Unerwartete Brexit-Nachwehen?

von Rainer Brunath

Theresa May kämpfte bei ihren aktuellen Brexit-Gesprächen mit dem EU-Verhandlungsführer Michel Barnier aus Brüssel um Haltung, denn der hatte ihr etwas vorgeschlagen, das für sie unannehmbar war: Nordirland in der EU zu belassen, es quasi von Britannien zu lösen. In der Konsequenz käme das einer Vereinigung mit der Republik Irland gleich, kommentierte Theresa May.

Zur Erinnerung: Noch vor wenigen Wochen hatte Theresa May für Nordirland den „Sonderstatus“ ausgehandelt, dass sich für dieses Gebiet in seinem Verhältnis zur EU nichts ändern sollte. Die harte Grenze zwischen Irland und Nordirland sollte vermieden werden.

Theresa May, die nur mit den nordirischen Unionisten regieren kann, reagierte verärgert: „Der Vorschlag Nordirland zolltechnisch der Republik Irland zuzuschlagen habe diabolischen Charakter, denn der bedrohe die Einheit des UK.“

Ihre mit gewisser Spannung erwartete Rede offenbarte die Ratlosigkeit aller Seiten. Sie hatte vorgeschlagen, aus der Zollunion der EU auszutreten, was sicherlich nicht schmerzlos abgewickelt werden könnte. Die Beziehungen zu den EU-Staaten sollten aber tief und freundschaftlich bleiben. Wie sie sich das vorstellte, blieb jedoch ihr Geheimnis, denn der EU-Verhandlungsführer bekannte nach dieser Rede: „Es bleibt im Nebel, welche Verhandlungsposition die Regierung in London einnimmt.“

Wie schon während des Brexit-Votums offenbart sich, dass die Eliten Britanniens in ihrer Haltung zur EU gespalten sind. Der Kompromiss solle zwar der Austritt aus der Zollunion sein, zu welchen Bedingungen aber – da ist man sich uneins, wobei man bisher den dicksten Brocken, den hochsensiblen und monströsen Finanzsektor (in London), noch gar nicht zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht hat. Darüber, so scheint es, soll auch gar nicht gesprochen werden, denn die Londoner Banken sollten auch dort bleiben – gemäß der Meinung der britischen und der Finanzeliten aus aller Welt. Die Geldgeschäfte mit der EU könnten auch nach dem Brexit in London abgewickelt werden.

Der Standort London hat für europäische, global agierende Großunternehmen einen enormen Vorteil: Man kann die Verbindungen zu Commonwealth-Ländern zur Vermeidung EU-weiter Besteuerung und Regulierung nutzen. Das steht jetzt auf dem Spiel und das scheint Theresa May als Trumpfkarte im Ärmel behalten zu wollen. Andererseits fühlen sich Manager deutscher Unternehmen benachteiligt, weil sich, nach dem Niedergang der Deutschen Bank, kein bedeutendes deutsches Finanzhaus mehr in London befindet. Käme es zu einer Bruchlandung bei den Brexit-Verhandlungen, könnte es geschehen, dass große Banken von London nach Frankfurt umziehen.

Das Königshaus scheint sich mit einer Kuscheloffensive einmischen zu wollen. Prinz Harry und seine Angetraute in Spe, Meghan Markle, öffentlichkeitswirksame Sympathieträger, sollen offensichtlich im Commonwealth für Britannien werben. Ihre Teilnahme an der bald stattfindenden Commonwealth-Konferenz in London wurde inoffiziell schon bestätigt – obwohl ihre Verheiratung erst nach der Tagung stattfinden soll.

