"Nein" beim Referendum
Anti-EU-Forum Athen 26.-28. Juni 2015
Sinkende Lohnquote
Weder Draghi, noch Troika, noch Euro.
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Sinkende Lohnquote
Weder Draghi, noch Troika, noch Euro.
Souverän und sozial. statt EURO liberal
 

JEFTA: TTIP auf japanisch

von Wilhelm Langthaler

Der Gewerkschafter Kattnig hat kürzlich davor gewarnt, dass die EU-Kommission mit Japan ein Freihandelsabkommen nach dem Modell TTIP&CETA abzuschließen versucht:

https://www.younion.at/cms/C01/C01_0.a/1499311595471/home/younion-kattnig-ttip-auf-japanisch-wo-bleibt-die-transparenz

Dieser Alarm ist gut und wichtig, doch viel zu wenig. Nicht nur, dass es einer richtigen Kampagne bedarf, um der EU-Kommission das Handwerk zu legen. Vor allem inhaltlich reicht der Hinweis auf die Vernachlässigung der Arbeitnehmerrechte nicht aus. Denn das ist kein Nebenaspekt. Beim Freihandel und den supranationalen Schiedsgerichten geht es genau darum, Institutionen zu schaffen, die Arbeitnehmerrechte aushebeln können. Dazu müssen sie dem demokratischen Willen entzogen werden.

„Transparenter und fairer Handel“ ist eine Leerformel. Es geht um den Schutz vor der zügellosen Ausbeutung durch die Eliten, sei es für die schwachen Staaten und auch für die sozial Schwachen in den dominanten Staaten. Freihandel ist grundsätzlich abzulehnen!

Die Bewegung der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Waren müssen unter demokratische Kontrolle und Steuerung gestellt werden. Und das geht nur mittels staatlichem Eingriff.

Und immer wieder muss man in Erinnerung rufen: die größte, mächtigste und autoritärste Freihandelsorganisation ist die EU selbst. Ihr geht es darum, die unumschränkte Gestaltungsmacht der Großkonzerne aus dem Zentrum wiederherzustellen. Das ist ihr Daseinszweck, keine Fehlentwicklung.

Globalisierung und G20

Eine gemeinverständliche Kritik

von Rainer Brunath, Chemiker und Autor, lebt und arbeitete in Italien

Definition bei Wikipedia: Der Begriff Globalisierung bezeichnet den Vorgang, dass internationale Verflechtungen in vielen Bereichen (Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation) zunehmen, und zwar zwischen Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten.

Aber was bedeutet das nun im Konkreten? Ist diese Entwicklung auf dem Globus nicht zu komplex, zu undurchsichtig, um sie als Einzelner in ihrer Gesamtheit wirklich zu verstehen? Und was meinen die Politiker, die Mainstream-Medien, die internationalen Banken oder Finanzfachleute, wenn sie von der alternativlosen Globalisierung sprechen? Durchschaut es der Normalmensch, wenn behautet wird, dass sie allen zum Vorteil gereiche, in Wirklichkeit aber Individualinteressen, speziell jene von Großkonzernen und Monopolen, durchgesetzt werden sollen? Und nicht zuletzt erhebt sich die Frage ob die Verschiffung unendlicher Warenströme über weite Distanzen – meistens hinein in die westlichen Metropolen – wirklich für den Gesamtorganismus Erde ertragbar (Dreckschleudern Containerschiffe) und sinnvoll ist. Nehmen wir einige Fragen zur Globalisierung auf und versuchen den Nebel aufzureißen.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Der Kolonialismus Britanniens, Frankreichs, Spaniens, Portugals, Belgiens, Hollands, Deutschlands aber auch der USA waren erste Schritte hin zu einer globalen wirtschaftlichen Entwicklung, wobei die kolonisierten Länder durch ihre Mutterländer (Metropolen) ausgebeutet wurden. Sie waren Lieferant von Rohstoffen und manchmal gleichzeitig auch Importland von entwickelten Industrieprodukten aus den Metropolen. Die Kolonien bezahlten mit Rohstoffen oder mit ihren in den Metropolen gefragten Agrarprodukten wie Tee, Reis ecc. Der Reichtum floss also in Richtung der Metropolen – eine entsprechende Umkehrung fand nicht statt. Nur in wenigen Ausnahmefällen, wie z.B. im Weltkrieg II, als Indien Lieferant Britanniens für Kriegsausrüstungen wurde, verschuldete sich Britannien an der eigenen Kolonie.

Im Grunde war das ein Nullsummenspiel – mit Gewinnern auf Seiten der Metropolen und Verlierern auf Seiten der kolonisierten Länder und Erdteile. Nach dem Ende des Weltkrieg II zerfiel das Kolonialsystem. Maßgebend für diese Entwicklung war die Tatsache, dass die UNO entstanden war, und dass Befreiungsbewegungen in den kolonisierten Ländern friedlich oder mit militärischem Einsatz für Eigenständigkeit eintraten. Die Sowjetunion, weltpolitisch nach 1945 in die erste Reihe aufgerückt, konnte die Befreiungen der Kolonien direkt oder indirekt beeinflussen und den Prozess vorantreiben. Dieser Typus der Globalisierung zerbrach und aus dessen Nachlass entstand nach dem Sieg der westlichen imperialen Mächte im Kalten Krieg gegen die sozialistischen Länder die neoliberale Wirtschaftsordnung. Nach dieser Zäsur begann eine neue Entwicklung der internationalen Märkte, eine Ausformung der weltweiten nun erweiterten Kontakte mit dem Ziel, eine globalisierte, kapitalistische und endgültige Weltordnung zu schaffen. Das Märchen vom Ende der Geschichte wurde erfunden.

Es begann eine Entwicklung, die nicht nur den liberalisierten, also von Schutzzöllen befreiten Welthandel betraf, (Erweiterung der EU, Freihandelsblöcke unter der Ägide der USA) sondern alle Bereiche der Arbeit umfasste. Mit einbezogen wurden Kommunikation, Innovationsentscheidungen, Arbeitsplatzverlagerungen in bisher nicht gekanntem Maßstab, Verkehr und Containerisierung des Warentransportes, weltweites Internet, Digitale Revolution, deren Auswirkungen bisher noch nicht übersehbar sind.

Zur Frage der globalen Wirtschaft:

Ist diese Globalisierung heute immer noch ein Nullsummenspiel? Das allgemein bekannte oder anerkannte Feld der Globalisierung ist die Wirtschaft, wie sie oben in der Definition von Wikipedia, bezeichnet wird. Aber schon da beginnen die Fragen. Was umfasst der Begriff Wirtschaft?

Austausch von technologisch gleichwertigen Industrieprodukten zwischen Schwellenländern und den Metropolen? Schön wäre es, wenn darüber mal was in den Boulevardblättern stünde! Vergleichende Zahlen! Dieser Punkt bleibt ein Rätsel, wir erfahren aber durchaus etwas über die Ausbeutung von natürlichen Resourcen (Öl, Erdgas, Erze, Anbau von Monokulturen z.B. Palmöl, Bananen seitens der Metropolen (oder meinetwegen auch jener Schwellenländer) in den ehemaligen Kolonien in Afrika, Südamerika oder Fernost. Verwertung statt Hilfe – ein Nullsummenspiel. Nicht, dass es keine Entwicklungshilfe gäbe. Das sei unbezweifelt. Aber die Ergebnisse jener Entwicklungshilfe bleiben im Dunklen und sie machen eher den Eindruck als seien sie das Feigenblatt der Unschuld der Schuldigen, die genau wissen, dass sie nur ein Tropfen ist auf dem heißen Stein sind. Win-Win-Situationen? Es wird uns wohl eingeredet.

Und wie sieht es auf dem Feld des Austausches von Agrarprodukten aus? Auf einem Feld, von dem man annehmen könnte, dass es eher das Natürliche der ehemaligen Kolonien sei? Ja, es gibt solche Warenströme, z.B. jene der in den Metropolen nicht oder mit unbefriedigender Profiterwartung vom Markt genommener Geflügelreste, die nach Afrika gehen und dort mit ihren Preisen die dortigen, gewachsenen Strukturen ruinieren. Ist das Entwicklungshilfe? Das ist schwer verständlich, eher ist es wohl eine spezielle Variante der Globalisierung des Warenverkehrs als Nullsummenspiel.

Oder es kommen Weine aus Südafrika oder Südamerika, Gemüse aus Kenia, Fisch vom Viktoriasee in Zentralafrika in die Metropolen. Es sind hochwertige Produkte die zu Preisen angeboten werden, die sogar die heimische Agrarwirtschaft unterbieten. Wie ist das möglich? Transport und Logistik kosten und die Unternehmer in den ehemaligen Kolonien, teilweise sogar Investoren aus Europa oder den USA, machen das nicht zum Spaß, sie sind keine Philanthropen, keine Prediger auf dem Berg. Sie wollen Profit. Ist es so schwer verständlich zu erkennen, dass dieses nur mit Hungerlöhnen (vielleicht sogar durch Kinderarbeit) möglich ist, mit denen die Menschen in den fernen landwirtschaftlichen Betrieben abgespeist werden? Und in den Metropolen sind diese Produkte willkommen. Deren Angebot wird vom Konsumenten dort nicht oder nur oberflächlich hinterfragt. Bequemlichkeit? Auf jeden Fall wieder ein Nullsummenspiel bei dem u.a. der Verbraucher in den Metropolen der Gewinner ist.

Und damit sind wir beim Outsourcing von Arbeitskraft, der Verlagerung von Produktion aus den Metropolen, wo Arbeitsplätze vernichtet werden. Ziel der Akteure des Outsourcing sind Niedriglohnländer in Fernost oder Afrika. Diese Akteure beuten das Lohngefälle zwischen den Metropolen und den ehemaligen Kolonien aus. Sie schufen damit eine Produktionsweise, die, sehr allgemein gesehen, gekennzeichnet ist durch den Import von Rohwaren und Energieträgern in die Metropolen, wo daraus Halbfabrikate entstehen, die ihrerseits wieder in die ehemaligen Kolonien verbracht werden, um sie dort durch Ausnutzung billigster Arbeitskraft zu Fertigprodukten zu montieren. Danach kommen die Waren wieder nach Europa oder die USA, um nach mehreren Transporten – also hin und zurück – auf den Märkten zu Preisen angeboten werden, die nur durch niedrigste Arbeitslöhne in den ehemaligen Kolonien und lange tägliche Arbeitszeiten möglich sind.

Outsourcing der Produktion ist somit ein doppeltes Nullsummenspiel: Arbeitsplatzvernichtung in den Stammsitzen von Unternehmen in Europa und damit die Vermeidung von Lohnzahlungen dort sowie der kalkulierte Gewinn für die Wirtschaftseliten in den Metropolen durch nicht gezahlte Tariflöhne in den ehemaligen Kolonien.

Begleitet wird diese Art der Globalisierung von einem Teilbereich der Welt der Finanzen und zwar jenem, der gebunden ist an Waren und deren Produktion. Banken überwachen und steuern die internationalen Verflechtungen dieser globalisierten Finanzwelt. Dank Digitalisierung sind heute Verschiebungen von Zahlungen weltweit in Sekunden möglich. So können die Akteure des Outsourcing quasi on time an Hand der sofort vorliegenden Zahlen Entscheidungen treffen, z.B. Entscheidungen darüber, ob der Daumen nach oben oder nach unten geht. Am grünen Tisch im Konferenzsaal fällt man Entschlüsse darüber, ob ein Standort in Fernost oder Afrika geschleift wird oder nicht. Ein Nullsummenspiel, bei dem sich die bestimmenden Akteure die Spielregeln selbst machen.

Und – die Welt der Finanzen ist nicht nur begrenzt auf die Bindung an die materielle Produktion von Waren. Sie hat sich verselbstständigt in der Art, das der Wert von national oder international aktiven Konzernen oder sogar Mittelstandsunternehmen an den Börsen überbewertet wird. Deren Aktienbesitzer (oder von Fonts, Pfandbriefen Schuldverschreibungen usw) sind durch diese Überbewertung (man nennt es Kurssteigerung) reicher geworden als sie es ohnehin schon vor dem Erwerb jener Wertpapiere waren. Um diesen gesteigerten Wert abzusichern, wird von den Banken mehr Geld in Umlauf gebracht. Ein Konjunktureinbruch jedoch, der zum System gehört wie Leben und Tod eine Einheit bilden, ändert an der Situation der Geldmenge im Markt aber nichts mehr. Dafür ist die Inflation, die Entwertung, da. Wieder ein Nullsummenspiel

Immobilienbesitzer konnten sich (und können es noch immer) in Zeiten der Kurssteigerungen reich rechnen. Rätselhaft und unverständlich erscheint das Verhalten von Millionen von ihnen, die in den USA auf die neuen, höheren Werte ihrer Häusle (oder ihrer Anlagen) Kredite aufnahmen. Sie ließen sich von Kreditangeboten ihrer Banken zu noch mehr Konsum verführen. Denn es war ja so leicht, an Geld zu kommen – und zurückgezahlt wurde wiederum mit geliehenem Geld. Aber weil kein Baum in den Himmel wächst, kam es wie es kommen musste. Die Nachfrage brach ein, ein sich selbst antreibender Kreislauf begann, bis die Katastrophe offenbar war. Kredite konnten nicht mehr abgelöst werden. Das war ein sehr großes Nullsummenspiel, bei dem auch die Banken der Verliererseite standen

Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation.

Die Nennung dieser Lebensbereiche steht bei Wikipedia nur, um dem einzigen Punkt, der die Eliten wirklich interessiert, Wirtschaft, noch etwas an die Seite zu stellen.

Politik: Es scheint nicht, dass man bei der Politik im allgemeinen von Globalisierung im Sinne gleichberechtigter weltweiter Partnerschaften reden kann. Solange sich noch Militärblöcke gegenseitig bedrohen, solange das eine oder andere Land mit einem Krieg begleitenden Regime Change überzogen wird, solange auf der einen Seite von Freihandel gefaselt wird und auf der anderen Seite Wirtschaftssanktionen, z.B. gegen Russland, Kuba oder dem Iran, verhängt werden, solange es Atomsprengköpfe gibt, die Staaten bedrohen, ist die Politik der westlichen Metropolen sehr schwer zu verstehen. Sie grenzt an Willkür gegenüber anderen Systemen, Kulturen und Religionen, ja sogar den Menschen der Metropolen gegenüber, wie es zuletzt bekannt geworden ist, dass heimlich nach dem gescheiterten TTIP ein Freihandelsblock mit Japan ausgehandelt wurde. Ein Block gegen China gerichtet. Ist das gleichberechtigter multilateraler Freihandel für alle?

Diese Art der Politik des Westens gegenüber der restlichen Welt begann schon kurz nach dem Weltkrieg II mit dem sogenannten Kalten Krieg und setzte sich nach dessen Ende nahtlos bis heute fort. Diese Politik enthält das größte Konfliktpotential, wie sich an den begleitenden Veranstaltungen, Demos und Protesten zu den G8, dann nach Ausschluss Russlands G7 und den später daraus entstandenen G20-Gipfeln immer wieder zeigt. Globalisierung mit positivem Vorzeichen und demonstrierter Einigkeit? Machen diese Politiker sich nicht total unglaubwürdig? Solange es noch Wirtschaftssanktionen westlicher Metropolen gegen China, Russland, totale Handelsblockade der USA gegen Kuba gibt, ist nichts gewonnen.

Politik sollte eigentlich für alle da sein, wird aber, so scheint es, von den meisten gewählten und regierenden Politikern von Staaten mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung nicht so verstanden, obwohl sie immer wieder versuchen es so darzustellen. Sie verwenden den Begriff Demokratie und meinen damit das Herrschaftssystem oder den Machtblock, für das sie sich zum Diener machen und das sie gegen alle Widerstände sichern wollen. In der Tat trifft hier der Begriff Globalisierung zu, denn sie weiten ihre Herrschaft und damit ihre Demokratie über den ganzen Globus aus. Und da finden sich unterschiedliche Formen der Vorgehensweise jener Weltpolitiker, die um die besten Plätze rangeln und den Beginn von Kriegen gegen ungehorsame Politiker und deren Staaten (Libyen, Syrien) nicht scheuen. Alternativen bieten sie nicht, denn sie verfolgen nur ihre Interessen und die ihrer Auftraggeber. Wenn der Normalbürger diesen Politikern glaubt, wird er bis zum St. Nimmerleinstag warten müssen, dass sich etwas zu seinem Wohl bewegt, dass Frieden einzieht.

