Was kommt nach der EU?

VertreterInnen der Solidarwerkstatt berichten vom internationalen „No Euro-Forum“ in Chianciano Terme, Italien.

„Was kommt nach der EU?“ war die Losung des 3. internationalen „No-Euroforums “ in Chianciano Terme, Italien. Die Losung mag zunächst die Wirklichkeit des überschaubaren Einflusses der teilnehmenden AkteurInnen auf ihre jeweilige nationale Politik überspielen, die sich vertiefende Krise der EU ist dennoch eine Tatsache, über die emanzipative Kräfte offen international reflektieren müssen. Die Bilanz des Meetings in Italien ist jedenfalls positiv.

EU-Oligarchie gegen antifaschistische Verfassung Italiens

Costas Lapavitsas (eh. griechischer Parlamentarier Syrizas) benennt mit dem griechischen Desaster 2015 und dem Brexit 2016 tatsächlich die wesentlichen Ereignisse seit dem letzten Meeting im Juni 2015 in Athen. In Italien wird das angekündigte, verschobene, aber nach wie vor bevorstehende Verfassungsreferendum zum Rubicon, an dem sich die Republik gegen die EU-Oligarchie verteidigt. Es geht nicht nur um eine Transformation des Wahlrechts, sondern eine Deformation aller solidarökonomischen und demokratischen Prinzipien der antifaschistischen Verfassung Italiens.
Cirka 250 TeilnehmerInnen konnten am 3. No-Euroforum begrüßt werden. Die stärksten Delegationen kamen aus Italien, Griechenland und Frankreich. Doch auch die spanische Vertretung unterstrich mit Julio Angutia, Gründer der Izquierda Unida, die Bedeutung des Forums. Am dynamischten ist derzeit die Entwicklung in Italien. Aus dieser Perspektive ist es ein Erfolg, dass der Dialog über einen Euroexit bei dieser Konferenz auch mit Mitgliedern der Cinque Stelle Bewegung geführt werden konnte.

Euro-Regime als Ursache von Krieg und Nationalismus
Vasilj Volga, Gründer der linken Plattform Borotba, vertrat eine starke ukrainische Delegation beim No-Euroforum. Innerhalb des Forums gibt es einen breiten Konsens, dass eine der Ursachen der Macht rechtsnationalistischer Kräfte und der gewaltförmigen Eskalation in der Ukraine, in der Aggressivität des Euroregimes zu suchen und zu finden sei. Mehrmals wurde betont, dass der Frieden in der Ukraine und eine Wende in der Politik gegenüber Russland, nicht herauslösbarer Teil der Agenda des No Euro-Forums ist.

Nach dem Brexit der Irexit?
Besonders eindrucksvoll war auch der Beitrag Anthony Coughlans aus Irland. Coughlan führte aus, dass Irland möglicherweise, das nächste Land sein wird, dass die EU verlassen könnte, Irland hatte bereits den Vertrag von Nizza und dann den EU-Reformvertrag in Volkabstimmungen abgelehnt. Erst mit Text-änderungen zugunsten der irischen Souveränität ist es dem EU-Establishment gelungen, beide Verträge in trockene Tücher zu bekommen. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens würde nur noch ein Drittel des Außenhandels Irlands mit der EU stattfinden, so Anthony Coughlan in seiner Argumentation.
Österreich war mit acht TeilnehmerInnen stark vertreten. Explizit und implizit wurde in den vielen Beiträgen immer wieder deutlich, dass die wirkliche Auseinandersetzung um die Macht zwischen den emanzipativen Kräften und der neoliberalen Oligarchie auf nationaler Ebene stattfindet. Die mit drei Delegierten vertretene Solidarwerkstatt unterstrich in ihrem Beitrag die Bedeutung der EU-Opposition Österreichs gerade im Zusammenhang mit der Hegemonie Deutschlands. Die internationale Debatte um einen Ausstieg aus dem reaktionären Euro-Regime ist bei GewerkschafterInnen, NGOs und politischen AktivististInnen in Österreich noch nicht angekommen. Vielleicht gelingt es bis zum 4. Forum noch manche aufzuwecken.

Ein Wettlauf mit der Zeit.

No-Euro Forum in Italien sucht gemeinsame linke Exit-Strategie

Der Austragungsort des dritten europaweiten No-Euro-Forums, Chianciano Terme in der Toscana, kann selbst als Symbol der Dringlichkeit einer Exit-Strategie aus dem Korsett der Währungsunion herhalten: in den 80er Jahren ein blühender Thermenort mit hunderten Hotels, in denen Arbeitnehmer und Pensionisten Kuraufenthalte verbrachten, finanziert aus einer wachsenden Wirtschaft und den ihr abgerungenen sozialen Rechten. Die Infrastruktur wirkt heute, nach 30 Jahren ohne Erneuerung, bizarr (modern gesagt „retro“) und vor allem steht sie weitgehend leer nach eineinhalb Jahrzehnten des wirtschaftlichen Niedergangs mit Rückbau des Sozialstaats und einer wachsenden Schar an Arbeitslosen und Prekären ohne Zugang zu sozialer Absicherung. Die Kongresse, die Chianciano seither regelmäßig in seinen überdimensionierten und damit billigen Unterkünften beherbergt (im Juli tagte hier etwa die Sommeruniversität der Europäischen Linken), können den Ruin des Ortes nicht aufhalten. Die große Therme des Ortes wurde jüngst von einer der italienischen Krisenbanken an einen US-amerikanischen Investor verjubelt.

Das No-Euro Forum in Chianciano brachte linke Organisationen mehrerer EU-Staaten und der Ukraine zusammen, deren Konsens der Bruch mit der Währungsunion ist. Über diese gemeinsame Plattform hinaus wurde durchaus auch intensiv die Frage diskutiert, wieweit der Euro vom Projekt EU zu trennen sei. In einem Diskussionsforum zur wirtschaftlichen Krise brachte es der italienische Wirtschaftsprofessor Ernesto Screpanti von der Universität Siena auf den Punkt: eine Änderung der Währungspolitik, ein Euro-Exit mit Rückkehr zu den nationalen Währungen, alleine sei nicht ausreichend; es brauche eine aktive Konjunkturpolitik, staatliches Eingreifen in die Wirtschaft. Der nicht optimale Währungsraum des Euro sei nicht zu trennen vom marktradikalen Korsett der EU-Verträge und ihrer Institutionen.

