Einkommens-Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Ist die EU für mehr Gleichheit?

 

Während die allgemeine Politik nicht nur der EU auf eine Steigerung der Ungleichheit angelegt ist, gibt es einen Bereich, wo sich die EU und ihre Mitglieder in demonstrativer Wiese bemühen, eine gegebene Ungleichheit abzubauen. Das ist der sogenannte gender-gap. Das ist erstaunlich und macht misstrauisch.

Es ist ein Problem mit einer Reihe von Facetten. Auf der einen Seite ist es eine Politik, welche die Homogenisierung der Oberen Mittelschichten anstrebt. Aber ist es unser Problem, einer weiteren Kategorie zu parasitären Einkommen zu verhelfen, indem man Oberschicht-Frauen zu Aufsichtsrats-Posten verhilft? Das hilft in der Erklärung schon beträchtlich weiter. Hier soll ein Grund-Prinzip des neoliberalen Supra-Staats durchge­setzt werden: die Pseudo-Meritokratie. Diesem Prinzip zufolge soll „Leistung“ den Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen garantieren: Aber die Leistung ist selbst abhängig von der Schicht-Zugehörigkeit und besteht wesentlich aus Anpassungs-Leistung an diese Gesellschaft. Die so viel berufene „Qualifizierung der Höherqualifizierten“ als Legitimierung steigender Ungleichheit muss entzaubert werden: Sie ist wesentlich eine kulturelle Qualifizierung. Es ist die Einordnung in die hegemonialen Denk- und Verhaltensstrukturen. Sie soll sicher stellen, dass Mittelschicht und Funktions-Eliten dieselbe Sprache sprechen und dieselben Inhalte vertreten.

Das kapitalistische Prinzip soll nicht durch zugeschriebene Identitäten und Positionen gestört werden. „Geschlechter-Gleichheit“ soll garantieren, dass das Klassen-Prinzip selbst auf einen Spezialfall konsequent angewandt wird. Dem Anliegen umfassender Geschlechter-Gerechtig­keit dient dies wenig. Es gibt Linke, welche dieses Feld als „Neben-Widerspruch“ abqualifi­zieren. Das ist eine m. E. völlig verfehlte Beurteilung, die auch aus einer fehlerhaften Theorie, ja Anthropologie, heraus entspringt. Es gibt nicht nur Widersprüche zwischen den Klassen, sondern auch zwischen anderen sozialen Kategorien, neben dem Geschlecht vor allem die soziale Zugehörigkeit (Identität).

Die Einkommens-Ungleichheit zwischen den Geschlechtern selbst ist zu einem erheblichen Teil statistisch aus Arbeitszeit, Qualifikation und einigen Qualifizierungen erklärbar, welche bei der Rekrutierung der Arbeitskräfte eine Rolle spielen (Mayerhofer u.a 2015). Nehmen wir das Beispiel Öster­reich: Während der rohe Unterschied sich seit zwei Jahrzehnten kaum geändert hat, ist der zeitbereinigte Unterschied deutlich geschrumpft. Der Unterschied macht unbereinigt -38,4 % zu Ungunsten der Frauen aus. Nimmt man aber nur Vollzeit-Beschäftigte, schrumpft er be­reits um mehr als die Hälfte auf 17,3 % (2015). Gehen wir in die BRD. Dort gibt die amtliche Statistik einen Unterschied im Brutto-Stundenverdienst (also dadurch bereits zeitbereinigt) von -22 % (2014) an. Bereinigt um die genannten Faktoren macht der Unterschied jedoch nur mehr -6 % aus. Zu diesen Faktoren gehört auch die vermutete unbedingte Einsatzfähigkeit der Arbeitskraft in weniger regelhaften Zeiten, von der Überstunde bis zu Dienstreisen, usf. Gera­de dies ist ein Faktor, welcher in Zeiten der Deregulierung zunehmend Bedeutung erhält. Damit begeben wir uns bereits in eine Problematik, welche auch oft von jenen nicht gesehen wird, welche sich guten Willens hier einsetzen. Überhaupt ist das Anliegen komplex, und die Bemerkungen sind keinesfalls als abschließend zu sehen.