Kultur, Sport und Kommunikation:

Diese Bereiche tangieren Globalisierung im positiven Sinne, denn oft engagieren sich Kulturschaffende, Sportler von der anderen Seite des Globus in Europa für Frieden und Umwelt, oder die sie unterstützen NOG´s (Non Government Organisations) wie Greenpeace ecc bei ihrer Arbeit. Leider ist diese Arbeit unerlässlich, weil eben egoistische und partielle Wirtschaftsinteressen in den verschiedensten Bereichen sich immer wieder durchsetzen und Allgemeininteressen, wie z.B. der Erhalt von Fischbeständen in den Weltmeeren, geschädigt werden. Die Arbeit der genannten NOG´s könnte entfallen, ja deren Kreativität könnte vorantreibend wirken, würde sich die Wirtschaft wirklich global verantwortlich verhalten.

Umwelt und Klima:

Diese Bereiche sind so bedeutend, dass deren Beratung nicht nur den G20-Politikern überlassen werden darf. Hier sind alle Länder auf dem Globus gefragt. Es sind globale Themen und deren Brisanz hat ein Niveau erreicht, das keine Verzögerung mehr zulässt. Die Einflussnahme des Menschen, sprich seine wirtschaftlichen Ausbeutungsmechanismen auf die natürlichen Resourcen der Erde sind so gewaltig geworden, dass die Menschheit, macht sie ungebremst so weiter, seine eigene Ausrottung vorbereitet. Diese globale Frage ist ein für die Menschheit existenzieller Tagesordnungspunkt, dessen Behandlung nicht eine Minute aufgeschoben werden sollte.

Was also sollen oder wollen die globalen G20 Politiker auf ihren pompösen Treffen verhandeln? Und was können sie? Die zweite Frage ist die entscheidende. Als Diener ihres eigenen Wirtschaftssystems, als Butler ihrer Bosse, die sich die Interessen der Chefetagen zu Eigen gemacht haben, müssen sie dafür sorgen, dass ihre Machtgrundlage, das aktuelle unsoziale Wirtschaftssystem, unangetastet bleibt. Man kann nicht erwarten, dass sie gegen ihre eigenen Interessen verstoßen, da sie auch Mitverdienende im Räderwerk der Machterhaltung geworden sind. Es geht bei diesen Treffen also nur darum, die Abschluss-Verlautbarungen so zu schreiben, dass ein gewisser Eindruck entsteht, die Lebensinteressen des normalen und im Arbeitsleben stehenden Menschen wären berücksichtigt worden. So jedenfalls war es bei G8/7 und G20-Treffen der Fall und so wird es weiterhin sein. Wie Globalisierung sich in Zukunft entwickeln wird, wird nicht auf den zukünftigen G20-Gipfeln entschieden sondern durch machtvollen millionenfachen politischen Protest (Petitionen, Streik, Manifestationen) und vielleicht auch an den Wahlurnen. Dort allerdings sind diejenigen, die sich Alternative nennen nicht die Alternative, sondern populistische Strömungen, die eher dem lokalen als dem internationalen Kapital verbunden sind, Protektionisten sind, und eben deshalb keine zukunftsorientierte Politik anbieten können.

 

„STEIGENDE ERWARTUNGEN“, SOZIALDEMOKRATIE UND POPULISMUS. Krise der Repräsentation oder Krise der Repräsentanten?

Die Sozialdemokratien in Österreich und in der BRD sind seit Längerem in einer Schwäche­-Phase. Noch sind sie nicht zusammengebrochen, wie die in Griechenland und Frankreich. Es sieht aber so aus, als ob beide Parteien bei den kommenden Wahlen eines übergebraten bekämen. Zwar: Über die SPD muss man sich allenfalls wundern, dass sie sich wundert, dass man ihr die Soziale Gerechtigkeit als Thema nicht abnimmt –erst holt sie sich Schulz als Vorsitzenden und dann Schröder als Wahlkämpfer. Aber auch in Österreich ist es nicht so sicher, dass die SPÖ nach Gusenbauer und Faymann wieder einen Fuß auf den Boden bekommt. Das Angebot Kern ist reichlich mickrig. Strache und Kurz scheinen sich überdies schon einig zu sein; es fragt sich höchstens, wer von beiden Kanzler wird.

„Sozialkapitalismus“, „demokratischer Kapitalismus“, so nennt W. Streeck die Ordnung der Nachkriegszeit. Ich beziehe mich hier auf ihn, weil er in diesem Buch prominent eine Krisenerklärung für heute anbietet. Heute kämen die Krisen daraus, dass das Kapital diesen Konsens, diesen Kompromiss aufgekündigt habe. Es sind eine Menge überlegenswerter Gedanken in Streecks Buch. Und doch: Einige der wichtigsten Punkte hat er nicht begriffen, will er vielleicht nicht begreifen. Wie entstand denn diese europäische Nachkriegsordnung, deren Verblassen wir heute mit Nostalgie sehen, obwohl die Linke sie seinerzeit stets bekämpft hat?

Die paradigmatische Verwalterin dieser Nachkriegsordnung war die europäische Sozialdemo­kratie. Doch auch die konservativen Parteien ließen sich ganz und gar auf den Sozialdemokra­tismus der unmittelbaren Nachkriegszeit ein. Es gibt kaum etwas Kennzeichnenderes für den Versuch eines Neuanfangs als das Ahlener Programm der CDU von 1947. Programmatisch-ideologisch hatten die Konservativen diese Phase schnell überwunden und stiegen in den harten Konflikt ein. Die Sozialdemokratien aber betrachteten sie als ihre Grundlage.

Aber die Sozialdemokratie hat ihren Erfolg selbst nie verstanden. Vor allem hat sie nie begriffen, dass sie ihn ihren erbittertsten Gegnern verdankte, der Sowjetunion und den dieser verbundenen, vielmehr untergeordneten Kommunistischen Parteien. Nur der Angst vor diesem System ist die Bereitschaft des Kapitals zu einem solchen Kompromiss geschuldet. Man trug ihn ja nicht mit Freuden mit, sondern zähneknirschend. Der Lösungsansatz der Zwischenkriegszeit war mit Eklat gescheitert: Die diversen, vom Großkapital gestützten und benutzten Faschismen hatten in die Katastrophe geführt. Nun fürchtete das Kapital, auch Westeuropa zu verlieren.

Dazu trugen auf eine paradoxe und fast ironische Art die USA bei. Von Japan angegriffen und von Nazi-Deutschland in den Krieg verwickelt, waren sie notwendig Gegner des Faschismus geworden. Zwar entwickelten sie schnell das Konzept des weltpolitischen roll back und ver­suchten die Praxis nachzuschieben. Aber gleichzeitig sahen sie das eigene System in einer teils naiven, teils arroganten manifest destiny-Haltung als verpflichtend an, schon damals eine Art end of history-These. Eine weitere Faschismus-Periode in einem der Kernländer West­europas sollte es also nicht mehr geben. Also mussten sich die kapitalistischen und die kon­servativen politischen Eliten beugen. Vergessen wir nicht: Damals hatte die USA ein scharf progressives Einkommenssteuer-System, an das sich heute niemand erinnern will.

Die westeuropäische Entwicklung war also von beiden einander entgegen gesetzten Systemen außenbestimmt. Dazu kam, dass auch die USA, zwar mit einiger Verzögerung, nach der MacCarthy-Periode eine Version des Sozialstaats entwickelten, in der Kennedy-Zeit und vor allem unter Johnson. Der führte gewissermaßen eine US-sozialdemokratische Politik. Doch bereits mit Nixon, also ab 1969, setzte der soziale roll back ein. Seine Ergebnisse kann man in den Verteilungsdaten auf Pikettys website im Detail nachverfolgen.

Es war eine spezifisch keynesianische Politik, welche die Sozialdemokratie da durchzog. Sie setzte im Kulturbereich – darunter verstehe ich Alles, was nicht Ökonomie ist – eine links­liberale Ausrichtung, eine soziale und kulturelle „Modernisierung“, wie sie sagte. Damit er­rang sie bis heute die Meinungsführerschaft unter den hegemonialen intellektuellen Gruppen in dieser Sphäre. Die sozio-ökonomischen Strukturen aber wagte sie nicht anzutasten. „Solan­ge ich regiere wird rechts regiert“, dekretierte Kreisky 1978 kategorisch. Überhaupt war die Kreisky-Zeit für die Blüte der europäischen Sozialdemokratie paradigmatisch. Diese völlige Unterwerfung unter die herrschenden sozio-ökonomischen Verhältnisse hatte kennzeichnende Folgen.

Die neuen Leistungen für die Unter- und vor allem die (unteren und mittleren) Mittelschichten wurden keineswegs durch den Abzug von Ressourcen bei denen finanziert, wo sie zu finden gewesen wären. Denn, wie gesagt, die herrschenden Verhältnisse wagte die Sozialdemokratie nicht anzurühren. Es war der Staat, welcher die neuen Leistungen auf sich nahm, nicht etwa das Kapital. Konkret hieß dies: Ein Großteil dieser Leistungen entsprang einer horizontalen Umverteilung innerhalb der Mittelschichten. Aber bei der Unterschicht konnte man dies nicht machen. Die Leistungen für sie wurden zu einem nicht geringen Teil über Kredite finanziert. Das hatte zwei Folgen. Die Schuldenlast der öffentlichen Hand wuchs, und zwar stetig, nahe­zu naturgesetzlich. Aber damals gab es noch nicht den Investitionsstreik des Kapitals aus seinen heute auch aus kreislaufanalytischer Sicht viel zu hohen Gewinnen. Das Sozialprodukt war bereits vor der Umverteilung ausgeschöpft. Die notwendige Folge dieser keynesiani­schen Politik in einer unkeynesianischen Situation war somit Inflation. In Österreich machte die Inflation 1974 9,5 % aus und 1975 8,4 %. In der BRD stand sie 1973 bei 7,1 %, 1974 bei 6,9 %. Danach gab es eine kurze Periode der Entspannung. Doch 1981 stieg sie wieder auf 6,3 %.

Es war eine weltwirtschaftlich-weltpolitische Entwicklung großer Tragweite, welche die Ent­wicklungen überlagerte und teils auch anstieß. Inflation ist immer Ausdruck eines Vertei­lungskampfes, und ein völlig neuer Verteilungskampf begann. In den „Ölschocks“ 1973 und 1979 schafften es die parasitären Eliten einiger Entwicklungsländer, einen beachtlichen Anteil des Reichtums für sich abzuzweigen. Aber es waren nicht die räuberischen Konzerne, welche drankamen, ganz im Gegenteil. Bezahlt hat diesen Anteil die Bevölkerung, vor allem des westlichen Zentrums, durch allgemeine Preiserhöhungen. Das gab einen zusätzlichen Inflations-Impuls. Es hatte überdies weitreichende politische Folgen.

Zum Einen konnten nun die Unternehmen mit einer gewissen Plausibilität ihre Preiserhöh­ungen den „Ölscheichs“ in die Schuhe schieben. Es entstand ein allgemeines Inflations-Klima. Und ebenso wichtig: Die Rezyklierung der Ölgelder gab der Entwicklung zum neuen Finanzkapitalismus einen mächtigen Schub. Der Globalismus wurde zu einem neuen System.

Solange die Leistungen stiegen, nahm die Bevölkerung dies hin. Als aber die ersten Verunsi­cherungen und eine Tendenz zum Abbau erkenntlich wurden, kam schlechte Stimmung auf, und die Zustimmung zur SP begann zu sinken. Die Soziologen begannen mit einem gewissen Zynismus von den „steigenden Erwartungen“ der Unter- und Mittelschichten zu sprechen. Die könnten nun nicht mehr erfüllt werden. Affairen und Korruptionsfälle verstärkten das Miss­vergnügen. Die Eliten und die Konservativen standen bereit, dies zu nützen. Und die SP selbst reagierte mit der Wende zum Neoliberalismus. Frankreich war besonders früh dran, aber in der Entwicklung symptomatisch.

Inzwischen begann sich auch die Sowjetunion als Papiertiger zu erweisen. Das Wachstum in ihrem Herrschaftsbereich ließ nach. Manche Sozialindikatoren wiesen bisweilen sogar nach unten. In Ungarn etwa sank in den 1980ern die Lebenserwartung. Mit dieser Entwicklung entfiel aber die Hauptgrundlage der ohnehin schwachen Legitimität. Der Versuch eines Um­baus geriet außer Kontrolle. Die alten Eliten selbst zerschlugen das System und rissen sich die Beute unter den nun privaten Nagel.

Damit aber entfiel die Geschäftsgrundlage des bisherigen Arrangements auch im Westen. Nun fühlte sich das Kapital völlig frei. Das politische Problem des allgemeinen Wahlrechts und der Demokratie aber löste es mit der Transformation der EG zur EU: Die wesentlichen Ent­scheidungen wurden dem Zugriff oder der Beeinflussung seitens der Bevölkerung entzogen.

Haupttreiber dabei war die Sozialdemokratie. So verwunderlich ist dies nicht. Sie hatte sich mittlerweile aus einer Massenpartei der Arbeiter und Unterschichten zu einer Kaderpartei der Bürokratie gewandelt. Mao hatte in seiner Jugend und in seinem Alter den Legalismus und Han Fei als seine Vorbilder genannt: um das System, ja die Maschine Gesellschaft (man könnte in Anlehnung an den aufklärerischen Materialismus von société machine sprechen) zu steuern, muss die Bürokratie Alles kontrollieren. In Europa hießen die Vorbilder anders. Ich habe mehr als einmal von sozialdemokratischen Beamten den Bürokraten-Kaiser Josef II. als Vorbild nennen gehört. Auf paternalistische Weise lautet nun das Motto: Alles für das Volk (oder was wir darunter eben verstehen), aber nichts durch das Volk. Es ist kein Zufall, dass einige der erfolgreichsten Beamten in Brüssel ehemalige (?) Maoisten sind.

Sie übersahen dabei nur eines: Ihre Wähler-Basis begann zu erodieren.

Denn die „frei“ gewordenen und immer stärker verunsicherten Unterschichten begannen zu murren und suchten sich einen anderen politischen Repräsentanten. Diese Obere Mittel­schicht-Sozialdemokratie, diese Mischung aus Yuppies mit den ihnen so wichtigen sexuellen Orientierung, und der Elite-Interessen mit ständigen Kaufkraft-Verlusten und ihrer Botschaft der Disziplinierung war dieser Repräsentant jedenfalls nicht.

Aber die Repräsentation ist, bei aller Neigung zur direkten Partizipation, nun einmal das Grundprinzip moderner Politik. Großgesellschaft bedarf unabdingbar der Stellvertretung mit ihren beiden Charakteristiken: dass Interessen und Identitäten auf der politischen Ebene vertreten sind; und dass dies eine Stellvertretung ist. Politik ist für den übergroßen Teil der Bevölkerung keine erwünschte Lebenswelt, wie es für viele Intellektuellen ist. Es war einer der gröbsten Fehler der Studentenbewegung, den Wert des Privaten für fast alle Menschen nicht zu erkennen. Zum Privaten aber gehört eine möglichst gesicherte Lebensplanung.

Noch einmal Streeck. Er meint: Die „Toleranz für die Ungewissheiten des Marktes“ habe sich „deutlich erhöht“. Ich halte dies für ein schweres Fehlurteil. Als das soziale roll back begann, wussten die Menschen eine Zeitlang nicht recht, wie sie sich wehren sollten. Sie begannen aber sehr schnell, ihrem Unmut Ausdruck zu geben. Sie wandten sich von den etablierten Parteien ab. Dieses „De-Aligning“, wie akademische Politikwissenschaft schwadroniert, war kein Automatismus.

Die Stunde des Populismus schlug.

Da die angebliche „Linke“ – in Frankreich nennt sich heute noch der Rest der zusammen gebrochenen SP „Neue Linke“ – so eklatant „versagte“, nämlich die Gegenseite bediente, wandten sich die Unterschichten nach Rechts, zumal ihnen die Intellektuellen-Kultur der Linksliberalen sowieso eher fremd waren.