Die Mehrheit der teilnehmenden Organisationen in Chianciano kam aus der südeuropäischen Peripherie. Der seit der Krise 2008 beschleunigte wirtschaftliche Niedergang, die soziale Krise und die Erfahrung einer von Brüssel und Deutschland oktroyierten Austeritätspolitik haben in diesen Ländern die Zustimmungsraten zur EU massiv absinken lassen. In Spanien etwa fiel die positive Meinung der Bürger zur EU von 85 % im Jahr 2007 auf heute nur mehr 51 %, wie der Ökonom Pedro Montes von der Initiative „Raus aus dem Euro“ (Salir del Euro) berichtete. Dementsprechend rasant auch der Aufstieg neuer oppositioneller Parteien aber auch, vor allem nach der Erfahrung in Griechenland, das Umdenken in etablierten Gruppierungen, die lange dem Euro-Thema ausgewichen waren.

Italien ist für diesen Umbruch in der politischen Landschaft angesichts einer kaum mehr tragfähigen wirtschaftlich-sozialen (Banken, Staatsschulden, Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit) und politischen Krise wohl das beste Beispiel. Als Partei der Unzufriedenen hat sich hier die Fünf-Sterne Bewegung (Movimento 5 Stelle, M5S) etabliert. Kaum jemand leugnet, dass sie heute der Schlüssel eines Umbruchs ist und daher auch, wenig verwunderlich, der Gott-Sei-bei-Uns der europäischen Eliten. Trotz ihrer verschieden Tendenzen und programmatischen Undefiniertheit repräsentiert sie den Zorns gegen das nationale und europäische Establishment, der hier auch sehr klare und linke Wortführer findet wie Marco Zanni, Europaparlamentarier der M5S, der in Chianciano aus seiner Erfahrung mit der europäischen Politik anschaulich die Unreformierbarkeit der EU aufzeigte und die nationale Souveränität als Raum für die Erneuerung der Demokratie und eine soziale Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik einforderte. Interessant waren in Chianciano die Anzeichen, dass sich mit dem „Verschrotter“ Renzi an der Regierung, der letzten Karte der Euro-italienischen Eliten, nun auch in der traditionellen italienischen Linken etwas bewegt. Nicht nur die PD-Dissidenten der „Italienischen Linken“ (Sinistra Italiana) um Stefano Fassina symbolisieren dies – sie waren mit Alfredo D‘Attorre in Chianciano vertreten. Auch in der neugegründeten Kommunistischen Partei Italiens (Partito Comunista Italiano) und anderen Neugründungen aus dem Milieu der früheren Rifondazione Comunista wächst die Klarheit, dass in Italien der Kampf gegen den Euro und für die Rückgewinnung demokratischer Souveränitätsrechte der Hebel für eine Systemopposition ist. Weiter Richtung Zentrum zielend versucht es eine Alternativa per l‘ Italia, die durch Marco Mori repräsentiert war. Die Kampagne für ein „Nein“ im Referendum über Renzis Verfassungsreform eint derzeit viele dieser Gruppen in einer inhaltlichen, wenn noch nicht allumfassend organisierten Front. Die italienischen Organisatoren des No-Euro-Forums in Chianciano, die Bewegung Programma 101, sind selbst ein Beispiel der Neugruppierung in der Krise: diese Paarung bekannter Persönlichkeiten aus dem akademischen Bereich mit einem Kern an erfahrenen Aktivisten der italienischen radikalen Linken erweist sich immer wieder als initiativer Motor und Bindeglied zwischen den lebendig geblieben Resten des alten linken Milieus und dem weiten unbearbeiteten Feld der Unzufriedenen, das sich in den 5 Stelle ausdrückt.

Die spanischen Delegationen am No-Euro-Forum waren ein Spiegelbild der Regierungskrise der iberischen Eliten, seit Podemos 2014 begann, die alte Zweiparteienlandschaft aufzuwühlen. Wenig verwunderlich ist auch in der Linken die Beziehung zu Podemos der Kernpunkt der Diskussion. Manolo Monereo, Abgeordneter des Wahlbündnisses von Podemos und Izquierda Unida (Unidos Podemos, UP) für Cordoba, stand in Chianciano für jene Linke, die Podemos als Hebel einer „neuen Transition“ gegen die neoliberale, bourbonische Republik der Nachfranco-Ära sieht. Dagegen stehen andere Teile der Anti-Euro Bewegung wie Diosdado Toledano, selbst führender Aktivist von Izquierda Unida in Katalonien, das Zusammengehen mit Podemos kritisch gegenüber: ihm scheint der Syriza-Weg vorgezeichnet, angesichts des äußerst gemäßigten Auftretens von Podemos seit den Wahlen im Dezember 2015, insbesondere auch was die Konfrontation mit dem europäischen Austeritätskurs betrifft: Podemos beschränkte sich auf die Forderung eines sozial abgefederten, wachstumsgebundenen Sanierungspfades. Alle waren sich jedoch – mit mehr oder weniger Optimismus – einig, dass die Möglichkeiten eines Bruches in Spanien noch offen sind und Podemos der Katalysator dafür ist. In einer theoretischen Debatte wurde von Manolo Monereo (UP, Spanien), Michèle Dessenne (PARDEM, Frankreich) und Carlo Formenti (Universität Lecce, Italien) auch die Frage von Populismus und Hegemonie debattiert; eine zentrale Frage angesichts der sozialen Vielfalt von gesellschaftlichen Sektoren, die von der Krise getroffen sind, des Endes der einst klaren politisch-kulturellen Trennlinien zwischen Arbeit und Kapital und auch der Mängel des Marxismus, eine brauchbare Transformationstheorie zu bieten.

