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Anti-EU-Forum Athen 26.-28. Juni 2015
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Weder Draghi, noch Troika, noch Euro.
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Souverän und sozial. statt EURO liberal
 

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Politische Plattform der Europäischen Koordination für den Austritt aus Euro, EU und Nato

Mehrere fortschrittliche Organisationen aus den Ländern der Europäischen Union nehmen folgende politische Plattform für den Austritt aus Euro, EU und Nato an.

Die Unterzeichnenden, Mitglieder der Europäischen Koordination, setzen sich zum Ziel, eine internationale Front auf europäischer Ebene zu bilden. Sie arbeiten dafür, auf möglichst breiter Basis alle fortschrittlichen und demokratischen Kräfte zu versammeln, die sich für die Verteidigung der Interessen der Unter- und Mittelklassen, für den Austritt aus der Nato, der EU und dem Euro, sowie für die nationale Souveränität der Völker, für die Demokratie und die Vollbeschäftigung einsetzen.

 

Politische Plattform

Überall wird die Austerität den Völkern aufgezwungen

In allen Ländern der EU und insbesondere in der Eurozone betreiben die EU und die Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten eine brutale antisoziale und antidemokratische Politik: massive Kürzung der öffentlichen Sozialausgaben; Lohndeflation durch restriktive Lohnpolitik; Abbau der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialsystemen; Subventionen an die Großunternehmen, die damit angeblich Arbeitsplätze schaffen sollen; Abbau der öffentlichen Leistungen und des Sozialsystems; Finanzialisierung der Wirtschaft und der öffentlichen Haushalte. Das Resultat sind ein enormer Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und der Prekarität, mit dem einzigen Ziel ein System fortzuschreiben, das die Profite der spekulierenden Oligarchien zum Nachteil der großen Mehrheit garantiert und gleichzeitig das Überleben der Menschheit gefährdet.

 

Die Gründe

Die Ursache dieser Situation ist in der neoliberalen Politik der EU zu suchen, die durch den Vertrag von Lissabon festgezurrt ist. Dieser wiederum ruht auf den neoliberalen Dogmen, die sich als gegen die Interessen der Unter- und Mittelklassen gerichtet erwiesen haben. In der Eurozone verschärfen sich die Ungleichgewichte zwischen den Ländern. Der Euro ist eine massive Waffe gegen die Beschäftigung und gegen die nationale Souveränität der Völker. Die Einheitswährung dient ausschließlich dazu, die Kapitalrenditen zu sichern. Er hat zudem zur Verschuldung der sogenannten peripheren Staaten geführt. Die dauerhaft erhöhten Arbeitslosenraten waren sogar willkommen.

 

Der Charakter der Europäischen Union

Die europäische „Konstruktion“ hat ein „Wesen“, das auf den Werten und Interessen der westlichen herrschenden Klassen beruht: Europäismus, Atlantizismus, Kapitalismus, Autoritarismus. Ein solches System kann sein Wesen nicht verändern. Es kann nicht von innen verbessert werden. Die EU ist ein raffiniertes System, das eine Zivilisation des Marktes zu schaffen versucht. Die EU ist ein monströses System der Herrschaft über und der Entfremdung der Völker, von dem man sich emanzipieren muss. Es muss daher geschliffen und mit etwas radikal Neuem ersetzt werden: Eine Kooperation des Völker Europas und jener beidseitig des Mittelmeers.

 

Auflösung der Souveränität der Völker

Die EU ist ein Meisterstrück der neoliberalen Weltordnung, mit seinen gigantischen multinationalen Konzernen und seinen supranationalen Institutionen (WTO, IMF, Weltbank, Nato, EU, OECD).

Dieses System hat ein Hauptcharakteristikum: mit Nachdruck für die Auflösung der Souveränität der Völker auf der Ebene der Nationen zu wirken. Das ist das beste Mittel die Herrschaft des Großkapitals durchzusetzen. Davon legen Verträge wie CETA und TTIP Zeugnis ab. Die Souveränität der Nationen zu zerstören ist für die herrschenden Klassen die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass es unmöglich wird die neoliberalen „Reformen“ zurückzuweisen.

 

Beseitigung der Nationen und der Demokratie

Volkssouveränität kann es ohne nationale Souveränität nicht geben. Historisch boten die Nationen den Rahmen in dem die Unter- und Mittelklassen für ihre politischen und sozialen Rechte kämpften – wo das Volk seine politische Souveränität ausübte. Die Nation zum Verschwinden zu bringen heißt also, die Demokratie zu beseitigen. Es bedeutet die Handlungsfähigkeit der Völker zu tilgen, über ihre Zukunft zu entscheiden.

Die Unterstützung der EU für das faschistisierende Regime in Kiew und die wilde antirussische Kampagne legen Zeugnis von der Unterordnung Brüssels unter die Nato und den amerikanischen Imperialismus ab.

 

Die große Mehrheit der politischen und gewerkschaftlichen „Linken“ sowie der Rechten hat sich für die neoliberale Globalisierung entschieden

Nach Jahren der Machtausübung in vielen Ländern der EU durch sozialistische, sozialdemokratische oder Arbeiterparteien, abwechselnd mit der Rechten, kann nun Bilanz gezogen werden: In Griechenland, Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien konnte man sehen, dass diese Parteien vollständig neoliberal sind. Sie versuchen nicht einmal mehr so zu tun als, würden sie die Unter- und Mittelklassen verteidigen wollen. Überall bereiten sie den Boden für Regierungen der Großen Koalition nach dem deutschen Modell (einer Regierung, die Linke und Rechte vereinigt, eine parlamentarische Diktatur), so wie sie von der EU bereits in Griechenland, Spanien, Portugal und Italien ins Werk gesetzt wurden.

Während sich die Spaltung zwischen herrschenden und unteren Klassen immer weiter vertieft, wird jener zwischen der Linken und der Rechten immer unschärfer.

 

Gegen chauvinistische oder faschistische Begriffe der Nation

In vielen Ländern unterscheidet die sich die politische und gewerkschaftliche „Linke“ kaum von der Rechten. Diese Parteien und Organisationen haben den politischen Kontext geschaffen, in dem sich der Aufstieg der extremen Rechten vollzog, die eine ethnokulturelle Definition der Nation vertritt. Alle Parteien, die das Konzept der Nation und der Souveränität aufgegeben haben, zerstörten damit die Bedingungen der Möglichkeit von Politik und Demokratie selbst. Sie bereiten der xenophoben und chauvinistischen extremen Rechten das Bett, die den Gewerkschaften und allen Organisationen, die kollektiv die Interessen der Unter- und Mittelschichten vertreten, feindlich gesinnt sind.

Weit davon entfernt gegen das System zu sein, wie sie selbst behauptet, wirkt die extreme Rechte als indirekter Agent des Systems und der herrschenden Klassen.

 

Nationale und Volkssouveränität sowie internationalistischer Blick

Im Gegensatz zu der ins neoliberale Lager übergegangenen Linken sowie der übelriechenden extremen Rechten, objektiv einem Handlanger der herrschenden Klassen, der sich einen Diskurs der früheren Linken aneignete, wollen wir ein Denken, ein Handeln, ein Programm zugunsten der Interessen der Unter- und Mittelklassen rekonstruieren – in jedem Land der EU, dessen Souveränität respektierend und mit einer internationalistischen Vision basierend auf einem Gleichgewicht des Austausches und der Kooperation.

Das Herz unserer Strategie besteht in der Forderung nach nationaler Souveränität für jedes Land, wo die Völker über die juristischen und institutionellen Mittel verfügen darüber zu befinden, was ihrem allgemeinen Wohlergeben dienlich und wie es zu verwirklichen ist.

Die Schlüsselelemente dieses Emanzipationsprojektes sind:

  • Austritt aus den supranationalen Institutionen, die die neoliberale Weltordnung aufrechterhalten: Nato, IMF, Weltbank, WTO, EU und Euro.
  • Schnelle und vollständige Aufhebung der Arbeitslosigkeit und der Prekarität.
  • Plan zur Reindustrialisierung und Nationalisierung der strategischen Sektoren der Industrie und der Dienstleitungen.
  • Abschaffung der Finanzmärkte auf der Ebene der Nationen.
  • Zurückweisung und Annullierung der staatlichen Schulden.
  • Nationale protektionistische Maßnahmen im universalistischen Rahmen der Charta von Havanna 1948.
  • Ökologische Umwandung der Produktionsweise.

Wir nennen das Deglobalisierung.

 

Der Brexit bricht eine Breche ins euroliberale System

Nach dem französischen und holländischen „Nein“ 2005, dem irischen „Nein“ 2008, sagten die Griechen im Juli 2015 „Nein“. Doch der Wille all dieser Völker wurde missachtet.

Am 23. Juli 2016 haben die Briten mit dem Sieg des Brexit klar ihren Willen ausgedrückt, aus der EU auszutreten. Dieser Sieg ist ein schwerer Schlag gegen das System der EU.

Die Niederlage der europäistischen Oligarchien beim italienischen Referendum vom 4. Dezember 2016 hatte die gleiche Bedeutung. In Verteidigung der republikanischen Verfassung haben 60% der Bürger Italiens, vor allem die Jungen und die Arbeiter, Nein zur Politik der neoliberalen Austerität, Nein zu einem präsidentiellen Regime und Nein zu jeder weiteren Aufgabe von Souveränität gesagt.

Für den Augenblick reicht der Einfluss jener Kräfte, die die Rücknahme der neoliberalen Politik bewirken könnten, noch nicht aus.

Trotzdem sind nun die Bedingungen für wichtige Veränderungen der Kräfteverhältnisse gegeben, die allerdings im Rahmen der EU nicht realisiert werden können.

Die beherrschten Klassen aller EU-Länder können diese sich neu eröffnende Situation nutzen, um den Kampf für die Wiederherstellung ihrer nationalen und Volkssouveränität zu stärken und die EU zu schleifen. Das ist die unabdingbare Voraussetzung um aus der Austerität herauszukommen und die Macht zurückzuerobern, um eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und der internationalen Kooperation für und durch das Volk zu führen.

 

Die unterzeichnenden Organisationen dieser Plattform erklären, dass sie in ihren jeweiligen Ländern Initiativen setzen werden, um die Bedingungen für eine internationale Front zu schaffen, um gemeinsam und koordiniert vorzugehen.

  • Parti de la démondialisation (Pardem) – Frankreich
  • Plataforma por la salida del euro – Spanien
  • Socialismo 21 – Spanien
  • Programma 101 – Movimento di Liberazione Popolare – Italien
  • Personenkomitee Euroexit gegen Sozialabbau – Österreich
  • Vereinigte Volksfront (Epam) – Griechenland

 

 

Zusatzerklärung von Epam (Griechenland)

„Der Nato-Austritt gehört aktuell nicht zu den Zielen der Epam. Trotz der Diskussionen über die Notwendigkeit der Auflösung der Nato, die bereits im Politbüro stattgefunden haben, wurden bisher keine explizite diesbezüglichen Forderungen in das Programm der Partei aufgenommen. Da der Austritt aus der EU und dem Euro gegenwärtig für die Rettung Griechenlands vorrangig ist, wird die Frage der Nato in einer späteren Phase behandelt werden.“

Attac Österreich: Innerhalb der EU ist keine progressive Politik mehr möglich

von Boris Lechthaler

Bericht von der bemerkenswerten ATTAC-Konferenz „Sackgasse EU – Wie kommen wir das raus?“ am 18./19.11.2016 in Wien.

An die 150 Menschen versammelten sich auf Einladung von Attac-Österreich im November in der VHS Margarethen, um über die aktuelle Entwicklung in der EU zu beraten. Die Ergebnisse dieser Konferenz sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil ATTAC selbst bis vor kurzer Zeit an den Vorstellungen einer demokratischen und solidarischen Umgestaltung der EU festgehalten hatte. Es war, wie Lisa Mittendrein, Vorstandsmitglied von ATTAC Österreich, ausführte, vor allem die Erfahrung der Strangulation der Syrizaregierung und der Umgang mit den flüchtenden Menschen 2015-16, die zu einem Umdenken führten. Lisa Mitendrein kam so zum Schluss, dass „…innerhalb der EU keine progressive Politik im breiten Sinn mehr möglich ist.“ Mittendrein hat auch keinen Zweifel, dass sich z. B. die FPÖ mit der EU arrangieren wird.

