ÖSTERREICHISCHE NEUTRALITÄT ZWISCHEN HABSBURG-NOSTALGIE UND GROßMACHT-AMBITIONEN

KP Graz / Steiermark, Zum österreichischen Nationalfeiertag – 24. Oktober 2015

Das politische Projekt des eigenständigen Österreich und die Eliten

Vor 60 Jahren, am 26. Oktober 1955, proklamierte das österreichische Parlament die immer­währende Neutralität unseres Landes – „aus freien Stücken“. Letzteres traf nur teilweise zu, wie wir gleich hören werden. Die politische Klasse war damals keineswegs zur Gänze vom Sinn dieser Ausrichtung überzeugt. Österreich, oder vielmehr seine politische Führung, musste zu seinem Glück gezwungen werden.

Die Neutralität wurde in Österreich für historisch kurze Zeit die eigentliche Staatsraison, der Kern des politischen Projekts österreichische Nation. Nicht nur außerhalb hat man dies nicht wirklich begriffen. Auch in Österreich selbst gab es Probleme. Die Intellektuellen waren in ihrer großen Mehrzahl stets deutsch-national gewesen. Nun, in der Zweiten Republik, ver­stummten sie für kurze Zeit. Heute sind sie wieder umso lautstärker zu hören – und zwar wieder anti-österreichisch.

Allerdings hat sich das Klima geändert. Die deutschen Intellektuellen, seinerzeit in ihrer überwiegenden Mehrzahl auf Seiten der Herrschenden, ob diese schwarz-rot-gold oder braun waren, sind globalistisch geworden. Die österreichischen Intellektuellen waren seit je abhän­gig und wenig originell, äfften ihren deutschen Confrères nach. Der latente Deutschnationa­lismus verkleidete sich heute also. Er wurde auch globalistisch. Das Ganze erinnert sehr an eine Situation im Kärnten der Ersten Republik. „Deutschland durften wir nicht rufen, Öster­reich wollten wir nicht sagen; so wurde unser Kampf eben Kärnten“ – diese Feststellung von Hans Steinacher (1943) aus der Nazizeit braucht nur wenig geändert zu werden, um die intel­lektuelle Situation seit 1990 zu kennzeichnen. Heute heißt dieses Motto der hegemonialen und machtorientierten Intellektuellen: Österreich wollen wir nicht sagen, Deutschland dürfen wir nicht; so sagen wir eben Europa. Es gibt allerdings auch vereinzelt welche, die direkt für den Anschluss optieren, etwa Robert Menasse.

Ich möchte drei Situationen aus Wendepunkten unserer Geschichte ansprechen. Sie zeigen: Das nationale Projekt Österreich musste ersetzt werden, weil es ein Projekt der sozialen und politischen Bescheidung war. An seine Stelle sollte und musste das Großmacht-Projekt Europa treten. Das neue Imperium soll den Eliten ihre unbeschränkte Herrschaft garantieren. Den von ihnen abhängigen Intellektuellen kann es aber endlich wieder als Projektionsfläche für ihre platoni­schen Träume vom Philosophenkönig im Weltstaat dienen.

1918 / 1920

Vor einem halben Jahrhundert, noch zur Zeit der Großen Koalition, erschien in Wien das Buch eines Journalisten über die Erste Republik: „Der Staat, den keiner wollte“ (Andics 1962). Es ist die Variation eines anderen Buchtitels; der stammt allerdings kennzeichnender Weise – der Journalist kam aus großdeutschem Haus – aus der Nazizeit: „Der Staat wider Willen“ (Lorenz 1940). Die Titel sind zumindest eine Irreführung, wenn nicht eine Lüge. Vielleicht aber auch nicht: Denn die Eliten und ihre Intellektuellen sind es schließlich, welche den Staat konstituieren. Das war somit die Auffassung der Eliten von damals.