Die Auseinandersetzung zwischen der griechischen Syriza-Regierung und den europäischen Institutionen im ersten Halbjahr 2015 war und ist eine treibende Kraft für den Aufbruch einer linken Tendenz gegen den Euro in vielen Ländern. In Griechenland selbst ist es jedoch trotz des eklatanten Verrats von Syriza nicht gelungen, dem neuen Austeritäts-Memorandum eine Bewegung mit ausreichender Breite entgegenzustellen, die die Syriza-ANEL Koalition in Bedrängnis bringen könnte. Der wichtigste Versuch, die Volkseinheit (Laiki Enotita, LAE) war in Chianciano mit Panagiotis Sotiris vertreten. Daneben nahmen Vertreter von Antarsya teil, die nicht in die LAE eingetreten waren, sowie die 2011 gegründete EPAM (Einheitliche Volksfront). Mit Costas Lapavitsas trat auch einer der wohl prominentesten Persönlichkeiten der linken Syriza-Dissidenten am Forum auf. Als ehemaliger Parlamentarier von Syriza und Gründungsmitglied der LAE war (und ist) er der sichtbarste Gegenpol zu ex-Finanzminister Varoufakis, der die politische Bereitschaft und wirtschaftliche Vorbereitung des Bruch mit dem Euro-System als Voraussetzung für erfolgreiche Opposition gegen die Brüsseler Memorandumspolitik aufzeigte. Heute versucht Lapavitsas mit dem Europäischen Forschungsnetzwerk für Wirtschafts- und Sozialpolitik (EReNSEP) ein gesamteuropäisches Dialogforum von Akademikern und Aktivisten aufzubauen, um eine inhaltliche und organisatorische Alternative zum Euro-System vorzubereiten, das einer Wiederholung der griechischen Tragödie vorbaut. Lapavitsas trat entschieden für den Bruch zuerst mit dem Euro und dann auch mit der EU auf. Doch gleichzeitig plädierte er für den Neuentwurf europäischer Kooperation souveräner Staaten als Gegenpol zu Nationalismus. Lapavitsas, der an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London lehrt, brachte auch eine Analyse des Brexit, den er als Hoffnung und Herausforderung darstellt: die Unterklassen beginnen sich politisch zu bewegen, ohne ausreichende Repräsentation in einer antagonistischen Linken gefunden zu haben; die unerwarteten Widersprüche in Labor mit Jeremy Corbyn sind laut Lapavitsas ein Ausdruck dieser politischen Dynamik mit noch offenem Ausgang.

Ein aktuelles Krisenmoment der europäischen Politik mit besonderer Dramatik in den Mittelmeerländern der EU ist die Migrationsfrage. Hier gab es in Chianciano eine durchaus nuancierte Debatte zwischen Panagiotis Sotiris (LAE), Albert Reiterer (Euroexit), Leonidas Chryssanthopoulos (EPAM) und Marco Mori (Alternativa per l’Italia), die sich zwischen dem klassischen Kampf um die Einheit der Unterdrückten im gemeinsamen Kampf um ihre Rechte einerseits und der Notwendigkeit einer Regulierung des Arbeitsmarktes auch und gerade für eine Bewegung/Regierung des Bruchs der Marktfreiheit andererseits bewegte. Die solidarische, antirassistische und antiimperialistische Position gegenüber den syrischen und anderen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten – in denen der Westen fast überall als eine Konfliktauslöser mit involviert ist – stand dabei für alle außer Frage.

Eine Auseinandersetzung, die bereits im Eröffnungsplenum anklang und sich in verschiedenen Foren wieder fand, war die Frage des positiven Bezugs auf die nationale Souveränität als Perspektive in der Desintegration der EU. Im Besonderen ob diese Perspektive als links konnotiert zu verstehen ist oder jenseits der traditionellen Teilung von links und rechts definiert werden muss. Die griechische EPAM und die französische PARDEM (Parti de la Demondialisation) vertraten letztere Meinung, während etwa für die LAE nationale Souveränität sich nur aus dem Konzept einer links konnotierten Volkssouveränität mit sozialistische Perspektive ergibt. Die italienische Linke Anti-Euro-Koordination interpretierte diese Frage in Analogie zu den antifaschistischen Volksfronten: innerhalb einer große gesellschaftlichen und politischen Breite, die eine einschließende Programmatik und Kultur erfordere, werde ein Kampf um politische Hegemonie ausgetragen, der durchaus eine linke und rechte Tendenz unterscheiden lässt. Letztlich ist auch die konkrete Benennung der vorhandenen Akteure nötig, die in der Theorie des Endes der „links-rechts Dichotomie“ oft zu kurz kommt: im Feld der Euro-Gegner bewegen sich nun einmal auch die Rechtspopulisten wie die Front National in Frankreich, die in den Augen der Bevölkerung vor allem in den Zentrumsländern die sichtbarste Anti-Brüssel Opposition gegen die nationalen Eliten repräsentieren. Auf dieser konkreten Ebene schien keiner der Organisationen in Chianciano ein Bündnis mit rechten Souveränisten möglich und auch nicht anstrebenswert.

Bemerkenswert im gegenwärtigen Panorama ist auch Deutschland, in Chianciano mit der Bundestagsabgeordneten Inge Höger (Die Linke), dem Ökonomen Paul Steinhardt (Makroskop) und dem langjährigen politischen Aktivisten Thomas Zmrzly (Eurexit) vertreten. Wie Paul Steinhardt darlegte, sind Deutschlands Eliten ideologisch tief anti-keynesianisch und werden die Idee der Austerität als Programm für Europa selbst dann nicht aufgeben, wenn sie damit den Euro zugrunde richten. Vielleicht ist es gerade diese Intransigenz der deutschen Eliten, die in den Griechenland-Verhandlungen der Öffentlichkeit als Lehrstück präsentiert wurde, die in Deutschland in verschiedenen Bereichen (ATTAC, Die Linke, verschiedene Wissenschaftler) eurokritische und Anti-Euro-Tendenzen entstehen lässt, die sich in neuen Bündnissen zusammenfinden.
Erwähnenswert war noch die Präsenz einer wichtigen ukrainischen Delegation mit Alexej Albu (Borotba), Vasilji Volga (Union der Linken Kräfte) und Gewerkschaftern aus Odessa. In einer Situation der neuerlichen Regierungsoffensive gegen die ukrainische Opposition, wie immer mir direkter Beteiligung der ukrainischen Neonazis als Stoßtruppen, zeigt Europa keineswegs das Bild eines Friedensprojekts (siehe dazu die Resolution auf www.ukraine-frieden.org). Im Gegenteil, der hegemoniale Teil des Establishments heizt auf Seite der USA eine Kalte-Kriegs-Polarisierung gegen Russland an, die Öl ins Feuer des ukrainischen Konflikts gießt.