Aus einer Publikumsumfrage ging hervor, wie sehr das Vertrauen in die großen Versprechungen der Promotoren der EU-Integration in der Zwischenzeit geschmolzen ist. Auf einer Bewertungsskala von 0 bis 10 erhielt die Aussage „Die EU bringt Wohlstand für Alle“ nur eine Note von 0,5, „ein soziales Europa ist ein Ziel der EU“ bekam die Note 1. Auch die Aussagen „die EU ist ein Friedensprojekt“, „nur mit der EU können wir die Globalisierung in unserem Sinn gestalten“ und „die EU stellt die Überwindung des Nationalismus dar“ blieben mit Noten zwischen 3 und 4 deutlich unter dem Mittelwert. Es dürfte tatsächlich große Hoffnungen auf die Einleitung einer Wende durch die linke Syrizaregierung in Griechenland gegeben haben, die quasi durch einen Dominoeffekt die Krisenagenda in eine emanzipatorische Richtung verschieben könne.

„Mehr Europa“ = mehr Neoliberalismus

Joachim Becker verglich die aktuelle Desintegration in der EU mit der Situation Jugoslawiens 1988. Er skizzierte verschiedene Szenarien für die weitere Entwicklung, wobei er ein Weiterwursteln wie bisher oder, falls dies tatsächlich nicht mehr möglich ist, eine „Vertiefung im Kern“ als die realistischsten Varianten sah. Als Alternativstrategie benannte er die Herausforderung bestimmter Politikfelder auf europäischer Ebene mit dem Austritt aus Euro und EU als letzter Konsequenz. Angestrebt werden sollte eine friedliche, vertragliche Auflösung, wie die zwischen Tschechien und der Slowakei in den 1990er Jahren.

Ralph Guth, Alexandra Strickner und Valentin Schwarz lieferten in 9 Thesen eine Zusammenfassung der bisherigen Diskussion. Sie hielten fest, dass „mehr Europa“ unter den Bedingungen der EU mehr Neoliberalismus bedeutet und in diesem Sinn, die Forderung nach Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion als Drohung aufgefasst werden muss. Als mögliche Szenarien für die weitere Entwicklung wurden ein weiterer Zerfall durch unkontrollierten Regelbruch, eine völlige Lähmung oder eine autoritäre Vertiefung zur Herstellung von Handlungsfähigkeit skizziert, wobei keine dieser Szenarien begrüßt werden können. Auch bezüglich kurrenter alternativer Projekte wie z.B. dem DiEM25 Projekt Varoufakis‘, oder der Forderung nach einem Konvent, zeigten sich die ReferentInnen skeptisch. Es sind Forderungen nach Transparenz und Demokratie „im luftleeren Raum“.

Grieichische Tragödie nicht permanent wiederholen

Als Handlungskonsequenz wurde ähnlich wie bei J. Becker das Zusteuern auf Brüche in konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen formuliert. Dies entspricht auch der Strategie der Solidarwerkstatt. Es geht nicht darum die Forderung nach EU-Austritt wie eine Monstranz vor sich herzutragen oder sie zur Vorbedingung für Bündnisse in konkreten Kämpfen zu machen. Freilich, auf Brüche zuzusteuern, ohne darüber zu reden, was das in Konsequenz bedeutet oder bedeuten kann, ist auch ein Unding. Das hieße, sich selbst dazu zu verdammen, die griechische Tragödie permanent zu wiederholen. Die Konferenz war jedenfalls ein ermutigender Schritt zu einer aufgeklärteren Sicht auf die EU, auch wenn es bezüglich der Konsequenzen noch einiger Tabubrüche bedarf.

Quelle: www.solidarwerkstatt.at

Volksbegehren gegen TTIP, CETA, TISA: 23.-30.1.17

Das Volksbegehren, das im Kern von niederösterreichischen KommunalpolitikerInnen getragen wird, hat bereits im Vorfeld großes Aufsehen erregt, nachdem mit über 40.000 UnterstützerInnen die Hürde für die Einleitung eines Volksbegehrens weit übersprungen wurde. Mit dem Volksbegehren wird ein Bundesverfassungsgesetz gefordert, das österreichischen Organen untersagt, diese Freihandelsabkommen zu unterzeichnen, zu genehmigen oder abzuschließen. In der Begründung für das Volksbegehren wird die intransparente Verhandlungsführung und das Unterlaufen von sozialen und ökologischen Regulierungen argumentiert. (http://www.volksbegehren.jetzt/)

 

Demokratie statt Freihandel

Die Solidarwerkstatt ruft dazu auf, das Volksbegehren nach Kräften zu unterstützen. Die InitiatorInnen des Volksbegehrens haben sich mehrfach für die Forderung nach einer Volksabstimmung über TTIP, CETA, TISA & CO ausgesprochen. Wir wollen deshalb gemeinsam mit anderen Initiativen und Organisationen im Vorfeld eine Reihe von Veranstaltungen und Aktionen unter dem Motto „Demokratie statt Freihandel“ durchführen:

Podiumsdiskussion: „Freihandel und Demokratie, ein Widerspruch?“
Dienstag, 17. Jänner 2017, 19.00, Volkshochschule 2. Bezirk, Praterstern

Umzug: Demokratie statt Freihandel
Freitag, 20. Jänner 2017, 16.00, Taubenmarkt, Linz
Samstag, 21. Jänner 2017, 13.00, Christian-Broda-Platz, Wien, Mariahilferstraße

Im Aufruf für den Umzug heißt es:

Auch wenn CETA in vorläufige Anwendung geht und TTIP nun aufgrund der US Wahlen vielleicht ausgesetzt wird, der Drang der wirtschaftlichen Eliten zur Durchsetzung des neoliberalen Freihandelsdogmas wird nicht nachlassen. CETA kann noch verhindert werden, in dem es das österreichische Parlament nicht ratifiziert. Um hier den Druck auf die politischen Vertreter aufrecht zu halten, muss das Volksbegehren gegen CETA/TTIP/TISA & Co. erfolgreich sein und zumindest 100.000 Unterschriften erreichen. Machen wir es gemeinsam zum Erfolg!

Die Abkommen CETA und TTIP schaffen eine eigene Parallelgerichtsbarkeit für Konzerne und beschneiden die demokratische Entscheidung über soziale und ökologische Standards. Regulierungen gelten generell als Handelshemmnisse. Das Volk muss in letzter Konsequenz über die Verträge des neoliberalen Freihandelsregimes die Letztentscheidung haben. Die Verteidigung unserer demokratischen Rechte gegen die Interessen von Finanz- und Industriekonzernen ist unser aller Aufgabe – für unsere Zukunft!

 

Quelle: solidarwerkstatt.at

Nichts zu lachen

von Wilhelm Langthaler

Die Wahl Van der Bellens zum Bundespräsidenten ändert nichts am Niedergang des Regimes der Großen Koalition und am Aufstieg der FPÖ

 

Der Jubel der Medien über den Erfolg Van der Bellens ist lächerlich, ja geradezu grotesk. Als habe vor dem drohenden Armageddon doch nochmals das Licht über die Finsternis obsiegt. Das Geschrei sagt vielmehr etwas über die Medien selbst aus, nämlich, dass sie unkritische Stütze des bestehenden Regimes sind. Und es spiegelt sich die Kurzsichtigkeit, der Selbstbetrug und die Selbstgefälligkeit mehr noch der Zivilgesellschaft als der Spitzen der politischen Macht wider. Denn letztere spüren sehr wohl, dass sich da etwas gegen sie zusammenbraut. Jedenfalls will man den Unmut und die Wut, sie sich in den unteren Teilen der Bevölkerung aufstaut, vor allem auf das dumpfe Ressentiment der Proleten zurückführen („bildungsferne Schichten“). Die politischen Spitzen Kurz und Kern versuchen als letzte Rettung dieses Ressentiment zu bedienen. Dass es jedoch handfeste sozioökonomische Gründe für den Hegemonieverlust gibt, hält man im Hintergrund. Dazu brauche man nur mehr Marktreformen – die letztendlich den Abwärtstrend und die Ungleichverteilung nur beschleunigen werden.

Gehen wir zurück zum Ausgangspunkt: VdB war unterwürfig für das ancien régime eingesprungen, das im ersten Wahlgang schwer gedemütigt worden war. Die Grünen waren nie ganz im Zentrum der Macht angekommen, obwohl sie sich sehr bemüht hatten sich anzudienen. Statt ihre vermeintliche Sauberkeit zu nutzen und gewisse Distanz zur Großen Koalition zu halten, sprangen sie als deren Vertreter ein, wenn sie sich auch als gute Seite der Macht darzustellen versuchten.

Hinter dem moralisierenden Theaterdonner wollen wir lediglich auf drei realpolitische Festpunkte hinweisen, die VdB klar als Retter des Regimes festmachen: Erstens die Tabuisierung der EU, die ja ihrerseits der Organisator des Neoliberalismus ist. Zweitens die klare Befürwortung der Sanktionen gegen Russland, die die Spannungen im globalen System verstärken und die Kriegsgefahr erhöhen. Drittens der Wille zu autoritären Maßnahmen gegen den Aufstieg der FPÖ, auch wenn VdB das im zweiten Wahlgang nicht mehr nannte.

Bei Hofer ist es übrigens nicht viel anders: Im Vordergrund die Kultur- und Werteblase, die sich als Gegenbild zum Politisch-Korrekten der Grünen geriert: Gegen die Hautevolee stehe das einfache Volk, das gegen Islamisierung mittels Massenmigration und die Privilegien der politischen Eliten eintrete. Wie VdB ließ auch Hofer eine autoritäre Interpretation des Präsidentenamtes anklingen, ebenso im Dienste des Volkes. Ein politisches und sozioökonmomisches Programm im Interesse der Unteren lässt sich nicht finden, nur Sozialneid auf Flüchtlinge. Im Hintergrund gab es indes das klare Signal an die Eliten, die EU nicht anzutasten. Bereits die neoliberale Koalition im industriellen Kernland Oberösterreich und die Zäune-hoch-Zusammenarbeit im Grenzland Burgenland haben unter Beweis gestellt, dass sich die Eliten von der FPÖ nicht fürchten müssen. Zudem hat die Situation der Stichwahl zu einer weiteren Moderation geführt, um über die angestammte Klientel hinauszukommen und einen Teil der ÖVP anzusprechen.

Der liberale Oligarch Haselsteiner (Besitzer der Strabag) gab mit seinem Komitee gegen den Öxit der FPÖ ungewollt plebejische Schützenhilfe. Gemeinsam mit Conrad (ehemaliger Raiffeisen-General), Ederer (ehemalige Siemens Österreich-Chefin und SPÖ) sowie Fischler (ehemaliger VP-Landwirtschaftsminister und EU-Kommissar) ordnete er Hofer und der FPÖ eine Anti-Euro/EU-Position zu, die sie in Wahrheit gar nicht vertraten. Damit konnten sie zusätzliche Stimmen bekommen ohne den politischen Preis dafür zahlen zu müssen.

Der Wahlausgang zeigte dann doch einen erheblichen Vorsprung VdBs von 350.000 Stimmen oder 8 Prozentpunkten.

Als Muster für das Wahlverhalten kann man drei Polpaare hernehmen, wobei die Stichwahlsituation doch einen erheblichen Unterschied zu Nationalratswahl bildet: Stadt vs. Land, Wohlstand vs. Niedergang (nicht ganz kongruent mit reich vs. arm), Liberalismus vs. Konservativismus. (Hier die grafisch dargestellten Ergebnisse auf Ebene der Bundesländer, der politischen Bezirke und der Gemeinden.)

VdB konnte praktisch alle Städte sowie deren Speckgürtel für sich gewinnen, wobei die suburbanen Regionen meist Hochburgen der ÖVP sind. Bezeichnend ist da vor allem das Wiener Umland, das sich fest in der Hand von VP-Landeskaiser Pröll befindet – alles satte VdB-Bezirke. Durch den Wohlstand sind sie Verteidiger des Regimes. Politisch lehnen sie die proletarischen Kulturreste der SPÖ mehr ab, als den Liberalismus der Grünen. Die wenigen Städte, die Hofer wählen, sind alles SP-Stammterritorien. Zum Beispiel Villach, die rote Eisenbahner-Hochburg Kärntens (während die bürgerliche Landeshauptstadt Klagenfurt gemeinsam mit dem traditionell politisch-katholischen Bezirk Kärntens, Hermagor – das sich eher wie Tirol verhält, die zwei Bezirke des südlichen Bundeslandes waren, die für VdB stimmten). Oder die Schwerindustriestädte der Mur-Mürz-Furche in der Steiermark und sogar Eisenerz, die Bastion der KP. Währenddessen sind die Städte entlang der Westachse, die mit der deutschen Industrie verwoben sind, allesamt mit VdB.