Es ist wahr: Im Gründungsakt vom 12. November 1918 beschlossen die Parteien einstimmig: „Deutschösterreich ist eine demokratische Republik… Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik“ (StGBl. 5). Und die Bevölkerung? Noch im August 1918 hatten nicht wenige Verblendete von einem Sieg der Mittelmächte gefaselt. Es erinnert an die Göt­terdämmerung im Führerbunker von 1945. Die Niederlage ungeschehen machen war sowohl 1918 als auch 1945 ein Anliegen der Eliten ebenso wie vieler Teile der Bevölkerung. Aber der Zugang war in beiden Situation ganz unterschiedlich. Es entstand jeweils ein völlig unterschiedliches politisches Projekt aus dieser Haltung.

Geschichtsschreibung ist die Aufarbeitung des Geschehens vonseiten der Herrschenden. Es gibt also wenig an Belegen über die Stimmung in der Bevölkerung. Aber vereinzelt haben wir doch etwas. Otto Bauer war damals bekanntlich Außenminister. Er schickte seinen Freund und Partei-Genossen L. M. Hartmann als Botschafter nach Berlin. Hartmann war ein glühender Deutschnationaler. In Berlin glaubte er, dies ausleben zu müssen. Er erzählte allen, die es hören wollten: Österreich werde eben eine Volksabstimmung abhalten und dann auf alle Fälle Teil von Großdeutschland sein. Das kam der Regierung in Wien in die Quere, die sich in Paris eben mühte, erträgliche Friedensbedingungen auszuhandeln. Otto Bauer schrieb also am 15. Juli 1919 einen unwirschen Brief an seinen Freund. Und da gibt es eine hoch interessante Stelle: „Auch auf die Form des Plebiszites möchte ich mich nicht festlegen. Die Christlichsozialen machen ständig gegen den Anschluss Stimmung, und auch innerhalb der Arbeiterschaft ist die Begeisterung für den Anschluss unleugbar schwächer geworden … “ (Reiterer 1993, 116). Er fürchtete also, die Volksabstimmung zu verlieren. Wenige Jahre später wird er erklären: „Die Masse der Arbeiter stand damals [Ende 1918] dem Anschluss­gedanken noch kühl gegenüber; sie hatte den deutschen Imperialismus während des Krieges allzu tief gehasst, als dass sie sich nun für den Anschluss an dasselbe Deutschland hätte begeistern können“ (Bauer 1923).

Worum ging es? Der Anschluss war für die Eliten eine Möglichkeit, den Großmacht-Traum weiter zu verfolgen. Es war die SD, welche dies schon damals zu ihrer verstümmelten Form des Internationalismus gemacht hatte. Sie konnte sich auf Friedrich Engels berufen. „Eine Nation, die 20.000 bis 30.000 Mann [an Truppen] höchstens stellt, hat nicht mitzusprechen“ (MEW 27, 268 – Brief an Marx). Der Großmacht-Nationalismus war von ihm in einer Brutalität vertreten worden, der schon wieder erstaunlich ist. Man hat Engels auch den ersten Revisionisten genannt. Gerade an dieser Stelle kommt dies besonders deutlich heraus.

Mit dieser Orientierung auf das im Ersten Weltkrieg spektakulär gescheiterte Projekt der übernationalen Großmacht verzichteten die habsburgischen und die deutschen Eliten aber auch auf ein gangbares Projekt Österreich. Wie hätte es anders sein können? In der „Öster­reichischen Revolution“ (Bauer 1923) hatte Bauer dies theoretisiert und ideologisiert: Für ihn war alles, was dunkel war, österreichisch. Sein Zukunftslicht sah er nur in Deutschland. Diese Haltung war der letzte Grund für das Scheitern der Ersten österreichischen Republik.

Intellektuelle und Politik: zwischen Hegel und Kant

Einige grundsätzliche Bemerkungen sind hier wohl angebracht. Als sich der Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft entwickelte, lief sozial eine parallele Entwicklung ab. Aus einem plebeischen Impuls wurden wurde die revolutionäre Bewegung zu einer ausgearbeiteten Strategie.

