Rainer Brunath, Hamburg
Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, wo Mitbestimmung über ein Referendum in der deutschen Verfassung erst gar nicht vorgesehen ist, sind in Großbritannien Referenden vorgesehen und sogar bindend für den Gesetzgeber.
Man erinnere sich: Nachdem das Ergebnis des Referendums in GB feststand – bekannt war, dass die Mehrheit der Stimmen für einen Austritt aus der EU war, begann das Hick-Hack der Brexit-Gegner, wie man die Wirkung der Abstimmung umdeuten könnte.
Das begann mit einem Gerichtsurteil darüber, dass das Parlament dazu auch noch ja zu sagen habe bis hin zu diversen Vorschlägen von Theresa May, die in der Quintessenz aus dem Brexit einen No-Brexit gemacht hätten – worauf die bundesdeutschen Mainstream-Medien publizierten, die Briten seien Chaoten, sie wissen nicht was sie wollten ecc. Man hatte absichtlich vergessen, dass die Mehrheit der Briten, wenn auch knapp, für den EU-Austritt gestimmt hatten. Das war eine klare Ansage.
Dann kam Boris Johnson. Er schickte das Parlament in eine Zwangspause und versprach den Brexit. Das löste panische Schreibarbeit der im Lohn der deutschen „Qualitätsmedien“ stehenden Journalisten aus. Das gipfelte sogar in der unsinnigen Forderung, Johnson müsse zurücktreten, als bekannt wurde, dass ein britisches Gericht die verlängerte Parlamentspause für ungültig erklärt hatte. Die „FAZ“ verstieg sich sogar zu der lächerlichen Aussage, das Gerichtsurteil schlage „in Westminster wie eine Bombe ein“.
Wie sähe es denn umgekehrt aus? Haben jemals ausländische Medien eine Forderung gegenüber Merkel erhoben, sie müsse zurücktreten, weil Gesetzesentwürfe ihrer Ministerrunde vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen wurden? Ja – solche hat es gegeben. Und haben jemals deutschsprachige Medien den Rücktritt der Kanzlerin oder der Regierung wegen eklatanter Grundgesetzverletzung gefordert?
Also, nach dem Motto, was ich tue, darfst du noch lange nicht träumten die deutschen Leitmedien vor sich hin. Aber nur kurz, dann begann man, auch in den Etagen der EU-Prominenz in Brüssel an Alternativen basteln. Scheinbar glaubt man dort, Johnson wisse selbst nicht was er wolle, befürchtet jedoch, dass Johnson bei Neuwahlen mit einem Sieg seiner Tories rechnen könnte. Deshalb meinen deutsche Politiker und Medien „zu Recht“, dass Neuwahlen in GB nicht zur Debatte stünden. Und deshalb muss der Brexit, wenn er nicht verhindert werden kann auf die lange Bank geschoben werden.
Selbst ein „weicher Brexit“– angeblich zum Wohle aller Beteiligten – wäre aus Sicht des deutschen Kapitals nur die mit weitem Abstand zweitbeste Lösung, denn eine mögliche Beispielwirkung auf Ost- und Südeuropa brächte ein erfolgreicher Austritt aus der EU die Nazikriegsziele deutscher Export- und Politikdominanz über Europa in Gefahr. So geht es den EU-Verhandlungsführern nicht um „hart“ oder „weich“, sondern allein um den Verbleib in der EU: „Drinbleiben– egal wie“, und Johnson weiß das.
Die Kommunistische Partei Britanniens weist die Diffamierung zurück, dass der Brexit ausschließlich rechtsgerichtet sei, da der Anteil linker Kräfte beträchtlich war und ist. Sie hat erklärt: „Die Verträge, Regelungen, Direktiven und Politiken der EU wurden dazu gemacht, die Interessen des Big Business und der kapitalistischen Märkte gegen jede Möglichkeit des Sozialismus in EU-Staaten zu schützen (…). Nicht die zeitweise Abwesenheit der Abgeordneten von Westminster, sondern die Weigerung, das Ergebnis des Brexit-Referendums umzusetzen, würde die größte Drohung gegen die demokratischen Rechte und Prinzipien in Britanniens Geschichte für viele Jahrzehnte bedeuten.“
Jeremy Corbyn forderte, wie berichtet, beim Labour-Parteitag Neuwahlen und eine Neuverhandlung mit der EU und danach ein Referendum darüber – jedoch ausdrücklich mit der Option, dass dieses Referendum bei mehrheitlichem „Nein“ ein neues Referendum über den Brexit als solchen nach sich ziehe.
Auch das ginge gegen Demokratie und linke Politik – würde den EU-Befürwortern in GB zuarbeiten. Stattdessen müsste Labour den linksmotivierten Anteil bei der britischen Brexit-Mehrheit stärken – mit Johnson aber in der Ausgestaltung mit eigenem Profil im Interesse der Brexitmehrheit in GB.