WÄHRUNGSUNION UND DIE VERELENDUNG DER EUROPÄISCHEN PERIPHERIE

Nicht nur von Verteidigern dieses Systems und der EU im Besonderen, auch von Kritikern können wir hören: Die Finanzkrise ab 2008 habe sich insofern in Grenzen gehalten, als die ökonomische Kernschmelze wie 1929 / 30 durch rechtzeitiges Eingreifen der Zentralbanken und der nationalen Regierungen verhindert worden sei. Es muss in aller Klarheit gesagt werden: Dies gilt nur für das Zentrum. Dessen Banken wurden „gerettet“. In der EU geschah dies auf Kosten des Olivengürtels und Osteuropas. Man „löste“ das Problem, indem man den Süden zerstörte. Sehen wir doch hin! Die Rückgänge im Sozialprodukt, die soziale Katastrophe in Griechenland und anderswo hat durchaus die Größenordnung der seinerzeiti­gen Weltwirtschaftskrise erreicht bzw. übertroffen: Laut Rechnungen von Maddison ging das BIP Österreichs vom Jahr 1929 auf 1933 um -22,5 % zurück, jenes des Deutschen Reichs bis 1932 um -16 %. Dann begann dort wie übrigens in den meisten anderen Volkswirtschaften und Staaten, bereits wieder ein Wachstum, . (vgl. auch März 1990).

Wirklich schlimm betroffen, noch ärger als Österreich, waren die USA. Sie zahlten nun die Zeche dafür, dass sie keinen institutionalen Apparat aufgebaut hatten, der ihnen eine ziel­führende Wirtschaftspolitik überhaupt erlaubte. Ihr BIP sank, im Vergleich zu 1929, auf 71,5. Dagegen sind die Werte von Großbritannien (1932: 94,9) und Frankreich (85,3) schon fast harmlos. In Gro0ßbritannien war übrigens Churchill einer der Verantwortlichen für den Wahnsinn, nicht nur den Goldstandard nach dem Weltkrieg wieder aufzunehmen, sondern auch noch das Pfund mit einem viel zu hohen Kurs an das Gold zu binden.

Vergleichen wir dies mit dem Verlauf von seit 2007 in der EU-Peripherie. Das letzten Jahr vor der Finanz- und Euro-Krise soll uns Ausgangsbasis bis zur Gegenwart sein. Die Zahlen stammen von EUROSTAT (Verknüpfte Volumens-Indizes). Griechenland stürzte von 100 (2007) auf 74 (letzte verfügbare Daten für 2014), Italien auf 91, Spanien und Portugal auf 93,8 bzw. 93,2. Dagegen tauchte die BR Deutschland zwar im Jahr auf 95,4 ab, steht aber 2014 wieder auf 105,4. Bei Österreich lauten die Zahlen 97,7 und 103,9.

Der Euro als Automatisierung für die weitere und verschärfte Peripherisierung der bisherigen Peripherie durch die Währungsunion funktioniert. Der Euro ist ein Erfolg für die Kernländer. Sie kämpfen nicht ausschließlich aus politischen Gründen für seinen Weiterbestand. Die sind überragend wichtig. Aber Deutschland, Österreich, im unauffälligen Schlepptau das Nicht-€-Land Schweden, weniger gut die Niederlande, gewinnen offenbar auch ökonomisch. Aller­dings ist dies schon wieder so ein schlampiger Ausdruck. Es gewinnen nicht Deutschland und Österreich: Es gewinnen jene wichtigen Kapitalfraktionen, die im Export tätig sind.

Die anderen Kapitalfraktionen gehen allerdings auch nicht leer aus. Denn der Euro ist nicht nur ein Automatismus der Peripherisierung. Er ist auch ein Automatismus des Sozialabbaus. Lässt sich das im Euro-Regime verhindern? Die naiven Spätkeynesianer wollen ja bekanntlich mit einer Ausweitung der Verschuldung und einer Aufweichung der entsprechenden Maastricht-Kriterien einen Neustart.

Die politische Auseinandersetzung ab den 1980er Jahren, die neoliberale Wende im Westen, lief ideologisch nicht zuletzt als ein Kampf zwischen Keynesianismus und Monetarismus ab, oder wie sich Michael Mann (2001) ausdrückte: „Keynes pretends to rule within the nation-state, Adam Smith still rules without.“ Mit dieser passenden Wendung stellt sich die Frage: Kann es einen transnationalen oder supranationalen Keynesianismus überhaupt geben? Welche strategische Bedeutung diese Frage hat, ergibt sich schon aus einer spezifischen heutigen Situation: Die Oppositionellen des Systemimmanenten ziehen mit Keynesianismus als Alternative durch die Lande, ob im deutschsprachigen Raum oder auch in Südeuropa.

Eine keynesianische Wirtschaftspolitik ist in einem supranationalen Staat und auch in übergroßen Nationalstaaten jedenfalls auf Marktbasis unmöglich. Jede Investition würde es dorthin ziehen, wo ohnehin die Gewinne blühen. Der Keynesianismus ist vielleicht noch eine sozialpolitische Beruhigungs-Pille und ein Propaganda-Floskel. Er hat als politisches Programm einer systemimmanenten Wirtschaftspolitik in einer globalen Welt ausgedient.

Dazu kommt noch als mindestens ebenso wichtiger Punkt: Keynesianismus i. S. dessen, was (angeblich) „linke“ Sozialdemokraten und Grüne möchten, die Aufblähung der Staatsschuld, heißt den Teufel mit Belzebub austreiben. Denn er befördert durch die massive Vergrößerung der Kreditwirtschaft die Finanzialisierung. Auch die hat mehrere Ebenen. Die auf dem ersten Blick eher harmlos erscheinende Ebene der Inhaber von Staatsschuldscheinen ist mittel- und langfristig einer der Wege in die Katastrophe.

Den wichtigsten Punkt können woir hier aber nur kürzest andeuten. Wir werden ihn ein anderes Mal ausführen. Hier stehen sich zwei Prinzipien der Politik gegenüber. Nationale Politik bedeutete den umfassenden Vorsorgestaat. Mit ihm wollte man die Unter- und Mittelschichten integrieren, und das ist auch gelungen.

Dem steht die globale Politik des Kapitals als eigenständig Handelnden gegenüber. Aber das wäre ein Widerspruch in sich. Das Kapital kann nicht sein eigener handlungsfähiger Gesamt­kapitalist sein. Dazu sind die inneren Widersprüche zwischen den „feindlichen Brüdern“ zu groß. Es muss sich also seinen eigenen rudimentären Staat aufbauen. Das ist der Supra-nationale Staat, das regionale Imperium EU.

Albert F. Reiterer, 6. April 2016

Mann, Michael (2001), Globalizatio Is (Among Other Things) Transnational, International and American. In: Science and Society 65, 464 – 469.

März, Eduard (1990), , Die große Depression in Österreich, 1930 – 1933. In: Wirtschaft und Gesellschaft 16, 409 – 438-