Mit einer gewissen Vorsicht können wir den „Rest“ als Geschlechter-Diskriminierung anseh­en. Aber damit hat es sich nicht. Denn auch hier müssen wir andere Überlegungen einbezieh­en, wenn wir zu einem Verständnis kommen wollen. Ein besonderes Problem ist bei den Unterschichten und den Unteren Mittelschichten die noch vielfach gegebene „Zuverdienst-Mentalität“ vieler Frauen. Sie führt zu geringeren Ansprüchen. Da aber die Zahl und der Anteil der Frauen insbesondere im wachsenden Dienstleistungs-Sektor steigen, hat dies Aus­wirkungen auf das Lohn-Niveau insgesamt. Wir können diesmal nicht den kapitalistischen Markt unmittelbar verantwortlich machen. Das ist gemeint mit dem Hinweis auf Widersprü­che außerhalb der Klassen-Verhältnisse.

Beispiel Arbeitszeit: Die Teilzeit-Quote ist bei Frauen besonders hoch. Dies ist aber teilweise auch auf Entscheidungen der Frauen bzw. der Familien zurück zu führen. Frauen erklären sich (noch) hauptzuständig für die Kinderbetreuung, auch für die Haushaltsführung. Das ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung, welche nicht notwendig mit Arbeitsmarkt-Diskriminierung zusammen hängt. Die Lohnunterschiede, der gender gap geht stärker auf alte soziale Werte und Entscheidungen in der Familie zurück als auf Markt-Gegebenheiten. Wir müssten hier eigentlich wieder von Mentalitäten, diesmal in der Gesellschaft allgemein, sprechen.

Aber hier müssen wir acht geben. Gary Becker (1957) schrieb seinerzeit eine „Ökonomie der Diskriminierung“. Darin glaubte er, theoretisch nachweisen zu können, dass der Markt selbst die Diskriminierung beseitigen werde. Die Ökonomen des dualen Arbeitsmarkt (Doeringer / Piore 1971) haben ihm geantwortet: Von einem Verschwinden der Diskriminierung merken wir empirisch nichts. Allerdings war dies vor 3 – 4 Jahrzehnten.

Schließlich geht ein Alles entscheidender Faktor völlig verloren, und das ist beabsichtigt: Die Kategorie Geschlecht ist selbst völlig in die Klassenstruktur eingebunden. „Die Frauen“ sind intern stärkst geschichtet. Ich beziehe mich auf Daten aus Österreich, die ich bearbeitet habe: Sowohl der Gini-Koeffizient als auch der Indikator P90/P10, also das Verhältnis der obersten zu den untersten Einkommen, ist für unselbständigen Einkommen der Frauen höher als für jene der Männer. Die Klassenschichtung ist also bei ihnen noch stärker ausgeprägt. Im Bereich Einkommensverteilung von „den Frauen“ zu sprechen, ist schlichtweg manipulativ und dient nur der Verschleierung der Klassenverhältnisse. Das ist an sich nicht neu. In der postmodernen Debatte und ihrem Jargon spielt der Terminus Intersektionalität eine bedeutende Rolle. Wir müssen dies in der wirklichen theoretischen Tragweite aufnehmen und ausbauen.

Becker, Gary S. (1957), The Economics of Discrimination. Chicago: Chicago University Press.

Doeringer, Peter P. / Piore, Michael J. (1971), Internal labor markets and manpower adjustment. New York-London: Sharpe.

Mayrhuber, Christine / Glocker, Christian / Horvath, Thomas / Rocha-Akis, Silvia (2015), Entwick­lung und Verteilung der Einkommen in Österreich. Wien: WIFO