Das wohlhabende Westösterreich, wo es wenig sozialdemokratische Tradition gibt und sich der Liberalismus erst in den letzten zwei Jahrzehnten als innere Differenzierung der ÖVP entwickelte, hat mit den Grünen kein Problem – zudem stammt VdB aus Tirol. Das aufgrund der Agrarstruktur historisch sozialdemokratische Burgenland weist mit 60% Hofer den höchsten Wähleranteil eines Bundeslandes auf, auch weil Hofer von dort stammt. Das sich entvölkernde und niedergehende Land der Randbezirke Niederösterreichs, der Steiermark und Kärntens ist wiederum festes Hofer-Territorium. Da kombiniert sich traditioneller Konservativismus mit sozialer Marginalisierung. Dort ziehen auch noch Argumente aus dem Kalten Krieg – Hofer bezeichnete VdB als Kommunisten. In Pröllistan, das genauso antikommunistisch war und ist, hat der machiavellistische Landesvater die ehemals kommunistischen Künstler und Intellektuellen lieber auf der Payroll – zu beiderlei Vorteil.

Wie erklärt sich nun der spezifische Unterschied zwischen dem zweiten (annullierten) und dem dritten Wahlgang, der von einem fast linearen Zuwachs für VdB geprägt war?

Das Regime hat nochmals alle Kräfte mobilisiert und war dabei erfolgreich. Die Wahlbeteiligung stieg sogar um 3 Prozentpunkte auf 75%. Im Unterschied zu den südeuropäischen Ländern verfügen die Eliten noch über die Mehrheit. Zudem repräsentiert auch Hofer keine harte Opposition, sondern bietet das lediglich als eine Variante an. Noch haben sie die Mehrheit, auch wenn sich diese parlamentarisch über die Große Koalition immer weniger abbilden lässt. Trotzdem geht die Abwendung der unteren Schichten zügig weiter. Der Wahlsieg VdBs ändert daran nichts, eher im Gegenteil.

Die SPÖ befindet sich auch unter Kern am Nasenring der Raiffeisen-Partei ÖVP. Der Bundeskanzler wollte mit der Anti-Ceta-Stimmung spielen, doch musste er schließlich klein beigeben. Jede Form von staatlichen Investitionen werden von der ÖVP mit Hinweis auf die von der EU vorgeschriebene Austerität unterbunden. Nicht einmal eine bundeseinheitliche Höhe der Mindestsicherung konnte durchgesetzt werden, was zu einem enormen Zug der Flüchtlinge nach Wien führt. Kern blinkte etwas links, repräsentiert aber keinen Linksschwenk. Er setzt auf den traditionellen Manager-Stil, auf Enttabuisierung der FPÖ um nicht zu sehr an die ÖVP gebunden zu sein, sowie auf Migrationsbeschränkung. Gemeinsam mit Kurz schlägt er auch den chauvinistischen Unterton gegen die Türkei an, den man sonst von der FPÖ kennt – wo es nur vordergründig um die Demokratie geht. Ob sie mit der Nachahmung Straches Stimmen machen können, bleibt zweifelhaft und abzuwarten.

Es ist wahrscheinlich, dass bei den nächsten Nationalratswahlen die FPÖ die stärkste Partei werden wird, so dass der Ausschluss der Freiheitlichen aus der Regierung kaum mehr möglich sein dürfte. Strache wird wohl versuchen Avancen gegenüber der SPÖ zu machen, um eine plebejische Koalition zu formieren.

Der SP-Flügel um die Gewerkschaften und den Staats- und Repressionsapparat könnte sich sogar damit anfreunden, doch der liberale städtische Mittelstand nicht. Dessen Mantra der letzten 25 Jahre war der Ausschluss der FPÖ und damit die sich daraus ergebende Unterordnung unter die ÖVP. Sie selbst und der Medienapparat bezeichnet das gerne als linken Flügel. Eine Spaltung der Partei würde drohen, zumal die SPÖ als Juniorpartner in ein gemeinsames Kabinett müsste. Die Variante bleibt also unwahrscheinlich. Doch allein der Versuch der plebejischen Einheitsfront von rechts würde der FPÖ weitere Unterstützung von unten bringen.

Wahrscheinlicher ist letztlich eine schwarz-blaue Raiffeisen-Regierung in Tradition Schüssels, so wie sie bereits in Oberösterreich am Werken ist, allerdings mit Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse. Zu erwarten sind die Fortsetzung des Neoliberalismus, kombiniert mit kulturchauvinistischer Symbolpolitik und autoritärer Umbau – alles in voller Kontinuität zum bestehenden Regime.

Eigentlich keine schlechte Konstellation, um den Rechtspopulismus zu entzaubern – würde man meinen. Die Haider-Partei musste damals nach nur wenigen Jahren Regierung ums Überleben bangen.

Doch das Problem ist die zu erwartende mistige Anti-Schwarz-Blau-Opposition, die einen auf Antifa macht und zu nichts Anderen dient, als das alte Regime zurückzuholen. Statt das Sozioökonomische in den Vordergrund zu rücken und sowohl politisch als auch symbolisch gegen die neoliberalen Institutionen zu richten, einschließlich der EU, sehen sie die Globalisierung als Schutz vor dem drohenden Nationalismus und Faschismus an.

Ohne eine echte soziale und demokratische Systemopposition, die den Bruch mit dem neoliberalen Regime in Österreich wie der EU sich zum Ziel setzt und sich die Volkssouveränität im Rahmen des Nationalstaates gegen die Globalisierung auf die Fahnen schreibt, kann der jämmerlichen österreichischen Dichotomie aus neoliberalem EU-Regime von SP/VP/Grünen und identitärem Rechtspopulismus der FPÖ nichts entgegengesetzt werden.

Chancen des italienischen Nein

von Wilhelm Langthaler

 

Es war abermals ein Klassenvotum. Die Unterschichten und die Arbeiterschaft sowieso, aber auch weite Teile des Mittelstands haben Renzi abgewählt. Aber anders als beim Brexit wollte gerade die Jugend den neoliberalen Bonaparte losbekommen, genauso wie die präkarisierten Gebildeten. Im armen Mezzogiorno gab es überhaupt eine Zweidrittelmehrheit, auf den Inseln Sizilien und Sardinien über 70% No.

Umso interessanter ist es zu verstehen, wer Renzi verteidigte: Soziologisch (demografisch?)besehen sind es die Pensionisten, die überwiegend Si sagten – so viel zum „Modernisierer“. Regional sind es die roten Hochburgen Toskana und Emilia Romagna, wo nicht nur die klientelistischen Netzwerke der Partito Democratico wirken, sondern wo auch die soziale Katastrophe durch die Reste des Sozialstaates noch gedämpft werden. Gegenfolie ist Venetien, Region der gefeierten, neoliberalen, entgewerkschafteten, hochspezialisierten Kleinindustrie, die von der Krise schwer angeschlagen ist. Dort stimmten 62% mit Nein. Die Zentren der Großindustrie Lombardei und Piemont votierten mit ca. 55% gegen Renzi, deren reiche Stadtbezirke oft sogar mit Si. Die mit Abstand meisten Befürworter hat Renzi in Südtirol, nicht nur wegen der hohen Einkommen, sondern auch weil Renzi im Gegenzug zur parlamentarischen Unterstützung der Abgeordneten der Region dessen autonomen Sonderstatus nicht anzutasten versprach.

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Entzauberung des Elitenpopulismus

Wenn in den hiesigen Medien im Zusammenhang mit Italien vom Populismus die Rede ist, meint man den Schuldigen benennen zu können. Doch das eigentliche populistische Projekt repräsentiert Renzi selbst, nämlich als letzter Retter des zerfallenden politischen Systems. Er trat mit einem modernistischen neoliberalen Narrativ an und sprach insbesondere die entpolitisierte Jugend an. Er feierte sich als Rottamatore, als Verschrotter des alten Systems, das von Korruption und klientelistischen Privilegien geprägt sei. Tatsächlich setzte er mit dem „Jobs act“ eine ultraliberale Arbeitsmarkt-Konterreform durch, die die Löhne weiter senkte und die Arbeitslosigkeit erhöhte – ganz nach den Rezepten der EU-Institutionen. Doch sein Meisterstück war die Verfassungsreform. In der Propaganda schoss er sich auf den Senat ein, der mit so bizarren Einrichtungen wie den Senatoren auf Lebenszeit verbunden wird. Er warb gegen Politikerprivilegien und für die Verbilligung des parlamentarischen Systems. Tatsächlich ging es jedoch darum einen De-facto-Präsidentialismus ohne institutionelles Gegengewicht zu etablieren (daher die Entmachtung des Senats, der zweiten Parlamentskammer). Das Ergebnis wäre schlimmer als in den USA gewesen, in Europa nur mit Frankreich vergleichbar. Alles war auf seine Person zugeschnitten. En passant sollten gleich die Unterordnung unter die neoliberalen Vorgaben der EU verankert und die sozialistischen Elemente der Verfassung getilgt werden.

Im Rausch des Erfolgs verknüpfte Renzi sein Krönungsstatut in verständlicher Logik mit seiner Person. Doch sehr schnell wandelte sich die fast notwendige Personalisierung in einen enormen Hebel gegen sein populistisch geschminktes neoliberales Diktat – hauptsächlich, weil sich die soziale Situation der der Bevölkerungsmehrheit immer weiter verschlechterte.

In der verzweifelten Endphase des Wahlkampfes sah sich Renzi gezwungen soziale Elemente seiner Gegner demagogisch einzubauen. So spielte er sich als standhafter Verteidiger Italiens gegen Merkel und Junker auf, um letztlich ein paar Promillepunkte höheres Budgetdefizit zugestanden zu bekommen. Er versuchte als Retter der nationalen Souveränität zu posieren und die Realität in abstruser Weise auf den Kopf zu stellen: dass nämlich ein NO die Rückkehr der alten Bürokraten (seiner eigenen Partei) und ihre Unterordnung unter Brüssel bedeuten würde. Doch das nahm ihm niemand mehr ab.

 

Verfassungspatriotismus: die Wiederentdeckung des Sozialen

Es ist bekannt, dass die Bewegung Fünf Sterne (M5S) die Kampagne für das Nein anführte, ja deren Motor war. Die Lega Nord schloss sich unverzüglich an. Die Linke außerhalb der PD (Partido Demokratico) blieb zögerlich, sah sich jedoch gezwungen schließlich auf den Zug aufzuspringen. Als der von Renzi gestürzte Chef des PD-Parteiapparats Bersani sich dann auch für das Nein aussprach, musste das als Zeichen gelesen werden, dass die Massenstimmung selbst in der herrschenden Oligarchie so spürbar geworden war, dass sie als Werkzeug der Machtintrigen benutzt werden konnte. Als dann selbst der ultraliberale Ex-Premier Monti von Gnaden der EU-Kommission das Ja verweigerte, war es um Renzi geschehen. Monti kritisierte vor allem das Referendum selbst. Quintessenz: notwendige Entscheidungen müssten allein von der Oligarchie getroffen werden und man dürfe sich nicht durch Plebiszite gefährden. Die einzige parlamentarische Kraft, die schwieg, war die Berlusconi-Gruppe. Denn Renzi war auch sein Kind. Hinter Renzi blieb nur die Großindustrie, die EU, Merkel und Obama. Zu guter Letzt erwies sogar noch Schäuble dem Möchtegern-Präsidenten seinen Bärendienst.

Doch um die Bedeutung des Neins zu verstehen, muss sich der Blick über das enge parlamentarische politische Spiel hinaus richten, in das eine große Mehrheit kein Vertrauen mehr hat. Sehen wir uns die Zivilgesellschaft im ursprünglichen Gramsci’schen Sinn an, nämlich als nicht direkt staatlich-repressiv organisierte Vermittlungsinstitution der Macht der sozialen Eliten:

Während der Medienapparat praktisch geschlossen für das Si schrieb und berichtete, entwickelte sich auf der anderen Seite eine richtiggehende politische Bewegung in Verteidigung der Verfassung, die erhebliche Breite und Selbständigkeit aufweist. Die Fünf Sterne sind zur Führung dieser Strömung weder fähig noch gewillt. Sie handeln praktisch immer unilateral und sind zu keinen Bündnissen bereit. Vor allem im Zentrum des Landes entstanden viele unabhängige Nein-Komitees, die sich auch aus der Kultur der Linken speisten. Ihr Handlungsspektrum reichte von Straßenaktionen, über Diskussionsveranstaltungen bis hin zu öffentlichen Stellungsnahmen von Rechtsanwälten, Juristen sowie Partisanenverbänden – also tief in bisher von der PD kontrolliertes Terrain hinein.