Es gab viele plebeische Aufstände in der Geschichte, von den Roten Augenbrauen im China der Chin über die mitteleuropäischen Bauernaufstände bis zur sardischen Macchia. Alle scheiterten. Oft genug mündeten sie nach kurzfristigen Erfolgen sogar in noch schlimmere restaurative Regime. Denn plebeische Bewegungen kennzeichnen sich durch das Fehlen eines Alternativ-Entwurfs.

Dazu bedurfte es, in einem bestimmten Sinn (Gramsci 1971 bzw. 1975), der Intellektuellen. Die proletarische Bewegung war stets ein politischer Verbund von Unterschichten, Arbeitern und anderen, mit Intellektuellen. Aber Intellektuelle kennzeichnet eine Ambivalenz. Sie sind eine privilegierte Gruppe. Und sie können der Versuchung der Macht nicht widerstehen. „Power corrupts.“ Die sozialistische Bewegung braucht Intellektuelle. Aber diese dürfen die Bewegung nicht kontrollieren. Das ist ein weites Feld, ein zu weites für hier.

Intellektuelle berufen sich stets auf Traditionen, denn sie müssen von irgendwoher lernen. Solche intellektuelle Kontinuitäten werden dann zu politischen Strategien.

Engels und mit ihm der Marxismus fand sein Leitbild in Hegel. Aber Hegel war der Staatsphilosoph, der Intellektuelle des aufsteigenden preußisch-deutschen Imperialismus. Er war der Ideologe der Herrschaft und der Großmacht.

Auch im deutschen Idealismus, dem der junge Marx entstammt, gibt es eine andere Tradition. Warum nützen wir heute, nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahrhunderte, nicht Kant und seinen „Ewigen Frieden“? Dort entwarf der späte Kant eine Struktur des internationalen Sys­tems, welches diametral gegen die Tendenzen der Gegenwart geht. Hier finden wir eine menschliche Dimension gegenüber dem „Weltgeist“ und dem entseelten Apparat des Welt­staats. Es ist ein Entwurf, welcher politische Alternativen noch zulässt – und deswegen gegenwärtig den Eliten zuwider läuft. Setzen wir dem globalen Machtstaat des G. W. F. Hegel ein lokales, nationales und regionales Feld der politischen Aktivität gegenüber! Ein solcher Paradigmenwechsel ist in der konsequenten Linken längst fällig.

1945

Nach der Götzendämmerung des Tausendjährigen Reichs war es das erste Anliegen des neu gegründeten Österreich und seiner Regierung, sich von der deutschen Katastrophe abzukop­peln (Reiterer 1988). Einige aus dem Anhang der neu-alten Parteien wollten dies nicht. Sie beteiligten sich auch nicht am neuen Aufbau. Es waren wenige prominente Sozialdemokraten, die in London den Krieg überstanden hatten. Der angeblich Linke Friedrich Adler war unter ihnen der bekannteste. Er wollte in dieses neue Österreich, das er so sehr verachtete, gar nicht zurück kehren. Karl Czernetz kam zurück und wurde politisch aktiv. Er wird national vorerst schweigen und mühsam umlernen. Später profilierte er sich auf einer anderen Schiene. Er nützte eine SArt Pseudo-Marxismus für seine Artikel vorwiegend in der „Zukunft“. So nannte man ihn den „Chefideologen“ der SPÖ. Unnachahmlich war wieder Karl Renner. Der alte Opportunist hatte sich 1938 den Nazis angedient (Renner 1991 [1938]), obwohl ihn niemand gefragt hatte. Nun war er wieder wer: Bundespräsident.

Die Suche nach einer neuen Identität und einem neuen Programm wurde nach 1945 – neben den Kommunisten – eher von den Konservativen gepflegt. Aus ihrer vorerst taktischen Bewegung wurde bald eine Strategie. Sie wäre allerdings um ein Haar gescheitert. Diesmal kamen die Widerstände von Außen. Die USA hatten die NATO gegründet und wollten die Welt säuber­lich eingeteilt wissen. Eine Neutralität passte nicht in dieses Konzept. So wurden die Verhandlungen um den Staatsvertrag, die im Grund bereits Ende 1948 in allen wesentlichen Punkten abgeschlossen waren, über sieben Jahre verschleppt.