Zusammenfassend gab Chianciano ein Bild des oppositionellen Aufbruchs innerhalb einzelner Länder als auch in der übernationalen europaweiten Koordination. Angesichts der ungelösten sozial-ökonomischen Krise, den immer deutlicheren Tendenzen der EU-Desintegration und der autoritärer Machtzentralisierung in Brüssel/Berlin, kommt dieser Aufbruch von links sehr spät – vor allem angesichts des rechten Vormarsches in vielen Ländern -, ist programmatisch noch im Fluss und organisatorisch dispers. Aber er ist vielfältig sichtbar und wächst. In der gegenwärtigen Phase geht es um einen politischen Minimalkonsens, der die verschiedenen Kräfte in einer offenen solidarischen Debatte zusammenbringt, sichtbar und handlungsfähig macht. Der Kampf gegen das Korsett des Euro hat sich auch in Chianciano bei aller Vielfalt der Strömungen und Länderspezifika als diese vereinheitlichende Plattform herausgeschält. Die noch in diesem Jahr unter ähnlicher Zielsetzung stattfindenden Konferenzen in Kopenhagen und Paris bestätigen, dass sich endlich etwas bewegt in der europäischen Linken.

Gernot Bodner, 25. September 2016

Die EU kann nicht reformiert, sondern muss aufgelöst werden!

Rede von Inge Höger am 16.92016 bei der Eröffnung des No-Euro-Forums in Chianciano Terme

Die Abstimmung in Großbritannien ist ein schwerer Schlag für die neoliberale und undemokratische EU. Und es ist ebenso ein schwerer Schlag für die britische Regierung und das britische Establishment. Das Ergebnis erschüttert die EU und gefährdet auch die Position der deutschen Regierung, über eine starke EU die deutsche Dominanz über ganz Europa zu festigen.

Junker sprach am 14. September in seiner Rede zur Lage der Union von einer „existenzieller Krise“ der EU.

Seine Lösungen sind: Weitere Zentralisierung durch ein eigenes Außenministerium; Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit durch ein EU-Militärhauptquartier als Keimzelle einer europäischen Armee; Stärkung der Flüchtlingsabwehr an den EU-Außengrenzen und als Bonbon eine Verdoppelung des EU-Investitionsfonds bis zum Jahr 2022 auf 630 Milliarden Euro.

Mit all diesen Maßnahmen wird der undemokratische und militaristische Kern der EU gestärkt. Noch mehr Zentralismus in der Außenpolitik und weitere Militarisierung nicht nur an den Außengrenzen der EU waren schon lange Wunschtraum der mächtigen EU-Mitglieder. Nach der massiven Intervention der EU in der Ukraine; der NATO-Aufrüstung gegenüber Russland, der Knebelung ganzer Länder wie beispielhaft in Griechenland vorgeführt, der erstmaligen Anrufung des EU-Bündnisfalls durch Frankreich für den Kriegseinsatz in Syrien und der Abschottung der EU gegenüber Flüchtlingen durch Frontex und einen schmutzigen Deal mit der Türkei wollen die Eliten in der EU die gemeinsame militaristische Außenpolitik ohne Großbritannien ausbauen.

An diesen Plänen wird erneut unübersehbar, die EU war und ist kein Friedensprojekt! Sie war von Anfang an ein Projekt eines gemeinsamen Binnenmarktes für das europäische Kapital in Konkurrenz zur USA und Japan und neuerdings auch den aufstrebenden BRICS-Staaten. Die EU ist Markt und Wettbewerb verpflichtet und somit Privatisierungen, Sozialabbau und Niedriglöhnen. Die EU schafft durch Freihandel und Krieg massenhaft Fluchtursachen und schottet die Grenzen gegen die Folgen ihrer Politik ab. Mit den EPAs gegenüber den Ländern Afrikas und Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA und TISA soll die Macht der großen Banken und Konzerne gefestigt, ihre Investitionen gegenüber Ansprüchen von Lohnabhängigen und Verbraucher*innen gesichert werden. Eine Sozialunion war nie gewollt und würde den freien Handel stören. Auch das zeigen diese Abkommen ziemlich deutlich.

Vor allem die Zeit der Wirtschaftskrise seit 2008 belegt, wie rücksichtlos Banken und Konzerne gerettet werden, da sie angeblich systemrelevant sind. Ja sie sind systemrelevant für den Kapitalismus. Dafür geht das Kapital über Leichen und den Ländern der EU-Peripherie werden Schulden aufgezwungen, die sie nicht zurück zahlen können. Der Erhalt von Arbeitsplätzen, preiswerten Wohnungen und öffentlicher Daseinsvorsorge zählt nicht. In den besonders betroffenen Ländern steigt aufgrund der Bankenrettungsprogramme Erwerbslosigkeit und Armut, Menschen verlieren ihre Wohnungen und die Gesundheitsversorgung wird kaputt gespart. Insbesondere das Beispiel der Unterwerfung Griechenlands zeigt den neoliberalen und undemokratischen Charakter der EU.

Und alle deutschen Regierungen haben in der EU immer die Interessen der deutschen Wirtschaft gnadenlos vertreten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wollten die großen europäischen Kapitalfraktionen an der Neuaufteilung der Weltmärkte teilhaben. Großbritannien und Frankreich wollten mit der Einbindung des wiedervereinigte Deutschlands in den Euro eine neue Großmachtpolitik Deutschlands verhindern. Aber auf der Basis der Übernahme der Betriebe in Ostdeutschland und der Erschließung neuer Märkte in Osteuropa und vor allem durch Senkung der Lohnstückkosten konnte die deutsche Industrie zum Exportweltmeister aufsteigen. Nochmal ausgebaut hat sie diesen Konkurrenzvorteil durch die Einführung eines großen Niedriglohnsektors durch die Agenda 2010 einer rot-grünen Bundesregierung, durch massiven Sozialabbau und Kürzungen bei den Sozialversicherungen.

Zusammen mit der Einheitswährung, dem Euro, entwickelte die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft einen massiven Druck auf schwächere Volkswirtschaften, auch in diesen Ländern durch Lohnsenkung und Sozialdumping, den Rückbau der sozialen Sicherungssysteme und einen massiven Steuersenkungswettbewerb zu einer inneren Abwertung zu kommen.

Der Euro war in diesem System kein Konstruktionsfehler sondern ganz im Sinne des neoliberalen EU-Systems zum Abbau von Handels- und Währungsschranken in einem großen einheitlichen Binnenmarkt. Markt und Wettbewerb sind gewollt der Antrieb und sollen durch nichts beschränkt werden.