Die Erfolge des Rechts-Populismus, wie immer sich die Parteien nennen, FPÖ, AfD, FN, …, kommen im Wesentlichen aus dem diffusen Protest der Bevölkerung gegen die neoliberale Politik und ihr Programm der fundamentalen, existenziellen Verunsicherung. Denn noch ist der reale Leistungsabbau in einzelnen Ländern wie Österreich nicht besonders weit fortge­schritten. In Österreich steigt sogar die „Sozialquote“ noch etwas, obwohl man dem wenig Beachtung schenken muss, weil die „Sozialquote“ unsinnig definiert ist.

Aber das Programm der existenziellen Verunsicherung ist der Grundbaustein der neoliberalen Strategie. Die will nämlich durchsetzen: Ihr müsst diszipliniert unseren Wünschen nach­kommen. Dann könnt ihr auch überleben. Anderenfalls stoßen wir Euch in den Orkus der sozialen Verachtung, in die Kategorie der prekären Wirklichkeit.

Populismus lässt sich auf einen kurzen Nenner bringen: Er nimmt die Sorgen der Bevölkerung auf und stellt richtige Fragen. Aber er gibt Antworten, die völlig ungeeignet und meist kontra­produktiv sind. Also: Die Arbeitnehmer-Vertretung ist wenig kämpferisch. Die typisch popu­listische FP-Folgerung lautet: Schaffen wir die AK ganz ab, und schwächen wir die Arbeitnehmer noch mehr. Usf.

Sprechen wir vom Populismus, so müssen wir, wie in der Politik immer, beide Seiten des Ablaufs betrachten: das rechts-populistische Anbot der entsprechenden Parteien; und die Haltung der Bevölkerung.

Beim Anbot brauchen wir nicht lange zu verweilen. Die Haider-FPÖ hat 2000 – 2007 gezeigt, wozu sie gut war: Sie hat den härtesten Neoliberalen und deren politischen Repräsentanten, den Schüssel und Bartenstein etc., die Möglichkeit zu ihrer Politik eröffnet. Selbst waren die FPÖler zu unfähig, jenseits von Korruption irgendetwas zu bewirken. Die Strache-FPÖ schlägt eben denselben Pfad ein und bereitet sich auf dieselbe Karriere vor. Da ist es ziemlich belanglos, ob der Häuptling selbst Kanzler wird oder aber sein jüngerer Abklatsch namens Kurz. Die AfD hatte noch nicht die Möglichkeit zu einer solchen Politik, auch der FN nicht.

Und die Bevölkerung? Ist die starke Protesthaltung der erste Schritt zu einem System-Protest?

Die Antwort fällt höchst zwiespältig aus. Der unmittelbare, der größte Wunsch einer Mehrheit in der Bevölkerung dürfte sein: Zurück in die gute alte Zeit des Nachkriegs-Arrangements mit seinem stetigen Wachstum im Wohlstand und seinen fiktiven Sicherheiten in der Lebens­führung. Aber dieses Anbot führen die ökonomischen und politischen Eliten nicht mehr. Ihr klares Programm heißt: Disziplinierung – Bescheidung! Dann sichern wir Euch auch ein Überleben, auf niedrigem Niveau natürlich.

Der Populismus ist auch für eine linke, eine emanzipatorische Orientierung problematisch. Wir dürfen zwar nicht in den Chor jener einstimmen, für welche der Populismus eine Gefahr für ihre Privilegien und ihre Bequemlichkeit ist. Ihr Geschimpfe erinnert nur zu sehr an die giftigen Attacken auf die „Demagogen“ seitens der Feinde der Demokratie in früheren Zeiten.

Ich halte es aber auch für einen politischen Irrtum, auf die Strategie einer „links-populisti­schen Bewegung“ zu setzen. Es ist richtig: Man muss die Menschen dort ansprechen, wo sie stehen. Und allein das Wort „Populismus“ beinhaltet mittlerweile die ganze Arroganz bürgerlicher Intellektueller, jener „platonischen“ Schicht, welche allen Anderen ihre Kultur aufzwingen wollen. Der Irrtum besteht jedoch darin, die völlig legitimen Anliegen der Bevöl­kerung, den Wunsch nach einer Absicherung des Lebens auf angemessenem Niveau, mit dem aktuellen Ausdruck der Unzufriedenheit zu verwechseln. Dieser Ausdruck ist meist eindeutig: Uns soll es gut gehen. Alle Anderen mögen bleiben, wo sie wollen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich bringe den Ansätzen des Links-Populismus viel Sympathie entgegen. Aber das ist keine Strategie. (Lenin würde sagen: Das ist „Chwostismus“, Nachtrab-Politik.) Rebelli­sches Aufbegehren ist ein Anfang. Eine Strategie der langen Dauer ist doch wieder eine intellektuelle Angelegenheit. Diesem Widerspruch müssen wir uns stellen.

Eine linke Strategie kann sich nicht gegen solche Bewegungen wenden, schon deswegen nicht, weil sie wirkliche Bedürfnisse der Bevölkerung widerspiegeln. Aber sie wird die ganz engen Grenzen eines solchen Anfangs immer mitdenken müssen. Ich vermute, dass wir uns mit der Rolle als politische Minderheit auf Dauer zufrieden geben müssen. Aber diese Minderheit hat sich ihre Aufgaben und Ziele zu definieren. Die werden, je nach Können, Temperament und Alter, in der Beobachtung, in der Analyse, im besseren oder wichtigeren Fall aber im Setzen von Impulsen, im Vorgeben von Themen, im Antreiben von Aktionen bestehen müssen.

Albert F. Reiterer, 2. Juli 2017

Streeck, Wolfgang (2013), Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Frankfurt / M.: Suhrkamp.

Souveränität für eine Politik von Emanzipation und De-Kommodifizierung

von Steffen Stierle, Juni 2017

Diese Rede wurde am Seminar „Reshaping sovereignty and achieving equality in Europe“ des „European Reserch Network for Social and Economic Policy“ (ERENSEP) in Barcelona gehalten.

Der Neoliberalismus war von Anfang an in der Lage, Teile seiner potenziellen Gegner für sich zu gewinnen und erreichte dadurch eine hegemoniale Stellung. In diesem Kontext ist in Europa die Aufgabe nationaler Souveränität zugunsten des supranationalen Rahmens der EU zu sehen, in dem demokratische Entscheidungen zugunsten eine Politik der De-Kommodifizierung kaum mehr möglich sind. Gleichwohl sind die Nationalstaaten weder verschwunden noch obsolet geworden. Sie sind die Ebene auf der politische Projekte des sozialen Schutzes gegen die Aggressionen des Marktes durchgesetzt werden könnten, wenn die Liaison emanzipatorischer Kräfte mit dem Neoliberalismus zugunsten einer Liaison mit den Kräften des sozialen Gesellschaftsschutzes aufgekündigt würde. Derartige Projekte müssten nationalstaatliche Souveränität zurückkämpfen um handlungsfähig zu sein. Der wichtigste Schritt wäre der Ausstieg aus der europäischen Währungsunion. Diese Zusammenhänge werden im Folgenden ausführlicher dargestellt.

Die unheilige Liaison emanzipatorischer Kräfte mit dem Neoliberalismus

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert brachte eine gesellschaftliche Doppelbewegung hervor: Einerseits Kommodifizierung in einem Ausmaß, das die Gesellschaft als solche existenziell bedroht. Andererseits eine Gegenbewegung, die auf sozialen Schutz vor den Aggressionen des Marktes und damit den Erhalt der Gesellschaft abzielt. Karl Polanyi hat diese Doppelbewegung herausgearbeitet und überzeugend dargestellt, dass es sich bei der Gegenbewegung um eine dezentrale und spontane Reaktion zum Selbstschutz der Gesellschaft handelt (Polanyi 1973 [1944]).

Daraus ergibt sich die Frage, was heute, im Zeitalter des globalisierten, finanzgetriebenen Kapitalismus (des Neoliberalismus) anders ist. Angesichts des pervertierten Ausmaßes an Kommodifizierung (Ausuferung der Finanzmärkte, Arbeitsmarktflexibilisierung, Privatisierung lebensnotwendiger Güter wie Wasser etc.) kommt die Gegenbewegung erstaunlich schwach daher.

Die US-amerikanische Feministin Nancy Fraser liefert einen wichtigen Beitrag zur Erklärung dieses Umstandes, wenn sie auf eine unheilige Liaison emanzipatorischer Kräfte mit dem Neoliberalismus verweist. Der Kampf gegen herrschaftliche Unterdrückung (Paternalismus, Rassismus etc.) spielt in Polanyis Doppelbewegung keine Rolle. Dieser Kampf wird mit den neuen emanzipatorischen Bewegungen politisch relevant, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bühne betreten.

Viele der von ihnen angegriffenen Herrschaftselemente sind mit Elementen des sozialen Schutzes verwoben: Paternalistische Strukturen in den Sozialstaaten der Nachkriegszeit, rassistische Ausgrenzung aus sozialen Sicherungssystemen entlang nationalstaatlicher Grenzen, Verfestigung von Klassenstrukturen im korporatistischen Wohlfahrtsstaat etc. (Esping-Andersen 1990). Fraser stellt fest, dass die Liaison mit dem Neoliberalismus erstaunliche Erfolge in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, der sexuellen Freiheit, des Anti-Rassismus etc., zugleich aber ein extrem weitreichendes Zurückdrängen des sozialen Schutzes durch Kommodifizierung ermöglichte. Das sei die Basis neoliberaler Hegemonie (Fraser 2013).

In diesem Kontext sind die Kompetenzübertragungen aus den europäischen Nationalstaaten auf die EU-Ebene und der damit einhergehende Souveränitätsverzicht zu betrachten. Unter neoliberaler Hegemonie steht der Nationalstaat für Rückwärtsgewandtheit, veraltete Autoritäten und Exklusion. Die EU steht für Internationalismus, Fortschritt und Offenheit.

Zum Charakter der EU-Integration

Der oben begründete Siegeszug des Neoliberalismus beschreibt eine globale Entwicklung. Die EU-Integration seit Mitte der 1980er Jahre ist ihre europäische Dimension. Bewusst wurde ein Konstrukt geschaffen, das alle Beteiligten in der Tendenz auf neoliberale Politik festlegt. Der common market zwingt zu einer Wirtschaftspolitik der Deregulierung, die Maastricht-Regeln zu pro-zyklischer, zurückhaltender Fiskalpolitik, die EZB-Statuten zu einer preisstabilitäts- statt beschäftigungsorientierten Geldpolitik.

Entscheidend ist, dass dies nicht eine Frage parlamentarischer Mehrheiten ist. Vielmehr sind diese neoliberalen Festlegungen als Teil der EU-Verträge der demokratischen Umgestaltung entzogen. Wie der Europarechtler Dieter Grimm erklärt, haben die EU-Verträge

„die Funktion übernommen, die im nationalen Staat Verfassungen haben. Verfassungen entziehen bestimmte grundlegende Prinzipien der Mehrheitsentscheidung und bestimmen im Übrigen die Organe der politischen Einheit, ihre Kompetenzen und das Verfahren, in dem politische Entscheidungen gefällt werden. […] Die europäischen Verträge, die vom EuGH konstitutionalisiert worden sind, beschränken sich aber nicht auf solche Bestimmungen. Sie sind voll von dem, was in den Mitgliedstaaten einfaches Gesetzesrecht wäre. […] Wenn es um ihre Auslegung und Anwendung geht, sind die Vollzugs- und Gerichtsorgane der EU, also Kommission und EuGH, unter sich. Rat und Parlament sind jedoch nicht nur ausgeschlossen. Sie haben auch keine Chance, etwas zu ändern“ (Grimm 2017).

Die single currency hat zudem einen Lohn- und Steuerwettbewerb ausgelöst, der Sozialstaatlichkeit, öffentliche Daseinsvorsorge und Arbeitnehmerrechte unter zusätzlichen Druck setzt und zugleich die ökonomischen Ungleichgewichte produziert, die eine Hauptursache der Euroraum-Krise seit 2009/10 sind. Die politischen Reaktionen auf die Krise reflektieren gleichwohl den neoliberalen lock-in und folgen den Interessen der dominanten Akteure des finanzgetriebenen Kapitalismus. Die Troika-Interventionen, das quantitative easing der EZB etc. drehen sich vor allem um die Frage: Wer wird rausgehauen, wer zahlt? Gerettet werden Banken, transnationale Konzerne und Vermögende, die Zeche zahlen Arbeitnehmer, Rentner und Kleinunternehmer.[1]

Zugleich wird die Krise genutzt, um den lock-in zu härten: Fiskalpakt, Europäisches Semester, 6-Pack und 2-Pack sind Beispiele dafür. Stets geht es um die gleichen drei Elemente: Druck auf öffentliche Ausgaben, Druck auf Marktregulierungen und Etablierung von Durchgriffsrechten der EU-Technokratie auf die nationalstaatliche, parlamentarische Politik. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, wie die Vorschläge zeigen, die u.a. im Fünf-Präsidenten-Bericht[2] 2015 oder dem Reflexionspapier der EU-Kommission zur Vertiefung der Währungsunion[3] 2017 vorgelegt wurden.

Zum Charakter und den Potenzialen heutiger Nationalstaaten

Die EU-Integration bedeutet letztlich der Aufgabe nationalstaatlicher Souveränität zugunsten eines abstrakten, technokratischen Institutionengefüges, das zunehmend apolitisch funktioniert und jene Maßnahmen umsetzt, die es braucht um den finanzgetriebenen Kapitalismus am Laufen zu halten und die Interessen seiner dominanten Akteure zu bedienen. Die heutigen Nationalstaaten sind einst mit ähnlicher Intention entstanden: Sie wurden regionalen, häufig recht solidarisch geprägten Gesellschaften und eher marktfremden Wirtschaftskreisläufen übergestülpt um ausbeuterische Strukturen durchzusetzen. Statt über die Angelegenheiten der Gesellschaft vor Ort zu diskutieren und gemeinsame Lösungen zu suchen, sowie sich gegenseitig zu helfen, waren nun Steuern zu zahlen und die Politik dem abstrakten, fernen Staat zu überlassen. Um die Steuern bezahlen zu können, musste für einen anonymen Markt produziert werden. Um sich auf selbigem zu behaupten musste permanente Effizienzsteigerung betrieben werden etc. Es gibt also aus marktkritischer Sicht wenig Grund, den Nationalstaat zu glorifizieren (Kropotkin 2009 [1902]).

Bis innerhalb dieser Nationalstaaten ein gewisses Maß an Bürgerrechten durchgesetzt werden und funktionierende Gesellschaftsstrukturen etabliert werden konnten, sind Jahrhunderte vergangen. Den persönlichen Rechten des 18. und den politischen Rechten des 19. Jahrhunderts folgte im 20. Jahrhundert vor allem die Durchsetzung sozialer Rechte. Während jedoch persönliche und politische Rechte gut mit dem Kapitalismus vereinbar waren, teilweise durch seine Entwicklungsphasen geradezu erforderlich wurden, fordert der Kampf um soziale Rechte ihn heraus (Marshall 1991 [1950]). Insofern ist es logisch, dass gerade ab dem späten 20. Jahrhundert erneut etwas abstrakteres, größeres, über die Gesellschaften gestülpt wird – globale Institutionen bzw. die EU.

Während es wohl erneut Jahrhunderte dauern würde, auf der neuen Überebene ein vergleichbares Maß an sozialem Schutz und Demokratie durchzusetzen, sind die Nationalstaaten heute keineswegs obsolet. 1950 zählten die Vereinten Nationen 91 Staaten auf der Welt, bis 1980 stieg ihre Zahl auf 177. Im Zeitalter der Globalisierung nahm sie nochmal zu, auf 202 im Jahr 2010. Die meisten davon sind klein. Die durchschnittliche Einwohnerzahl liegt bei 7,1 Millionen. Der Prozess zur nationalstaatlichen Organisierung ist damit nicht abgeschlossen. Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, Schottland, Flandern, Quebec oder Kurdistan zeigen, dass viele Nationen eine eigene Staatlichkeit auch heute noch für erstrebenswert halten (Streeck 2017; Wahl 2017).