Aber die USA hatten ihre Hilfskräfte auch in Österreich. Es waren wieder die Sozialdemo­kraten. Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten eingehen (Stourzh 1988). Faktum ist jeden­falls, dass sich insbesondere Bruno Kreisky, damals Staatssekretär im Außenministerium, zusammen mit Vizekanzler Schärf in der Delegation bei den Moskauer Verhandlungen, heftig gegen die Neutralitäts-Erklärung wandte. Noch bei den letzten Verhandlungen in Moskau 1955 drohte er laut Ludwig Steiner und Botschafter Bischoff mit seiner Abreise wenn die Neutralität beschlossen würde, wie Ludwig Steiner und der Botschafter Norbert Bischoff berichten. Die Konservativen, Raab zuvorderst, ließen ihn ins Leere laufen und setzten sich durch. Raab soll ihm auf seine Drohung gesagt haben: „Na, dann fahren S‘ halt, Herr Staats­sekretär!“

Die Neutralität wurde zum Banner des neuen Österreich. Sie war ursprünglich nur als völker­rechtliche Finesse gedacht. Doch die Österreicher fassten sie sehr schnell ganz anders und politisch integral auf. Sie wurde zur Weigerung, sich auf das Spiel der Großmächte einzulas­sen. Das Wohl der Bevölkerung sollte im Vordergrund stehen. Es war in Hinkunft keine Tugend, unbedingt das Fünfte Rad am Wagen irgend eines Bündnisses zu sein.

Aber ganz ging man der Versuchung der Großmannssucht nicht aus dem Weg, und das sollte später bedeutsam werden. Da waren die Altkonservativen. Sie pflegten den Habsburger-My­thos, der den „Völkerkerker“ von damals in ein fröhliches Miteinander in einem friedlichen übernationalem Staat umdeutete. Wir kennen die Masche von heute: die EU als „Friedens-Projekt“, da die Menschen ihre schädlichen sozio-ökonomischen Wirkungen nicht mehr übersehen wollen.

Das war aber auch nicht zuletzt ein Kennzeichen der Ära Kreisky. Derselbe Kreisky, der sich so erbittert gegen die Neutralität ausgesprochen hatte, wurde nun ironischer Weise zu ihrem Standarten-Träger. Allerdings garnierte er dies mit Versuchen, Konfliktvermittler zu spielen, wo die maßgeblichen Konfliktparteien meist kein Interesse an einer solchen Mediation hatten. Immerhin: Dies schärfte bis zu einem gewissen Grad das Bild dieses Kleinstaats. Zu Hause aber bot dies der Sozialdemokratie einen gewissen Ersatz für den Habsburger-Mythos, Speziell einige der extrem-konservativen Kreise (für sie steht u. a. der Name Coudenhove-Kalergi) hatten sich aber bereits umorientiert. Sie hatten sich, zusammen mit Otto Habsburg, Abgeordneter der CSU im Europäischen Parlament, schon auf die E(W)G festgelegt.

1990 / 1994 und danach

Gehen wir wieder eine Generation weiter!

1985 kam es zu einem innerparteilichen Putsch in der SPÖ. Die Träger der alten politischen Kreisky-Linie wurden entfernt. Außenpolitisch traf dies den damaligen Außenminister Erwin Lanc, der gewissermaßen das Kreisky-Erbe in der Außenpolitik verwaltete. Gesamtpolitisch war dies die Festlegung auf den neoliberalen Kurs, der anderswo mit den Namen Thatcher, Reagan und Delors verbunden war. In Österreich stehen dafür Vranitzky und Lacina.