Neben dem Wahlrecht und dem Zweikammernsystem rückten in einer breiten Öffentlichkeit auch tiefgreifende historische Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Die aus der Periode unmittelbar nach dem Krieg stammende Verfassung weist der Arbeit die zentrale Stellung in der Gesellschaft zu. Arbeit ist ein jedem zustehendes Recht und Vollbeschäftigung ein explizites Ziel (§4). Das Soziale steht im Allgemeinen über dem Eigentum. Damit passt sie wie die Faust aufs Auge der neoliberalen Konterreform, die nicht nur Eigentumsrechte über formale Demokratie und soziale und kollektive Rechte stellt, sondern in Form der „Schuldenbremse“ die Austerität sogar verfassungsmäßig festschreiben will. Entsprechend finden sich in der Neufassung auch typische Kodewörter wie Kosteneffizienz oder Förderung der Konkurrenz. Oder in Merkels euphemistischer Diktion: es geht um die marktkonforme Demokratie. In der Referendumskampagne wurde somit totes Wort wieder zu Leben erweckt. Viele Menschen wurden sich bewusst, dass die italienische Verfassung im offenen Gegensatz zu den Regeln des Euro, der EU und dem globalen Freihandelsregime im Allgemeinen steht.

Die italienische Verfassung ist dazu noch stark von der antifaschistischen Partisanen-Tradition geprägt. Diese bezog sich auf die italienische Nation und richtete sie gegen die deutsche – im Ansatz auch gegen die amerikanische Besatzung, während sie die faschistische und reaktionär-chauvinistische Interpretation in den Hintergrund drängte. Daraus ergeben sich heute Anknüpfungspunkte gegen die Globalisierung und insbesondere das neoliberale suprastaatliche Gefüge der EU.

Zusammengedacht ergibt sich daraus ein linksdemokratischer und sozialer Souveränismus. Damit ist der Versuch Renzis, die protosozialistische italienische Verfassung mit dem Filz und der Kultur der Ersten Republik, im Ausland versinnbildlicht durch das unsäglichen Muppet-Show-Paar Craxi & Andreotti, zu assoziieren, nach hinten losgegangen.

Auch die Rechte hat sich ein Stück weit auf neolinkes Territorium begeben müssen. Sie konnte die klassischen linken Argumente gegen Autoritarismus und für soziale Gerechtigkeit nicht gänzlich in Xenophobie und Chauvinismus ertränken. Das ist wichtig, denn die hiesige Medienkampagne versucht das Nein-Lager und auch die Cinque Stelle gerne ins rechte Eck zu rücken und mit Front National oder FPÖ in einen Topf zu werfen.

Die verfassungspatriotische Bewegung oder ihr politisches Sediment könnte dabei helfen, dass „Piraten-artige“ Internet-Sektierertum der Fünf Sterne abzuschleifen und aufzuweichen – auch weil die Verteidiger der Verfassung mehr eine Strömung oder gar eine Stimmung sind, aber keine parteiförmige, bei Wahlen konkurrierende Formation darstellen. Die Grillini bleiben der Dreh- und Angelpunkt jeder substantiellen politischen Änderung weg vom neoliberalen Elitenregime, zumindest in der näheren Zukunft.

 

Das Wahlrecht und der Machterhalt der Oligarchie

Nach der schweren Niederlage Renzis und seines Rücktritts konzentriert sich die Auseinandersetzung auf das Wahlrecht. Denn früher oder später werden Wahlen stattfinden müssen und es steht so gut wie fest, dass die M5S die meisten Stimmen wird auf sich vereinigen können – aber gleichzeitig von der absoluten Mehrheit weit entfernt bleibt.

Seit den 1990er Jahren geht es darum, dass Wahlrecht zugunsten der Oligarchie zu gestalten und so deren wackelige Herrschaft autoritär zu panzern, ohne einen demokratischen Anspruch aufgeben zu müssen. Mit dem Mehrheitswahlrecht wurde 1993 das Ende der Ersten Republik eingeläutet (Mani pulite, Tangentopoli). Daran schlossen Berlusconi (Porcellum) und Renzi (Italicum) in ihrer jeweils spezifischen Art daran an, für sich selbst die Hauptrolle zu sichern. Das führte angesichts der sozialen Dauerkrise immer wieder zu Gegenschlägen der unterlegenen Kontrahenten innerhalb der Oligarchie, so auch jetzt wieder.

Derzeit gibt es zwei Lager: Einerseits der alte Parteiapparat der PD, Berlusconi, der Präsident Mattarella und scheinbar auch die Mehrheit der Oligarchie, die eine „technische“ Regierung bilden wollen und Wahlen möglichst hinauszuzögern versuchen. Leider vertritt auch Stefano Fassina, der ehemalige Vizefinanzminister unter Letta, der heute mutig eine Anti-Euro-Position einnimmt, mit seiner Sinistra Italiana diese Position. Er erhofft sich taktizistisch von einem parlamentarischen Kompromiss eine für ihn günstige Nische im Wahlrecht.

Die Renzi-Regierung selbst war ja bereits nicht aus Neuwahlen hervorgegangen, sondern setzte nach der Palastrevolte gegen die Regierung Letta mit dem bestehenden Parlament fort. Einen solchen Coup will man nun wiederholen. Eine verlängerte Übergangsregierung soll erstens ein genehmes Wahlrecht basteln und zweitens die unpopuläre Bankenrettung durchsetzen sowie die von der EU vorgeschriebene Austerität fortsetzen. Vorzugsweise soll daran auch Renzi beteiligt werden, der damit gänzlich verbraucht werden würde.

Aber so leicht wird es Renzi seinen Feinden in der eigenen Partei nicht machen. Er betreibt eine Art Vorwärtsverteidigung und hat sich der Forderung der Fünf Sterne und der Lega Nord nach baldigen Neuwahlen angeschlossen. Damit meint er, das retten zu können was zu retten ist. Wer will sich nicht in Geiselhaft seines PD-Apparats begeben müssen. Man darf Renzi noch nicht als tot erklären, denn er hat das Zeug für allerlei populistisches Verwirrspiel. Diese gegensätzliche Koalition der Neuwahlbetreiber ist das zweite Lager.

Nächstes Wort hat am 24. Januar der Verfassungsgerichtshof, der über das derzeit bestehende Wahlrecht Italicum entscheidet. In der Logik vergangener Urteile liegt, dass die Stichwahl fällt und die Mehrheitsprämie herabgesenkt werden wird. Andererseits sind die Höchstrichter natürlich auch Teil der Machtelite und werden versuchen möglichst Hürden gegen Grillos Partei zu erhalten.

Aber es gibt noch eine Möglichkeit. Um einem für die Grillini günstigen Urteil der Verfassungsrichter zuvorzukommen, könnte ein „Technokraten“-Kabinett im Eiltempo ein Anti-Cinque-Stelle-Wahlrecht verabschieden. Für den Fall eines solchen Coups hat Grillo mit Massenmobilisierung gedroht.

Ohne auf die Details der Wahlrechtsdebatte einzugehen, geht es um folgende Elemente: Mehrheits- versus Verhältniswahlrecht. Die Höhe der Prämie für den Erstplatzierten. Das Verhältnis von Parteien zu Parteienverbindungen. Die Einteilung der Wahlkreise. Die Beziehung der zwei Kammern, des Abgeordnetenhauses und des Senats, zu einander. (All das verdiente eine gesonderte Betrachtung.)

 

Die Chancen: Fünf Sterne, latente Revolte, Souveränismus

Vehikel jedes substanziellen Wandels ist die unaufhaltsam wachsende Oppositionspartei Cinque Stelle. Ihre Stärken und Schwächen beschreiben nicht nur die Partei selbst, sondern bis zu einem gewissen Grad auch die Widersprüchlichkeit ihres Milieus und der Opposition der Subalternen überhaupt.

Ihr politisches Programm im engeren Sinn ist wenig ausgearbeitet. Es richtet sich gegen die Eliten, gegen Korruption, für direkte Demokratie unter starker Verwendung des Internets und der sozialen Medien. Ökonomisch spricht es dem Staat eine größere Rolle zu, betont die Wichtigkeit der öffentlichen Leistungen und tendiert zu stärkerer Regulierung. Grillo selbst hat sich zuletzt gegen den Euro ausgesprochen und fordert eine diesbezügliche Volksabstimmung, will das aber nicht als antieuropäische Haltung verstanden wissen. Er tritt für die Begrenzung der Migration ein, allerdings ohne chauvinistische Töne. Hinzu kommt ein Kulturliberalismus wie beispielsweise die Befürwortung der Home-Ehe. Mit Rechtspopulismus, wie man die Fünf Sterne hierzulande gerne zu verunglimpfen versucht, hat das also wenig zu tun, auch wenn hinter der dominanten Führungsfigur eine große Heterogenität zum Ausdruck kommt.

Vielmehr könnte man von sozialdemokratischen bis kulturkritischen Mittelklasse-Konzeptionen sprechen, die bisweilen ins Utopisch-illusorische reichen. Das drückt sich auch im modus operandi aus: Da ist ein sehr starker Elektoralismus und prinzipieller Respekt vor den Institutionen. Die Kehrseite dessen ist der untergeordnete Stellenwert von Massenmobilisierungen, von systematischer Basisarbeit und von den Institutionen selbst in Frage stellenden Brüchen im Denken und Handeln der Grillini. Entsprechend gibt es auch wenig Parteiorganisation, kaum Kader und Aktivisten, keine demokratischen Versammlungen. Das alles ersetzende Zauberwort heißt Internet als prozeduraler Modus und als Medium. So wird auch verständlich, warum sie zu keinen Koalitionen und einschließenden breiteren Initiativen fähig sind. Diese Selbstgenügsamkeit hat den Vorteil sie gegen die Oligarchie abzuschotten, die schon mehrere Verführungsversuche unternommen hat. Auf der anderen Seite macht es aber auch nach links hin die Kooperation sehr schwer bis unmöglich.

Strategische Aufgabe ist es, die M5S in eine breitere Oppositionsfront zu bringen und den Bruch mit der Oligarchie und dem mit ihr verbundenen Euro-Regime vorbereitet – und zwar auf der Basis eines demokratischen und sozialen Souveränismus. Man kann nicht damit rechnen, dass den Grillini die Macht über das parlamentarische System in die Hand fällt. Die Eliten werden es nicht nur verstehen ausreichende Hürden beizubehalten oder gar neu zu errichten, sondern die Cinque Stelle sind auch weit davon entfernt die absolute Mehrheit hinter sich zu haben. Sie brauchen Bündnisse inner- und außerhalb des Parlaments.

Es gibt eine vielsagende Anekdote: Nachdem sich die Eliten am 20. April 2013 auf keinen neuen Präsidenten einigen konnten und den alten Amtsinhaber Neapolitano für eine zweite Amtszeit vereidigten, rief Grillo spontan gegen den kalten Putsch zu einem Marsch auf Rom. Die Vorstädte sollen sich bereits in Bewegung gesetzt haben und die Piazza Montecitorio (der Sitz der Abgeordnetenkammer) füllte sich. Doch plötzlich blies Grillo zum Rückzug. Gerüchte sagen, dass ihn die Polizei vor der Unkontrollierbarkeit einer solchen Protestbewegung gewarnt haben soll. Wie dem auch immer sei, die politische Moral von der Geschichte ist, dass es einerseits sowas wie eine latente Revolte der Unterschichten gibt, andererseits Grillo und seine Partei Angst oder großen Respekt vor dieser hat.

Warum gibt es dann keine signifikante soziale Bewegung? Die Tiefe der sozialen Krise macht Arbeitskämpfe in traditionellen Formen wie Streiks und Demonstrationen aussichtslos. Der klassische linke Aktivismus befindet sich im freien Fall. Für die breite Masse gibt es nur eine allgemeine, politische Lösung und die heißt Cinque Stelle. Doch das heißt nicht, dass die Partei ihre Wählerbasis kontrollieren würde oder über ein freies Mandat verfügte. Es gibt ihr gegenüber massive Erwartungen. Wenn sie ihren Versprechungen zuwiderhandeln oder diese nicht erfüllen können, könnte es auch zu schnellen Abwendungen oder auch unerwarteten Entwicklungen kommen. Als die neugewählte Römer Bürgermeisterin Virginia Raggi für die Schlüsselpositionen der Stadtregierung Figuren des alten Establishments nominierte, die in der Folge eine De-facto-Sabotagehaltung einnahmen, musste Grillo persönlich einschreiten und jene wieder entfernen. Nur so vermochte er es eine interne Rebellion abzuwenden.

