DIE STATISTIK ÖSTERREICH UND DIE INTERNATIONALEN DER MANIPULATION: Wie steht es um die Ungleichheit in Österreich?

Vor einer Woche stellte Konrad Pesendorfer, früher Sekretär von Faymann – wer war das bloß wieder? – und heute fachstatistischer Generaldirektor der amtlichen Statistik, einen neuen Bericht vor: „Wie geht es Österreich?“ 30 Indikatoren der Lebensqualität sollen in internationaler Zusammenarbeit erhoben und berichtet werden.

Was nun diese „internationale Zusammenarbeit“ betrifft, so wird man schnell misstrauisch. Als vor einigen Jahrzehnten die Arbeitslosigkeit in den USA besonders stark stieg, hat dieses Land in der UNO und der OECD in einer Koalition mit schlecht entwickelten Ländern eine neue Definition von Beschäftigten / Erwerbstätigen sowie von Arbeitslosigkeit durchge­drückt, das Labor Force-Konzept. Als beschäftigt galt in Hinkunft jede Person, welche 1 Stunde (in Worten: eine Stunde) in der abgelaufenen Wochen arbeitete; als arbeitslos wurde nur anerkannt, wer „aktiv“ (?) auf Arbeitssuche war. Die Arbeitslosenzahlen sanken…

Vielleicht noch ein Geschichtchen. 1994, als der EG-Anschluss schon fix war, kamen Statis­tiker von EUROSTAT, dem Statistikamt von EG / EU nach Österreich, um den hiesigen Statistikern „die Wadeln füre zu richten“. Es ging um die Volkswirtschaftliche Gesamtrech­nung (VGR). Der damalige Leiter der Abteilung VGR war ein harter Konservativer, aber ein pingeliger Statistiker. Als er hörte, was da alles von ihm verlangt wurde, soll er laut Teilneh­mer an der Sitzung in die Höhe gegangen sein und gesagt haben: „Das könnt Ihr in Wanne-Eickel machen, aber nicht hier!“ (Die Statistiker waren, natürlich, Deutsche.) Aber selbstver­ständlich wurden die Anordnungen dieser Statistik-Feldwebel durchgeführt.

 

Man sieht sich den Bericht über die Einkommensentwicklung an. Er ist nicht gerade umfan­greich (Einkommen private Haushalte, S. 71 – 73;Verteilungsaspekte, S. 80 – 85). Und hier setzt nun die Verwunderung ein. Zuerst wird versucht, nicht nur Transfers (das wäre berech­tigt), sondern auch kollektive Leistungen („Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen“) den privaten Haushalten zuzurechnen. Das ist international ein Trend, um die wachsende Un­gleichheit klein und die finanziellen Verpflichtungen des Staats groß zu schreiben. Dass dies Leistungen sind, welche die Bevölkerung natürlich selbst bezahlt (durch die [Pflicht-] Bei­träge zur Sozialversicherung), wird nie dazu gesagt. Warum übrigens nur diese Leistungen, wenn man dieses Verfahren schon anwendet? Warum rechnet man nicht den Oberen Mittel­schichten und Oberschichten die Kultur-Subventionen zu, die, wie statistisch leicht nachzu­weisen, praktisch ausschließlich ihnen zugute kommen? Und da gäbe es noch Einiges!

Dann kommen einige wenige Verteilungsdaten als Graphiken (Graphik 25, 27, 28, 29). Ersichtlich ist, dass die Jahres-Bruttoeinkommen des obersten Quartils, der obersten 25 %, seit 1999 geringfügig gestiegen sind. Das unterste Quartil (die untersten 25 %) aber hat 20 % verloren. Das wird eilends gerechtfertigt: Die Teilzeitquoten sind gestiegen, und da sei dies „nicht in erster Linie wachsende Ungleichheit“ (81).

Dazu ist nun, neben dem schlechten Stil, eine ganze Menge zu bemerken.

Zum einen trifft dies nicht nur auf die Bruttoeinkommen zu („Der Staat nimmt uns Alles weg“). Die Grafik hier zeigt, dass dieselbe Tendenz auch für die Nettoeinkommen gilt. Ge­meint ist bei dieser seltsamen Behauptung, „nicht wachsende Ungleichheit“, natürlich, dass die Stundenlöhne nicht so stark auseinander gingen. Wir müssen hier noch die Grafiken 28 und 29 ansehen, um das Vorgehen kennzeichnen zu können. Dort ist S80 / S20, das Verhält­nis der Einkommen oben (oberste 20 %) und unten (unterste 20 %) dargestellt. Jedenfalls steht es so dort. Das hat sich in den letzten Jahren praktisch nicht geändert, die Ungleichheit ist nicht gewachsen. Wie geht es, wenn die unteren Löhne deutlich fallen und die obersten doch steigen?

(Graphik siehe beim Titel)

Quelle der Daten: Statistik Österreich, LSt-Statistik. Die Daten sind nicht preisbereinigt, nicht zuletzt, weil wir wissen, dass es keine einheitliche Inflationsrate gibt: Die Preise steigen für die Lebenshal­tungskosten der Unterschichten schneller als die oben. Preisbereinigt mit der allgemeinen Infflationsrate ist dagegen die im Text angeführte Zahl.

Schauen wir genauer hin! Dargestellt ist das „Äquivalenz-Einkommen“ der Haushalte. Aber das ist kein Einkommen. Da wird, in Abhängigkeit von der Haushaltsgröße, eine Konsum-Möglichkeit dargestellt, die ganz und gar fragwürdig ist. Argumentiert wird: Wenn zwei Leute zusammen wohnen, haben sie meist nur eine Wohnung und nur einen Kühlschrank, usw. Es wird also nur die erste Person voll (mit 1) gezählt, die zweite bekommt einen Wert 0,5, Kinder unter 15 nur 0,3.. Wenn also Person I 2.000 € verdient, Person II 1.000 €, dann ist das pro Kopf-Einkommen nicht etwa 1.500, wie man meinen könnte. Das „Äquivalenz-Ein­kommen“ ist dann vielmehr 3.000/1,5 = 2.000.