Zweifelsohne ist es richtig, dass es im Zuge der Globalisierung zu einem gewissen Steuerungsverlust der Nationalstaaten kam. Das gilt allerdings weder absolut noch für alle gleichermaßen, wie Peter Wahl erklärt:

„Die USA haben ihre Konzerne durchaus im Griff, wenn es darauf ankommt. Das gilt für Banken ebenso wie für die digitale Industrie, wie Google und Facebook, die sich anstandslos dem NSA unterwerfen müssen, wenn es von ihnen verlangt wird. […] Auch für Deutschland gäbe es noch beträchtliche Spielräume. Immerhin ist das Land die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das Argument vom Steuerungsverlust wird gern missbraucht, um zu verdecken, dass der politische Wille zur Regulierung fehlt. Auch kleinere Länder haben die Möglichkeit, durch die Bildung von Allianzen der Macht der Konzerne etwas entgegenzusetzen, wenn der politische Wille dafür vorhanden ist. […] Auch die Finanzkrise 2008 wurde mit nationalstaatlichen Mitteln bearbeitet […] weil nur der Nationalstaat über die finanziellen, juristischen und politischen Ressourcen verfügte, die Krise wenigstens so weit einzudämmen, dass das Schlimmste verhindert werden konnte“ (Wahl 2017).

Machtpotenziale emanzipatorischer Kräfte im Nationalstaat

Es ist also weitaus realistischer, auf nationalstaatlicher Ebene Kommodifizierung und Unterdrückung entgegenzutreten als zu versuchen, die EU-27 sozial, demokratisch, friedlich etc. umzugestalten. Im Nationalstaat gibt es ein gewisses Maß an demokratischen Rechten, gemeinsamer Identität und gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit. Es ist kein Zufall, dass in den Krisenjahren seit 2009/10 fast alle sozial-emanzipatorischen Erfolge auf nationalstaatlicher (bspw. Verhinderung von Kürzungen bei Pensionen und Beamtengehältern durch das Verfassungsgericht in Portugal 2013) oder regionaler (bspw. Stopp von Privatisierungen im Gesundheitssektor in Madrid 2012/13) Ebene erreicht wurden.

Um dieses Potenzial nutzbar zu machen ist es entscheidend, dass emanzipatorische Kräfte die oben thematisierte Liaison mit dem Neoliberalismus aufgeben und an ihrer Stelle eine Liaison mit den Kräften rückt, die für sozialen Gesellschaftsschutz stehen. Unterdrückung und Kommodifizierung müssen gleichermaßen zurückgewiesen werden um im Sinne von Frasers Dreifachbewegung neoliberale Hegemonie zu brechen.

Andreas Nölke hat herausgearbeitet, dass es für derartige Projekte ein beachtliches Potenzial gäbe. In seinen Grundlinien einer linkspopulären Position unterteilt er die Landkarte des politischen Wettbewerbs in zwei Achsen. Die erste beschreibt das klassische Links-Rechts-Muster; die zweite differenziert zwischen kosmopolitisch und kommunitaristisch. Kosmopolitische Positionen zeichnen dadurch aus,

„dass sie nicht nur in einer globalisierten Ökonomie, einer kulturellen Liberalisierung und einer liberalen Wirtschaftsregulierung die unvermeidbare Moderne zu lokalisieren suchen, sondern auch in Formen des Regierens jenseits des Nationalstaats und einer – notfalls mit Waffengewalt erzwungenen – globalen Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten. […] Kommunitaristische Positionen heben dagegen die Bedeutung von lokaler oder nationaler Demokratie und Solidarität hervor […] um einen funktionsfähigen Sozialstaat aufrechterhalten zu können. [Sie] zeigen eine ausgeprägte Skepsis gegenüber der wirtschaftlichen Globalisierung und gegenüber internationalen Institutionen, die nationale Demokratie und wirtschaftspolitische Handlungsspielräume unter Druck setzen können, wie beispielsweise TTIP oder die Europäische Union“ (Nölke 2017).

So entsteht ein Koordinatensystem mit zwei Dimensionen. Nölkes Analyse zufolge gibt es eine Repräsentationslücke im links-kommunitaristischen Quadranten. Im klassischen Links-Rechts-Schema gibt es keine Option, die sowohl gegen Unterdrückung wie auch für Gesellschaftsschutz steht: links ist untrennbar mit kosmopolitisch verbunden. Dies hat dazu geführt, dass viele Menschen aus Arbeitermilieus etc., the common man, den Polanyi ins Zentrum der Gesellschaft rückt, der Linken den Rücken kehren und entweder sich ihrer Stimme enthalten, oder, wie Didier Eribon in seiner Rückkehr Reims (2009) beeindruckend darstellt, sich Kräften wie dem Front National zuwenden.

Der links-kommunitaristische Quadrant ist jener, in dem eine Liaison zwischen Gesellschaftsschutz und Emanzipation stattfinden kann. Die relativen Erfolge neuer Akteure wie Unidos Podemos, Cinco Estelle und insbesondere France Insoumise erklären sich dadurch, dass sie sich (unterschiedlich stark) in diesem Quadranten bewegen und dadurch sowohl von rechts als auch aus dem Lager der Nichtwähler Stimmen gewinnen.

Relevanz von Souveränität und politischer Handlungsfähigkeit heute

Damit eine solche politische Strategie eine Machtperspektive bekommt, braucht es politische Handlungsspielräume auf nationalstaatlicher Ebene, mittels derer eine Politik der De-Kommodifizierung im Widerspruch zum globalen Umfeld des finanzgetriebenen Kapitalismus durchgesetzt werden kann. Das Beispiel Griechenland zeigt, dass es ohne eigene politische Handlungsfähigkeit relativ egal ist, ob Konservative, Sozialdemokraten oder Linke regieren. Die Griechen können seit dem Troika-Einmarsch wählen, was sie wollen. Am Ende kommt immer ein neues Austeritätsprogramm. Der von Varoufakis als Finanzminister initiierte und von James Galbraith u.a. ausgearbeitete Plan X zielte darauf ab, durch einen Ausstieg aus dem Euro die notwendige Souveränität zu erlangen, um das Syriza-Programm umzusetzen. Die Regierung entschied sich gegen den Plan, was es unumgänglich machte, das eigene Programm durch ein weiteres Memorandum zu ersetzen (Galbraith 2016).

Der Euro ist die straffeste Klammer der Souveränitätsbegrenzung und Festlegung auf neoliberale Politik. Wolfgang Streeck bringt das gut auf den Punkt:

„Die Ausschaltung der Abwertung als Mittel nationaler Wirtschaftspolitik bedeutet […] die Aufpropfung eines einheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells auf alle der gemeinsamen Währung unterstellten Länder; sie setzt die Möglichkeit einer raschen Konvergenz ihrer sozialen Ordnungen und Lebensweisen voraus und treibt sie voran. Zugleich wirkt sie als zusätzliche Triebkraft jener universellen Expansion von Märkten und Marktverhältnissen, die als kapitalistische Landnahme bezeichnet worden ist, indem sie im Modus dessen, was Karl Polanyi als ´geplantes Laissez-faire´ bezeichnet hat, Staaten und ihre Politik durch Märkte und ihre selbstregulierende Automatik mehr oder weniger gewaltsam zu ersetzen sucht“ (Streeck 2014).

Der Euro zwingt seine Mitglieder in einen erbarmungslosen Steuer- und Lohnwettbewerb, zwingt zu permanenter interner Abwertung und ist die Basis für das Erpressungspotenzial der EZB und die Troika-Interventionen. Er ist derzeit das wohl schärfste Schwert des europäischen Neoliberalismus. Ein Ausstieg ist daher Voraussetzung für eine Abkehr von neoliberaler Politik. Von Mélenchon´s u.a. Plan B[4] über Galbraith´ Plan X bis hin zu Vorschlägen für ein reformiertes European Monetary System[5] oder der Einführung von Parallelwährungen[6] gibt es in der linken Debatte ein breites Set an währungspolitischen Strategien und Alternativen. Sicherlich ist ein Ausstieg mit vielen Schwierigkeiten verbunden, sicherlich wäre er für Griechenland schwieriger als bspw. für Frankreich. Letztlich ist er unumgänglich. Währungssouveränität ist die erste Voraussetzung für die Umsetzung eines sozial-emanzipatorischen Projektes auf nationalstaatlicher Ebene.

Gerade für kleinere Länder wäre die Lösung der Euro-Klammer von herausragender Bedeutung, da sie am wenigsten in der Lage sind, sich innerhalb des Euroraums durchzusetzen und sie daher die größten Souveränitätsverluste zu verzeichnen haben. In der EU geht es kleinen Ländern außerhalb der Eurozone (Dänemark, Schweden) besser als drinnen (Finnland, Griechenland, Irland).

Die EU ist die nächste Schale der Zwiebel der Souveränitätsbegrenzung. Die common market Regeln und ihre einseitige Auslegung durch den EuGH, die Maastricht-Regeln etc. drücken in die gleiche Richtung, wenn auch der Rahmen nicht ganz so straff ist. So geht es kleinen europäischen Gesellschaften außerhalb der EU (Norwegen, Island, Schweiz) zumindest nicht schlechter als drinnen (Streeck 2017).

Die dritte Klammer ist das globale Institutionengefüge aus WTO und die Gesamtkomposition der so genannten Freihandelsverträge. Die WTO ist mittlerweile eine zu lose Klammer als dass es kurzfristig entscheidend zu sein scheint, sie zu überwinden. Nicht Teil von Abkommen wie CETA, TiSA, Jefta etc. zu sein, ist hingegen bedeutend für die eigenen politischen Handlungsspielräume. Da innerhalb der EU die handelspolitischen Kompetenzen weitgehend nach Brüssel übertragen wurden, ist es kaum möglich, sich diesen Verträgen (mit Ausnahme einiger Bereiche) zu entziehen, ohne die EU zu verlassen.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass eine Abkehr vom neoliberalen Pfad auf der nationalstaatlichen Ebene wesentlich realistischer als auf EU-Ebene ist, eine Rückgewinnung von Souveränität voraussetzt, gegen den EU/Euro-Rahmen erstritten werden muss und dass ein solcher Ansatz Aussicht auf breite Unterstützung hat.

Ein solcher Ansatz stünde internationaler Kooperation nicht im Wege, sondern ist im Gegenteil die Voraussetzung für ein alternatives, anti-neoliberales Integrationsprojekt, das nicht spaltet, sondern vereint. Ein solidarisches Europa kann es nur auf Basis souveräner Nationalstaaten geben. Er stünde auch der unbedingt erstrebenswerten Kompetenzrückverlagerung auf die lokale Ebene nicht im Wege, sondern ist Voraussetzung dafür. Verantwortliches Handeln und echte Demokratie lassen sich am besten realisieren, wenn die wichtigen Entscheidungen vor Ort getroffen werden und die Betroffenen möglichst direkt eingebunden sind. Das EU-Konstrukt wirkt tief in die Kommunen hinein und begrenzt die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Bürger massiv. Das gilt allerdings auch für die Nationalstaaten, was wiederum eine zentrale Ursache regionaler Unabhängigkeitsbestrebungen ist. Der Kampf um nationalstaatliche Souveränität wäre somit als erster Schritt zu sehen, dem ein Kampf um kommunale Selbstverwaltungsrechte innerhalb souveräner Nationalstaaten folgen sollte.

Literatur

· Brie, M. (2015): Polanyi neu entdecken, Hamburg.
· Eribon, Didier (2016): Rückkehr nach Reims, Berlin.
· Esping-Andersen, G. (1990): The Three Worlds of Welfare Capitalism, Princeton.
· European Commission (2017): White Paper on the Future of Europe, Brussels.
· Fraser, N. (2013): A Triple Movement, in: New Left Review 81, London.
· Galbraith, J. (2016): Welcome to the Poisoned Chalice, Yale.
· Grimm, D. (2017): Es wäre nicht hilfreich, die EU zu parlamentarisieren, in: IPG Journal, Berlin.
· Juncker, J.-C. et. al. (2015): Completing Europes Economic and Monetary Union, Brussels.
· Kropotkin, P. (2009 [1902]): Mutual Aid, London.
· Nölke, A. (2017): Grundlinien einer linkspopulären Position, Frankfurt.
· Marshall, T. H. (1991 [1950]): Citizenship and Social Class, London.
· Polanyi, K. (1973 [1944]): The Great Transformation, Frankfurt.
· Streeck, W. (2014): Buying Time, New York.
· Streeck, W. (2017): Nicht ohne meine Nation, in: Zeit Online vom 22. April 2017.
· Wahl, P. (2017): Die Linke, der Nationalstaat und der Internationalismus, online auf eurexit.de.

[1] Für eine kritische Auseinandersetzung mit den Verteilungswirkungen des quantitative easing, siehe hier: https://www.socialeurope.eu/2017/05/ecb-boosts-inequality-can/.
[2] https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/5-presidents-report_en.pdf.
[3] http://europa.eu/rapid/attachment/IP-17-1454/de/Reflection_Paper_EMU_DE_v4.pdf.
[4] https://lexit-network.org/plan-b-summit-rome-final-statement.
[5] See e.g. https://lexit-network.org/towards-a-new-european-monetary-system-not-the-solution-to-everything-but-better-than-the-status-quo.
[6] See e.g. http://www.levyinstitute.org/pubs/wp_866.pdf.

Italien: Generalstreik des Transportwesens

Alitalia im Ausstand trotz Zwangsverpflichtung

von Wilhelm Langthaler

Heute, den 16. Juni 2017, haben die italienischen Basisgewerkschaften zu einem Generalstreik im Transportwesen aufgerufen. Im Zentrum der Mobilisierung steht Alitalia, die unter kommissarische Verwaltung der Regierung gestellt wurde.

Der auf die Belegschaft ausgeübte Druck ist enorm. Alle offiziellen Gewerkschaften stehen gegen den Streik und selbst unter den Basisgewerkschaften gibt es Rückzüge. Die Regierung hat per Dekret mehr als zweitausend Beschäftige des Standorts Fiumicino zur Arbeit gezwungen – diese reagieren nun mit Dienst nach Vorschrift.

Bisher mussten 200 Flüge von Alitalia gestrichen werden, was für einen Erfolg der Kampfmaßnahmen spricht. Allerdings setzt die Regierung auch auf Verzögerung. Sie hat viele Kündigungen und Kürzungen verschoben oder führt sie in Salamitaktik durch, um den Widerstand zu ermüden.

Die Aktionen des Bodenpersonals sollen sich auch gegen das neoliberale Flaggschiff Ryanair richten. Doch dort gibt es keinerlei gewerkschaftliche Organisierung. Alles basiert auf kleine Zulieferer, die sich auf prekär Beschäftigte stützen und jederzeit getauscht oder ersetzt werden können.

Ziel der Mobilisierung ist die weitere Privatisierung des Transportwesens zu verhindern sowie die Einschränkungen des Streikrechts zu bekämpfen.

Der Streik soll auch den städtischen Nahverkehr, die Bahnen und die Bustransporte umfassen. Wie stark der Aufruf befolgt wird, hängt wesentlich von der Kraft und Verankerung der Basisgewerkschaften zusammen. Dass er doch erhebliche Strahlkraft hat, zeigt sich daran, dass schwankende Elemente der Basisgewerkschaften sich gegen die 24-Stundenausstand zugunsten von 4 Stunden ausgesprochen haben. Das heißt, sie konnten sich nicht frontal dagegenstellen.

Die Medien berichten am Vormittag von Ausfällen in Rom, Mailand, Bologna, Neapel, jedoch nicht flächendeckend.

Website der CUB, Rückgrad des Streiks

DELEGITIMATION UND FALSCHER TROST: Elektoralismus und die Linke in Frankreich und anderswo

Weniger als die Hälfte der französischen Wähler hat am Sonntag die Stimmen abgegeben. Auf Le Monde (13. Juni) rechnet uns die Redaktion vor: Die Macron-Partei hat ganze 15,4 % Zustimmung der wahlberechtigten Bevölkerung erhalten. Die Delegitimierung der neuen Politik springt in die Augen.

Nicht alle hat es gleichermaßen schlimm erwischt. France Insoumise hat z. B. vom Zusam­menbruch der Sozialdemokratie in bescheidenem Ausmaß profitiert. Aber der Großteil der alten Sozialdemokraten ist zum neuen konservativen Held übergelaufen. Der FN bekam die Rechnung für seine Unentschiedenheit, dafür, dass er sich bereits als Regierungspartei präsentierte. Strache hier in Österreich wird dies wahrscheinlich nicht begreifen – sein Problem.