Nun ist das Zentralprojekt des europäischen und da vor allem des deutschen Kapitals in eine tiefe Krise gekommen. Die Spaltungslinien verschärfen sich. Die Wahlsiege von reaktionären Parteien in Polen und anderen osteuropäischen Ländern, der Aufschwung von rechtsradikalen Parteien in fast allen europäischen Ländern, die Auseinandersetzungen um die Verteilung von Flüchtlingen und die Grenzschließungen gegen Flüchtlinge, das Referendum in den Niederlanden gegen das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine und nun die Abstimmung in Großbritannien für einen Austritt aus der EU führten zu der von Junker so genannten existenziellen Krise.

Aber der Brexit ist nicht das Ende der Geschichte der EU, wie die von Junker vorgeschlagenen Maßnahmen zeigen. Auch wenn gerade der deutschen Exportindustrie ein Absatzmarkt verloren gehen könnte, so geht ein Mitgliedsland, dass in vielen Dingen eigene Wege ging und nicht alle Vorgaben der EU mitmachte. Nun sind wieder im Gespräch ein EU der zwei Geschwindigkeiten, weitere Zentralisierung und Militarisierung. Das von einer Sozialunion oder einem Ausgleichmechanismus für schwächere Volkswirtschaften nach wie vor nicht die Rede ist zeigt, dass es innerhalb des Euro und der EU keinen Spielraum für soziale Veränderungen gibt.

Die Linke in Europa muss die Krise zum Anlass nehmen, die EU mit einer antikapitalistischen Perspektive zu überwinden. Vor allem für die Linke in Deutschland bedeutet dies, dass linke Politik nicht zum Anhängsel deutscher Großmachtpolitik werden darf. Der Hauptfeind steht immer im eigenen Land und muss dort bekämpft werden. Ein JA zu einem sozialen Europa und eine JA zum Internationalismus erfordern ein klares NEIN zum Euro und auch zur EU in ihrer gesamten neoliberalen Konzeption. Zu diesem Bruch gehört auch die Debatte über Währungssouveränität und dem Bruch mit dem Euro. Das haben die Erfahrungen in Griechenland klar gezeigt. Die Linke muss Austritte aus dem Euro und der EU unterstützen, wenn es von Bevölkerungen einzelner Länder gewünscht wird. Es geht darum, Alternativen zum autoritären neoliberalen Integrationsmodell der EU zu entwickeln.

Ein neuer Internationalismus ist nur möglich auf der Grundlage von souveränen Volkswirtschaften. Ein Austritt aus dem Euro und der EU gibt die Möglichkeit zum Bruch mit der Austeritätspolitik und einer antikapitalistischen Perspektive.

Hamburg 1.10.: Linke Strategien für den Euro-Exit

Diskussion über das Euro-Regime, die Krise der EU, Volkssouveränität und Internationalismus

  • Olaf Harms, Mitglied des DKP-Parteivorstandes
  • Steffen Stierle, Mitglied im Steuerungskreis der Initiative Eurexit; Attac
  • Wilhelm Langthaler, Autor von „Europa zerbricht am Euro“, Mitbegründer des österreichischen Euroexit

Veranstalter: Eurexit unterstützt von der DKP und Attac Alstertal-Walddörfer

Moderation: Roman Denter, aktiv bei Attac. Arbeitet zu den Themen Grundrechte, demokratische Kontrolle und Verteilungsgerechtigkeit.

Zeit: Sa, 1. Oktober 2016, 18h30

Ort: MTZ, Lindenallee 72, Hamburg

 

Die Euro-Krise ist trotz aller Rettungsprogramme weit davon entfernt gelöst zu sein. Im Gegenteil, die verordneten sozialen Verschlechterungen vertiefen die Wirtschaftskrise Südeuropas, während Deutschland sich als Exportweltmeister feiert – wohlgemerkt ohne, dass die Mehrheit viel davon hätte. Der politische Widerstand an der Peripherie vor allem in den unteren Schichten wird immer stärker. Griechenland konnte noch unterworfen und unter Kuratel der EU gestellt werden. Doch die Briten, vor allem die Arbeiterschaft und die Armen, haben für den Austritt aus der Union gestimmt. Für Italien sagen die Umfragen, dass die Mehrheit des Volkes für den Euro-Exit ist. Und auch in Deutschland steigt die Skepsis, wenn auch überwiegend von der Rechten kanalisiert. Doch statt Lafontaines Vorschlag nach einer geordneten Auflösung des Euro zu erwägen, hält Brüssel mit Merkel und Schäubles Unterstützung am Projekt der neoliberalen Zentralisierung fest. Wie kann die bereits begonnene Katastrophe links gewendet werden?

Freihandel tötet

Statt CETA, TTIP und EU – Volkssouveränität

Aufruf zum internationalen Aktionstag am 17. September 2016

Wien, 14h Karlsplatz

Freihandel und Globalisierung wurden uns über Jahrzehnte als Allheilmittel verkauft. Wirtschaftliche Schwierigkeiten müssten mit „Reformen“ begegnet werden. Gemeint ist damit der radikale Abbau aller Beschränkungen für das Kapital: Zerschlagung des Sozialstaates, Lohnsenkungen, Reduktion der Zölle, Deregulierung – der Schutz der Schwachen ist als „Protektionismus“ verpönt.

Es geht um die Durchsetzung der drei Freiheiten des Wirtschaftsliberalismus: freie Bewegung von Waren, Kapital und Arbeitskraft! Und diese sollen nach außen (Freihandelsabkommen) wie nach innen (Binnenmarkt) gelten.

Doch es lässt sich immer schwerer leugnen, dass der unbeschränkte Neoliberalismus die Welt in die schwerste soziale Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hat. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Zentrum und Peripherie wird immer größer und unüberwindlicher – Elend, soziokulturelle Konflikte und Kriege bereiten sich immer weiter aus. Eine der grundlegenden Ursachen dafür ist, dass die Schere zwischen produktiven Kapazitäten und Konsummöglichkeiten der Mehrheit immer weiter aufgeht. Die Krise ist im Kern ein Problem der ungerechten Verteilung!