Dieser Kniff wird seit vielen Jahren durchgeführt. Damit wird also weggerechnet, dass der Niedriglohnsektor deutlich verliert. Denn wenn, wie z. B. bei Zuwanderung aus der Türkei, die Familie und damit der Haushalt größer ist, verzerrt dies den „Einkommens“-Wert nach oben. Überdies, für Ökonomen, wird der Verhaltensaspekt ignoriert: Wenn die Löhne sinken, ist es plausibel, dass z. B. junge Erwachsene ihren Auszug aus dem elterlichen Haushalt verschieben, weil sie ihn sich nicht leisten können. Damit zählen sie weiter zu diesem Haushalt und erhöhen rechnerisch das „Äquivalenz-Einkommen“. Oder paradox ausgedrückt: Das „Äquivalenz-Einkommen“ steigt, weil das reale Einkommen sinkt und die Menschen auf dieses Sinken reagieren.

Beim Verhältnis der großen Einkommen zu den niedrigeren wird dieser Kniff wiederholt. Hier kommt ein weiterer Aspekt dazu. Wir wissen aus den Daten von Piketty – deswegen hassen ihn die Neoliberalen ja auch so – , dass das eigentliche Problem nicht sosehr die obersten 20 % oder 25 % sind. Es ist das oberste Prozent, darüber hinaus sogar das oberste Promille, wo sich immer größere Anteile des Einkommens, und des Vermögens sowieso, konzentrieren. Stiglitz hat dieses Thema aufgenommen und öfter schon in Artikeln beschrie­ben: „Für das eine Prozent …“ (Of the 1 %, by the 1 %, for the 1 %). Die nächsten 9 % darunter gewinnen auch noch, aber schon deutlich schwächer, erst recht die nächsten 10 %. Und dann hört das Zugehören zu den Gewinnern langsam auf. Mit der Darstellung, wie sie hier geboten wird, geht dieses, das wirkliche Problem, vollkommen unter. Die eigentlichen Profiteure der Entwicklung bleiben im Schatten.

Die Statistiker sagen uns nun: Aber es ist uns fast unmöglich, Daten über das oberste Prozent, geschweige denn das oberste Promille in Stichproben-Erhebungen wie EU-SILC zu bekom­men. Das ist richtig. Denn die Tatsache, dass es in Österreich keine Vermögenssteuer gibt, macht es tatsächlich schwierig, halbwegs verlässliche Daten über Vermögen zu sammeln. Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Die Statistiker hätten durchaus die Möglichkeit, Einkommensdaten auf Personen zusammen zu führen. Sie wären sicher bei weitem nicht so verlässlich wie die Lohnsteuer-Daten. Aber man hätte immerhin einen Ansatzpunkt. Mit Daten aus der VGR könnte man dann auch seriöse Schätzungen versuchen – wenn man (d.h.: die Auftraggeber der Statistik) interessiert wäre.

Aber auch in der Statistik selbst sitzen Leute, welche wenig daran interessiert sind, ein gutes Bild über die Verteilung zu liefern. Das zeigt ein anderes Detail. Der „Gender-Gap“ ist seit Jahren ein Thema, und zu Recht. Aber er wird von den Eliten instrumentalisiert. Das ist ein Thema für sich, auf das wir sehr bald einmal zurückkommen müssen. Es zeigt nämlich, wo und wie die Eliten die Probleme sehen. Hier heißt es, nachdem man in wirklich unzulängli­cher Weise den Gender-Gap zerlegt hat, wobei vor allem die hohe Teilzeitquote der Frauen angesprochen wird und der gap damit von 21,7 Punkte auf 13,6 Punkte sinkt: Das sei „eine rein rechnerische Bereinigung… Real bleiben die Unterschiede und damit das Lohngefälle bestehen.“ Aha. Hier ist dies also bedeutsam; aber bei der allgemein steigenden Ungleichheit – wo „nicht wachsende Ungleichheit“, s. o., behauptet wird – nicht?

Kurz: Der Bericht liefert einige Daten und Zahlen, die nützlich sind. Aber im Großen und Ganzen ist er eine Übung in Rechtfertigung für die österreichische Politik. Es wird darauf verwiesen, dass die Ungleichheit (aber wieder bei den „Äquivalenz-Einkommen“!) in Öster­reich noch deutlich unter dem der EU-27 liegt, Gini-Österreich = 27,2 gegen Gini EU = 31. Das spiegelt tatsächlich noch einen gewissen Vorteil der österreichischen Bevölkerung gegen das Imperium im Allgemeinen wieder. Die österreichische Politik arbeitet seit Jahren hart daran, Österreich auch in dieser Hinsicht zu „normalisieren“. Diese Normalisierung ist ja das eigentliche Ziel der politischen Klasse und ihrer Auftraggeber in Österreich. Die nächsten paar Jahre wird es da schon einige Fortschritte geben. Ausgerechnet jene, die vermutlich am stärksten verlieren werden, ältere Frauen, haben in überdurchschnittlichem Ausmaß dem „Neofeschisten“ (© Falter) ihre Stimme gegeben und ermöglichen ihm damit, zusammen mit der FPÖ, diese Politik noch zu akzentuieren. Durchgeführt haben sie Leute wie Hundstorfer, Foglar, etc. bisher schon. Ja dann.