Auch im unmittelbar bevorstehenden Konflikt um das Wahlrecht und um Neuwahlen bedarf es nur eines Funkens, um die Straßen zu füllen. Grillo hat die Zünder in der Hand. Doch ob er damit etwas anzufangen und die Dynamik eines solchen Schrittes zu steuern weiß?

Die sich nach dem Nein ergebene neue politische Phase eröffnet bisher nicht gekannte Möglichkeiten. Ein potentieller Oppositionsblock um die M5S ist nur mehr wenige Schritte von der politischen Macht entfernt. Doch um diese zu erreichen, muss sie sich transformieren und entwickeln. Es bedarf einer breiten sozio-politischen Allianz mit einem vielen klareren Programm des Bruchs: Entmachtung der Oligarchie; Bruch mit dem Euro, dem Binnenmarkt, der Globalisierung und zurück zur nationalen Souveränität; keynesianische staatliche Eingriffe in die Wirtschaft im Sinne von Vollbeschäftigung und Verteilungsgerechtigkeit; Wiederherstellung der sozialen Verfassung und der demokratischen Beteiligung der Mehrheit. Und es bedarf der Mobilisierung, Politisierung und Aktivierung der breiten Massen. Denn ohne deren Druck wird ein solcher Konflikt mit den herrschenden Eliten weder führbar, geschweige denn gewinnbar sein. Zudem sind die Cinque Stelle keine einheitliche Bewegung. Im Zuge eines solchen historischen Zusammenstoßes mit der Oligarchie wird sie wohl auch einen kompromissbereiten Flügel herausbilden, der auf den Spuren Tsipras wandeln könnte. Auf der anderen Seite befindet sich ein radikaler linkssouveränistischer Pol in der Entstehungsphase.

Die historische Linke Italiens indes spielt in diesem Prozess kaum eine Rolle. Sie befindet sich im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung noch immer in der europäistischen Blase und im De-facto-Schlepptau der PD.

 

Der Beitrag wurde erschient auf makroskop.eu.

PLEBEISCHER PROTEST: Was hat der Bauernkrieg mit der Anti-EU-Bewegung zu tun?

1850: Die bürgerliche Revolution in Wien, Paris und in Deutschland war niedergeschlagen. Die Truppen der Reaktion hatten das Frankfurter Professoren-Parlament ebenso nach Hause geschickt, wie den Wien-Kremsierer Reichstag. Die meisten der konsequenten Protagonisten hatten sich gerettet. Sie waren z. B. in die USA geflohen. Da fiel dem jungen Engels, der selbst einem revolutionären Freikorps beigetreten war, ein dickes Buch in die Hände. Wilhelm Zimmermann, einer der bürgerlichen Linken von Frankfurt, hatte den „Deutschen Bauernkrieg“ dargestellt. Engels begann Parallelen zu ziehen zwischen dem damaligen Geschehen und seiner Gegenwart. Die Revolution von 1848 war an der Unentschlossenheit der Bürger gescheitert, ebenso wie sich 1525 die Bürger letztlich mit den Fürsten, Bischöfen und Äbten verbunden hatte, als es hart auf hart ging. Engels zog seine Schlüsse: Das Proletariat kann sich nur auf sich selbst verlassen. Wenn es solche Katastrophen vermeiden will, muss es konsequent seine Ziele verfolgen.

Aber wer oder was ist das Proletariat?

Die Unterschichten und die unteren Mittelschichten heute wenden sich gegen die Brüsseler Vernunft der Eliten, Oberen Mittelschichten und Intellektuellen. Deren Stabilitäts- und Wachstums-Versprechen haben sie inzwischen am eigenen Leib erlebt. Und die Berlin-Brüsseler Bürokratie ist ganz erstaunt über so viel Unvernunft: Ihr seid gegen den Fortschritt! Die EU ist der Weltgeist in Europa. Die Globalisierung ist unabwendbar. CETA und TTIP sind notwendig für unsere Wohlfahrt! Und wo gehobelt wird, fallen Späne. Wir lassen Euch ohnehin nicht verhungern, geben Euch 850,- Euro Grundversorgung, wenn Ihr brav seid, oder auch Hartz IV. Warum wollt ihr dies nicht endlich einsehen und brav für Renzi und Schäuble stimmen? Und auch die Mehrheitsfraktion der LINKEN nickt zustimmend. Wie auch nicht? Sozialisiert im DDR-Marxismus, hält sie die Sklaverei für einen Fortschritt gegen die Urge­sellschaft, und den bürgerlich-absolutistischen Staat für einen gegenüber dem Feudalismus.

Bleiben wir noch kurz bei den Bauern, den Plebeiern. Als im 19. Jahrhundert Großbürger und Beamte aus Paris das flache Land mit ihren Segnungen der hohen Steuern und des allgemei­nen Militär-Diensts überzogen, da wehrten sie die französischen Bauern gegen diesen Forts­chritt. Sie misstrauten zutiefst den Gaben der städtischen Kultur. Für sie stellten sie nur Mehr­belastungen und intensivierte Ausbeutung dar. Dabei liefen sie einem Messias in die Hände, der ihnen gerade das verstärkt brachte: Napoleon III. war der erste Rechtspopulist.

Als ein halbes Jahrhundert zuvor die Bauern der Vendée und manche andere auch sich gegen gerade diese Segnungen schon geweht hatten, wandten sie sich um Unterstützung ausgerech­net an jene, die bisher ihre extremsten Ausbeuter waren, den Klerus und den Adel. In anderen europäischen Regionen, die in den Krieg gegen die Revolution und Napoleon hinein getrieben worden waren, verlief es vielfach ganz nach demselben Muster. Auch in Österreich gab es eine Vendée. Sie wird in den hiesigen Schulbüchern als Tiroler Freiheitskampf geführt. Spä­ter haben deutschnationale Ideologen einen nationalen Befreiungskrieg daraus gemacht. Das war besonders grotesk – richtete sich der Aufstand doch gegen die Bayern. Wieder warfen sich die Bauern der schwärzesten Reaktion in die Arme, dem Klerus und Habsburg. Und in der Toskana, in Arezzo, verlangte Viva Maria nach dem gütigen Pietro Leopoldo, als Habs­burger Kaiser Leopold II: Überall sehen wir dasselbe Muster: Das städtische Bürgertum behauptete, den Gang der Weltgeschichte zu verkörpern. Das war keineswegs naiv. Das lag in seinem ureigensten Interesse. Und die Bürger wussten ganz genau, dass andere Klassen dafür zu bezahlen hatten. Die Bauern aber wandten sich in ihrer Verzweiflung an die Feinde ihrer Feinde. Sie wurden so zu den Verbündeten der schwärzesten Reaktion.

Als im 15. Jahrhundert die Bauern in Süddeutschland, in der Schweiz, in Kärnten der Steier­mark und in Krain („Windischer Bauernkrieg“) sich gegen die Folgen des frühmodernen Staats-Aufbaus wandten, da wollten sie als Ziel das Alte Recht / Stara Pravda und nicht etwa eine neue Gesellschaft.

 

Großbritannien – Italien – Österreich – Griechenland – Spanien?

„All diese vielen kleinen Aufstände, Unruhen und Streitigkeiten … sind für sich genommen geringfügige örtliche Ereignisse. Erst durch ihre Vielheit erhalten sie Gewicht. So verschie­denartig auch die örtlichen Voraussetzungen sein mögen, überall kämpften die Bauern für das alte Recht gegen die neu aufkommende Staatsgewalt. … Verbote über Verbote, die, so vernünftig sie sein mochten, doch für den einzelnen empfindliche Hemmungen bedeuteten, … eine Vielregiererei, die in alle Verhältnisse eingriff…“

Klingt ziemlich bekannt. – Franz, Günther (1965 [1933]), Der deutsche Bauernkrieg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 19.

Heute sind die Bauern in den hoch entwickelten Ländern weitgehend aus der Geschichte verschwunden. Doch die plebeischen Schichten sind tendenziell sehr breit geworden. Und wieder stellt sich die alte Frage: Stellen sich nicht die Plebeier von M5S oder auch, kulturell eine ganz andere Tradition, die Anhänger des Nigel Farage oder der Marine Le Pen gegen jeden Fortschritt, wenn sie sich, ebenso wie die österreichischen Unterschichten, immer klarer gegen die übernationale Integration, die EU stellen? Immer klarer? Kaum sieht Bepe Grillo die Möglichkeit eines Wahlsiegs am Horizont, ist seine Opposition gegen das betrügerische italienische Wahlrecht schon nicht mehr gegeben. Die Stellung gegen Euro und EU war ohnehin nie so ganz eindeutig. Als künftige Ministerpräsidenten einer Grillini-Regierung werden in den Zeitungen zwei Abgeordnete genannt (Luigi di Maio und Alessandro di Battista), die ein klare Anti-EU-Politik vermutlich nicht verfolgen würden, weil sie vor allem schnell zum politischen Establishment zählen möchten.

Aber ist denn nicht ganz vernünftig, sich dem Fortschritt größerer Integration nicht zu verschließen? Kann man gegen das eherne Gesetz des historischen Fortschritts auftreten?

Die Grundfrage ist: Kann man auf einem plebeischen Schichtverband eine revolutionäre, oder auch nur eine transformistische Strategie aufbauen? Die Antwort lautet nüchtern: Entweder man schafft es; oder aber man muss jede Ambition begraben, diese Gesellschaft in Richtung Demokratie und Gleichheit umzubauen. In gewisser Weise ist die Frage auch ein Scheinprob­lem. Der spätmarxistische Mythos vom Proletariat verdeckt nämlich zwei essenzielle Punkte. „Proletariat“ war in der sozialen Wirklichkeit stets ein plebeischer Schichtverbund. Politisch aber war „Proletariat“ in der Hochzeit der Arbeiter-Bewegung ein Verbund, in welchem Intel­lektuelle auf sehr autoritäre Weise eine zahlreiche plebeische Gefolgschaft kommandierten. Das galt für die Sozialdemokratie, und wir können dies nachvollziehen an der tiefen Enttäu­schung mancher Linker über die autoritären Strukturen der Sozialdemokratie, in Österreich wie in Deutschland. Aber es galt ebenso für die Bolschewiki. Der Verbund von Intellektuellen und Volksschichten ist unabdingbar. Es kommt nur darauf an, wer wen kontrolliert.

Die Entwicklung von Macht und Herrschaft ist solange ein Naturgesetz, solange sich keine organisierte Kraft, keine Gegenmacht dem entgegen stellt. Das gilt geradezu definitorisch. Woher beziehen die Eliten ihre Macht, vor allem in Gesellschaften der Gegenwart? Sie haben sich in effizientester Weise organisiert und diese Organisation, ihre Netzwerke auf die gesam­te Gesellschaft ausgedehnt. Sie beherrschen dabei vor allem auch die Hegemonie-Apparate, die Schulen, die Medien, die akademischen Institutionen. Das sind die wichtigsten Organisa­tionen, welche die Ausbeutung und Unterdrückung absichern und rechtfertigen. Dabei spielt das Vokabel „Fortschritt“ stets eine ganz zentrale Rolle. Wenn aber eine Gegen-Organisation sich damit zufrieden gibt, dass die Ausbeutung nur nach altem Muster abläuft, dass Ausbeut­ung eben ein bisschen milder sein soll, ist ihr Scheitern schon angelegt. Das „sozialdemokrati­sche“ 20. Jahrhundert war kurzfristig ein Riesen-Erfolg reformistischer Strategie. Es war längerfristig die akute Niederlage der Unterschichten, wie die neoliberale Politik der Gesell­schaftsspaltung zeigt. Das ist das notwendige Ergebnis, wenn man sich mit „ein Bisschen“ zufrieden geben will.

Die plebeische Bewegung gegen die EU in ganz Europa ist immer noch sehr zaghaft. Aus der Eurozone ausscheiden? Lieber doch nicht. Man droht uns doch mit geringerem Wachstum und sonstigem Ungemach. Aus der EU austreten? Oh Gott, das wollen wir nicht – lieber gemeinsam statt einsam. Kommt uns das nicht recht bekannt vor, wenn heute naive (?) Unzufriedene ein soziales Europa möchten und ausgerechnet die EU das sein soll?

Genau hier liegt der Unterschied zwischen Revolutionen und Rebellionen. Rebellionen scheitern und haben meist eine schlimmere Situation zur Folge, als sie vorher gegeben war. Beispiel gefällig? Sehen wir nach Griechenland!