Hüten wir uns aber vor dem Schönreden dieses Ergebnisses! Es ist eine Niederlage für die Linke. Und die Delegitimierung kratzt den Herrn Macron und seine Auftraggeber aus Paris, Berlin und Brüssel nicht wirklich. Denn seit einiger Zeit setzen die Eliten nicht mehr auf Legitimität. Sie setzen auf Legalität. Und die basteln sie sich nach ihren Bedürfnissen. Besser und genauer gesagt: Sie hoffen, über die Legalität eine Legitimität vorspiegeln zu können. Deswegen drehen sie ja ständig dort an den Schrauben des Wahlrechts, wo es noch nicht eine solche Verzerrung gibt wie in Frankreich, im UK, in den USA, in Griechenland, in Italien, …

Aber diese jüngsten Wahlen haben es in sich. Und wir sollten darüber nachdenken. Wir können nicht den Beinahe-Wahlsieg des J. Corbyn begrüßen, oder seinerzeit, im Jänner 2015, den des A. Tsipras; dann aber, wenn es nicht so läuft, wie wir es uns wünschen, plötzlich skeptisch werden. Wenn wir den Elektoralismus kritisieren, wenn wir skeptisch zu diesem politischen System sind, müssen wir es auch dann sein, wenn es zufällig einmal Ergebnisse produziert, die uns vielleicht gefallen. Aber wir können uns nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts auch nicht den Luxus eines leichtfertigen Umgangs mit parlamentarisch-demokratischen Institutionen erlauben.

Halten wir fest: Parlamentarische Prozeduren und Wahlen wurden erfunden, als von einem allgemeinen Wahlrecht noch lange keine Rede war. Sie waren ein Instrument, mit welcher das neu aufsteigende (Groß-) Bürgertum versuchte, für seine Klasse eine Mitsprache, eine politische Partizipation zu erreichen. Es gibt nichts Aufschlussreicheres als die Verhältnisse um 1890 / 1900 herum im Habsburgerstaat: Den Großbourgeois reichten für ein Mandat 68 Stimmen; die „allgemeinen Kurie“ hatte 45.000 Stimmen aufzubringen. Und das war bereits ein Fortschritt gegenüber zwei Jahrzehnten zuvor.

Und doch fürchteten sie das allgemeine Wahlrecht wie; angeblich, der Teufel das Weih­wasser. Und doch räumten sie 1920 – 40 die parlamentarischen Regime der Reihe nach weg, mittels der diversen europäischen Faschismen. Erst nach 1945 ließen sich die Eliten kurzfristig auf das neue Experiment ein, aus Furcht vor dem Sozialismus, aus Furcht vor der Sowjetunion, die sie für sozialistisch hielten. Aber wenn nur entfernt die Möglichkeit einer gewissen Änderung durch Wahlen auftauchte, man denke an Griechenland in den 1960ern, dann wurde wieder geputscht. Auch der Putsch de Gaulles in Frankreich 1958 gehört im Grund hierher.

Erst dann realisierten sie langsam, dass es auch andere Verfahren der Immunisierung gegen demokratische Gefahren gab und gründeten die EU.

Wir stehen vor einem Paradox: Die Eliten fürchten ihre eigenen Institutionen, aber gleich­zeitig verlassen sie sich auf sie, und mit Erfolg, wie es sich zeigt.

Die klassische Linke ist in den hoch entwickelten Ländern tot, wenn wir nach ihrer Massen­basis fragen. Aber es gibt auch keine wirklich neue plebeische Kraft, geschweige denn eine revolutionäre. Die Bevölkerung ist unzufrieden. Aber gleichzeitig ist sie ängstlich. Wir haben also eine recht komplexe Situation vor uns. Der Legalismus hat tiefe Wurzeln in der Bevölkerung. Außerdem traut sie „der Politik“ schon längst nicht mehr. Noch hat sie zum Großteil nicht realisiert, dass er inzwischen vor allem zum Abbau von Partizipation und von Lebens-Chancen der unteren zwei Drittel eingesetzt wird. Wir müssen also einerseits auf diese schleichende Änderung reagieren, und das kann man auch mit der Verteidigung der alten Institutionen. Aber vor allem, und das ist der Sinn dieses Textes: Wir müssen uns in aller Klarheit bewusst sein: Es braucht andere, neue, besser einsetzbare und zielführendere politische Institutionen. Das ist unabhängig von einem augenblicklichen Erfolg oder einer Niederlage.

Über diese Frage sollten wir eine ernsthafte Debatte beginnen.

  1. Juni 2017

Petition: Alitalia gehört den Italienern

Folgende Petition richtet sich an die italienische Regierung, die Fluglinie zu verstaatlichen und damit zu retten. Bisher haben mehrere Tausend Menschen unterzeichnet:

Alitalia all’Italia

[Sinngemäss: Alitalia den Italienern oder Alitalia gehört Italien]

Das (neoliberale) Gerede hat seine Stunde null erreicht: trotz optimaler Marktbedingungen, fallender Ölpreise und den fast am niedrigsten bezahlten Facharbeitern Europas, sind alle Privatisierungsversuche von Alitalia gescheitert.

Irren ist menschlich, beharren ist teuflisch. Die Aufgabe, die die Regierung den drei Kommissaren erteilt hat, ist die Versteigerung von Alitalia, wenn nötig nachdem die Gesellschaft zerschlagen worden ist, um sie für wenige Groschen verkaufen zu können. Dies wäre eine irrationale und selbstmörderische Lösung.

Italien kann und muss eine eigene Fluggesellschaft haben und das ist nur möglich, wenn Alitalia wieder in öffentlichen Besitz kommt.

Mit viel weniger als den 20 Milliarden Euro, die letztes Jahr verwendet worden sind, um die Banken zu retten, könnte ein Plan vorbereitet werden, um Alitalia neu zu beleben und in ein solides und wettbewerbsfähiges Unternehmen zu verwandeln. Als Säule der internationalen Luftfahrt ist Alitalia strategisch viel wichtiger als eine kleine kommerzielle Bank. Das gilt umso mehr, als unser Land, als Wiege der Zivilisation, eine Hauptdestination des europäischen und internationalen Tourismus ist.

Alitalia ist nicht nur ein Symbol unseres Landes, nicht nur einfach ein gewisse Zahl an Flugzeugen; das Unternehmen ist vielmehr ein wertvolles Schwungrad für eine vorbildliche Lieferkette, ein außergewöhnliches Reservoir an Professionalität und Jobs auf höchstem Niveau, ohne die ein Land nicht erwarten kann, eine führende Rolle zu spielen.

Unser Land hat die finanziellen Ressourcen, die Kompetenzen und das Know-How, um eine gesunde und starke nationale Fluggesellschaft zu haben.

Jedes Mal, wenn die Bevölkerung aufgefordert wurde, Opfer zu bringen, ist uns gesagt worden: „Machen wir es wie die Deutschen!“ Diesmal sind wir einverstanden. Machen wir es doch wie in Deutschland, wo Lufthansa zur wichtigsten europäischen Fluggesellschaft geworden ist, auch dank des Staates, der mit einer Beteiligung von 60% gewaltige Investitionen getätigt und die Auslagerung der Wartung und anderer unterstützender Tätigkeiten abgelehnt hat.

Die ernsthaften Schwierigkeiten, in die Alitalia geraten ist, sind in erster Linie den Entscheidungen der Europäische Union geschuldet, die seit den 90 Jahren zunehmend ein Luftfahrt-Oligopol gefördert haben, wo von Anfang an vorgesehen war, dass es in Europa nur drei globale Fluggesellschaften geben soll: Air France, British Airways und eben Lufthansa.

Es ist möglich und wir müssen dieses oligopole Regime brechen, das unserem Land aufgezwungen wurde.

Wir sind die Wiedergeburt von Alitalia nicht nur ihren stolzen Arbeitern schuldig. Es ist auch ein notwendiger Schritt, um der nationalen Gemeinschaft einen strategischen Teil der von der Regierung während der letzten 30 Jahre ausverkauften Souveränität zurückzugeben.

Alitalia wieder zu verstaatlichen ist nicht zuletzt auch notwendig, um den Wildwest-Verhältnissen, die derzeit in der Luftfahrt herrschen, Grenzen zu setzen, wo Gesellschaften (nicht nur Low Cost-Linien) zunehmend die Kontrolle übernehmen, die hohe Gewinne erziehen, indem sie Arbeiter ausbeuten, und schließlich ihre Profite ins Ausland bringen.

Demokratisch-sozial-souverän-neutral

Vorschläge für eine österreichische Systemopposition

Von Wilhelm Langthaler, unter Mitarbeit von Michael Wengraf

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Neuwahlen – und wieder keine Hoffnung auf Veränderung im Sinne der Mehrheit?! Dieser unerträgliche Zustand treibt uns um und an. Wir wollen unter den Interessierten ausloten, wie man einer Opposition der Unter- und Mittelschichten, die sich in einigen europäischen Ländern bereits zu artikulieren beginnt, Wege ebnen kann.

Dafür schlagen wir vier programmatische Achsen vor. Sie sollen dazu dienen, eine wirkungsvolle Systemopposition zu entwickeln. Es handelt sich um die Begriffe: „demokratisch“, „sozial“, „souverän“ und „neutral“. Was sie politisch bedeutsam macht, ist, dass ihnen fast jeder zustimmen würde. Allerdings, das ist gleichzeitig problematisch an ihnen, sind alle vier so allgemein und so unverbindlich, dass auch die herrschenden Eliten sie für sich in Anspruch nehmen. Wobei die Kunst des Herrschens darin besteht, diese Verdrehung öffentlich plausibel zu machen. Das gelang über weite Strecken – doch nun wird die Hegemonie brüchiger. Eine wachsende Zahl an Menschen fühlt instinktiv, dass die Mächtigen das Gegenteil von dem tun, was sie postulieren.

Für uns geht es darum, diese Stimmung aufzugreifen, am Unmut anzusetzen, um ein Programm und Projekt zu entwickeln, dass zweierlei erfüllt: Es muss den Akteuren ermöglichen, sich konsequent für die Interessen der Unter- und Mittelschichten einzusetzen. Begriffe wie „demokratisch“, „sozial“, „souverän“ und „neutral“ müssen im Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie der Oligarchie Schritt für Schritt entrissen werden. Darüber hinaus muss man die Vorbereitungsarbeit für den notwendigen Bruch mit den bestehenden Verhältnissen und den Eliten leisten. An diesem Punkt kommt man ohne historisches Gedächtnis nicht aus: Die Oligarchie tritt die Macht nicht kampflos ab.

Die vier programmatischen Achsen können aber keine fertige Handlungsanleitung sein, sondern lediglich so etwas wie eine Konzeptstudie. Es ist die praktische, von den jeweiligen Akteuren getragene Tat, in deren Zusammenhang und um die herum sich ein Programm entwickelt. Ein solches müsste Schritt für Schritt im Zuge der Entfaltung eines politischen Projekts konkret ausformuliert werden. Dessen Qualität steht in Wechselwirkung zur gesellschaftlichen Kraft, die man zu versammeln vermag.

Zum Problem der Wahlen, die auch den Anlass für diesen Versuch darstellen: Gesellschaftliche Macht wird nur vordergründig durch Wahlen verteilt. Verschiebungen der Kräfteverhältnisse sind viel eher Folge von sozio-politischen Konflikten oder innergesellschaftlichen Kämpfen als von Urnengängen. Doch Wahlen sind Anzeiger. Insofern als die Mehrheit der Österreicher Politik mit den etablierten Parteien, der letztendlich gewählten Vertretung, gleichsetzt, kann eine Systemopposition nicht umhin, sich auch daran zu beteiligen. Erfolg oder Misserfolg sind dann Indikatoren für die jeweilige gesellschaftliche Akzeptanz des Projektes. Wahlen werden damit zu innergesellschaftlichen Kampffeldern, auf denen auch die Herrschenden den Stand der eigenen Hegemonie austesten. Wahlen ermöglichen es zudem in konzentrierter Form mit Menschen in politische Berührung zu kommen. Wir sind uns bewusst, dass wir die kritische Masse für einen wirklichen Wahlkampf noch nicht haben. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass der Platz für ein solches Projekt wächst.

Im zweiten Teil dieses Papiers soll der politische Kontext erörtert werden, in dem das systemoppositionelle Projekt möglich werden kann und seine tieferen Begründungen dargelegt werden. Interessierte können sie auch als Einleitung lesen. Trotzdem sollen die vier Achsen auch für sich allein und damit vorne stehen können, als Kern eines populären Programms.

Wir schlagen zudem ein politisches Seminar vor, um gemeinsam mit allen Interessierten die Möglichkeiten auszuloten. Weitere Diskussionsbeiträge, schriftlich wie mündlich, sind willkommen.

Vier Achsen

Demokratisch

„Alle Macht geht vom Volk aus“ – so steht es in der österreichischen Verfassung genauso wie in vielen Konstitutionen anderer Länder. Und so lautet auch der überwältigende Konsens in der Bevölkerung. Somit ist die Volkssouveränität de facto in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen worden – beides Begriffe, die auf Jean-Jacques Rousseau zurückgehen. Diese Unantastbarkeit der Demokratie kann man mit Fug und Recht als eine der größten Errungenschaften der heftigen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts betrachten. Die Oligarchie getraut sich daher auch nicht die formale Demokratie direkt anzugreifen, im Gegenteil sie geriert sich gerne als deren Verteidiger und Garant.

Die Aushöhlung der Demokratie geschieht vor allem durch Einschränkung der Befugnisse demokratisch legitimierter Institutionen zugunsten der oligarchischen supranationalen EU-Bürokratie. Wo das nicht ausreicht, kommt es zum autoritären Umbau, der oftmals Elemente des Mehrheitswahlrechts und des Präsidentialismus beinhaltet, um die Macht der Oligarchie abzusichern.

Augenfällig ist die immer stärkere Abschottung der Medienapparate (der vierten Macht im Staat). Sie verbreiten hinter einer scheinbar bunten und liberalen Kulturindustrie und einem in Beliebigkeit ausufernden Pluralismus exklusiv die Sichtweisen und die Ideologien der Eliten. Oppositionelle Stimmen, die den Interessen der Oligarchie zuwiderlaufen, werden entweder ausgeblendet oder mit einem Kampagnenjournalismus bekämpft, der schon an Vernichtungsfeldzüge gemahnt. Fazit der orchestrierten Meinungsmache: Das bestehende System ist alternativlos und jeder Fluchtversuch endet „tödlich“.

Wie es bereits Gegenstand der Auseinandersetzungen im vergangenen Jahrhundert war, darf Demokratie nicht nur formal betrachtet werden. Vielmehr müssen die realen Machtverhältnisse zugunsten der Mehrheit verschoben werden, so dass letztere den entscheidenden Einfluss auf die Geschicke des Staates und der Gesellschaft ausübt. Reale Demokratie heißt nicht nur seine Stimme abgeben, sondern einiges mehr: Die Medien beeinflussen zu können, Zugang zu Erwerb, Bildung und Gesundheitsversorgung zu haben – und vor allem über Produktion und Verteilung, also über die Wirtschaft, mitzubestimmen. Demokratie muss auf die Sphäre des Sozialen ausgedehnt, zur aktiven Massendemokratie werden.

Sozial

Worin besteht der harte Kern des herrschenden Liberalismus? Vor allem wohl ganz allgemein in der Herrschaftssicherung für die Besitzenden und in der Rechtfertigung sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Verbrämt wird das durch eine kulturliberale Ideologie, die alle frei und gleich erscheinen lässt – ungeachtet der realen sozialen Möglichkeiten.

Vor allem den Bedürftigen predigt der Liberalismus Askese, um danach – Lohn für die Tüchtigen unter den Einsichtigen – irgendwann einmal in Glück und gesichertem Wohlstand zu leben. Doch was ist falsch an diesem „common sense“, dass man zuerst sparen und verzichten muss, um etwas aufzubauen und schließlich die Früchte der Entbehrung zu ernten? Der Fehler besteht darin, dass eben kein „Aufbau“ stattfindet! Tatsächlich geht es nicht darum, Investitionen auf Kosten des individuellen Konsums zu forcieren, die letztlich im Dienste des Gemeinwohls stünden, wie die Liberalen immer wieder beteuern. Darüber könnte man durchaus streiten, doch machen die Herrschenden eben genau das nicht. Im Gegenteil, die Schwäche der Investitionen ist einer der größten ökonomischen Probleme. Vielmehr geht es der Oligarchie um die Umverteilung von unten nach oben sowie um die exklusive Verfügungsgewalt über Wirtschaft und Gesellschaft.