Das hat nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine eminent politische Dimension. Wenn immer mehr Menschen den Wirtschaftsliberalismus als Ursache ihrer Verarmung und nicht mehr als Lösung derselben verstehen, und entsprechend protestieren und handeln, dann wird deren demokratische Entscheidung zu einem Problem und muss daher von oben „gelenkt“ werden. So etwa in Griechenland, das nach dem Modell der globalen Finanzinstitutionen wie IWF etc. geknebelt wird.

Das ist auch der Grundtenor der Freihandelsabkommen CETA, TTIP, TISA und EPA (mit Dritt-Welt-Staaten). Sie verbriefen das Recht des Stärkeren die Schwächeren ökonomisch zu verdrängen. Es ist die äußere Seite dessen, was die EU und das Euro-Regime nach innen hin durchsetzen.

Die supranationalen Brüsseler Institutionen vermögen die Interessen des Establishments viel besser gegen die Mehrheit durchzusetzen, weil sie der demokratischen Kontrolle entzogen sind. Während sie gegen staatliche Regulierung wettern und behaupten, diese sei in Zeiten der Globalisierung gar nicht mehr möglich, hat die Bankenrettung mit ihren Milliardengeschenken an Spekulanten im Besonderen und die sozialen Eliten im Allgemeinen bewiesen, dass der Staat durchaus eingreifen kann, wenn er nur will.

Es geht darum, den sozialen und demokratischen Interessen der Mehrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. In demokratischen Verfassungen geht das Recht vom Volk aus. Doch die immer extremer in den Händen ganz weniger konzentrierte wirtschaftliche Macht hat auch zur politischen Machtzusammenballung geführt, institutionalisiert im supranationalen Beamtenapparat der EU. Die Volkssouveränität kann nur mittels des Kampfes um die staatliche Verfügungsmacht und ihr Eingreifen in die Wirtschaft zugunsten der Mehrheit durchgesetzt werden. Dazu bedarf es einer regelrechten demokratischen Revolution gegen die Globalisierung.

 

Aufruf der Kampagne „TTIP stoppen“ für Wien, Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck

Viele Griechen am No-Euro-Forum in Italien

Griechenland ist das ärmste Opfer des Euro-Regime. Es befindet sich in einer Schuldknechtschaft, aus der es auch mit den Anstrengungen des Sisyphos nicht herauskommen kann. Der Unsinn der neoliberalen Rezepte seigt sich nirgendwo klarer als an der sozialen Katastrophe Griechenlands.

Aber was fast noch bitterer ist: Es ist die ehemalige große Hoffnung der europäischen Linken, Tsipras‘ Syriza, die dieses Massaker exekutiert, besser als es die alten Eliten jemals gekonnt hätten. Nicht umsonst ergeht sich die FAZ in Lobeshymnen.

Und das obwohl die Subalternen im Juli 2015 mit überwältigender Mehrheit Oxi (Nein) gesagt hatten. Doch die Linke getraute sich nicht mit der europäischen Oligarchie zu brechen und wählte die Unterordnung.

Es kann nicht verwundern, wenn sich die griechische Linke heute in einer tiefen Depression befindet. Vielleicht auch um sich Anstöße von außen zu holen, ist sie beim europaweiten Treffen der linken Euro-Gegner in Italien mit zahlreichen Strömungen vertreten.

Das ist die Volkseinheit (LAE), die Abspaltung des linken Flügels von Syriza, die für den Bruch gestimmt hat, den Einzug ins Parlament aber knapp verfehlte. Da ist in deren Nähe Costas Lapavitsas, der frühere oppositionelle Abgeordnete von Syriza, der heute für den linken Flügel von Plan B staht und in Thessaloniki ein sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut betreibt. Da sind Vertreter des linken Flügels der Volkseinheit, die aus verschiedenen Strömungen der außerparlamentarischen Bewegung stammen. Und dann ist da die EPAM, mit ihrer von der KKE stammenden Spitzenfigur Kazakis, die eine souveränistische Bewegung jenseits von links und rechts anstrebt:

  • Costas Isichos, Volkseinheit (LAE) und ehemaliger Minister in der Syriza-Regierung
  • Dimitris Kazakis, Volkswirt, Vorsitzender der Vereinten Volksfront EPAM
  • Costas Lapavitsas, Volkswirt, ehemaliger Parlamentarier für Syriza und Gründer des European Network Research Network on Social and Economic Policy
  • Stathis Katsoulas, Volkseinheit (LAE) und Initiative Kommunistische Linke
  • Panagiotis Sotiris, Volkseinheit (LAE) und Initiative Kommunistische Linke
  • Themis Symvoulopoulos, Beschäftigter von ERT (Staatlicher Rundfunk), EPAM
  • Leonidas Chrysanthopoulos, Botschafter i.R. und früherer Generalsekratär der Black Sea Economic Cooperation Organization, EPAM

Lexit-Adresse an No-Euro-Forum

Liebe Freundinnen und Freunde,

Wir wünschen alles Gute, viel Erfolg und Fortschritt für das No Euro International Forum in Chianciano Terme! Wir glauben, dass der Kampf für soziale Rechte und Demokratie es erfordern, gleichzeitig auch die neoliberale Art und Weise der europäischen Integration und das Regime der Gemeinsamen Währung anzugreifen. In diesem Sinn halten wir internationale Koordination für ein Schlüsselelement einer jeder ernsthaften politischen Strategie.

Mehrere Leute, die sich am Lexit-Netzwerk beteiligen, sind auch in der No-Euro-Koordination engagiert und werden auch in Chianciano Terme mit dabei sein. Wir würden als Lexit-Netzwerk gerne mehr Präsenz zeigen, um einen breiteren Austausch politischer Ansichten und Strategien zu ermöglichen. Als kleines Netzwerk mit begrenzen Kapazitäten ist uns das für den 16.-18. September unglücklicherweise nicht möglich. Wir haben mitbekommen, dass unser Aufruf Gegenstand von Debatten in der No-Euro-Koordination war und freuen uns auf einen fruchtbaren Austausch in der Zukunft.

Solidarische Grüße

Lexit- Netzwerk

Die EU hat volle Verantwortung für den Bürgerkrieg in der Ukraine

Interview mit Vasilj Volga, Vorsitzender der Union Linker Kräfte, früherer Parlamentarier und Leiter der staatlichen Finanzkommission

von Wilhelm Langthaler

 

Vasilj Volga wird am No Euro Forum in Chianciano Terme, Italien, teilnehmen, das vom 16.-18. September 2016 stattfindet.