Den Bauernkrieg hier heranzuziehen, mag wie die Marotte eines ältlichen Sozialwissenschaf­ters klingen. Aber es war kein Zufall, dass der junge Engels diese Tradition einführte. Als Linke stellen wir uns bewusst in sie hinein. Heute ist es ja schon ein politischer Akt, Engels oder gar Marx zu zitieren oder positiv zu nennen. Aber es ist diese Tradition, die uns hilft, die Situation zu reflektieren. Und die Parallele der heutigen Plebeier und ihrer Illusionen zu den bäuerlichen Plebeiern vor einem halben Jahrtausend ist sprechend. Ja, wir stellen uns gegen diese Art von Fortschritt! Sie meint, Produktivität und Entfaltung nur über den Umweg von mehr Unterdrückung und Ausbeutung gewinnen zu können. Das ist die berüchtigte Trickle down-These: Den Eliten muss es sehr viel besser gehen, damit auch unten einige Brosamen ankommen.

Diesmal wenden wir die Sache eben politisch: Der Fortschritt der Menschheit geht nur über den immer größeren und immer autoritäreren Staat, so hämmert man uns Tag für Tag ein: erst die EU und dann der ultimative Große Bruder, der Weltstaat.

Aber Ihr schlagt doch die Rückkehr zur nationalen Souveränität vor. Ihr seid Nationalisten!

Wir müssen es uns im Ernst überlegen: Ist das nicht das Rufen nach dem Alten Recht, an der schon so viele Rebellionen gescheitert sind? Wollen wir zurück zu einer überholten Gesellschafts- und Staatsstruktur?

Nehmen wir den Einwand als Stimulus! Wir müssen wirklich über solche Fragen nachdenken. Was ist also unsere Idee?

Der Nationalstaat, der formell noch besteht, besitzt einen gegebenen institutionellen Rahmen. Der ist bekannt und vorstellbar und hat sich eine historisch kurze Zeit lang bewährt. Nun wollen wir eine Re-Demokratisierung, gegen die Tendenzen der Eliten. Dafür brauchen wir einen solchen vorläufigen Rahmen. Unsere Idee ist also keineswegs, dass der Nationalstaat der makellose nicht veränderbare Rahmen ist. Aber im Kampf gegen den fortschreitenden Demokratie- und Wohlfahrtsabbau durch die EU brauchen wir einen Neustart. Auf diesen neu-alten Ausgangspunkt können wir uns in einer breiten Koalition einigen.

Wir von der Linken wollen aber nicht auf den alten Umständen sitzen bleiben. Trotzdem sind der Nationalstaat und die Renationalisierung jetzt ein strategisches Ziel. Über das dann fol­gende zuerst nationale und dann ernsthaft internationale Projekt werden wir uns auseinander setzen, wenn es aktuell ist, wenn es soweit ist. Die Eliten wollen uns in einen Streit hinein hetzen, der uns spaltet. Das würde ihnen eine Garantie bieten, dass wir das strategische Zwischenziel nicht erreichen. Denn das ist mehrheitsfähig.

Der folgende politische Konflikt muss dann ausgetragen werden, wenn es sinnvoll ist, wenn das erste Ziel erreicht ist. Die politische Debatte mit all ihren Widersprüchen kommt bald genug. Wir müssen sie nicht jetzt forcieren, wo sie die Massen nur spaltet. Wenn das vorher in den Mittelpunkt rückt, stiftet dies nur Verwirrung und ist eine Behinderung.

Das strategische Zwischenziel ist die nationale Selbstbestimmung. Das ist nicht eine taktische Frage. Darüber können wir mit einer Mehrheit der Bevölkerung auch heute bereits überein stimmen. Auf dieser Grundlage beginnt die Politik für die Zukunft neu.

Albert F. Reiterer – 9. Dezember 2016

Oben und unten bei der Präsidentenwahl … und nichts davon wählbar.

Wenn man in die liberale Mittelschicht, die „Gebildeten“ und „Aufgeklärten“, hineinhört – etwa an den Universitäten – dann spürt man eine Weltuntergangsstimmung: Brexit, Trump und nun vielleicht bei uns Norbert Hofer und dann HC Strache. An den Elfenbeinturm der Wenigen, die noch ihre individuelle Freiheit in Berufs- und Alltagsleben ausleben können, schlägt die Brandung einer um sich greifenden Unzufriedenheit, die mittlerweile Mehrheiten von den etablierten Parteien des Systems abfallen lässt. Diese Polarisierung versinnbildlichen auch die österreichischen Präsidentschaftskandidaten: der grüne Professor Van der Bellen ist Symbol für Intellektualität und Liberalismus, der blaue Hofer Repräsentant des Wutbürgers. Sozial ist Van der Bellen das Liebkind von allen mit Mittelschulbildung aufwärts, Hofer von jenen mit Pflichtschule abwärts.

Die Gebildeten mögen einwenden, dass doch liberale Freiheiten und Demokratie Errungenschaften für alle seien. Nun meine Lieben: früher hatten sich Euresgleichen noch dafür aufgeopfert, dass die schmutzige Unterschicht einmal die Chance bekommt, sich frei und demokratisch selbst zu bestimmen und nicht nur die sozial Bessergestellten. Heute ist euer Ruf nach Panzerung des Systems nicht mehr zu überhören. Darum die Liebe zu Van der Bellen, der einer Partei (FPÖ), die angeblich mit dem EU-Austritt liebäugelt, nicht die Kanzlerschaft geben würde, auch wenn sie die Wahlen gewinnt. Die demokratischen Werte sind ins Gegenteil verkehrt: zu ihrer Verteidigung wird die Demokratie zugunsten des Zensus der Gebildeten abgeschafft. Wenn es um die EU geht, würde der ruhige Professor wohl schon von seiner Position als Oberbefehlshaber des Bundesheers Gebrauch machen, um die den Kanzler fordernden FP-Wähler von der Straße zu fegen. Ist man sich da eigentlich bewusst, dass so ein Szenario (Nicht-Angelobung eines HC Strache mit fast 10 % Stimmenvorsprung; Öxit-Hysterie aus Brüssel) ein Spiel mit dem Feuer und ein Bärendienst an der FPÖ ist?

Der Hofer wählende Wutbürger wiederum wird fragt, was denn gegen die FPÖ einzuwenden sei, spreche sie doch offenbar die Sorgen der Mehrheit an. Leider sind diese Sorgen nun einmal ein chauvinistisch überprägtes Empfinden, dass man aus dem bröckelnden klassenübergreifenden Haus der westlichen Mittelschichtgesellschaft in ein neues Unterklassendasein hinausgeworfen wird. Der reale und/oder bevorstehende soziale Abstieg hat noch kaum neues Klassenbewusstsein mit neuer politischer und kultureller Identität hervorgebracht, das in die Lage versetzt, zwischen Profiteuren aus der globalisierten Elite und Opfern der Globalisierung zu unterscheiden. Und diese Blindheit der Unterschicht bestärken die erneuerten Altrechten mit ihrer Ausländerfeindlichkeit natürlich. (Die Rauschers, Ortners und anderen Kommentatoren der liberalen Presse sollten sich übrigens über diese Stimmung am wenigsten wundern: sie haben ja seit fast zwei Jahrzehnte die Verteidigung „unserer“ Werte gegen die rückständigen, demokratieunfähigen Moslems gepredigt. Heute ernten sie ihre Saat.)

Die wichtigste Tatsache aber bleibt: Van der Bellen ist der Kandidat jener (nationalen und supra-nationalen) Eliten, die den Weg in die gesellschaftliche Sackgasse anführen, in die uns das neoliberale (Euro-)Regime gebracht hat: Zerstörte sozialstaatliche Sicherheitsnetze, aufgekündigte Arbeits- und Pensionsrechte, abgeschaffte demokratische Regulationsmöglichkeiten. Mit der verlängerten Wirtschaftskrise seit 2008 hat die Ideologie, dass dies alles für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand nötig sei, heute ihre Glaubwürdigkeit verloren. Das ist die Strömung, auf der der Rechtspopulismus daher schwimmt, aber auch die neuen Alternativen von links, die zumindest in Südeuropa Hoffnung machen.

Natürlich verhindert in Österreich und den anderen Zentrumsländern Europas eine kleine, linke Alternative, die die Wut der Menschen gegen die Eliten ernst nimmt und aufgreift, noch nicht die gegenwärtige Hegemonie der Rechtspopulisten über die Globalisierungsverlierer. Die liegt sozial und ideologisch tiefer begraben. Aber wer versucht die Rechten mit einer Stimme für den Kandidat der Eliten aufzuhalten, der zeigt vor allem seine sozialdarwinistischen Vorurteile, dass ihm das neoliberale Establishment letztlich doch näher steht als dessen Verlierer. Gerade in einer Zeit, wo diesem Establishment die Kontrolle über sein System aus den Händen zu gleiten beginnen, verbaut das mit Sicherheit alle Möglichkeiten auf eine Alternative.

Gernot Bodner (Dozent an der Universität für Bodenkultur; als Verortungshilfe: kulturell fortschrittlich, politisch linksorientiert).

 

Vom Internationalismus des Subalternen zum Globalismus der Eliten

von Wilhelm Langthaler

 

Metamorphosen eines Begriffs und die Notwendigkeit des Kampfes um den Staat

Der Internationalismus stammt historisch klar von der Linken ab und richtete sich dementsprechend gegen die kapitalistischen Eliten, die sich im Gegensatz dazu des Nationalismus bedienten. Allerdings konstatieren wir eine Umdrehung und Adoptierung durch die Herrschenden. Es erscheint daher sinnvoll sich die einzelnen historischen Stufen der Umwandlung nachzuverfolgen Drehung geführt haben. Im Kern ist diese Metamorphose, dieses Auf-den-Kopf-Stellen, auf die Architektur des kapitalistischen Weltsystems selbst zurückzuführen, die sich im vergangenen Jahrhundert grundlegend verändert hat.

Der industrielle Kapitalismus entstand nicht monokristallin, sondern war von heftigen zwischenstaatlichen Spannungen gekennzeichnet, die ihre Kulmination im Weltkrieg fanden. Der spät gekommene deutsche Kapitalismus, der kaum mehr Kolonien und organische Expansionsmöglichkeiten abbekommen hatte, forderte das britische Weltreich mittels Krieg heraus. Die begleitende ideologische Mobilisierung fand auf Basis eines sich immer mehr aufschaukelnden Nationalismus statt, einschließlich eines rassistisch-exterminatorischen Zugs. Was zuvor gegen die Kolonisierten angewandt worden war, richtete sich nun auch wechselseitig gegen die europäischen imperialistischen Nachbarn.

Dagegen stellte die Arbeiterbewegung den Internationalismus: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ konzipierte ihr radikaler Flügel als Weg zur sozialen Revolution. Diese gelang erstmals – auch aufgrund der weiterbestehenden innerimperialistischen Gegensätze – und sollte das 20. Jahrhundert prägen.

Die Marxsche Bewegung vom Zentrum in die Peripherie sollte umgekehrt werden und das revolutionäre Russland als Funke für die Weltrevolution einschließlich der Zentren dienen. Die russischen Soldaten hatten die Waffen umgedreht und gegen den Zarismus gerichtet, die deutschen sollten es ihnen gleichtun. Kurz kam die nicht näher spezifizierte Idee der sozialistischen Weltrepublik auf, die jedoch sehr schnell einem globalen, jedoch im nationalen Rahmen ausgefochtenen Stellungskrieg Platz machen sollten. Es blieb unbestritten, dass die Arena dieses Kampfes der Nationalstaat war, so veränderlich dessen Grenzen auch sein mochten und so flexibel Nation zu definieren war. Dabei bildeten international(istische)e Brigaden wie in Spanien und Jugoslawien für die demokratische und soziale Revolution im nationalen Rahmen keinerlei Widerspruch. Internationalismus bedeutete die Verdrängung der kapitalistischen Eliten von der Macht im jeweiligen Staat und die Kooperation mit anderen sozialen und nationalen Befreiungsbewegungen gegen den Imperialismus im Rahmen eines gemeinsamen globalen Projekts der Emanzipation.

Die Konsolidierung der Sowjetunion auf der einen Seite sowie die Unterwerfung Deutschlands unter das Diktat der westlichen Siegermächte auf der anderen führten dazu, dass die Eliten sich der nationalistisch-antikommunistischen Raserei des Nationalsozialismus bedienten. Der deutsche Kapitalismus unternahm den zweiten, noch blutigeren Versuch, die anglosächsische Herrschaft über die Welt durch ihre eigene zu ersetzen.

Der Stalin-Hitler-Pakt kam als totaler Schock für den Internationalismus und veranschaulichte wie sehr die vermeintlich russisch-nationalen Interessen auch in der Sowjetunion die Überhand gewonnen hatten.