Die zentrale Maßnahme zur Überwindung der globalen Wirtschaftskrise besteht darin, die soziale Schere endlich zu schließen. Das gilt ebenso für den Innenmaßstab der österreichischen bzw. europäischen Gesellschaft wie im globalen Rahmen für das Verhältnis zwischen sogenannten „Zentren“ und „Peripherie“. Umverteilung zugunsten der Reichen funktioniert massiv im sozialen und im geographischen Raum. Die ungerechte Verteilung der Ressourcen wirkt als Konsumbremse und mittlerweile auch als Bremse der Produktivität. Tatsache ist: Es könnte viel mehr und für alle ausreichend hergestellt werden, doch die Schieflage in der Verteilung sowie der gänzliche Ausschluss der ärmsten Schichten führen zu globaler Stagnation. Dadurch werden sozialer Niedergang und Armut noch beschleunigt. Nur China, das im Gegensatz dazu das soziale Niveau großer Teile seiner Bevölkerung gehoben hat, bewahrt die Weltwirtschaft noch vor dem Absturz. (Dass auch in China noch viel zu korrigieren ist, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Dadurch unterscheidet sich das Reich der Mitte aber in seiner historischen Entwicklung nicht von der des Westens.)

Dabei geht es nicht um „Gleichmacherei“. Im Gegenteil: Die Welt und die Menschen bleiben auf vielen Ebenen unterschiedlich und dies zu respektieren, ist Voraussetzung für Demokratie und Selbstbestimmung. Erst eine Gleichheit der Chancen ermöglicht aber eine wirkliche Vielfalt individueller Entwicklung. Im Gegensatz dazu ist es völlig inakzeptabel, dass eine Handvoll Menschen die Hälfte des Weltvermögens kontrolliert, während der überwiegende Teil der Erdbevölkerung von Besitz und Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt. Diese Schieflage stellt im Übrigen den prägnantesten Ausdruck für die Negation des von Globalisierern und Freihändlern so gerne beschworenen „Leistungsprinzips“ dar. Das tausend- oder millionenfache der anderen zu besitzen, kann eben gar kein persönliches, hart erarbeitetes Verdienst sein. Es ist vielmehr Folge eines parasitären Rentiers- bzw. Aktionärsdaseins, dessen einzig wahre Leistung darin besteht, anderen zu nehmen.

Die liberale Gut-Böse-Gegenüberstellung von Markt versus Staat ist ideologischer Unfug. Ohne Staat gab, gibt und wird es keinen Markt geben – das konnte man zuletzt in der Finanzkrise beobachten. Im gleicher Weise muss der angebliche ökonomische Sachzwang der Standortkonkurrenz als von den globalen Eliten gewünscht und erzeugt entlarvt werden. Es geht nicht um mehr oder weniger Staat, sondern in wessen Interesse der Staat in die Wirtschaft eingreift. Volkssouveränität kann nur erlangt werden, wenn die Mehrheit mittels Politik und Staat Wirtschaft und Gesellschaft demokratisch gestaltet.

Souverän

Volkssouveränität bedeutet Herrschaft des Volkes. Das hat einen internen Aspekt, der darin besteht, dass die Mehrheit und nicht eine kleine Elite die Macht ausübt. Es gibt aber auch einen externen Aspekt, der in dem Prinzip nationaler Selbstbestimmung – und eben nicht von Fremdherrschaft – besteht. Universal gedacht, schließt das Prinzip der Selbstbestimmung mit ein, dass es anderen Nationen ebenfalls gewährt wird, selbst wenn sie sich neu konstituieren oder abspalten wollen. Wer selbst frei sein will, soll und darf andere nicht unterdrücken. Interner und externer Aspekt sind hier also untrennbar miteinander verknüpft.

Österreich hat in der Moderne beide Erfahrungen gemacht, selbst zu unterdrücken sowie unterdrückt zu werden. Die k.u.k.-Monarchie war ein Völkergefängnis, aber gleichzeitig von großdeutschen Bestrebungen und Expansion bedroht. In der Zwischenkriegszeit warfen sich die Herrschenden dem faschistischen Italien an den Hals, um schließlich doch vor den Nazis zu kapitulieren. Gegen den großdeutschen Nationalsozialismus verfestigte sich das Projekt der österreichischen Nation vor allem bei den Unter- und Mittelschichten.

Nach dem Sieg über den Nationalsozialismus und im Gleichgewicht der Kräfte während des Kalten Krieges entstand eine internationale Ordnung, die auf zumindest nominell unabhängigen Nationalstaaten beruhte. Waren in Europa formale Demokratie und Sozialstaat Ausdruck des sozialen Kompromisses der 1970er Jahre, so hatte für die Peripherie die Bildung von souveränen Nationalstaaten eine ähnliche Funktion. Darin lag viel Entwicklungspotential – auch wenn die Möglichkeiten nur teilweise und mit sehr unterschiedlichem Erfolg ausgeschöpft wurden.

Nach der Wende 1989/91 wurde das alles beiseite geschoben – die Globalisierung nahm Fahrt auf. Die (nationalen) Verteidigungsmechanismen der Schwachen sollten zum Vorteil der Starken beseitigt werden. Die globalen Eliten, die nun keinen bedeutenden staatlichen Gegner mehr hatten, tarnten ihren Herrschaftsanspruch als „Internationalismus“. Sie entlehnen einen Begriff der Linken und stellten ihn dabei auf den Kopf. Die Nationen sollten aufgelöst werden. Sie mussten als jene Felder verschwinden, auf denen soziale Auseinandersetzungen noch in politisch halbwegs sinnvoller Weise ausgetragen werden. Ihnen wurden nicht die sozialen und demokratischen Errungenschaften der Unter- und Mittelschichten nach dem Zweiten Weltkrieg zugeordnet, sondern der Nationalismus der Zeit der großen Kriege. Doch damals bekämpften sich die Eliten bis aufs Blut, weil sie gegeneinander um die Weltherrschaft rangen. Dabei hatten sie den extremsten Nationalismus entwickelt und mobilisiert. Heute sind sie dagegen unter Führung der USA vereint. In trauter Einheit bringen sie sich gegen die peripheren Nationalstaaten in Stellung, von denen ihnen wenigstens einige noch Widerstand entgegensetzen oder sich zumindest nicht unterordnen wollen. Dafür werden die Opfer nun von den Tätern des alten Nationalismus gescholten und letztlich in die Nähe des Faschismus bzw. Nationalsozialismus gerückt. So ergeht es allen, die das profitable Freihandelsregime kritisieren – egal, ob sie das in den „Zentren“ oder an der „Peripherie“ tun. In dieser Diffamierung besteht auch die eigentliche Aufgabe des „modernen“ und herrschaftlich-institutionell betriebenen Antifaschismus.

Aber Nationen und auf ihnen beruhende Staaten sind schlicht das Organisationsprinzip von verschiedenen Gesellschaften bzw. Herrschaftsformen. Die Globalisierer wollen einen Weltmarkt, auf dem es nur isolierte Individuen als hilflose Akteure gibt („global village“) und keine (National)staaten, die das Recht des Stärkeren einschränken könnten. Die Nationen sind daher in der konkreten Situation potentiell Träger der Volkssouveränität, in ihr konstituieren und organisieren sich die unterschiedlichen Gesellschaften politisch.

Das kann auf chauvinistische, rassistische und imperialistische Art und Weise geschehen, wie wir das in der Zeit der großen Kriege gesehen haben. Aber das kann auch auf demokratische und einschließende Weise vollzogen werden, wie es im Zuge vieler nationaler Befreiungsbewegungen passierte – in aller Welt aber auch in Europa im Kampf gegen den deutschen Faschismus.

Nationen sind politische Projekte und selbst historisch bedingte Phänomene. Sie sind gestalt- und veränderbar, also nicht per se gut oder böse. Ihre Rolle hängt von der Stellung einer Nation im Weltsystem ab und natürlich wie sie in der Praxis agieren. Gegen die Globalisierung und ihre am weitesten fortgeschrittene Form, die EU, können insbesondere die randständigen Nationen eine wichtige demokratische Rolle in der Erkämpfung der Volkssouveränität spielen.

Neutral

Die österreichische „immerwährende Neutralität“ ist das Produkt einer langen und wechselvollen Geschichte. So wie sie im Staatsvertrag festgeschrieben wurde, ist sie Ausdruck des Kräftegleichgewichts zwischen den Siegermächten. Ein ausgesprochener historischer Glücksfall. Die Eliten wollten sie nicht, sondern bevorzugten die radikale Westbindung, die zur Spaltung des besiegten Deutschlands geführt hatte. Sie verachteten den scheinbar machtlosen Kleinstaat und insgeheim spukte des große Deutschland noch immer in den Gehirnen.

Doch sehr schnell fand die Neutralität in der österreichischen Bevölkerung überwältigenden Konsens. An ihrem Höhepunkt in den 1970er Jahren spielte das kleine Österreich eine herausragende weltpolitische Rolle; nicht nur zwischen Ost und West, sondern zum Beispiel auch bei der Anerkennung der Palästinenser. Diese kämpfen bis heute gegen die israelische Besatzung, die wie ein Mahnmal der kolonialen europäischen Vergangenheit in die Gegenwart hinein wirkt. Sie produziert permanent einen schrecklichen Konflikt, der seinerseits bis nach Europa zurückwirkt.

Nach der Wende versuchten die Herrschenden die Westbindung Österreichs noch enger zu gestalten und die Neutralität gänzlich zu entsorgen. Proklamiertes Ziel war die Mitgliedschaft in der Nato. Man unterstützte nicht nur politisch den Krieg gegen Jugoslawien, sondern ließ unter Missachtung der Verfassung auch Nato-Militärtransporte durch Österreich zu. Doch formal scheiterte der Beitritt in das US-geführte Militärbündnis abermals an der überwältigenden Ablehnung in der Bevölkerung.

Was indes gelang, war der EU-Beitritt, der mit vielen schönen Versprechungen versüßt wurde – unter anderem damit, dass die Neutralität nur modifiziert und nicht abgeschafft werden müsste. Wie wenig das der Realität entspricht, sieht man am Bürgerkrieg in der Ukraine, der durch das EU-Assoziationsabkommen ausgelöst wurde. Mit der Abtrennung der Ostukraine vom russischen Wirtschaftsraum wurde deren industrielle Lebensgrundlage zerstört. Die EU hat aggressive Sanktionen gegen Russland beschlossen und erhöht die Kriegsgefahr – während doch die Lehre aus der Geschichte sein sollte, gutes Einvernehmen mit Russland zu suchen. Wer Teil der EU ist, ist also Teil einer nach außen hin mitunter feindselig und aggressiv auftretenden Macht mit militärischen Ambitionen. Damit kann man nicht neutral sein. Nicht zu Unrecht vermerkte der deutsche Historiker Dieter Mertens einmal, Europa sei ein Kriegsruf.

Statt mit den USA, der EU und Deutschland Großmachtambitionen zu verfolgen, wären wir als kleiner Staat besser beraten nach guten Beziehungen zu allen Nachbarn sowie Regional- und Weltmächten zu streben. In einer Schaukelpolitik sollten die widerstreitenden Interessen ausbalanciert werden, um die größtmögliche Selbstständigkeit zu erzielen. Neutral heißt nicht gleichgültig. Wir streben eine gerechtere Weltordnung an, die auf nationale Selbstbestimmung aufbaut, auf Grundlage von wirtschaftlicher Entwicklung und möglichst umfassender demokratischer Mitbestimmung der Mehrheit der jeweiligen Völker.

Wider die Logik des kleineres Übel – für den Bruch mit der EU

Eigentlich ist die Situation in Europa und Österreich dramatisch: Schritt für Schritt übernimmt eine Oligarchie die Macht und zerstört die Grundlage des sozio-kulturellen Kompromisses, der das letzte halbe Jahrhundert zumindest bei uns geprägt hat.

Die Schere zwischen reich und arm geht seit drei Jahrzehnten immer weiter auf. Nicht nur dass eine neue Armut der Ausgeschlossenen entstanden ist, sondern auch die Schicht der working poor wächst. Immer breiter wird die Teilhabe an einem menschenwürdigen Leben eingeschränkt. Eine akzeptable Existenz ist keineswegs mehr gesichert. Selbst jene Mehrheit, die sich selbstzufrieden Mittelstand nannte und fest an den Fortschritt glaubte, rutscht tendenziell sozial ab und wird von Zukunftsängsten geplagt. Latente Unzufriedenheit schlägt in Kulturpessimismus um.

Die Sozialpartnerschaft, die im Verein mit dem proportionalen Parlamentarismus, von oben her die Teilhabe der breiten Massen am System sicherstellte, ist nur mehr der Schatten ihrer selbst. Ihre weitere Existenz verdankt sie der Funktion, die Konterreform nach unten hin zu vermitteln, während das bipolare Parteiensystem bereits massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Die Aushöhlung der Sozialpartnerschaft als Herrschaftsmodell ist ein Synonym für die Demontage der wenigstens geringfügigen Teilhabe breiter Schichten am gesellschaftlichen Reichtum. Sie bedeutet umgekehrt aber auch die abnehmende Wirkung des Konsumismus als Mittel der Sozialdisziplinierung (Herbart Marcuse).

Längst ist die Macht von einer schmalen Elite aus Industrie, Banken, staatlicher Bürokratie und Medien übernommen worden. Nicht, dass sie zuvor nicht auch bestimmend gewesen wären. Doch sie waren zumindest gezwungen, substanzielle Zugeständnisse zu gewähren, Kompromisse einzugehen, ihre Macht wurde durch die Mehrheit des Volkes beschränkt.

Die ungezügelte „Diktatur des Kapitals“ (Hannes Hofbauer) ist wiederhergestellt. Was die Verteilung anlangt, befinden wir uns bereits bei einem Ausmaß der Ungleichheit wie vor dem Ersten Weltkrieg. Doch politisch ist die Situation eine völlig andere als jene des Klassenkampfes der Zwischenkriegszeit als Reaktion auf die Diktatur. Denn ungezügelt heißt nicht ungeschminkt. Tarnen und Täuschen kann einen großen Vorteil verschaffen. Zudem wirkt die Kraft der Enttäuschung von vergangenen sozialen Experimenten schwer. Das Scheitern des Sozialismus sowjetischer Prägung kann aber nicht ein Scheitern von jeglicher gerechter Gestaltung von Gesellschaft – wie vielfach suggeriert wird – bedeuten.

Der alte Konservativismus der Rechten mit Rasse, Stand und Religion spielt nur mehr eine Nebenrolle. Vielmehr wurden von den Eliten die Werte der Linken adoptiert, transformiert und dabei auf den Kopf gestellt. Heute herrschen verschiedene Spielarten des Liberalismus, der für sich als politisch korrekt kanonisierte westliche Werte wie individuelle Menschenrechte, Frauenrechte und formale Gleichbehandlung für Minderheiten unterschiedlicher Art in Anspruch nimmt – unter Abtrennung von ihrem sozialen Kontext. In der Zivilgesellschaft werden diese abstrakten Werte kanonisiert und mit ihr wird auch eine wirkmächtige Bastion gegen Angriffe auf das herrschende System unterhalten: Alles in allem eine Vergewaltigung der Aufklärung, deren Erbschaft der Liberalismus exklusiv an sich zu reißen versucht.

Der Schlüssel zum Begreifen der Lage ist aber die Globalisierung – sowohl in ihrer sozio-ökonomischen als auch in ihrer politisch-militärischen sowie ihrer ideologisch-kulturellen Dimension. Was in Österreich passiert, ist nur Teil des umfassenden Programms, an das wir als EU-Mitglied gebunden sind:

Da wird ein rücksichtsloses globales Freihandelsregime durchgesetzt, dass alle Grenzen und Hindernisse für die Eliten niederreißt. Jeder Schutz für die Schwachen, sei es nun innerhalb einzelner Gesellschaften oder zwischen den Staaten, muss verschwinden. Er wird unter dem Stich- bzw. Schmähwort Protektionismus geächtet. Auf der Jagd nach Profit strömt das Kapital dorthin, wo die Produktionsbedingungen günstiger sind und die Kosten, einschließlich der Löhne, am geringsten. Genauso stört „übertriebener“ Umweltschutz. Die globale Standortkonkurrenz treibt eine scheinbar unaufhaltsame Spirale nach unten, die alle Errungenschaften des letzten Jahrhunderts in Trümmer schlägt. Dass ein solches System politisch-militärisch gegen jeden Widerstand abgesichert werden muss, liegt auf der Hand und konnte nicht nur beim Überfall auf den Irak beobachtet werden. Dazu dient die globale US-Armee, die immer darauf achtet, dass niemand ihre Überlegenheit in Frage stellt, sowie ihre diversen Bündnissysteme allen voran die Nato. Deshalb auch die offene Feindseligkeit gegenüber Russland und seiner bewaffneten Macht. Legitimiert wird die Machtausübung wiederum mittels vermeintlicher Verteidigung der Menschenrechte und der Rede von humanitärer Hilfe, der „responsability to protect“, die aus dem linksliberalen Wertekanon schöpft.

