetzt ist es gut gegangen!“ und er fällt vorbei am 2. Stock und wieder sagt er sich: „Bis jetzt ist es gut gegangen!“ …

Die Reaktion der Eliten und ihrer Journalisten auf die Wahl des Alexander van der Bellen, und auf den ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahlen, und … und … entspricht exakt diesem Witz.

Nach diesem Prozess sind, wenn wir schon ständig auf Wahlen schauen wollen, die gleichzeitigen am Sonntag sowie ein Woche später in deutschen Bundesländern stattfindenden Landtagswahlen fast ebenso wichtig. Dort werden wir sehen, wie im wirklich zentralen Land des Imperiums die Bevölkerung wählt, auch, ob sie sich tatsächlich von diesem Hampelmann der SPD blenden lässt: Gegenwärtig hat er ja schon mächtig an Glanz verloren.

Albert F. Reiterer, 6. Mai 2017