Der totale Sieg über die Nazis sowie die außerordentliche Stärkung, die die UdSSR durch ihren entscheidenden Beitrag dazu erfuhren hatte, veranlasste die nun dominante kapitalistische Macht USA zu einem grundlegenden Umbau des Weltsystems. Gegen den neuen Hauptfeind Kommunismus und Sowjetunion sollte der Kapitalismus unter ihrer Herrschaft vereinigt werden. Marshall-Plan statt Versailles, also Eingemeindung statt Unterwerfung der unterlegenen Konkurrenten. So ideologisch konservativ dieses System auch war (McCarthy, Adenauer, etc.) so sehr musste es unter dem Druck der Sowjetunion und der Arbeiterbewegung ungeahnte soziale und demokratische Zugeständnisse machen. Paraxoderweise ermöglichte der Systembipolarismus gleichzeitig das goldene Zeitalter des Kapitalismus.

Es war zugleich auch die höchste Entwicklung der Nationalstaaten. In der UN-Charta und dem Völkerrecht geronnen das neue Kräftegleichgewicht zu einer internationalen Ordnung. Wenn sich die jeweiligen nationalen Eliten der Führungsmacht USA unterordneten, konnten sie mit günstigen Bedingungen rechnen. Verlangten die unteren Klassen soziale und nationale Selbstbestimmung, konnten sie von der UdSSR im Gegenzug zur politischen Unterordnung Unterstützung erwarten. Diese allgemeine Entkolonisierung bedeutete einen enormen Schub in Richtung Emanzipation. Durch die Amalgamierung mit den geopolitischen Interessen im Kalten Krieg bekam der Internationalismus den Beigeschmack eines willfährigen Werkzeugs zur Einmischung.

Unter dem Eindruck der Befreiungsbewegung und in Wechselwirkung mit sozialen Kämpfen entstand ein autonomer, antiimperialistischer Internationalismus in Solidarität mit Vietnam, Nikaragua, Anti-Apartheid usw. Doch das Roll-back setzte unmittelbar ein. Der Zerfall der Ordnung von Bretton Woods führte zu einem massiven Schub der Globalisierung und einen Angriff auf die Errungenschaften der Subalternen. Der Neoliberalismus war geboren. Wo an der Peripherie die Befreiungsbewegungen an die Macht gekommen waren, wandelten sie sich unter dem Druck oft zu Vollstreckern des Washington Consensus, ohne jedoch die äußere Hülle zu ändern, ähnlich der institutionellen Linken im Westen.

Der weitgehende Sieg der kapitalistischen Eliten über die Arbeiter- und Befreiungsbewegungen, die Niederlage des Kommunismus und die Implosion der Sowjetunion ermöglichte die exorbitante Beschleunigung der Globalisierung auf Grundlage der nunmehr monopolaren Weltordnung.

Eine radikale globale soziopolitische Wendung nach rechts wurde ideologisch jedoch von einem Linksschwenk gedeckt. Nun konnte man den Konservativismus, der untrennbar mit dem alten Elitennationalismus verbunden war, entsorgen. Zuvor war man in antikommunistischer Funktion auf dieses noch angewiesen gewesen. (Die Erhebung des Antifa zur deutschen Staatsideologie erfolgte beispielsweise erst Ende der 1980er Jahre.) Der Sieger zeigte sich generös und übernahm von der Linken, war immer zu integrieren war. Alle Grenzen für das Kapital sollten eingerissen werden, der Sozialstaat, die Souveränität der Nationalstaaten mit ihren Regulierungen, das Völkerrecht – alles im Namen des Internationalismus.

Die geschlagene Linke vermochte dem nichts entgegenzusetzen, außer der abstrakten „Globalisierung von unten“. Die etatistischen Konzepte waren gescheitert. Jetzt suchte man das Heil in der „Zivilgesellschaft“ „jenseits des Staates“. Die bösen Geister der Vergangenheit sollten ausgetrieben werden. Laut Negri war das Empire nicht mehr staatlich-territorial, sondern konnte durch einen inneren psychopolitischen Akt emanzipativ gewendet werden. Eigentlich ein genialer ideologisch-kultureller Schachzug, den alten Imperialismus der Starken als Fortschreibung der Aufklärung und der Linken darzustellen. Das antinationale Ideologem im weitesten Sinnen ist in den 1990er Jahren entwickelt worden und blieb bis vor wenigen Jahren hegemonial.

Materieller Hintergrund mag die längste, auf einer Kreditblase aufgebaute Expansionsperiode des Kapitalismus sein, die rund zwei Jahrzehnte andauerte und die globalen Mittelschichten verzauberte. Ein besonderer Aspekt davon ist die chinesische Erfolgsgeschichte. Statt Bauernrevolte war nun der Ritt auf dem Rücken des neoliberalen Tigers angesagt. Auch die Mittelschichten der Peripherien konnten endlich den Kapitalismus umarmen und trotzdem auf Entwicklung hoffen.

Wer indes sehen wollte, konnte den wachsenden Widerstand an der globalen Peripherie betrachten. Die kriegerische und auch kulturalistische Reaktion der Neocons, die den liberal-universalistischen Versprechungen zuwiderliefen, verwiesen auf deren Brüchigkeit. Aber auch die wachsende Armut der Unterschichten in den Zentren selbst wurde sichtbar und zeigte zunehmende Risse in der globalistischen Ideologie an.

Die globalistischen Mittelschichten sind nicht auf das vielbeschworene „eine Prozent“, auf die Gesellschaft von Davos und das WEF der Top-Eliten zu reduzieren. Sondern es handelt sich vielmehr um eine breitere „Golden billion“, die die Gewinner der zunehmenden Ungleichheit sind, die der Sozialstaaten nicht bedürfen und sich ihrer Last entledigen wollen, die fest an den Kapitalismus glauben, die sich in der Weltsprache Englisch ausdrücken, die überall arbeiten und verdienen zu können glauben, die nicht konservativ, sondern liberal sind. Sie repräsentieren die Kultur der Globalisierung. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es sich letztlich um eine amerikanisch-nationale Vorherrschaft handelt, denn sie sehen den liberalen Kapitalismus als universale Perspektive für die Welt. Doch mit der Weltwirtschaftskrise und dem permanenten Krieg um die monopolare Weltordnung haben sie die Hegemonie verloren.

Die Europäische Union ist die spezifisch europäische Form der Globalisierung und damit eines ihrer Herzstücke. Ursprünglich war die EG ein antikommunistischer Staatenbund, der jedoch im Sinne von Bretton Woods Umverteilung nach unten sowie die Entwicklung der europäischen Peripherie ermöglichte. Der staatlich organisierte Kapitalismus führte zur bisher nicht gekannten sozialen und politischen Einbindung der unteren Klassen. Es war die Hochzeit nicht nur des Sozialstaats, sondern auch des formaldemokratischen Nationalstaates.

Die supranationale Entwicklung ab den 1980er Jahren hatte die Niederlage der Arbeiterbewegung und der unter ihrem Druck unternommenen linkskeynesianischen Versuche zur Voraussetzung. Der Binnenmarkt war nach seiner Verfassung neoliberal, die verschiedenen Staaten traten zunehmend ihre regulierenden und umverteilenden Kompetenzen ab. Die supranationale Brüsseler Bürokratie, gestützt von den dominanten Staaten, diente und dient dazu, die Herrschaft der stärksten Kapitalgruppen durchzusetzen und das neoliberale Rollback durchzuführen. Ohne die Festlegung auf die Austerität und die deutsche Hartwährungspolitik hätte es keinen Binnenmarkt und keine Abtretung von Kompetenzen der nationalen und vor allem der deutschen Eliten an den supranationalen Parastaat gegeben. Der eigentliche Zweck der supranationalen Zentralisierung war es, die Macht der Eliten der Kontrolle der formaldemokratischen Nationalstaaten, die den Klassenkompromiss der Nachkriegszeit repräsentierten, zu entziehen – versteckt hinter dem vermeintlichen Sachzwang der Globalisierung.

Das Ende des Eisernen Vorhangs brachte nicht nur eine enorme Beschleunigung der Zentralisierung, sondern auch nicht eingeplante Zugeständnisse an die von der Clinton-Ideologie gemachten Versprechungen. Kohls „blühende Landschaften“ suggerierten demokratische und soziale Konvergenz über den gesamten historisch geschundenen und zerrissenen Kontinent bis nach Russland und über das Mittelmeer. Der entfesselte Kapitalismus schien endlich die historischen Versprechungen des Kommunismus einlösen zu können – von daher auch die Idee des Endes der Geschichte.

Dieses Zeitgeistes Kind war die rapide Erweiterung der EU, die die äußerste Peripherie in die gleiche politische Struktur einband wie die reichen Zentrumsstaaten. Krone dieser Entwicklung war der Euro, mit dem Frankreich die nach der Wiedervereinigung zu befürchtenden Großmachtambitionen des Nachbarn zähmen wollte. Die Eliten der Peripherie aber drängten, entgegen den ursprünglichen deutschen Plänen, in die gemeinsame Währung, weil sie am Klub der Wohlhabenden teilhaben wollten. Gleichzeitig konnten sie die strengen Regeln des Euro-Regimes als Instrument zur Abwehr der Ansprüche ihrer eigenen Subalternen verwenden.

Auf Basis der Kreditblase schien der kapitalistische Traum Wirklichkeit zu werden, die EU und ihre Krönung, der Euro, ein Erfolg, der einst in einem nicht näher definierten europäischen Suprastaat münden sollte („ever closer union“). Damit grub sich die europäistische Ideologie noch tiefer ein, als der allgemeine Globalismus, hinter dem sich der Freihandel nur mit einem dünnen Schleier versteckt. Soziale Konvergenz, europäischer Rechtsstaat, Teilhabe am und Interessensausgleich mit dem Zentrum: das sind die Elemente, welche das Ideologem der EU als Friedensprojekt speiste, und sich kontrafaktisch unter den linksliberalen Mittelschichten als unantastbares Dogma weiter hält.

Die Weltwirtschaftskrise, verstärkt durch das Goldstandard-Surrogat Euro, wurde für die Peripherie zur sozialen und auch demokratischen Katastrophe. Die EU-Institutionen und noch mehr das Euro-Regime erwiesen sich als Hebel der Zentrumseliten und vor allem der Industrie- und Gläubigernation Deutschland, die sich zum Zuchtmeister Europas aufschwang. Um die sozialen Angriffe auf die Unterklassen durchführen zu können, wurden einige Länder unter Kuratel gestellt, die nationale Souveränität in einer Weise aufgehoben, wie es nicht einmal während des Kalten Krieges der Fall war.

Das Scheitern der EU-Versprechungen ist für die Unter- und weite Teile der Mittelklassen offensichtlich geworden. Der Europäismus hat die Hegemonie verloren. Nur mehr die Eliten und mit ihnen die linksliberalen Mittelschichten halten an ihr fest. Wie man am Brexit-Referendum sehen kann, verläuft diese Auseinandersetzung auch (nicht nur) an der Linie Arm gegen Reich. Die Subalternen wollen „zurück“ zur nationalen Souveränität, die es als Souveränität der Mehrheit auch unter dem Bretton-Woods-System nie gab, wenn dann nur als Kompromiss.

Das Euro/EU-Regime mit seinem nicht nur extremen neoliberalen Programm, sondern auch der von ihm befeuerten Ungleichheit der Nationen, der Verschärfung der Zentrums-Peripherie-Struktur ist heute Hauptmotor der sozialen und auch nationalen Konflikte in Europa – das Gegenteil eines Friedensprojekts. Es versucht sich als über den Nationen, eben supranational, zu tarnen, erweist sich aber als Diktatur der stärksten Nation, die eine einschlägige Vorgeschichte der Herrschaft aufzuweisen hat. Sozialer Widerstand wird daher unweigerlich nicht nur nationale Elemente einschließen, sondern auch Nationalismus wiederbeleben.

 

Globalismus und Aufstieg der Rechten

An der globalen Peripherie schließt Widerstand gegen den Washington Consensus, gegen das Freihandelsregime der reichen Zentrumsstaaten, selbstverständlich den Kampf um die nationale Souveränität ein. Soziale und demokratische Rechte bedürfen eines Staates, der seine Souveränität gegen das Zentrum und seine Institutionen wie IWF, Weltbank usw. durchsetzt. Die nationalstaatliche Verteidigung ist untrennbar mit der historischen Linken verknüpft (Beispiel Vietnam).

In Europa dauerte es recht lange bis sich der soziale Unmut in Widerstand umwandelte. Und noch immer steht der Stärke der Bewegungen in keiner Relation zur Dramatik der sozialen Angriffe seitens der Eliten. „Nackter“ sozialer Widerstand, den es durchaus auch gab, hat sich angesichts der Kräfteverhältnisse als wenig wirkungsvoll erwiesen. Er ist dazu gezwungen direkt politisch zu werden, das Ganze ins Ziel zu nehmen, sei es am Rande des vorhandenen politischen Systems oder ganz außerhalb dessen, da er keine Repräsentanz mehr hat. Die Unter- und Mittelschichten richten sich immer mehr gegen die supranationalen neoliberalen Institutionen und verlangen ein Zurück zur nationalen Souveränität, von der sie sich mehr Teilhabe erhoffen. Denn sie fühlen sich ausgeschlossen und sind es mit Aufkündigung des Klassenkompromisses auch.

Gleichzeitig hält die linksliberale Mittelschicht, trotz Transformation Erbin der Arbeiterbewegung, am globalistischen und vor allem europäistischen Dogma fest. Sie setzt nationale Souveränität automatisch und immer in Eins mit dem traditionellen Nationalismus und ordnet ihn damit der historischen Rechten zu. Das gilt nicht nur für New Labour Blairs oder Schröders, sondern auch weite Teile der radikalen Linken, die weiter an der „sozialen EU“ festhalten. Damit ist nicht nur Syriza oder Podemos gemeint, die die alte Sozialdemokratie zu beerben versuchen und sich den Bruch mit den Eliten nicht getrauen, sondern ebenso die deutsche LINKE oder auch die italienische Rifondazione Comunista (PRC). Letztere beteiligte sich an der linksliberalen Prodi-Koalition und hält dem Euro und der EU bis heute die Stange. Zwar lag der Niedergang der Linken im Trend der Zeit und war bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich, doch hätte PRC eine radikale Position gegen die neoliberale Regierung und gegen die EU-Institutionen eingenommen, hätte sie überleben können und würde heute vermutlich eine Rolle im Widerstand spielen können, den heute die Fünfsterne dominieren.

Das allgemeine Bild in Europa zeigt, dass die historische Linke den Protest gegen die neoliberale Politik der EU, die etwas verschwommen und unbestimmt die Forderung nach nationaler Souveränität mitführt, ablehnt. Sie besteht auf den Weg der EU-Reform, die in Griechenland katastrophal gescheitert ist und auch in Spanien und Portugal Gefahr läuft das gleiche Schicksal zu erleiden. Sie überlässt damit das Feld, ja das immer größere politische Vakuum, der historischen Rechten, die vielerorts über organisatorische Kerne verfügt und den sozialen Schwenk zu den Unterschichten, die ihr oft fremd waren, wagt.

Gerade das Beispiel Italiens zeigt, dass die Opposition gegen das bestehende Regime nicht organisch rechts ist, obwohl es in Italien sehr effektive rechte Kerne aller möglichen Schattierungen und zugeschnitten auf die diversen Klientele gäbe. Indes ist es die Fünf-Sterne-Bewegung, die die Opposition anführt. Man könnte sie als radikalen Versuch betrachten, die linksliberalen Mittelstandswerte wirklich ernst zu nehmen.

In Griechenland, Spanien und Portugal bleibt eine europäistische Illusion auch weiter hinunter bestehen, sie hat aber ihre Bastion eindeutig in den politischen Führungen, die auch einen anderen Kurs einschlagen könnten, wenn sie nur wollten. Bestes Beispiel: das griechische Nein gegen das EU-Programm hätte die Tsipras-Führung auch als Mandat für den Bruch lesen können.

So könnte man die verschiedenen, sehr unterschiedlichen Länder Europas durchgehen, wobei die allgemeine Regel gilt, dass je reicher, je stärker die chauvinistischeren und imperialistischen Traditionen, desto bessere Bedingungen findet eine „soziale Anti-EU-Rechte“ vor. Aber auch in Großbritannien gab es die linke Kampagne für den Brexit, in Frankreich Nuit Debout und in Deutschland hat die LINKE das verdammte Glück, dass die Rechte kein soziales Moment zu entwickeln vermag, sondern Altkonservativismus und Ordoliberalismus nicht überwinden kann.

Flaggschiff der Rechten ist überall der chauvinistische Kampf gegen die Immigranten, identitätsstiftend gegen den Islam. Die Linke verteidigt richtigerweise die Immigranten. Doch der politische Fehler besteht darin, damit die globalistischen Paradigmen, die EU-Realverfassung der kapitalistischen Freiheiten nach unbegrenzter Bewegung des Kapitals, von Waren und von Arbeitskraft mit zu verteidigen. Soziale und demokratische Kontrolle muss indes politisch-staatliche Regulierung der Produktionsfaktoren und damit auch des Arbeitsmarktes heißen.

Der politische Schild gegen den rechten reaktionären Chauvinismus ist der entschiedene Kampf gegen das globalistische Regime. Der Staat muss in die Wirtschaft eingreifen und Industriepolitik betreiben, er muss für Umverteilung sorgen und die Interessen der Schwachen schützen –Protektionismus von unten und der peripheren Staaten. So gibt man Entwicklungschancen zurück und bekämpft die Ursachen der Migration, nicht die Migranten. Natürlich, und das wird meist vergessen, gibt es im Konflikt mit der Peripherie auch direkt politische Forderungen wie die Selbstbestimmung der Palästinenser, die wirkungsvollste Maßnahme gegen die islamistische Mobilisierung.

Die unter den Subalternen weitverbreitete Forderung nach Begrenzung der Migration ist nicht automatisch rassistisch oder nationalistisch. Man kann nicht abstreiten, dass es den Lohndruck in den unteren Segmenten gibt. Es geht darum, die Forderung nach der Regulierung des Arbeitsmarkes in ein soziales und demokratisches Programm im Interesse der (globalen) Mehrheit einzubetten und so der Rechten ein Mobilisierungsinstrument zu nehmen.

 

Die Rolle des Staates in der Entglobalisierung

Ausgangspunkt muss die Enttabuisierung der verschiedenen Maßnahmen und Wege in Richtung Deglobalisierung sein.

Die automatische Assoziierung der Begriffe Nation, Staat, Nationalstaat mit Nationalismus muss dekonstruiert werden. Der Nationalismus ist nur eine mögliche und historische Variante der Interpretation. Es gibt einige andere Ausgestaltungen des Nationalstaates, vor allem in konkreten Kontext der Globalisierung und dem Internationalismus der kapitalistischen Eliten.

Mit dem Kampf für die Demokratisierung, für die Mitbestimmung der ausgeschlossenen Unter- und Mittelschichten, stellt sich die Frage des Demos, der politischen Kollektivs, das die demokratischen Institutionen konstituiert. Die Antworten der 1990er und 2000er Jahre, die den globalistischen Eliten ein gänzlich abstraktes globales Von-unten, die „multidude“ entgegenstellten, müssen überwunden werden. Die realpolitisch etwas konkrete „Zivilgesellschaft“ ist sozial und politisch allzu begrenzt auf den westlichen Mittelstand, oft eng verbunden mit dem Linksliberalismus der Eliten. Abgesehen von der Öffnung zu den Subalternen, geht es darum zu verstehen, dass es kollektive und historisch gewachsene Identitäten gibt, oft Nationen aber nicht notwendigerweise (nicht zu vergessen die Rolle der gemeinsamen Sprache), die den Demos bilden und um deren Gestaltung gekämpft werden kann und muss. Man darf die Nationen nicht an essentialistische Konzepte, ob klassisch-reaktionär biologistisch-rassistisch oder modern-liberal kulturalistisch, verloren geben, sondern es geht darum sie demokratisch-einschließend zu verändern.

Die Organisationsform der kollektiven Identitäten sind die Staaten. Sie gestallten Gesellschaft im Inneren sowie ihre Beziehung zu anderen. Der Kampf um den Staat muss rehabilitiert werden, was nicht gleichbedeutend mit etatistischen Konzepten ist. Die Überreaktion das Scheitern letzterer, die noch immer nachwirkende Illusion „jenseits des Staates“ muss jedoch überwunden werden. Die Volkssouveränität, die Herrschaft der Mehrheit und damit der Einschluss der Subalternen, kann nur über die Staaten erreicht werden und meint auch den sozialen Ausgleich.

Das kapitalistische Weltsystem ist auf ein Zentrum-Peripherie-Verhältnis aufgebaut. In einem emanzipatorischen Konzept, das dessen Überwindung zum Ziel hat, kommt den peripheren Staaten eine wichtige Rolle in der Verteidigung gegen die überbordende Macht der Zentren zu. Internationalismus der Subalternen hat die Momente des Widerstands gegen die Eliten des Zentrums zusammenzuspannen.

Ein bedeutendes Ideologem des Linksliberalismus ist die Angst vor der Rechten, die Beschwörung der Gefahr des Faschismus ausgehend vom heutigen Rechtspopulismus. Dieses Phänomen der Antiberlusconite ist vielschichtig und soll hier nicht erschöpfend behandelt werden. Es vergisst grundlegend, dass die traditionellen Eliten ihre politische Macht nur deswegen an die faschistischen Bewegungen abtraten, weil sie akut von links, vor der Arbeiterbewegung in Bedrängnis geraten waren. Heute gibt es diese Bedrohung der Eliten nicht, sie bedürfen keines Faschismus. Autoritäre Regimeänderungen kann es immer geben und gibt es auch laufend, doch werden diese durch innere Transformationen sowie Kooptationen durchgeführt. Die Beschwörung der faschistischen Gefahr gerät da zur Selbstlegitimation, als Verteidigung der bestehenden Ordnung und sei es auch als kleineres Übel. Uns scheint es vielmehr, dass der Rechtspopulismus vielmehr von der Abwesenheit der Linken bei den Subalternen lebt und über kein konsistentes Programm verfügt. Die alten rechten Kerne sind mit tausend Fäden an die reaktionären Teile der Eliten gebunden. Die sozialpopulistischen Elemente bedürfen indes des Bruchs mit den Eliten. Diesen Widerspruch kann man zur ihrer Bekämpfung einsetzen.

 

… sind nicht wählbar!

von Hannes Hofbauer, Publizist

 

Wieder einmal stehen angeblich Schicksalswahlen an. Die Wiederholung derselben macht sie gleichwohl nicht wichtiger. Der österreichische Präsident hat im internationalen Kontext angesichts der von Brüssel aus administrierten Durchsetzung der stärksten Kapitalinteressen nichts zu melden. Innenpolitisch birgt seine Machtfülle indes eine politische Gefahr. Die Abschaffung des Amtes wäre sinnvoll.

Stattdessen wetteifern zwei Männer darum, es einzunehmen, weshalb ich mich zu dieser kurzen Stellungnahme herausgefordert sehe. Vorneweg: Beide sind für mich nicht wählbar.

Norbert Hofer repräsentiert eine gefährliche Mischung aus Rechtsradikalität und Liberalismus, dessen vielfach geäußertes Amtsverständnis einem autoritären Staat den Weg ebnen könnte. Die der Rechten eigene inhaltliche Geschmeidigkeit gegenüber der Herrschaft des Kapitals führte schon im Vorfeld der Wahlwiederholung zu einem Bekenntnis zur Europäischen Union, womit die FPÖ an die Zeit als heftigste Befürworterin eines österreichischen EG-Beitritts in den 1980er Jahren anschließt. Seiner Haltung zur aktuellen Migrationsfrage wohnt ein ausländerfeindlicher Grundton inne, der für Linke ebenso indiskutabel ist wie das gesamte Weltbild der FPÖ.

Alexander van der Bellen repräsentiert Kapitalherrschaft und politische Klasse über alle Parteigrenzen (außer jener der FPÖ) hinweg, was ihn angesichts zunehmender Krisen und Kriege gefährlich werden lässt. Sein Zugang zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien war ein bellizistischer und sein Drängen auf eine Fortsetzung wirtschaftskriegerischer Sanktionen gegen Russland steht dem Vertreter eines neutralen Landes nicht zu. Im Amtsverständnis gleicht er sich seinem Kontrahenten an, wenn er mit der Auflösung des Parlaments im Falle eines rechten oder EU-feindlichen Wahlsieges droht. Das von ihm betriebene Spiel mit seiner Vergangenheit als Flüchtlingskind ist geschmacklos, wenn man weiß, dass seine aus Russland stammende Adelsfamilie 1941 vor der Roten Armee aus Estland zu den Nationalsozialisten und 1944 vor der Befreiung Wiens nach Tirol geflohen ist.

 

Weder Hofer noch van der Bellen! Das Amt muss weg!