Auch Oppositionsführer Jeremy Corbyn meldete sich zu Wort. Er forderte „eine“ Zollunion mit der EU, jedoch derart, in der die Bestimmungen des Lissabon-Vertrages unwirksam sind. Es gehe der Labour und der Linken in Britannien darum, nicht der Regulierungshoheit Brüsseler Institutionen über einen Binnenmarkt unterworfen zu sein. Zölle im Allgemeinen seien verhandelbar, meinte er und bekannte sich zur Zollfreiheit zwischen den EU-Ländern und Britannien im Besonderen. Ob er da nicht einem realitätsfernen Traum aufsitzt? Britannien kann nicht – schon alleine nicht mit Rücksicht auf das Commonwealth – wie die USA Exportdefizite durch Innenverschuldung, sprich Vermehrung des umlaufenden Geldes, ausgleichen. Wird im UK doch wieder der kleine Mann zur Kasse gebeten, damit das Land seine Schulden bei der EU, speziell bei Deutschland bezahlen kann? Oder bleibt es Britannien doch nicht erspart, Zollbestimmungen gegenüber der EU einzuführen, so wie es Mr. Trump mit Stahl und Aluminium gegenüber EU (meinen tut er Deutschland) angekündigt hat. Aber hätte Britannien die Kraft dazu? Zollfragen sind Machtfragen. Auch geopolitische und globale Machtfragen. Vor 100 Jahren konnte Britannien solcherart Position erfolgreich durchsetzen. Aber heute?

Seit den 1980 Jahren trat der „Neoliberalismus“ auf die Weltbühne – und dessen hauptsächliche Stoßkraft richtete sich gegen weltweite Kapitalverkehrskontrollen. Ironischerweise war es die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die den Abbau solcher Kontrollen diktiert hatte und löste damit eine massive Deindustrialisierung im eigenen Land aus. Verschuldungsfähigkeit wurde zu neuen Ikone. Kapital ging – und geht immer noch – seit jenen Jahren in die Billiglohnländer und hinterlässt eine Industriewüste. In den USA heißt sie Rustbelt.

Mr. Trump fällt nichts besseres ein als Zollbestimmungen; wird Theresa May ähnliches verkünden wollen? Seit sich die reichen Global Player daran gewöhnt haben, dass Textilien aus China, Indonesien oder von sonst wo in Fernost – wo es keine Sozialleistungen gibt – nur ein paar Cent kosten; seit sie es für normal halten, dass so gigantische Profite erzielt werden, und seit es Millionen und Abermillionen von Minderbemittelten und armen Menschen nur mit den bei Billigläden erhältlichen, aus Asienimport stammenden Waren, möglich ist, ein einigermaßen erträgliches Leben zu führen, dürfte es Mr. Trump oder Theresa May nicht mehr frei stehen sein, das Rad der Geschichte einfach nur zurückzudrehen. Theresa May muss mehr als nur einen Spagat hinlegen können und Jeremy Corbyn muss sich mehr einfallen lassen als nur freundlich die Freihandelsfanfare zu blasen. Von ihm übrigens erwartet die britische Arbeiterbewegung, die ihm zwar eine gewisse Renaissance verdankt, deutlichere Signale. Auf dem Feld Menschenrechte, Frieden und Umwelt hat er sich Vertrauen in breiten Massen erworben. Zuletzt hielt er eine viel beachtete Rede am 10.12.2017 in Genf zum Tag der Menschenrechte[1], aber nun steht für ihn ein weiteres Arbeitsfeld bereit: die soziale Frage, die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben, die Sicherung und der Ausbau sozialer Sicherungssysteme in Britannien. Seine Haltung gegenüber der EU sollte er klarer herausarbeiten, gegenüber einer EU die nicht zu einem demokratischen Gebilde reformiert werden kann. Er muss eindeutig und unbefangen Position beziehen zum Bestand Britanniens – der eigenen Nation – dessen Weiterbestand für die Britischen Arbeiter eine Kernfrage ist und die sie gerade vermittels des Brexit-Votums deutlich gemacht hatten. Gelingt ihm das, wird er Vorbild sein für Entwicklungen auf dem Kontinent.

Bild oben: Theresa May, Britische Premierministerin (offizielles Foto, open Government Licence (UK), Quelle Britisches Nationalarchiv)

[1] www.nachdenkseiten.de