Bei den Christlichsozialen aber fand die entschiedene Orientierung auf die EG statt. Sie wurde von allen Flügeln mitgetragen: Die Alt-Konservativen des Partei-Obmanns Mock wurden flankiert von den rechten Neokonservativen des Schlags Andreas Khol und den angeblich Liberalen des Heinrich Neisser. Eine Extratour versuchte eine Zeitlang Erhard Busek, der den Habsburg-Mythos „Mitteleuropa“ gerne mit der EWG gekoppelt hätte. Das hätte dann dazu dienen sollen, Österreich in diesem Gebiet wieder eine Führungsrolle zu verschaffen. Aber die Višehrad-Staaten waren gar nicht neugierig darauf. Der EG-Beitritt wurde für alle diese Tendenzen zum strategischen Ziel: Sie hatten insbesondere nach den Wahlen von 1986 begriffen: In Österreich selbst würden sie auf demokratischen Weg keine Chance haben, den neoliberalen Paradigmenwandel durchzusetzen. In diesem Ziel trafen sie sich bald mit der Mehrheit der Grünen, verkörpert durch Alexander van der Bellen.

Mit Franz Vranitzky hatten SPÖ+ÖVP die passende Figur gefunden. Gegenüber dem biede­ren und beschränkten Mock und seinen Nachfolgern war der ehemalige Androsch-Sekretär und nun Bankdirektor imstande, die SPÖ auf den neuen Weg festzulegen. Den Weg dazu ebnete ihm Fred Sinowatz, der sich gerade politisch gegen Waldheim massiv verkalkuliert hatte und übrigens bald wegen falscher Zeugenaussage strafrechtlich verurteilt werden sollte.

1990 war es dann soweit. Im ersten Golfkrieg kam die neue Außenpolitik zu Ehren, und die Neutralität wurde in einer Nacht und Nebel-Aktion weitgehend entsorgt. Schon vorher, am 17. Juli 1989, schickte man den „Brief nach Brüssel“ ab, das Gesuch um EG-Beitritt. In der Volksabstimmung von Mitte 1994 aber wurde insbesondere die Basis der SP, nicht zuletzt in den Betrieben, einer wahren Terror-Kampagne unterzogen. Man erreichte damit und mit einer Propaganda-Walze, die nur noch mit der Nazi-Volksabstimmung für den früheren Anschluss, den von 1938, verglichen werden kann, zwei Drittel der Stimmen. Wieder spielte der Bezug auf Großmacht-Illusionen eine Rolle. Die paar verbliebenen Kreiskyaner, die sich als Linke sahen, aber verließen die Partei: Egon Matzner etwa, der frühere Programm-Koordinator; oder Erwin Weissel mit seinem berührenden Anklage-Brief an die neue SPÖ-Führung.

Die Gegenwart

Die österreichische Neutralität ist tot, wie auch das Projekt Österreich, die österreichische Nation als eigenständige Politik, nicht mehr existiert. Wie könnte es auch anders sein? Das westeuropäische Imperium, der postnationale Staat der Eliten und in ihrem alleinigen Inter­esse verfolgt eine neue Politik des Supra-Imperialismus: Kautsky’s Idee (1914) des Ultra-Imperialismus, von Heinrich Cunow und seiner Gruppe zu einem bewussten proletarischen Imperialismus verschärft, ist dabei eine Synthese mit dem klassischen Imperialismus des 19. Jahrhun­derts eingegangen. Mit den USA steht dieser Supra-Imperialismus zwar in ökono­mischer Konkurrenz und Konflikt. Gleichzeitig ist er aber bestrebt, deren militärische und politische Kapazitäten in den globalen Antagonismus zu nützen. Folge ist, dass sich insbeson­dere die Brüsseler Bürokratie in oft peinlicher, vor allem in gefährlicher Weise, den Marsia­nern jenseits des Ozeans unterwirft – sosehr, dass sogar andere Fraktionen der EU-Bürokratie dies korrigieren wollen, Das Urteil des EuGH C 362/14 zum Daten-Transfer vom 6. Oktober 2015 ist die Dokumentation eines solchen Dissenses innerhalb der verschiedenen Fraktionen der EU-Bürokratie..