 

Was denken Sie nachträglich über das Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der EU?

Das Abkommen läuft unseren nationalen Wirtschaftsinteressen diametral entgegen. Es wurde von den Kräften, die schließlich den Putsch organisierten, in populistischer Weise verkauft, zum Beispiel mit dem Versprechen der Visafreiheit. Wir müssen den Vertrag umgehend kündigen und unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland und seinem Integrationsraum wiederherstellen, wie es unserem nationalen Interesse entsprechen würde.

Der Volksaufstand im Osten entstand auch gegen dieses ungerechte Vertragswerk. Hätte sich die Rebellion durchgesetzt und wären unser nationales Interesse nicht verraten worden, gäbe es heute keinen Bürgerkrieg. Die Ukraine hätte ihr wirtschaftliches Potential dynamisch als Brücke zwischen Europa und Asien entwickeln können.

 

Was halten Sie von der gegenwärtigen Poroschenko-Regierung?

Diese ist wirklich kriminell und hat alle erdenklichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Um ihre Ziele zu erreichen hat Poroschenko und seine Gruppe die fundamentalen staatlichen Institutionen zerstört. Ich könnte zahllose Beispiele dafür bringen, wie sie Rechtsradikalismus unterstützen und fördern.

 

Kann das Minsker Friedensabkommenden Konflikt lösen?

Minsk ist nur eine Möglichkeit Frieden zu schaffen. Wir haben regelmäßigen Kontakt zu unseren Freunden im Donbass, der sich nicht unter der Kontrolle Kiews befindet. Es gibt noch eine Chance die Region zurück in die Ukraine zu bringen, wenn Autonomie und Föderalismus garantiert wird. Aber dafür müsste das Abkommen nach Punkt und Beistrich umgesetzt werden. Wir brauchen eine Amnestie und der Sonderstatus des Donbass muss in der Verfassung festgeschrieben werden. Ein internationales Monitoring muss eingerichtet werden. Alle Provokationen, die nach der Spaltung in Nationen, Sprachen oder Ethnien trachten, müssen unterbunden werden. Die Justiz muss wieder entsprechend der Verfassung funktionieren. Die Massenmedien und ihre Besitzer, die diesen Konflikt geschürt haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Nur Schritt für Schritt können wir einen gemein samen Staat wiederaufbauen.

 

Welche Rolle spielte die EU in diesem Konflikt?

Es war gerade die EU, die diese Tragödie über unser Land brachte. Sie schlossen mit Präsident Janukowitsch einen Friedensplan, für den sie garantieren wollten. Dieser sah seinen Rücktriff nach einem halben Jahr vor. Aber schon am nächsten Tag unterstützten Deutschland und Frankreich die ultraradikale Rechte und erkannten ihre Regierung an. Wenn das ausgehandelte Abkommen schlecht gewesen ist, warum haben sie es dann unterschrieben? Wenn es doch gut war, warum haben sie es nicht durchgeführt?

Wenn wir unser Land neu aufbauen und Frieden schaffen wollen, wie können wir Deutschland und Frankreich in ihrer Rolle als Vermittler trauen? In jedem Fall muss die EU die volle Verantwortung für den Konflikt tragen, ganz zu schweigen von den USA.

 

Können Sie Ihr Projekt der Union Linker Kräfte erklären?

Wir wollen eine Allianz der total zersplitterten und zerstreuten Linken sein. Das ukrainische Regime ist dabei auch die letzten Reste des Sozialstaats auszurotten. Alle Kräfte, die für soziale Gerechtigkeit eintreten, werden verfolgt und unterdrückt. Das ist der Sinn des sogenannten Entkommunalisierungsgesetzes mittels dessen auch die Kommunistische Partei verboten wurde. Weder Sozialisten noch Sozialdemokraten sind in der Lage sich zu organisieren. Die Union der Linken Kräfte möchte eine legale Plattform für die Linke bieten, die die verbliebenen sozialen Errungenschaften verteidigt. Zentrale Figuren der KP sowie der SP beteiligen sich, genauso wie die „Zivile Kontrollorganisation“ (Gromadsky Control, eine ehemalige NGO, die zu einer politischen Organisation wurde).

 

Und die Repression gegen Sie als Person?

Meine Möglichkeiten mich politisch auszudrücken sind sehr beschränkt. Als meine Pressekonferenz in Zaporozhe physisch attackiert wurde, haben viele TV-Sender mitgefilmt. Es gibt also genug Beweismaterial. Ich habe mich an den Innenminister, den Präsidenten, den Geheimdienst usw. gewendet, das eine Strafverfolgung eingeleitet wird. In einer privaten Nachricht ließ mich Minister Avakow wissen: Jeder Polizist, der in dieser Sache aktiv werden sollte, wird sofort seinen Posten verlieren. Trotzdem entschied ein Gericht Untersuchungen einzuleiten. Doch darüber lachte Avakow nur und tatsächlich passierte bis jetzt gar nichts. Jede unserer öffentlichen Aktivitäten wird von den Asov-Paramilitärs angegriffen und keine Behörde kann und will uns verteidigen.

 

Wie können Sie unter diesen Bedingungen an einer Beteiligung an den Wahlen denken?

Ich weiß es wirklich nicht. Die Leute sind terrorisiert. Gegen uns wird physische Gewalt angewandt. Meine Frau ist dem Psychoterror via Telefon und Email ausgeliefert. Angesichts dieser Probleme wissen wir nicht, ob wir die Verantwortung für eine Wahlkampagne tragen können.

Eine Linke nach dem Euro ist möglich

Von Stiglitz bis Lafontaine Prominente linke Ökonomen und Politiker rufen nach einem Plan B: Diskussionsabend am Samstag, 8. Oktober 18.30 Uhr, Café Rathaus, Landesgerichtsstraße 5, 1080 Wien.

Lange war es ein Tabu: Jenseits der EU gab es für die Linke nur Nationalismus. Über zwei Jahrzehnte war man also der sozialen Reform der EU verschrieben. Mit dem Euro wurde zwar der Sozialstaat endgültig geopfert und die soziale EU rückte in immer weitere Ferne. Die Linke blieb aber bei ihrer Utopie: man müsse einfach mehr Kräfte sammeln, dann werde es schon gelingen. Dann kam das dramatische Scheitern in Griechenland, des wohl kräftigsten Versuchs die EU von innen zu ändern: Für den Verbleib im Euro musste Syriza alle sozialen Reformversprechen aufgeben. Kurz flammte die Idee eines Plan B auf. Aber es dauerte nicht lange, da war man wieder beim alten Diskurs: Syriza sei gescheitert, weil die Solidarität zu schwach war, um in der EU einen anderen Weg durchzusetzen.