Der Staat wurde zum Feind erklärt – insofern er Ausdruck des sozialen Kompromisses war und damit auch die Funktion des Schutzes für die Mehrheit ausübte. Nun erklärt man die Irrationalitäten des Marktes zum Allheilmittel. Als es aber darum ging den Finanzcrash abzuwenden, war es für die Eliten selbstverständlich mit staatlichen Geschenken von 10-20% des Sozialprodukts gerettet zu werden. So verkommt der Staat zum Selbstbedienungsladen der Eliten und vom Instrument der Dämpfung der sozialen Gegensätze zu deren Verstärker.

Institutionell drückt sich die Globalisierung in immer stärkeren supranationalen Organisationen aus. Der IWF und die Weltbank haben da eine lange Geschichte vorzuweisen. Zumindest seit den 1980er Jahren treiben sie als Exekutoren des „Washington Consensus“ die halbe Welt mit Notkrediten in die Armut. Was die WTO an „Handelshemmnissen“ nicht aufbrechen konnte, sollen nun Handelsschiedsgerichte erledigen. Es geht um „Investitionssicherheit“, die über dem Willen des Volkes stehen muss. So wollen beispielsweise die Atomkonzerne, die jahrzehntelang staatlich bezuschusst wurden, nun für den deutschen Atomausstieg nochmals die Hand aufhalten. Und nicht zu vergessen: Die internationale Justiz spricht direkt gegenüber dem Individuum Weltrecht, unter Umgehung des Völkerrechts und bisweilen sogar wider dieses. Dort haben die schwächeren Staaten nichts mehr zu melden. Es herrscht das Recht des Stärkeren, jenes der globalen Eliten nämlich, die im Hintergrund die USA und ihre Verbündeten wissen. Nicht ohne Grund müssen sich nicht Bush und Blair vor dem Weltgericht verantworten, sondern vor allem diverse Afrikaner.

Der mit Abstand größte und mächtigste supranationale Parastaat ist die Europäische Union, die hiesige Form der Globalisierung. Im Kalten Krieg entstanden, wandelte sie sich ebenfalls in den 1980er Jahren zum Motor der neoliberalen Konterreform. Die politische Macht wurde den nationalen repräsentativen Systemen, die zumindest formal der Volkssouveränität unterworfen waren, sukzessive entzogen. Das geschah zugunsten einer nicht gewählten Bürokratie, die einzig den herrschenden Oligarchien rechenschaftspflichtig ist. Der Lobbyismus ist ein Ausdruck dieses Faktums, das Europäische Parlament fungiert als Feigenblatt.

Die Einheitswährung Euro ist Krönung und Radikalisierung dieses Eliten-Regimes, das nun zu Gunsten des stärksten Staates, nämlich Deutschland, wirkt. Wie der IWF zwingen die supranationalen Institutionen den südlichen Ländern Verarmungs- und Schrumpf-Programme auf. Dadurch werden sie in einer Dauerkrise gehalten und deindustrialisiert, während die deutsche Exportmaschine mit einer unterbewerteten Währung von einem Erfolg zum nächsten eilt. Dass dabei auch immer weniger an die Beschäftigten in Deutschland abfällt, ist evident. Die extremen Leistungsbilanzüberschüsse, die stagnierenden Löhne, die sinkende Lohnquote legen davon Zeugnis ab. Die EU und der Euro dienen einzig der Durchsetzung der Macht der Starken, während die Schwachen auf der Strecke bleiben. Das soziale Europa bleibt eine Chimäre. Im Gegenteil: Die soziale Konterreform ist die Quintessenz der EU-Verträge, vom Binnenmarkt, über Maastricht bis Lissabon. Die sich unter unseren Augen abspielende griechische Katastrophe muss als tragischer Beleg dafür gewertet werden.

Bemerkenswert ist, dass die Eliten nur ausnahmsweise und exemplarisch für ihr ultraliberales Programm Gewalt anwenden mussten – nämlich in Jugoslawien. Überwiegend ergaben sich die Länder der östlichen und südlichen Peripherie freiwillig, also mit großen Mehrheiten, in das System. In Griechenland ist bis heute eine Mehrheit für den Verbleib in EU und Euroraum. Die Erzählung von Demokratie, sozialem Ausgleich und Zugehörigkeit zum Zentrum wurden geglaubt. Hinzu kam der Narrativ vom Friedensprojekt EU. Auch wenn heute die sozioökonomischen Hoffnungen verflogen sind, so halten bedeutende Teile der Mittelschichten an der EU als Garanten des (links)liberalen Wertesatzes fest – ungeachtet der Tatsache, dass die sich verschärfende Ungleichheit innerhalb und zwischen den Staaten zum Treibhaus für heftige Konflikte auch nationalen Charakters zu werden droht. In der Ukraine wuchsen sie sich unter starker Beteiligung der EU bereits zum Bürgerkrieg aus.

Doch ein Jahrzehnt Wirtschaftskrise haben die Verhältnisse in Bewegung gebracht. Die Unter- und Mittelschichten wollen die liberalen Verheißungen immer weniger glauben und wenden sich politisch ab – an der Peripherie mehr, im Zentrum weniger. Indizien dafür sind: Das griechische Referendums-Nein; der Brexit; die Opposition der Visegrad-Staaten; die italienische Ablehnung der autoritären Verfassung; der Aufstieg von Podemos in Spanien; die zögernde Haltung der von der Linken geduldeten portugiesischen Minderheitsregierung; der Zerfall des französischen Parteiensystems und der Achtungserfolg Mélenchons, aber auch der wachsende Zuspruch für Corbyn in England usw.

Dieser Einbuße an Hegemonie der Eliten entspricht gegenwärtig kein konsistentes politisches Gegenprogramm. Die Krise des Systems offenbart sich vor allem auf kulturell-identitärer Ebene. Das liberale Einheitsdenken des „extremen Zentrums“ (Tariq Ali) wird brüchig. Einerseits wird es zunehmend als Diktat verstanden. Andererseits gibt es Adaptierungsversuche, die zentrifugal wirken: Es wird an ihm angeknüpft, teilweise transformiert, bisweilen sogar radikalisiert.

Die Einheit, die harmonisierend wirkende Identität, wird nun auf andere Weise mittels aggressivem Othering (Veranderung) konstruiert: Die „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel) proklamiert „keine Toleranz gegen Intoleranz“ zu üben. Im 20. Jahrhundert wirkte noch das linke gesellschaftliche Projekt einer gleicheren Verteilung identitätsstiftend, obschon seine rechte Abwehr im Dienste der Eliten den Feind nach außen zu verlegen suchte (jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung, der barbarische Russe). Heute rücken Links und Rechts zusammen, um die neue Identität gegen „das Andere“ aufzubauen. Alte Schablonen werden modifiziert: Die Aufgeklärten, die Geläuterten, die Toleranten, die Gebildeten müssten sich mit allen Mitteln gegen die Aggression der „islamischen Barbaren“ (Stereotyp aus den Türkenkriegen) von außen und der „Populisten“ von innen zur Wehr setzen. Wer zu dumm ist, um zu verstehen, dass sich die Eliten zum Wohle aller die Taschen vollstopfen (neoliberales Freihandelsregime), der soll ausgeschlossen werden. Nachdem die offene Infragestellung der Demokratie durch die liberale Eigendefinition nicht möglich ist, eignet sich die institutionelle Verschiebung von Machtbefugnissen auf supranationale Institutionen für diese Operation am besten.

Wir müssen uns mit dem größten Stolperstein für ein systemoppositionelles Projekt auseinandersetzen, den identitären Konsequenzen der Migration. Denn das mächtige Feindbild der Anderen hält von der Mobilisierung gegen die Oligarchie und ihr System ab. Es wirkt als Spaltpilz nach der Methode Teile-und-Herrsche. So passen die „islamische Barbaren“ und die „Populisten“ nicht zusammen – und wollen es selbst gar nicht. Es sind gerade diese an die historische Rechte anknüpfenden sogenannten Populisten, die die Externalisierung des Feindes am meisten betreiben, damit von der Verantwortung der Eliten für die Globalisierung ablenken und diese de facto entschuldigen.

Die massiven Migrationsströme sind Folge der liberalen Globalisierung. Peripherisierung und extreme Armut verwüsten Teile des Planeten, ganz abgesehen vom Klimawandel, der Folge des industriellen Raubbaus der Eliten des 20. Jahrhunderts ist. Nicht nur Krieg, der in Folge des Kolonialismus (Frühform der Globalisierung), nie ohne westliche Verstrickung stattfindet wie in Nahost oder Afghanistan, machen die Existenz in vielen Regionen und Ländern unmöglich. Auch die von der EU zahlreichen afrikanischen Staaten aufgezwungene Freihandelsverträge EPA tragen das ihre dazu bei. Dabei sind die Migrationsströme in die globalen Zentren noch verhältnismäßig gering, wenn man sie mit den dutzenden Millionen pro Jahr vergleicht, die zwischen den armen Staaten wandern. Nachdem der Aufstand der „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) mit aller Brutalität militärisch, politisch und wirtschaftlich vom Westen niedergewalzt wurde, darf sich niemand wundern, wenn die Verzweifelten als Flüchtlinge vor unserer Tür stehen.

Die globale Oligarchie hat mit der Massenmigration kein Problem, zumindest nicht unmittelbar ökonomisch, sondern nur vermittelt politisch. Das radikale Freihandelsregime fordert nicht nur die unbehinderte Bewegung der Produktionsfaktoren Waren, Kapital und Arbeitskraft, sondern will sie sogar fördern – der „Produktivitätssteigerung“ wegen. Lange war die Auslagerung an billigere Standorte das Zauberwort. Noch besser aber, wenn die Dritte Welt zu uns kommt mit deren Konkurrenzwirkung die sozialen Errungenschaften unter permanenten Druck gesetzt werden können: Wenn man mit „privilegierten“ nationalen Arbeitskräften konfrontiert ist, muss man eben „globale“ importieren, die keine „Privilegien“ mehr haben. Auch das gehört zur Globalisierung.

Die Rechtspopulisten vertauschen Ursache mit Wirkung. Sie postulieren: Nicht das System der Globalisierung ist das Problem, sondern der „Andere“, der Immigrant, bevorzugt markiert durch den islamischen Glauben, wird als Feind proklamiert. „Take back control“ kann gegen die Eliten gerichtet werden, aber auch gegen Migranten, die als Repräsentanten des Verlusts an Mitsprache und Identität dienen. Beispielhaft ist das politische Spiel mit den Kosten für die Versorgung der Migranten, die den Kürzungen der sozialen Transfers gegenübergestellt werden, als wäre die Flüchtlingshilfe dafür kausal verantwortlich. So kann sich die Rechte als Systemopposition inszenieren, die für die Interessen des „kleinen Mannes“ eintritt. Tatsächlich ist sie zu keinem Bruch mit den Eliten bereit – keine konsequente Ablehnung von Euro und EU, die die soziale Konterreform zur Verfassung macht. Stattdessen ruft sie nach Polizeistaat und autoritärem Umbau, was letztlich Wasser auf die Mühlen der Oligarchie bedeutet.

Der Rechtspopulismus ist aber noch in einem mehr vermittelten, umfassenden Sinn der Oligarchie zweckdienlich. Diese malt gerne die Gefahr eines neuen Faschismus an die Wand. Dagegen bedürfe es eines republikanischen Schulterschlusses. Ein gutes Beispiel dafür bot vor kurzem Frankreich: Gegen Le Pen müssten alle Demokraten Macron wählen. Wer das verweigere, verhelfe den neuen Nazis zur Macht. Mit Hilfe dieses Mechanismus konnten die in Bedrängnis geratenen Eliten bisher immer noch ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Mit einem Medienfeuerwerk wurde der neoliberale Macron als Retter in letzter Not inszeniert, selbst wenn das traditionelle Parteiensystem im Zuge der Operation in die Brüche ging. Auch in Österreich spielte Van der Bellen dieses Spiel und sicherte dabei das alte Regime.

Gewiss gibt es Elemente der Kontinuität zwischen Faschismus und jener Rechten, die sich nun von den herrschenden Eliten abgesetzt und eine plebejische Basis geschaffen hat. Doch gibt es keinen zur Revolte bereiten Massenanhang. Es ist auch keine Unterstützung durch eine Elite in Sicht, die der extremen Rechten die Macht ausliefere, weil sie sonst Gefahr liefe mittels einer sozialen Revolution hinweggefegt zu werden. Man darf nicht vergessen, dass der Faschismus vor allem eine Reaktion auf die Oktoberrevolution 1917 und den Aufstieg sozialistischer Kräfte darstellte, die er niederschlagen sollte und es schließlich auch tat. Viele mögen die Aufblähung der populistischen Rechten aus moralischer Empörung betreiben. Aber – abgesehen davon, dass dies einer eklatanten Verharmlosung des Faschismus gleichkommt – haben solche Manöver den Zweck, das liberale Regime zu legitimieren oder zumindest als kleineres Übel zu positionieren.

Aus dieser Falle muss man sich schnellsten befreien. Nicht nur, weil das liberale Zentrum zu wählen, letztlich die populistische Rechte stärkt (Didier Eribon), sondern weil der wirkliche Feind das allumfassende liberale Regime ist. Eine radikale soziale und demokratische Opposition kann letztlich nur gegen das liberale Regime errichtet werden, dem große Teile des Volkes endlich und richtigerweise nicht mehr trauen. Nicht nur die französischen Präsidentenwahlen haben sehr klar gezeigt, dass die populistische Rechte nicht hegemoniefähig ist. Zu stark sind die demokratischen Traditionen im Volk. Im Gegensatz zum Rechtspopulismus ist eine demokratisch-soziale Kraft, so sie sich entscheiden gegen die Oligarchie wendet, in Perspektive durchaus im Stande, Mehrheiten zu erobern.

Was ist nun der Kern der Krise der Großen Koalition in Österreich? Seit drei Jahrzehnten setzt sie die neoliberale Konterreform um. Die ÖVP prescht vor, die SPÖ japst nach – denn mittels der scheinbar linken Position des Ausschlusses der FPÖ kettet sie sich fest an die ÖVP. Beide verlieren durch diese in Österreich quasi institutionalisierte Politik an Zustimmung. Um ihre Klientel zu beruhigen, bremsen die Sozialdemokraten ab und an. Und sogleich schreit die Medienmaschine: Reformstau und Stillstand. Den Erwartungen auch symbolisch Rechnung tragend, haben sozialdemokratische Spin-Doktoren einen Managertypen ins Rennen geschickt – Kern. Die ÖVP schlägt mit krawattelosen Slim-Fit-Anzügen zurück, die liberalistische und atlantizistische Gangart verschärfend. Anders als Schüssel seinerzeit hat Kurz verstanden, dass der die ÖVP prägende konservative Katholizismus zur Subkultur einer Minderheit abgestiegen und mit ihm kein Staat mehr zu machen ist. Dabei ist sein erstes Opfer die christliche Caritas (Nächstenliebe). Mit antimuslimischen Chauvinismus will er Teile des Mittelstands zurückgewinnen – denn darin treffen einander Konservative und Liberale nur allzu oft.

Als einzige vermeintliche Opposition konnte bisher vor allem die FPÖ profitieren, die vom rechten Deutschnationalismus kommend „Ausländer raus“ mit sozialen Elementen anreicherte. Damit konnte sie um den historischen Eliten- und Mittelstandskern an Wählern auch einen wichtigen plebejischen Anhang sammeln. Die einzige Unterbrechung dieses Höhenfluges bezeichnete die Phase der schwarz-blauen Koalition, durch die sie mehr als halbiert wurde. Der Grund: Die FPÖ-Wählerschaft erwartet sich, wenn auch auf diffuse Weise, eine Umkehrung des sozialen Niedergangs, die die Freiheitlichen nicht zu bieten vermochten.

Wer Rot-Grün wählt, unterstützt nicht das vermeintliche kleinere Übel, sondern treibt den Mechanismus an, der an der Wurzel des Aufstiegs der FPÖ liegt. Eine echte Opposition muss Nein sagen können zur neoliberalen Politik der Oligarchie mit allen notwendigen Konsequenzen: Und zwar sowohl gegen die offenen Regime-Parteien zu stehen (VP, SP, Grüne, Neos) also auch gegen diejenigen, die den Unmut zurück ins System lenken (FP). Und sie muss für den Bruch mit der EU kämpfen, der institutionellen Konkretisierung der Globalisierung.

DIE SIEGER DER GESCHICHTE. Auch ein Nachruf auf einen Helden Brüssels

Im Wahlkampf für den Nationalrat 1970 spielte ein Plakat mit dem Bild des Bundeskanzlers Klaus eine Rolle. Darauf stand: „Ein echter Österreicher!“ Und alle wusste, was gemeint war. Der Klaus ist kein polnischer Jude, wie der andere da, dieser Kreisky. Der Erfinder dieses Plakats war Alois Mock. Es heißt, Kreisky sei zeit seines Lebens diesem Herrn Mock doch etwas reserviert begegnet.

Die Medien, die sonst überall Antisemitismus wittern wie die Trüffelschweine ihre Schwammerl, erwähnen in ihren Nachrufen diese so kennzeichnende Aktion ihres Helden nicht.

Mock war nicht aufzuhalten. Als Kurzzeit-Unterrichtsminister war er eher peinlich und unbedarft. Er musste danach jahrelang warten. Schließlich wurde er langjähriger ÖVP-Partei-Obmann. Nach den Wahlen von 1986 jedoch wurde er Vizekanzler und, vor allem, Außen­minister. Als solcher zog er den EG-Anschluss mit aller Zähigkeit und allem Fanatismus durch. Bei den Verhandlungen war er wegen Parkinson ernsthaft gehandicapt. Die österrei­chische Bundesregierung ließ ihn gewähren. Leute aus der technischen Ebene haben später kopfschüttelnd erzählt, wie er eine Position nach der anderen, die ihnen wichtig waren, preisgab. Dabei saß die Vertrauensfrau des SP-Kanzlers Vranitzky – jene Brigitte Ederer, die durch den „Ederer-Tausender“ unsterblich wurde. Sie nickte dies Alles ab. Später schrieben sogar konservative Zeitungen, etwa die NZZ: Österreich hat sich in den Verhandlungen reich gerechnet, weil die Verhandler nicht in der Lage waren, zwischen Kursen und KKP (Kauf­kraftparitäten: die österreichische Währung, der Schilling, stand außen im Vergleich zum inneren Wert viel höher) zu unterscheiden. Und jetzt zahlt es dafür die überhöhten Beiträge.

Das war die Hauptleistung des A. Mock. Es war eine Leistung, ganz objektiv beurteilt. Das hat Österreich wesentlich stärker umgemodelt als die ganze Ära Kreisky.

Man muss auf diese Zeit zurück schauen und vielleicht auch noch das eine oder andere Dokument dazu lesen. Man kommt tatsächlich aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Nach der Wahl 1986 wollte Mock, trotz Niederlage, unbedingt Kanzler werden. Zuerst versuchte er, mit der nunmehrigen Haider-FPÖ ins Geschäft zu kommen. Aber seine Partei ging nicht mit. Die hatten längst begriffen: Mit Vranitzky als Bundeskanzler war dies politisch ein viel besseres Geschäft. Aus ihm war viel mehr heraus zu holen. So ließen sie den schönen Franz Bundeskanzler sein. Er machte ja doch ihre Politik, und zudem hielt er die SP ruhig; vielmehr: er drehte sie um, vor allem bezüglich EG.

Nochmals die Dokumente. Im Arbeitsübereinkommen zum Abschluss der Koalitions-Verhandlungen (16. Jänner 1987) gibt es keinen Abschnitt „Außenpolitik“. Dafür heißt das zentrale und bei weitem umfangreichste Kapitel „Budget“. Die „Sanierung“ muss über Leistungskürzungen, „ausgabenseitig“ erfolgen. Gleichzeitig, trotz Defizit, wird aber eine „merkbare Absenkung des [ESt-] Tarifs“ vereinbart. Um die KöSt eiert man herum: Man wird sie einige Zeit später um die Hälfte senken, die Konzerne also großzügig beschenken.

Erst in der Regierungs-Erklärung (28. Jänner 1987) taucht die Außenpolitik auch auf. Bezüglich der EG hält man fest, dass man die „Teilnahme an der Weiterentwicklung des europäischen Integrations-Prozesses“ anstrebe. Von einem Anschluss ist noch nicht offen die Rede. Noch bestand die Sowjetunion, und noch glaubte man, zur Zurückhaltung verpflichtet zu sein. Man hat bisweilen auch den Eindruck, mit der Fixierung auf das Budget und den Leistungsabbau wäre das eigentliche Hauptziel schon festgeschrieben.

  1. Mock aber bohrte weiter und hatte Erfolg. Ziemlich kurze Zeit später schickte die Bundesregierung den „Brief nach Brüssel“ ab: das Anschluss-Gesuch.

Als Partei-Obmann war Mock der ÖVP nicht erfolgreich genug. Sie ersetzte ihn durch einen Clone, diesen bald auch wieder, usf.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Guido Schmidt, Außenminister in der Anschlussregierung von 1938, wegen Hochverrates vor Gericht gestellt. Seyss-Inquart, der Anschluss-Kanzler, wurde in Nürnberg gehängt. Ist der Hinweis auf das Verhalte der beiden wirklich so weit hergeholt?

Alois Mock wird ein Staatsbegräbnis bekommen. Franz Vranitzky lebt noch bequem, und wie man vernimmt in guter Gesundheit und ruht sich auf seinen Lorbeeren aus.

Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Noch sind die Gefolgsleute und Marionetten des Finanzkapitals und der EU ganz klar die Sieger.

Wie lange noch?

Albert F. Reiterer, 1. Juni 2017

Nach den Landtagswahlen in NRW

Eine etwas andere Wahlauswertung oder was ist eine siegreiche Niederlage?

von Thomas Zmrzly, Duisburg

1. Allgemeine Stimmung vor den einzelnen Landtagswahlen war und ist, dass in verschiedensten Umfragen zwischen 60 – 80% der Befragten mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation zufrieden oder sehr zufrieden sind. Im Gegensatz dazu haben bis zu 80% der Wählerinnen und Wähler in Frankreich vor den Präsidentschaftswahlen geäußert mit ihrer Situation unzufrieden zu sein. Hier wird deutlich wie sonst nirgends, dass Deutschland Gewinner der Krise und des €uro-Regimes ist, während selbst Frankreichs Ökonomie darunter grundsätzlich leidet. Obwohl es einigen Wechsel der Wählerinnen und Wähler aus dem Nichtwählerlager und zwischen den Parteien gegeben hat, ist dies nicht einfach in Stimmen für die Linke umzusetzen. Der Wechsel hat allein überwiegend im bürgerlichen Lager statt gefunden. Zwischen rotgrün und schwarz-gelb. Erstaunlich ist, dass fast keine Stimmen von der Linken zur AfD gewandert sind.

2. Trotzdem ist die Armut bzw. relative Armut in NRW und hier im speziellen im Ruhrgebiet nirgendwo so groß und konzentriert im Westen der Republik. Beispielhaft sei angeführt , das jedes vierte Kind von Sozialtransfer abhängig ist, in NRW die größten Schulklassen, die Studierenden mit den wenigsten Lehrpersonal auskommen müssen etc.. Die meisten Städte des Ruhrgebiets sind solche mit abnehmender Wohnbevölkerung. Neben den Hartz – IV Betroffenen, den Niedriglöhnern und den prekär Beschäftigten gibt es in den Ruhrgebietsstädten eine räumliche Trennung zwischen abgehängten Stadtteilen und denen der Mittel – und Oberschicht.

3. Landtagswahlen sind generell schwieriges Terrain für Linke. Es ist generell leichter auf städtischer bzw. kommunaler Ebene und auf Bundesebene Wahlen zu organisieren. Wenn nicht wirklich landesspezifische Themen in der Luft liegen, was bei den meisten Wahlen nicht der Fall ist, dann kann eine grundsätzlich antagonistische Kraft sich nicht wirklich profilieren und geht im nicht themenbezogenen Wahlkampf unter. Oft reduziert sich dieser dann noch medial auf Regierung und größte „Oppositionskraft“, also einen „Wechsel“ im bürgerlichen Lager.

4. NRW ist das mit Abstand größte Bundesland. Fast ein Viertel aller Menschen Deutschlands leben in NRW. Um ein Vorstellung davon zu entwickeln wie groß und gleichzeitig wie politisch schwierig die Organisation einer Wahl ist sei nur folgendes angemerkt: Österreich hat 6.5 Millionen Wahlberechtigte, Belgien 8 Millionen, und selbst die Niederlande hat mit 12,9 Millionen weniger als NRW, das knapp mehr als 13 Millionen Wahlberechtigte hat. Obwohl allein 10 Millionen Menschen in der Metropolenregion Rhein -Ruhr leben ist der Anteil der ländlichen Bevölkerung nicht unerheblich, und hat letztlich entscheidend dazu bei getragen, dass die Linke aufgrund von fehlenden 8500 Stimmen nicht in den Landtag eingezogen ist.

5. Die LINKE NRW konnte ihr Ergebnis verdoppeln von ca. 200 000 Stimmen in 2012 auf 415 000 (2,6% auf 4.9%). Dies gelang vor allem in den Städten und weniger auf dem Lande. Die Schwerpunktsetzung des linken Landesverbandes auf soziale Themen haben diesen Erfolg erst ermöglicht, ein weitgehend auf Eigenständigkeit setzender Wahlkampf wie auch der Einsatz der bekanntesten Linken Sahra Wagenknecht auf Kundgebungen, wie auch als Cover der zentralen Wahlzeitung. „Bildung, Erziehung, Pflege, öffentliche Verwaltung – überall gibt es großen Personalmangel. Wir wollen dafür streiten, dass mehr tarifgebundene Arbeitsplätze geschaffen werden, dass es ein Investitionsprogramm für NRW gibt, der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut und für die Menschen günstiger wird, dass die öffentliche Hand 100 000 Wohnungen baut, in denen Mieten bezahlbar sind und dass es Gebührenfreiheit in der Bildung gibt.“ (Repräsentatives Interview mit Özlem Demirel) Darüber hinaus wurde ein Mindestlohn von 12€ gefordert und auch flächendeckend plakatiert. Die Unterscheidungsmerkmale zu allen bürgerlichen wie auch zur rechtspopulistischen AfD waren gut sichtbar. Die Linke konnte jeweils 60000 Stimmen von ehemaligen Grün und SPD-Wählern gewinnen und 40000 aus dem Nichtwählerlager.

6. Wer mit AktivistInnen der Partei in den Zentralregionen spricht, dem fällt auf, dass die Kampagne („Zeig Stärke“) überwiegend positiv bewertet wurde, und dass sie weitgehend landespolitisch entschieden und durchgeführt wurde. Die Unterstützung aus Berlin hielt sich in Grenzen. Ist die LINKE NRW doch inhaltlich der Antagonist zum rechten Parteiflügel in Berlin. Wird die Orientierung auf Rot-rot-grün,wie vom rechten Parteiflügel (Bartsch FDS, Kipping EmaLi) und Mittelerde (Axel Troost,SL) als einzige Perspektive für einen progressiven Politikwechsel propagiert, mehrheitlich abgelehnt. Im Punkto Euro/EU wie auch in der Antikriegspolitik steht die Partei in NRW klar auf den Positionen, die der letzte Bundesparteitag bzw. Landesparteitag formuliert hat, und ist im Gegensatz zu Berlin und den Ostverbänden nicht bereit, dies auf dem Altar einer Regierungsbeteiligung zu opfern.

7. Wahlen werden nicht im Wahlkampf entschieden, sondern können in diesen nur zugespitzt oder vergeigt werden. In diesem Sinne ist das Ergebnis durchaus repräsentativ und die fast 5% sind als ein enormer Fortschritt zu bewerten, ohne öffentlich damit von einem Erfolg ohne gleichen sprechen zu können, da schließlich die 5% Hürde nicht genommen wurde.

8. Es zeigen sich einige klassische Tendenzen der Parteientwicklung ab. Da wäre zum einen die Tendenz vor Ort den Aktivismus auf Dauer nicht halten zu können. Die abnehmende Unterstützung in den sozial benachteiligten Stadtteilen nimmt zu und konnte nur dort durchbrochen werden, wo entweder der Aktivismus erneuert oder wo zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit kein Widerspruch existiert. Die „Verparlamentarisierung“ hat auch in NRW schon in einigen Städten wie z.B. in Duisburg dazu geführt, dass es schon Parteigliederungen gibt, welche nahezu überwiegend im Parlament arbeiten und nur noch ein wenig Parteianhang besitzen.

9. An die AfD wurden fast keine Stimmen mehr abgegeben. Nur mehr dort, wo DIE LINKE de facto nicht mehr präsent ist, konnte die AfD als Anti-Mainstreampartei in den abgehängten Stadtteilen punkten. Die AfD hat den Abgehängten nichts anzubieten. In diesem Sinne war die Konzentration auf die soziale Frage doppelt richtig, weil sich diese Strategie in NRW gleichfalls gegen den progressiven Neoliberalismus (Nancy Fraser) von SPD/Grünen wie auch gegen die neoliberale Rechte (AfD) richtete. Im Wahlkampf gab es eine politische Positionierung gegen Rotgrün, wie sie selbst in antifaschistischen Bündnissen oder in der Gewerkschaftsarbeit nicht stattfindet, wo sich alles immer einer dubiosen Einheit unterordnen muss.

10. Die verschiedensten Kritiken von rechts wie von links, die z.B. weniger oder mehr Antirassismus fordern, haben selbst immer noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie einer größerer Teil der Gesellschaft für eine andere Perspektive gewonnen werden kann. Die Flüchtlingsfrage selbst hat im Wahlkampf keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt Wie übrigens auch im Wahlkampf in Schleswig-Holstein). Die CDU hat in den letzten 10 Tagen nochmals den Sicherheitsdiskurs hoch gefahren, aber auch hiermit nicht fundamental punkten können. Eine Verschiebung in dieser Frage geben die Vor und -nachwahlbefragungen jedenfalls nicht her.

11. Eine Bewertung, die die letzten Wahlen als Rechtsrutsch oder institutionellen Rechtsschwenk bewertet, weil in Folge die CDU – Regierung im Saarland bestätigt, in Schleswig-Holstein und in NRW rotgrüne Regierungen durch CDU/FDP abgelöst wurden, setzt aber voraus, dass es elementare Unterschiede zwischen Links (SPD/Grüne) und – Rechtsliberalen (CDU/FDP) existierten, und die Rechtsliberalen mit Angriffen auf soziale Errungenschaften gewonnen hätten. Weder das Eine noch das andere ist aber der Fall. Insofern bleibt nur die Tatsache, dass die AfD in alle drei Landtage eingezogen ist zur Untermalung obiger These. Diese hat aber auf absehbare Zeit keine Chance auf Umsetzung ihrer Politik in Landesregierungen oder gar Bundesregierung. Eine gesellschaftliche Verschiebung nach rechts hat in Folge der Bewegung von Pegida und des politischen Aufschwungs der AfD im 2016 gegeben. Die Bewegung ist vorbei und der zumindest demoskopische Aufstieg der AfD vorläufig zu Ende. Die Parteiführung selbst ist auf der Suche nach neuen Themen, und die Eigendarstellung als Anti – Mainstreampartei gelingt immer weniger. Diese gilt es zu erkennen und eben politisch zu bekämpfen, wie es die Die Linke NRW in der Wahlkampagne mit der Konzentration auf soziale Themen aufgezeigt hat.

12. Auch wenn die Kampagne also insgesamt politisch richtig und erfolgreich war, ist es aber entscheidend, ob sie die richtigen Lehren aus der „siegreichen Niederlage“ zieht. Weder darf sie zu einer verlängerten Arm des progressiven Neoliberalismus werden wie es die Parteirechte in NRW ,vertreten durch die Strömung Sozialistische Linke, gebetsmühlenartig fordert , noch darf sich der linke Flügel einigeln, weil die undemokratische 5% nicht übersprungen wurde.

 

Eine sehr detaillierte und in weiten Teilen sehr gute Wahlauswertung des LandessprecherInnenrates der AKL NRW findet sich unter: http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2054