In Österreich heißt das Gesicht dieser Unterwerfung Sebastian Kurz. Manche meinen, dass man diesen Schnösel damit zu hoch einschätzt. Aber seine totale Unterwerfung unter die österreichische außenpolitische Bürokratie ist schließlich eine wesentliche politische Ent­scheidung. Denn die unterwirft sich in ihrer Unfähigkeit selbst wieder total allen Brüsseler und Berliner Regungen. Der junge Mann mit seiner inzwischen entwickelten Fähigkeit, dies nach außen hin zu verkaufen, zeigt besonders deutlich den Charakter solcher Politik: Österreichische Außenpolitik ist zur reinen PR-Aktion für Berlin und Brüssel geworden.

Ist also das österreichische Projekt nun schon Vergangenheit, wiederum von den Eliten verspielt, wie in der Ersten Republik? Leider ist diese pessimistische Sicht ziemlich realistisch. Aber noch ist dieser konservative Durchmarsch nicht ganz am Ziel. Gerade die Grazer KP und die steirische KP insgesamt zeigt, dass ein linkes Projekt auch in Österreich nicht völlig chancenlos ist. Wir werden allerdings noch viel zu tun haben, bis wir auf der gesamtösterreichischen Ebene damit durchdringen. Es ist Zeit, dass wir damit beginnen. Brechen wir auf: Zurück in die Zukunft!

Literatur.

Andics, Helmut (1962), Der Staat den keiner wollte. Freiburg: Herder.

Bauer, Otto (1923), Die österreichische Revolution. Wien: Volksbuchhandlung.

Gramsci, Antonio (1971), Quaderni del carcere. Introduzione di Luciano Gruppi. Roma: Riuniti (6 vol.). Bzw.: Gramsci, Antonio (1975), Quaderni del carcere. Edizione critica dell’Istituto Gramsci. A cura di V. Gerratana. Torino: Einaudi.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1995[1822/30]), Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Frankfurt / M.: Suhrkamp.

Hilger, Andreas / Schmeitzner, Mike / Vollnhals, Clemens (2006), Hg., Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945 – 1955. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht darin vor allem Steiniger)..

Kant, Immanuel. (1795 / Reprint 1987). Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Stuttgart: Engelhorn.

Kautsky, Karl (1914), Der Imperialismus. In: Die Neue Zeit 32.2, 908 – 922.

Lorenz, Reinhold (1940), Der Staat wider Willen. Österreich 1918 – 1938. Berlin: Juncker und Dünnhaupt.

Reiterer, Albert F. (1986), Vom Scheitern eines politischen Entwurfs. Der ‚österreichische Mensch‘ – ein konservatives Nationalprojekt der Zwischenkriegszeit. In: ÖGL 31, 19 – 36.

Reiterer, Albert F. (1987), Die konservative Chance. Österreichbewußtsein im bürgerlichen Lager nach 1945. In: Zeitgeschichte, 14. Jahr, 379 – 397.

Reiterer, Albert F. (1993), Österreichische Identität – deutsche Kultur – europäische Integration? In: Novotny, Helga / Taschwer, Klaus, Hg., Macht und Ohnmacht im neuen Europa. Zur Aktualität der Soziologie von Norbert Elias. Wien: Wiener Universitätsverlag, 107 – 122.

Renner, Karl (1991 [1938]), Die Gründung der Republik. Deutschösterreich, der Anschluss und die Sudetendeutschen. Dokumente eines Kampfs ums Recht. Mit einer Einführung von Eduard Rabovsky. Wien: Globus.

Steinacher, Hans (1943), Sieg in deutscher Nacht. Ein Buch vom Kärntner Freiheitskampf. Wien: Wiener Verlag.

Stourzh, Gerald (1975), Geschichte des Staatsvertrags 1945-1955. Österreichs Weg zur Neutralität. Graz: Styria.