Doch die Situation beginnt sich zu ändern, langsam aber sichtbar. Die Ausweglosigkeit der strukturellen Ungleichgewichte, zu denen der Euro geführt hat, machen die Zukunft des gesamten Projekts EU völlig offen: Brexit, Europas Süden mit ungelösten Verschuldungs- und Bankenkrisen, bevorstehende Regierungskrisen in Spanien und Italien, eine immer stärkere anti-europäische Rechte mit Siegeschancen in Ländern wie Frankreich aber auch Österreich. Vor diesen Entwicklungen bleibt der Linken nichts übrig, also über einen Paradigmenwechsel nachzudenken – spät, aber doch.

So ruft Joseph Stiglitz, Nobelpreis-gekrönte Ikone des Neokeynsianismus, zur Rückabwicklung der Währungsunion auf. In Deutschland formiert sich ein EurExit-Netzwerk linker Ökonomen (wie Heiner Flassbeck) und Politiker (wie Oskar Lafontaine) für Alternativen zur „Fehlkonstruktion Euro”. Und auch in Österreich beginnt die Suche nach Auswegen aus der Sackgasse der Utopie einer sozialen EU, wie eine für November angekündigte Attac-Konferenz vermuten lässt.
Das Personenkomitee EuroExit arbeitet bereits seit über einem Jahr daran, die Diskussion über Alternativen zu fördern. Denn es ist klar: die Krise des Euro und der EU kann viele Optionen öffnen. Nicht nur die Rechte, auch die Eliten denken über Alternativen zum Euro nach. Die soziale und demokratische Option hat jedoch Chancen, aber nur wenn die Linke eine überzeugenden Plan B jenseits des Euro und der EU zu bieten hat.

Aus Anlass von Joseph Stiglitz Warnruf gegen den Euro, der Vorschläge aus einem gesamteuropäischen NoEuro Forum in Italien und auch in inhaltlicher Vorbereitung der Attac-Konferenz „Sackgasse EU. Wie kommen wir da raus?“ im November, lädt das Personenkomitee EuroExit zu einem Diskussionsabend ein, u.a. mit Thomas Zmrzly vom EurExit-Netzwerk aus Deutschland.

Wie die EU Krieg befördert – das ukrainische Beispiel

Zum Programm des Internationalen No-Euro-Forums

 

Die marktgläubigen sozioökonomischen Argumente für das Euro-Regime verliefen zunehmend ihre Glaubwürdigkeit. So zieht sich der Linksliberalismus auf seine letzte Verteidigungslinie zurück: die EU als Friedensprojekt. Man könnte ins Treffen führen, dass die Niederwalzung Afrikas und andere Gebiete der Peripherie durch den Freihandel und die dadurch heraufbeschworenen Konflikte, von der EU für ihren wirtschaftlichen Vorteil in Kauf genommen werden. Aber am Beispiel der Ukraine sieht man das Schüren des Konflikts sogar gegen die Interessen der europäischen Großkonzerne aus geopolitischen Intentionen:

 

Die EU hat auf Biegen und Brechen ein neoliberales Freihandelsabkommen mit der Ukraine in Kraft gesetzt, das das Land von seinem mit Abstand wichtigsten Handelspartner abschnitt, nämlich Russland. Im Zuge der internen Auseinandersetzung über diese Kapitulation gelang es dem ukrainisch-nationalistischen Block die Staatsmacht zu ergreifen. Doch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung des Südostens war nicht bereit unter einem rechten, antirussischen Regime zu leben und probte den Aufstand. Kiew reagierte mit militärischer Gewalt und schlug die Volksrevolte nieder (siehe das Massaker von Odessa am 2.5.2014). Einzig im Donbass, dem alten industriellen Herz der Sowjetunion, gelang es den Aufständischen dank russischer Hilfe sich zu halten.

 

Eine friedliche Lösung liegt auf der Hand und ist sogar im Kern im Minsker Abkommen enthalten: Autonomie für den Donbass. Was der Vertrag nicht vorsieht, ist die Wiederherstellung der demokratischen Rechte für Odessa, Charkow und den ganzen Südosten, der mehrheitlich gegen den ausschließenden ukrainischen Nationalismus steht. Doch Kiew hält sich nicht an das, was es im Gefolge einer vernichtenden militärischen Niederlage unterschieben hat. Die Fortsetzung des aggressiven Kriegskurses ist nur dank der westlichen Unterstützung möglich, die die rechte Regierung nach wie vor genießt.

 

So gießt die EU nicht nur Öl ins Feuer eines internen Konflikts, den sie selbst wesentlich mit ausgelöst hat, sondern verwendet die Ukraine als Instrument gegen Russland – sie wirkt also gegen den Frieden in Europa, der nur mit und nicht gegen Russland gesichert werden kann.

 

Die ukrainische Delegation bei No-Euro-Forum in Chianciano Terme:

 

Alexej Albu

Ehemaliger Abgeordneter zum Regionalparlament Odessa, Koordinator der Organisation Borotba (Kampf) für die Region Odessa, einer der Anführer des Anti-Maidan. Er wurde durch die Kampagne für ein Referendum über die Autonomie Odessas bekannt. Am 2. Mai 2014 befand es sich im Gewerkschaftshaus, das von Nazis abgebrannt wurde. Rund 50 Menschen verloren ihr Leben. Alexey Albu musste in den Donbass fliehen.

 

Vasilj Volga

Früheres Mitglied des nationalen Parlaments und Leiter der staatlichen Kommission für Finanzverwaltung. Er gründete vor kurzem die Union Linker Kräfte. Obwohl er von rechten Kräften bedroht, attackiert und geschlagen wurde, setzt er seinen Kampf für die Interessen der Unter- und Mittelschichten sowie gegen die Privatisierungen fort.

 

Sergey Platovski

Gehört der Odessaer Oppositionsgruppe „Gegen den Strom“ an, die durch die heftige Repression sehr stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist.