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An Parlamentarier: Merkel-Macron führt zu EU-Regierung

Brief an die Österreichischen Parlamentarier*innen

Gesendet am 29.5.2010 8:43

An: office@oevpklub.at<office@oevpklub.at>;kontakt@spoe.at<kontakt@spoe.at>;bgst@fpoe.at<bgst@fpoe.at>;dialogbuero@gruene.at<dialogbuero@gruene.at>;kontakt@neos.eu<kontakt@neos.eu>;

und als CC:

leser@kurier.at<leser@kurier.at>;apa@apa.at<apa@apa.at>;wien@kronenzeitung.at<wien@kronenzeitung.at>;

Sehr geehrte Parlamentarier*Innen!

Der EU-Rettungsplan von Macron und Merkel würde eine tiefgreifende Änderung im Vertragsverhältnis Österreichs zur EU bringen. Er würde, so der Plan umgesetzt werden sollte, in Österreich eine neuerliche Volksabstimmung nach sich ziehen.

Dadurch, dass die EU-Kommission ermächtigt wird, Gelder einzuheben und zur Staatsschuldentilgung durchzuführen, würde eine Art Steuereinhebungsmechanismus ins Leben gerufen, der die Kommission in den Rang einer Regierungsstelle setzt. Eine Zentralregierung ist aber nicht im EU-Vertrag enthalten.

Das geplante Verfahren geht weit über die bisherige Gepflogenheit von regionaler Aufbauförderung hinaus.

Selbst wenn die Merkel-Macron-Aktion nur als einmalige Sonder-Krisen-Aktion geplant ist, würde dadurch, dass sie auf die Ebene der EU-Kommission gehoben wird, das Vertragsverhältnis wesentlich abgeändert.

Dadurch dass die Beitrags- und Haftungssummen immense Höher erreichen, würde das geplante Vorgehen die Nationalbudgets der haftenden Staaten auf Jahre hinaus in der Budgetgestaltung beschränken. Dies kommt einer nahezu vollständigen Souveränitätsabgabe an die EU-Kommission gleicht.

Es geht nicht darum, den wirtschaftlich angeschlagenen Ländern nicht zu helfen. Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, Polen usw. brauchen Finanzhilfen, um ihren Wohlstand weiter aufrecht zu erhalten oder zu verbessern. Es geht um die Art der Durchführung.

Ein ERP-Fond nach Muster des US-amerikanischen Marshall-Plans wäre möglich, ohne dass in die EU-Verträge massiv eingegriffen würde.

Dass ausgerechnet ein Verfahren angestrebt wird, das in der Wirkung zu einer Zentralregierung führt, ist der Grund für eine notwendige Volksabstimmung, da dadurch teile der Österreichischen Verfassung betroffen sind.

Ich fordere daher das Österreichische Parlament auf, vor einer Zustimmung zu diesen Plan, eine neuerliche Volksabstimmung durchzuführen.

Dies nicht um den Plan zu verhindern, sondern um dem Gesetz genüge zu tun. Ein Eingehen auf den Merkel-Macron-Plan ohne Volksabstimmung käme nach meinem Empfinden einer Erosion des Rechtsstaates oder sogar einem verdeckten Staatsputsch gleich.

für die LinkeStmk e.V

Wolfgang Friedhuber

EU-Vertrag und der Vorschlag Merkel-Macron zur Krisenbewältigung

von Wolfgang Friedhuber, Graz

Zum Beitritt Österreichs zur EG am 12. Juni 1994 war zuvor eine Volksabstimmung notwendig.

“Die Volksabstimmung war notwendig, weil der EU-Beitritt eine Gesamtänderung der Bundesverfassung mit sich brachte.” ( https://oegfe.at/2019/06/12_gk_standard/ )

Auch bei der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon am 14. Juni 2005 gab es eine heftige Debatte um eine neuerliche Volksabstimmung. Die Kräfte des rechten Lagers polemisierten für die Notwendigkeit und die liberal-linken Kräfte bestritten diese Notwendigkeit. Die Diskussion ging zwar darum, ob der Vertrag von Lissabon eine Vertragsänderung des EG-Beitrittsvertrages ist oder nicht – wurde aber von beiden Seiten eher mit populistischen Argumenten geführt.

Aus dem Protokoll der Aktuellen Stunde im Nationalrat anno 2007:

“Trete der EU-Reformvertrag in Kraft, hätten in unserem Land nur noch die EU-Kommissare das Sagen, befürchtete Abgeordneter Strache und warnte vor ausländischem Zugriff auf das österreichische Wasser, vor Umweltdiktaten und Gentechnikzwangsverordnungen. Schon jetzt müsse Österreich eine Verdoppelung der Fördermittel nach dem Euratom-Vertrag akzeptieren und zulassen, dass seine Sozialkassen von Nichtösterreichern in Anspruch genommen werden. Strache kritisierte einmal mehr auch den „Kampfeinsatz“ des Bundesheeres im Tschad und machte darauf aufmerksam, dass die EU unter dem Titel „Terrorbekämpfung“ auch Angriffskriege vorsehe.” ( https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2007/PK0952/ )

“Bundeskanzler Dr. GUSENBAUER sagte, es sei ihm „angst und bang“ geworden bei den Ausführungen seines Vorredners. Ganz anders als die eingefrorene Posthorntöne der FPÖ seit dem EU-Beitritt glauben machen wollen, erlebe Österreich als EU-Mitglied einen der größten wirtschaftlichen Aufstiege seiner Geschichte und sei zum viertreichsten Land der EU geworden. Österreich profitiere als Zentrum des erweiterten Europa und könne in diesen Tagen seine Wachstumserwartungen nach oben korrigieren, obwohl die Eurozone weniger Wachstum erwarte. Man könne nicht vom Untergang der Republik sprechen, wenn die Menschen von guten Gehaltsabschlüssen und sinkender Arbeitslosigkeit profitierten” (https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2007/PK0952/ )

An diesen zwei Textzitaten ist zu sehen, wie problematisch es ist, die politischen Vorgänge um die EU zu diskutieren. Der dem rechten Lager zugeordnete Hr. Strache argumentiert mit den abzulehnenden Auslandskampfeinsätze des Bundesheeres, mit der Liberalisierung der Gemeinschaftsressource und mit Autonomieverlust. Der dem linken Lager zugeordneter Hr. Gusenbauer argumentiert mit wirtschaftlichem Aufschwung, mit Wachstum und steigenden Gehaltsabschlüssen. Der “rechte” Mandatar benutzt großteils “linke” Argumente und der “linke” Mandatar argumentiert mit neoliberalen Argumentationssträngen.

In den beiden Ausschnitten wird aber ein zentrales Thema nicht genannt: Die Verfassung.

“Die Behauptung, dieser Vertrag stelle eine fundamentale Änderung der Bundesverfassung dar, wies der Bundeskanzler [Hr. Dr. Gusenbauer] zurück” – ohne Angabe von Gründen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass EU-Verträge und Vertragsänderungen Eingriffe in die Verfassung beinhalten können. Diese Eingriffe in die Verfassung waren auch der Grund, dass für den damaligen EG-Beitritt eine Volksabstimmung notwendig war.

Die Bestrebungen einer EU-Verfassung zu erstellen wurden genau aus diesem Grund fallen gelassen und durch das Konstrukt eines Reform-Vertrags zu umgehen versucht. Der Reform-Vertrag sollte damit den ursprünglichen Beitrittsvertrag nicht ändern – sondern nur reformieren. Diese Argumentationslinie war im Parlament seitens der EU-Befürworter auch Argumentationsgrundlage. Eine neue Volksbefragung, deren Ausgang ungewiss war, sollte unter allen Umständen vermieden werden.

Aber natürlich war der EU-Reformvertrag von Lissabon ein Eingriff in Verfassungsrechte – allein schon deshalb, da ab diesem Zeitpunkt EU-Recht über nationales Recht gestellt wurde. Im EU-Parlament beschlossene Gesetze – etwa die DSGVO – haben zwingend von allen Nationalparlamenten ohne Abstriche umgesetzt zu werden. Was damals zur Errichtung der Währungsunion – hauptsächlich im Interesse Frankreichs – notwendig schien, hat auch heute seine Begründung in der wirtschaftlichen Schieflage in Kernländern der EU.

So benötigen etwa Italien und Frankreich neues Kapital aus den wirtschaftlich stabileren Ländern. Wird diese Unterstützung nicht gewährt, droht eine Euro-Krise.

Das Finanzkorsett das mit Euro und EZB den europäischen Staaten angelegt wurde, hat zwar schon seit der Wirtschaftskrise 2008 die Staaten in Geiselhaft genommen – aber demokratiepolitisch sozusagen “hinter dem Vorhang”. Die EZB ist völlig ungebunden, die im Target 2 System versteckten Bilanzdefizite – etwa Italiens – gleiche eher einer Kreditstreckung als einer Verschuldung. Nun verursachen die durch die Staaten angeordneten Corona-Schutzmaßnahmen eine  Eskalation der finanzielle Lage der Wirtschaftsbetriebe. Die Staaten sind allein schon aus humanitärer Sicht verpflichtet, hier Finanzhilfe zu leiste. Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland, Polen, Rumänien usw. waren zuvor schon wirtschaftlich unter Druck, nun benötigen diese Länder Kapital um den Absturz zu verhindern.

Gemäß den EU-Regeln, die sich der neoliberalen Doktrin verschrieben haben, müsste dieses Kapital auf dem freien Kapitalmarkt aufgenommen werden. Da die Länder – vor allem etwa Italien, aber auch Spanien und Frankreich – kaum kreditwürdig sind – zu hoch ist das Ausfallrisiko der Rückzahlung – müssten sie am liberalen Kapitalmarkt immense Zinsen dafür zahlen – was die Krise in den Ländern eher verschärfen würde als sie zu beheben.

Jedenfalls: Insgesamt bedroht diese Situation auch den gesamten Euroraum. Es sind schon gewaltige Schuldenberge im Target 2 System der EZB versteckt – würden sich nun die Staaten wie Frankreich und Italien weiter national Verschulden, so wäre die Eurostabilität kaum zu halten.

Die Lösung, die Merkel und Macron nun gefunden haben, ist nicht neu und war schon immer das Ziel etwa Italiens oder Frankreichs: Die Länder mit einem halbwegs ausgeglichenen Brutto-Inlandsprodukt im Verhältnis zur Staatsschuldenlast sollen in Haftung für die Länder eintreten, die praktisch Bankrott sind.

Diese Idee würde der Solidarität – zumindest auf der Seite der Wirtschaftsförderung – in Europa entsprechen. Egal wie man zu dieser Art der Solidarität steht – immerhin werden Menschen in Haftung genommen, die schon zuvor auf Leistungen verzichtet haben, um den Staatshaushalt zu stabilisieren – es gibt ein Problem: Es kommt einer Vertragsänderung der EG-Verträge und auch des EU-Reform-Vertrags.

Haftungsübernahme – und erst recht die direkte Schuldenabdeckung der bankrotten Länder durch die noch halbwegs ausgeglichen bilanzierenden – kann als Eingriff in die Souveränität und damit als Eingriff in die Verfassung gesehen werden. Österreich haftet dann offiziell für Frankreich und seine Weltmachtpolitik oder für Italien und seine Art der politischen Gestaltung. Die Länder Europas werden damit zu Bundesländer eines europäischen Gesamtstaates – und dies ist ein massiver Eingriff in die österreichische Verfassung.

Es kann natürlich viele Menschen geben, die so einen “Staat Europa” wohlwollend gegenüber stehen, die Zeiten der Nationalstaaten scheinen ohnedies vorbei zu sein, aber: Österreich müsste, wenn der Merkel-Macron-Plan unter welchem Namen auch immer – umgesetzt wird, wieder eine Volksabstimmung über den Verbleib Österreichs in diesem „Staat Europa“ abhalten.

Ich bin mir ja fast sicher, dass die Mehrheit der Österreicher*innen, nach geeigneter politischer Aufklärung, zustimmen würden – so wie damals beim EG-Beitritt. Die Politiker*innen Österreichs, die nicht in Opposition sind, werden auch jegliche Argumente für so einen Staat finden – vermutlich aber werden sie auch wieder bestreiten, dass überhaupt eine Verfassungsänderung droht; das ist verständlich. Sie vertreten ihre Gesinnungen und ihre Parteidoktrinen.

Zumindest aber die Medien wären aus meiner Sicht verpflichtet, diesen Aspekt der notwendigen Volksabstimmung publik zu machen, um den Menschen im Sinne der demokratischen Mitbestimmung die Chance zu geben, sich dazu zu äußern.

22.5.2020

Im Gedenken an Julio Anguita

Das Ableben von Julio Anguita ist ein großer Verlust für die Arbeiterklasse und die Mehrheit des Volkes.

Julio war eine Autorität im Kampf für die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und Volkssouveränität.

Gern erinnern wir uns an seine klare und mutige Ablehnung des Vertrags von Maastricht, der in Bereichen der Gesellschaft eine Phase der Aufklärung über den neoliberalen Aufbau der Europäischen Union eröffnete, in der die Anpassungs- und Sparpolitik gegen die unteren Klassen vorweggenommen wurde.

Auch haben wir seine Kritik und Ablehnung der Einheitswährung, des Euro, im Dienste der Interessen der deutschen und mitteleuropäischen Oligarchie und ihrer katastrophalen Rolle bei der Entwicklung der öffentlichen und privaten Schulden in Spanien, die unsere Gegenwart und Zukunft belasten, geteilt.

Inspiriert von seiner Analyse und seiner direkten Beteiligung haben wir Initiativen, Manifeste und Kampagnen zur Aufhebung der Verträge und ihrer zugehörigen Gesetze geführt; Gesetze, die dem Dogma der Haushaltsstabilität, den Vorgaben bezüglich Defizit, Verschuldung und willkürlicher Ausgabenobergrenze gewidmet waren, die dazu gedient haben, soziale Kürzungen, Lohnabwertung, Verlust von Arbeitsrechten, kurz gesagt, die Prekarität und Verarmung breiter Gesellschaftsbereiche voranzutreiben.

Wir werden sein Andenken ehren und seinen Weg und sein Beispiel in Zeiten fortsetzen, in denen die Pandemie die fehlende Solidarität und die Ohnmacht der neoliberalen Europäischen Union offengelegt hat.

Eine brüderliche Umarmung an Ihre Familie, Freunde und Genossen.

Auf Wiedersehen Julio Anguita!

17. Mai 2020

PLATAFORMA SALIR DEL EURO

Übersetzung: Rainer Brunath

Corona-Bonds sind auch keine Lösung

ESM vs Corona-Bonds

von Stefan Rossi, München

Gegenwärtig wird in der Eurozone darüber gestritten welches das geeignete Finanzierungsinstrument für die südeuropäischen Länder ist, um die durch COVID-19 ausgelöste Wirtschaftskrise zumindest abzumildern. Die Regierungen der nördlichen Länder bevorzugen die Inanspruchnahme des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), doch besonders in Italien stößt das auf Ablehnung. Zu frisch sind noch die Erinnerungen an Griechenland und wie es in den ESM gezwungen wurde. Die Troika (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) zwang das Land zu einer schmerzvollen Austeritätspolitik und zum Ausverkauf des Volksvermögens, um griechische Staatsanleihen im Besitz deutscher und französischer Banken abzusichern. Dies ermöglichte es deutschen Unternehmen griechisches Volkseigentum zum Schnäppchenpreis zu erwerben, kein Wunder also, dass die deutsche Regierung versucht dies zu wiederholen. Da hilft es auch nicht wenn deutsche Regierungsmitglieder so tun als wären die ESM-Hilfen diesmal nicht an Bedingungen geknüpft. Ministerpräsident Conte dagegen will eine Inanspruchnahme des ESM verhindern und stattdessen über Corona-Bonds die dringend benötigte Finanzspritze erhalten.

Warum Corona-Bonds?

Corona-Bonds sind Anleihen die eine Verschuldung ohne die harschen Bedingungen des ESM und ohne Troika ermöglichen, genauso wie bei normalen Staatsanleihen. Im Gegensatz zu diesen, werden Corona-Bonds (auch Euro-Bonds genannt) jedoch nicht von den einzelnen Staaten ausgegeben sondern von der gesamten Eurozone, d.h. es besteht kein Zinsunterschied (Spread) wie bei den Anleihen einzelner Staaten, im Klartext: Italien muss auf Corona-Bonds geringere Zinsen als auf eigene Staatsanleihen zahlen. Von der deutschen Regierung wird dies abgelehnt mit der Begründung, dass es keine Vergemeinschaftung von Schulden geben darf, schließlich hat das Helmut Kohl dem deutschen Volk vor der Einführung des Euro versprochen. Es gibt zwar auch in Deutschland viele Befürworter der Corona-Bonds, doch die Massenmedien warnen eindringlich, dass bei einer Zahlungsunfähigkeit Italiens, die übrigen Euroländer, vor allem Deutschland, die Gläubiger bedienen müssen. Leider ist diese Diskussion nicht zielführend, da die eigentlichen Probleme der Währungsunion nicht angegangen werden, stattdessen wird verzweifelt versucht den Euro zu retten, schließlich sagte Bundeskanzlerin Merkel: “Scheitert der Euro, scheitert Europa”. In Wahrheit fürchtet die Bundesregierung um ihre exorbitanten Exportüberschüsse die nur mit dem für Deutschland unterbewerteten Euro möglich sind, nicht jedoch mit der Deutschen Mark. Zur Erinnerung: Deutschlands Exportüberschuss ist fast 6-mal so hoch wie der China’s, und zwar nicht in Relation zur Größe der Länder sondern in absoluten Zahlen!

Statt der Ursache werden die Symptome behandelt

Durch die Einheitswährung ist es Italien nicht mehr möglich seine Währung abzuwerten. Eine Abwertung die benötigt wird, um sich gegen die seit der Nachkriegszeit praktizierte deutsche Unterbewertungsstrategie zu wehren. Mit Einführung der gemeinschaftlichen Währung war den Italienern der Weg der Abwertung versperrt. Verschlimmert wurde die Situation noch durch die Schröder-Regierung mit ihrem Lohndumping und die damit verbundene (und nach den Maastricht-Verträgen verbotene) innere Abwertung. Die verlorenen Marktanteile reduzierten das italienische BIP und trieben damit die Staatsschuldenquote in die Höhe. Mehrere italienische Regierungen versuchten mit der von der EU verordneten Sparpolitik die Schuldenquote zu reduzieren, erreichten jedoch genau das Gegenteil. Jegliche Neuverschuldung in Euro, egal ob über Corona-Bonds, Staatsanleihen oder ESM ändert überhaupt nichts an der Ursache des italienischen Wachstumsproblems, nämlich Deutschlands Lohnzurückhaltung und den daraus resultierenden Exportüberschüssen.

Mit der Verschuldung steigt die Abhängigkeit von Deutschland

Auch Corona-Bonds werden irgendwann fällig und müssen von zukünftigen italienischen Regierungen zurückgezahlt werden. Da jedoch die Ursachen der Verschuldung nicht behoben wurden stellt sich die Frage wie sie diese Schulden in der Zukunft bedienen sollen. Darauf gibt es natürlich nur eine Antwort: Mit neuen Schulden! Da sie sich jedoch nicht in der eigenen Währung verschulden können, ist es unausweichlich, dass EU-Kommission, EZB und die Bundesregierung massiven Druck auf Italien ausüben werden, um die Staatsschuldenquote zu reduzieren. Das bedeutet erneute schmerzhafte Austerität in allen Sektoren, Infrastruktur verkommt, die Zahl der Krankenhausbetten wird weiter reduziert, Bildungsausgaben sinken, Renten schrumpfen, Mitarbeiter im öffentlichen Dienst werden eingespart etc. Wie auch in Griechenland wird das zu höherer Arbeitslosigkeit und Verarmung der Bevölkerung führen. Dies wird die Bestrebungen nach einem Verlassen der Währungsunion verstärken, doch mit steigender Verschuldung wird ein geregelter Austritt unmöglich.

Die Divergenz steigt an

Eigentlich ist es Ziel der EU, Konvergenz zwischen den Mitgliedsstaaten herzustellen, das Wohlstandsniveau soll angeglichen werden. Stattdessen ist das Gegenteil der Fall, die deutsche Wirtschaft wächst seit Jahren stärker als im Rest der EU und es ist absehbar, dass sie auch besser durch die momentane Krise kommt, womit sich der Abstand noch vergrößern wird. Die Merkel-Regierungen haben auf Kosten des Auslands die deutschen Staatsschulden reduziert, dementsprechend bestehen größere Kapazitäten die Wirtschaft zu stützen. Die Conte-Regierung kann sich jedoch nur bedingt Konjunkturspritzen leisten, sie muss ja auf den Schuldenstand achten. Dadurch wird Italien noch weiter abgehängt und die Ungleichheit innerhalb Europas steigt weiter an. Dies führt unweigerlich zu weiteren Migrationsbewegungen, jeder der kann macht sich in Richtung Deutschland auf, während die Zurückgebliebenen natürlich ein gefundenes Fressen für die Rechtspopulisten sind.

Fazit

Jegliche Verschuldung in Euro verschiebt die Probleme nicht nur in die Zukunft sondern verschlimmert sie noch. Da Deutschland nicht bereit ist seine Wirtschaftspolitik, zugunsten der Eurozone und zu Lasten der Exportüberschüsse, anzupassen, bleibt für die leidtragenden Länder nur der Austritt, um Verarmung, De-Industrialisierung und Verlust der Souveränität abzuwenden.

Foto: Antischokke / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

Zum Streecks „Zerfall Italiens“

von Rainer Brunath, Hamburg

Zusammenfassung eines Interviews erschienen in der online FAZ: Die Zeitbombe ist der Zerfall Italiens

Die nächste Euro-Krise steht bevor. Reichen die alten Instrumente? Ein Gespräch mit dem Soziologen Wolfgang Streeck über die Folgen von Corona für die Europäische Union.

Die westliche „Wertegemeinschaft“ hat sich (bisher) bedingungslos dem Globalisierungsprozess ausgeliefert, hat, um diese Transformation zu bezahlen, die dafür nötigen Ausgaben in die Zukunft verschoben. Schlimmer, sie hat Schulden gemacht, die nicht in ihrer Gesamtheit mit Steuereinnahmen finanziert werden konnten. So bauten sich von Krise zu Krise riesige Schuldenberge auf. Um diesen Zustand verwalten zu können, entstand eine „Exekutivdemokratie“ die die nationalen Parlamente ausschaltete – immer mit dem Vorwand, es seien Schritte hin zur politischen Union der EU. Andererseits holten sich nationale Regierungen in Brüssel jene Mandate, die die eigenen Gesetze nicht abdeckten.

Die Schuldenlast führte dazu, dass sich Krisen der Finanzindustrie, wie auch die aktuelle durch die Covid 19-Pandemie hervorgerufene, sich mit hoher Geschwindigkeit global ausbreiten – mit einem Tempo, dem sich bürgerliche Demokratien nicht gewachsen zeigten, zeigen können. Das führt (wie erlebt) zum Regieren per Dekret,  die Anzeichen einer autoritären Demokratie sind.

Um „Haushaltskonsolidierungen“ (Austerität) durchzusetzen, gab/gibt es Überwachungsinstrumente in der EU, mit denen Brüssel in den letzten Jahren in 63 Fällen die Mitgliedstaaten aufgefordert hat, Kürzungen in deren nationalen Gesundheitssystemen vorzunehmen – wie auch bei der Arbeitslosenunterstützung und  den Arbeitnehmerrechten. In Italien fiel dadurch die Quote des öffentlichen Gesundheitssystems auf 6,5 % des nationalen Haushaltes. In der BRD liegt sie noch (!) bei 9,5%.

Und es gibt Anzeichen, dass die Regierungen nach der Bewältigung der Pandemie diese Politik fortsetzen wollen. Dass nach der Corona-Krise nichts mehr so sein werde wie zuvor, ist bis jetzt nur ein frommer Wunsch breiter Bevölkerungsschichten.  Das bedeutet:

=> weitere Verschuldungen der Art, dass die Geldmenge im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten der EU zunimmt,

=> steigendes Gewicht der EZB mit Draghi an der Spitze als big Leader im Hintergrund,

=> zunehmende soziale Ungleichheiten werden weitergeführt (öffentlich erkanntes Beisspiel: Bezahlung der Pflegekräfte)

Das gilt  in katastrophalem Maß für den Süden Europas, während Deutschland bisher Honig aus der strukturellen Asymmetrie der europäischen Währungsunion zog, also aus Begünstigungen für die auf  Exporte setzende Volkswirtschaft.

Zur systemkonformen Bewältigung der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise spielt die EZB eine gewichtige Rolle, obwohl monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB  kraft des  Vertrags von Maastricht ausgeschlossen ist.  Sie arbeitet mit einem Trick:  Sie kauft den privaten Kreditgebern (Banken) ihre Schuldverschreibungen  (an die Mitgliedsstaaten) ab und gibt ihnen dafür frei geschöpfte Euros.

Damit übernimmt die EZB quasi politische Aufgaben ohne demokratische Kontrolle. Aber das ist nur eine von vielen unsauberen Instrumenten in der EU, und die Bundesregierung nimmt das hin, weil damit der Wechselkurs z.B. gegenüber dem Dollar, durch die Mitgliedschaft der schwächeren Länder gedrückt wird, was den Export begünstigt.

Die südeuropäischen Länder haben durch die feste Bindung an den Euro keine Möglichkeit abzuwerten und damit die Talfahrt zu stoppen. Damit ist der Verfall speziell Italiens – eines der Gründerländer der europäischen Einigung – eine Einbahnstraße, gefolgt von Frankreich in gewissem zeitlichen Abstand.  Der Italiener Draghi (Chef in der EZB) prophezeite bzgl der Wirksamkeit der allgemeinen Sanierungsversuche „… it won’t be enough“ und dass die große Gefahr bestehe, dass die EU-freundliche politische Kaste in Italien hinweggefegt werden könnte.

Der Soziologe Wolfgang Streeck ist der Auffassung, dass die EU-Elite die Union nur retten könnte, wenn sie den Umbau der EU zu einer horizontalen Kooperation – sozusagen alle auf Augenhöhe – in Angriff nähme – also ohne die bisherige hierarchische Ordnung. Das würde auch die nationalen Währungsparitäten und deren Möglichkeit zu „floaten“ berücksichtigen müssen Das jetzige, schon lange in Verfall befindliche Modell sei ein technokratisches Globalisierungs- und Zentralisierungsprojekt. Dessen Zeit sei abgelaufen. Weiter sollte die EU sich abschminken, machtpolitisch mit den USA und Russland/China (dem asiatischen Block, dem noch Indien beitreten wird) konkurrieren zu können. Im Gegenteil, die EU (damit auch die BRD) sollte zeigen, aus der Geschichte gelernt zu haben und dafür arbeiten, dass eine ihre Vielfalt bewahrende europäische Zivilisation ohne imperiale Ambitionen nach innen oder außen „blockfrei“ und friedlich leben kann. Dafür bräuchten wir keine Mitgliedschaft in der NATO und keinen auf 2 % steigenden Wehretat. Positiver Nebeneffekt: der rechte politische Rand würde nach und nach abbröckeln! (Kommentare in kursiv vom RB)

Die Katze lässt das Mausen nicht

Nachtragsfrage an Leo Mazzei zum Interview „Die deutsche Erpressung: EZB-Schuldenkauf gegen ESM-Durchgriffsrechte“.

Was halten Sie von den Ergebnissen des Europäischen Rates vom 23. April 2020? Was ist von dem „Wiederaufbaufonds“ zu erwarten?

Der Europäische Rat hat das Abkommen der Eurogruppe bestätigt und zwar alle drei Standbeine, die EIB, SURE sowie den ESM, so wie wir es bereits besprochen haben. Italien, das gemeinsam mit anderen sehr stark auf das vierte Standbein, den Wiederaufbaufonds, setzte, hat eine schwere Niederlage erlitten. Das war voraussehbar. Um so lächerlicher ist das Siegesgeschrei der Römer Regierung. Wolfgang Münchau hat in der Financial Times lapidar vermerkt, dass Italien und Spanien plattgemacht wurden und dass sich die deutsche Variante durchgesetzt habe. Die EU würde zeitweise ihren Haushalt vergrößern, aber ausschließlich um Kredite zu vergeben, keine Direkthilfen, die nicht zurückzuzahlen wären. Genau so ist es. Dem müssen wir zwei Dinge hinzufügen: Die geplante Institution Wiederaufbaufonds ist mit 500 Milliarden – einige meinen auch weniger – in jedem Fall völlig unzureichend. Die Verschiebung der Entscheidung auf Juni ist ein Affront für die Länder, die sich in großen Schwierigkeiten befinden. Man zwingt Italien sich weiter zu verschulden und zwar mittels ESM, mit dem man das Land zunehmend unter Zwangsverwaltung stellen kann schon in Sicht auf die baldige Rückkehr zur Politik der Austerität. Das jetzt auch schon formal festzuzurren, inmitten einer Rezension, die genauso unabsehbar wie verheerend sein wird, ist eine wirkliche Verrücktheit. Die Katze lässt das Mausen nicht. So ist die EU eben. Millionen Italiener verstehen das mittlerweile. Und jeden Tag, der vergeht, werden es mehr.

Bild: Das Virus, das Italien befallen hat? Euro und ESM.

„Die deutsche Erpressung: EZB-Schuldenkauf gegen ESM-Durchgriffsrechte“

von Wilhelm Langthaler

Interview mit Leonardo Mazzei, einem der bekanntesten Vertreter des italienischen Linkssouveränismus und Führungsmitglied des Bündnisses „Liberiamo l’Italia“ (Befreien wir Italien). Das Interview wurde noch vor dem zweiten Eurogipfel vom 23.4.20 geführt, der jedoch die Beschlüsse von zuvor bestätigte und Entscheidungen über einen sogenannten Wiederaufbaufonds nach hinten verschob.

Was halten Sie vom Plan der Eurogruppe, der finanzielle Unterstützung für diejenigen Staaten vorsieht, deren Krise sich durch Corona weiter vertieft hat?

Das Abkommen löst kein einziges Problem. Aber es enthält wieder die deutsche Anmaßung, die Mittelmeerländer und insbesondere Italien mittels ESM unter Kuratel zu stellen. Es ist also ein sehr schlechtes Abkommen. Angesichts der Tiefe der Krise sind die zur Verfügung gestellten Mitteln zudem lächerlich gering. Die 200 Milliarden für Unternehmen in der ganzen EU, die von der Europäischen Investitionsbank (EIB) bereitgestellt werden sollen, wären auch Teil des normalen Geschäfts gewesen. Es handelt sich also nicht um zusätzliche Ressourcen, außer 25 Milliarden an Garantien. Von den 100 Milliarden für die Kurzarbeit (SURE) können pro Jahr nur 10 Milliarden abgerufen werden. Für Italien, das einen großen Bedarf hätte, käme das auf nur eine Milliarde. Lächerlich. Das schlimmste dabei ist nicht nur, dass die Summen gering sind, sondern dass das alles in Form von Schulden kommt. Wenn man sich also weiter verschulden muss, wäre es besser das direkt zu machen. Wenn wir unsere Währungssouveränität wiederherstellen, können wir der Nationalbank erlauben, als Käufer [von Schuldtiteln] letzter Instanz aufzutreten. So würde die Verwaltung der Schulden zumindest intern bleiben. Das wäre auf jeden Fall besser, als sich der EU und den internationalen Finanzhaien auszuliefern.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) bleibt im Zentrum des Abkommens, mit der Einschränkung, dass es günstigere Konditionen geben würde. Warum lehnen Sie und ein wichtiger Teil der italienischen Öffentlichkeit den ESM ab?

Es gibt viele Gründe den ESM zurückzuweisen. So wie es aussieht wurden die Konditionen nur für Gesundheitsausgaben abgemildert und nur für die gegenwärtige Ausnahmesituation. Zudem hat der ESM ein Statut, das ihm die Vergabe von Krediten ohne Bedingungen untersagt. Niemand hat das bisher verändert. Der Fonds ist und bleibt für Staaten wie Völker eine tödliche Falle. Die Mehrheit der Italiener hat das mittlerweile verstanden. Daher rühren die Schwierigkeiten des europäistischen Blocks und seiner Regierung den ESM durchzusetzen. Außerdem lösen die genannten Summen keine Probleme. Wenn die Regierung sich entgegen den Ankündigungen Premier Contes die Troika ins Haus holt, kämen vom ESM maximal 36 Milliarden – gerade einmal ein Zehntel dessen was nötig wäre. Das anzunehmen wäre selbstbeschädigend. Aber wir haben es mit einer deutschen Erpressung zu tun: wenn ihr wollt, dass die EZB eure Schuldpapiere kauft, dann gebt uns die Hausschlüssel – mittels ESM.

Es gibt nun doch keine Eurobonds, obwohl sich Italien gemeinsam mit vielen anderen Ländern vehement dafür eingesetzt hat. Welche Rolle spielt diese Forderung politisch? Für den Linksliberalismus scheint es das Heilmittel nicht nur gegen die Wirtschaftskrise zu sein, sondern Eurobonds sollen die ganze Union retten.

Wir sind gegen Eurobonds. Und wir sind genau aus jenem Grund gegen sie, aus dem der Linksliberalismus für sie eintritt. Die Eurobonds wären demnach ein Weg um das EU-Gefängnis zu retten und Italien darin gefangen zu halten. Ja, es scheint als wäre die gemeinsame Verschuldung der einzige Möglichkeit, die gesamte Konstruktion der Union zusammenzuhalten. Aber glaubt wirklich noch jemand an diese? Das ist gegenwärtig die große Frage. Am Ende dieser Krise werden wir die Antwort wissen.

Premier Conte war vor der Krise schon sehr schwach. Nun wirkt er sehr stark. Ist das wirklich so und wenn ja, wie lange kann das andauern?

Man darf Conte nicht unterschätzen. Ja, er wirkte vor der Krise schwach. Aber wenn man sich den erfolgreichen Slalom anschaut, den er vergangenen Sommer abgeliefert hat, musste damals schon klar sein, dass er bedeutende Kräfte hinter sich hatte. Die Schwäche ist jene seiner Regierung. Von dieser Sicht aus haben sich die Dinge nicht so sehr verändert. Aber der Ausnahmezustand hat ihm enorme Macht verliehen, so wie sie seit dem Ende des Faschismus niemand mehr innehatte. Das ist begleitet von einer geradezu obsessiven Medienpräsenz. Dagegen erhob sich praktisch keine Stimme. Die rechte Opposition war mehr Komplize als Hindernis. Einzige Ausnahme bildete die Auseinandersetzung um den ESM im Gefolge der Pressekonferenz vom 10. April. Die Stärke Contes liegt darin, dass er sich heute im Gegensatz zu seinen Regierungspartnern von der PD als Verteidiger der italienischen Interessen in Europa präsentieren kann. Das ist nicht wenig. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sich das lange halten wird können. Sobald der Lockdown gelockert werden wird, werden auch die sozialen Fragen zentral, wenn nicht sogar virulent werden. Es wird dann klar, wie wenig die Regierung auf diesem Gebiet geleistet hat. Es wird hart werden für die Regierung. Aber im Moment haben sie einige Punkte gemacht.

Der Ausnahmezustand sieht härteste Beschränkungen nicht nur für den Norden vor, obwohl sich die Gesundheitskrise in der Lombardei konzentrierte. Wird das akzeptiert? Und sie steht es mit Süditalien, wo sehr viele Menschen von den Einkünften aus dem informellen Sektor abhängen?

Die Entscheidung, das gesamte Land einzusperren, ohne die Unterschiede zu berücksichtigen, war absurd. Und die Maßnahmen zur Eindämmung sind wirklich extrem. Die Repression ist härter als in allen anderen europäischen Ländern. Es wirkt, als hätte man den Ausnahmezustand dafür benutzt, unter dem Vorwand der öffentlichen Gesundheit, die wahren Probleme nach zwei Jahrzehnten der Austerität zu verdecken. Allein in den letzten zehn Jahren musste das Gesundheitssystem Kürzungen von 37 Milliarden hinnehmen. Italien wird ein zu großzügiger und leichtfertiger Umgang mit staatlichen Geldern nachgesagt, aber die öffentlichen Gesundheitsausgaben betragen lediglich 6,5% der BIP, während sie sich in Frankreich auf 9,3% und in Deutschland auf 9,5% belaufen.70.000 Spitalsbetten gestrichen. Heute kommen 3,2 Betten auf 1.000 Bewohner (öffentlich und privat gemeinsam), gegenüber 6 in Frankreich und 8 in der BRD. Und wir sprechen nicht von den Intensivbetten, die am Beginn der Epidemie bei einem Viertel von jenen in Deutschland lagen. Diese Zustände waren es, die zum Chaos und zu den hohen Opferzahlen führten. Um das zu verstecken wurde die Gesundheitssituation dramatisiert als stünden wir der mittelalterlichen Pest gegenüber. Es herrscht die Angst – die Rolle der Medien ist furchtbar – und es gibt auch Wut. Die Zahl der Menschen, die die harten Bedingungen des Lockdowns nicht mehr akzeptieren wollen, steigt von Tag zu Tag. Die Situation im Süden ist dramatisch, aber die Probleme sind nicht auf den Meggiogiorno beschränkt. Millionen haben ihr Einkommen verloren und überleben nur mittels unzureichender öffentlicher Zuwendungen. Einzelunternehmer [wörtlich: autonome Arbeiter] erhalten von der Regierung 600 Euro. Eine soziale Revolte könnte vor der Tür stehen. Ihre Form und politische Richtung wird sich erst weisen.

Welche Rolle spielt Salvini, nachdem er die sogenannte souveränistische Koalition gebrochen hat? Kann er weiterhin die Opposition zusammenhalten? Wie ist ein Souveränismus denkbar, der den drakonischen Ausnahmezustand gutheißt?

Salvini hat mehrere Probleme. Nach dem Bruch der Koalition aus Fünfsternen und Lega hat er sich wieder in die alte Rechtskoalition begeben. Doch Forza Italia bewegt sich indessen im Namen Europas auf die PD zu. In der Lega ist das Gewicht der Gouverneure der Regionen im Norden überwältigend. Giorgetti, der Mann des Establishments und der Banken, nimmt eine immer wichtigere Rolle ein. Es ist kein Zufall, dass in den Monaten vor der Epidemie Salvini den Euro als unwiderrufbar bezeichnete. Er sprach sich sogar für eine Regierung Draghi aus. Der Rechtspopulismus verwandelt sich immer mehr in traditionell konservative und reaktionäre Positionierungen. Das zeigt sich auch an der vollen Unterstützung für die drakonischen Maßnahmen der Regierung Conte – die die Lega sogar oft als nicht hart genug kritisierte. Als Populisten und Souveränisten hat die Lega an Glaubwürdigkeit verloren. Jedoch ist die Schwäche der anderen politischen Kräfte so überwältigend, dass Salvini nach wie vor viel Zustimmung behält.

Viele meinen, dass es nach dem Ende der akuten Krise eine Regierung Draghi geben könnte. Wie kann man sich das vorstellen und wer würde eine solche unterstützen?

Eine gute Frage. Dass Draghi ein Kandidat ist, steht außer Frage. Eigentlich ist er als Berater schon halb dabei. Aber würde er den Premier geben? Das wissen wir noch nicht. Alle sprechen davon, dass er nach dem Ende der Ausnahmesituation in den Palazzo Chigi einziehen könnte. Aber meiner Ansicht nach könnte dieses Manöver auch schon früher passieren. Andererseits, wenn Conte die schlimmsten Momente überstanden hat, könnte er auch genug Kraft haben weiterzumachen. Eigentlich dachte man zuerst daran, dass Draghi das Präsidentenamt 2022 von Mattarella übernehmen sollte. Aber ein Wechsel vom Amt des Ministerpräsidenten zu jenem des Staatspräsidenten, noch dazu in so kurzer Zeit, würde nicht gut ankommen. Vieles hängt von den nächsten Wochen ab: welches Abkommen mit der EU geschlossen werden kann oder auch nicht zustande kommt, wie die EZB intervenieren wird, wie lange die Epidemie noch andauert, wie schnell die wirtschaftliche Aktivität wieder in Gang kommt. Abgesehen von den Fristen steht hinter Draghi das gesamte Establishment einschließlich der Medien. Die Idee ist das klassische Konzept der Herrschenden in akuten Krisen, nämlich private Schulden dem Staat umzuhängen, um dann wieder den unteren Klassen die Austerität aufzuzwingen. Eine Regierung Draghi könnte die Unterstützung von PD, Forza Italia, Lega und einer großen Mehrheit der Fünfsterne finden. Es wäre eine Art Regierung der nationalen Einheit, mit einer sehr starken parlamentarischen Mehrheit. Sollte die Wirtschaftskrise sich beschleunigen, könnte die Operation auch sehr bald durchgeführt werden.

Als Linkssouveränisten fordert ihr den Bruch mit der Eurozone und die Rückkehr zu einer nationalen Währung. Wie stark ist für diese Option die Unterstützung im Volk? Umfragen sprechen von Mehrheiten gegen die Union. Aber Stimmungen sind noch kein politisches Projekt des Bruchs. In jedem Fall bedeutete ein Austritt eine große Abwertung, auch der Finanzvermögen. Solche Formen des Bail-ins stießen in den Mittelschichten immer auf erbitterten Widerstand.

Ja, als Souveränisten streben wir die Rückkehr zu unserer eigenen Währung an. Ohne diesen Schritt gibt es weder Souveränität noch Demokratie. Überhaupt, es ist die Voraussetzung für jede linke Politik. Sicher, eine Stimmung ist kein Projekt, aber ohne eine solche kann sich auch kein Projekt entwickeln. Die Wut auf die EU ist mittlerweile Common Sense. Es ist schwer vorstellbar, dass die Europäisten das verlorene Terrain zurückgewinnen könnten. Klar, der lange Arm der Euro-Oligarchie ist die Angst, insbesondere vor der Abwertung. Aber die innere Abwertung läuft schon lange. Die Einkommen und Löhne sinken und auch die Pensionen sind in Gefahr. Auch wohlhabendere Schichten spüren den Wertverlust ihrer Anlagen und den Rückgang der Immobilienrenditen. Es ist ein Blutbad in Gange, das nicht ohne große Transformationen in Wirtschaft und Gesellschaft gestoppt werden kann. Es geht um die Rolle des Staates, um Verstaatlichungen, um einen Plan zur Arbeitsbeschaffung und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Aber all das bedarf der Währungssouveränität. Der Austritt aus dem Euro und aus der EU ist nicht ausreichend, aber ohne diese Schritte ist alles anders schlicht unmöglich. Der Italexit ist daher nicht extremistisch, sondern einfach realistisch und notwendig.

Covid19: die Völker der der EU zahlen den Preis für den Neoliberalismus

Erklärung der Europäischen Koordination für den Ausstieg aus dem Euro, der EU, der NATO und dem Neoliberalismus

Die Covid-19-Pandemie und die daraus resultierende gesundheitliche, wirtschaftliche und politische Krise haben die Schwächen des neoliberalen kapitalistischen Systems aufgezeigt und die bereits bestehenden Widersprüche weiter vertieft. Dieses System stößt auf dramatische Weise an seine Grenzen und hat unter den Völkern jede Glaubwürdigkeit verloren.

1. Die Covid-19-Pandemie hat die verbliebenen Reste der neoliberalen Illusionen unter den einfachen Menschen abermals schwer erschüttert. Jahrelang hat man versucht, uns davon zu überzeugen, dass der Wohlfahrtsstaat eine Last sei, dass staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nutzlos und sogar gefährlich wären und dem allgemeinen Wohlstand schadeten. In Wirklichkeit haben vierzig Jahre neoliberaler Politik – Privatisierungen, Unterfinanzierung und Unterbesetzung im öffentlichen Dienst, Verkleinerung des öffentlichen Sektors, Entlassungen und Frühverrentungen von Beamten – das staatliche Gesundheitswesen in mehreren Ländern zerstört, so dass es nicht in der Lage ist, auf die großen Herausforderungen einer Pandemie zu reagieren. Diese Politik trägt die Namen und Unterschriften aller Regierungen, die sich dem Neoliberalismus verschrieben haben. Sie trägt die Unterschrift der EU, die die Volkswirtschaften des Südens (Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, Frankreich) zerrüttet hat, indem sie die schlimmsten fiskalpolitischen Sparmaßnahmen durchsetzte und auf einer Nulldefizit-Politik bestand. Wir müssen heute mehr denn je für ein sofortiges Ende des neoliberalen EU-Regimes kämpfen, für die Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens jetzt und in Zukunft, für die Stärkung des öffentlichen Sektors und des Sozialstaates, und für die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit.

2. Alle Illusionen, die deutsche EU könne sich ändern, lösen sich vor unseren Augen auf. Die Europäische Union hat wieder einmal ihr wahres Gesicht gezeigt. Deutschland raubt medizinische Güter, die für seine europäischen Partner bestimmt waren. Aber auch andere EU-Länder beschlagnahmen Masken und andere Ausrüstungen, die für Italien bestimmt gewesen wären. Merkel schiebt die Schuld auf die Mitgliedsstaaten. Es zeigt sich damit klar und deutlich, dass angesichts der Krise jeder wieder allein dasteht. Die EU ist abwesend. Solidarität kennt sie nicht. Sie weigert sich, die Länder des Südens zu unterstützen, die am stärksten von der gegenwärtigen Gesundheitskrise und von der drohenden Wirtschaftskrise betroffen sind; sie hält an ihrer gescheiterten Politik fest, sie stellt die Interessen des starken Zentrums (Deutschland, Niederlande, Österreich,…) und das Interesse des deutschen Kapitals an die erste Stelle; sie stellt einmal mehr die Interessen der Mächtigen über die Interessen des Volkes. Medizinische Unterstützung kommt aus Kuba, China, Russland, nicht von der EU. Diese Union braucht kein Mensch. Heute, da die Union in eine Existenzkrise gerät, müssen wir mit der EU und all ihren Strukturen brechen.

3. Die Welt steht wieder vor einer tiefen Wirtschaftskrise, die die Zentren des globalen Kapitalismus betrifft. Die Aktienkurse fallen, die Volkswirtschaften des kapitalistischen Zentrums leiden unter einer Überakkumulationskrise, kleine und mittlere Unternehmen gehen in Konkurs, Millionen sind arbeitslos und geraten in einen Zustand der Unterbeschäftigung. Die Maßnahmen, die die verschiedenen Regierungen angekündigt haben, reichen nicht aus. Die Regierungen und die EU stellen wieder einmal die Interessen des Kapitals in den Mittelpunkt ihrer Politik, nicht die Menschen. Die Pandemie mag vorübergehen, aber aus der kommenden Krise wird sich im Rahmen der bestehenden Machtverhältnisse kaum ein Ausweg finden. Das globalistische kapitalistische System wird wieder einmal versuchen, den Menschen und den Werktätigen die ganze Last aufzubürden. Es wird versuchen, die Gegenreaktionen im Zaum zu halten, indem es autoritäre Maßnahmen zur Einschränkung der demokratischen Freiheiten und kollektiven Rechte einführt. Es ist heute notwendiger denn je, dass die Völker sich organisieren. Wir müssen uns weigern, schon wieder die Rechnung zu bezahlen. Es ist notwendiger denn je, Alternativen zu entwickeln, die die Bedürfnisse des Volkes in den Mittelpunkt stellen. Und es ist notwendiger denn je, die Demokratie und die Rechte zu verteidigen, die wir im Kampf gewonnen haben.

Die Rückkehr zur nationalen Souveränität ist die unabdingbare Voraussetzung, dass die Völker die Kontrolle über die Wirtschaft erlangen und die Demokratie wiedergewinnen können. Daher ist der Austritt aus der „imperialen“ EU und aus dem Euro der entscheidende erste Schritt in diese Richtung. Zudem wäre es ein schwerer Schlag gegen die Diktatur dessen was „neoliberale Globalisierung“ genannt wird. Die Streichung von Staatsschulden ist gerecht und demokratisch und ist für unter den gegenwärtigen Bedingungen unabdingbar für das Überleben vieler Völker.

Die Regierungen versuchen gerade, uns davon zu überzeugen, dass wir alle dafür verantwortlich sind, die Krise zu überwinden – jetzt die Gesundheitskrise und später die Wirtschaftskrise. Sie machen uns persönlich verantwortlich für das, was auch immer dabei herauskommen mag. Sie versuchen, uns die Last dieser Krise aufzubürden. Wir wissen nur zu gut, wer für die Politik verantwortlich ist, die uns in diese Lage gebracht hat. Wir wissen nur zu gut, wer für die drohende Katastrophe verantwortlich ist. Wir wissen sehr gut, wer unsere Rechte zerstört. Und wir reagieren darauf, indem wir uns organisieren, mit Solidarität und mit unablässiger Mobilisierung. Denn nur das Volk kann das Volk retten! Die Bedingung dafür: die Deglobalisierung, die nationale und Volkssouveränität, um die demokratischen Grundlagen für eine soziale, umweltfreundliche, gleiche und gerechte Gesellschaft zu legen.

Mitgliedsorganisationen der Koordination: P101 Italien, Socialismo 21 Spanien, Sortir del Euro Spanien, Paremvasi Griechenland, Epam Griechenland, Pardem Frankreich, Euroexit Österreich

Nein zum ESM, aber vor allem Nein zur EU

Die auf dem Treffen der Eurogruppe erzielte Einigung löst kein Problem, auch nicht das der benötigten Ressourcen, die zur Bewältigung der aktuellen Krise erforderlich sind. Im Moment der Wahrheit zeigt sich die Europäische Union machtlos, konfus, gespalten und dominiert von dem auf Deutschland ausgerichteten Nordblock. Ein weiterer Beweis für ihre absolute Unreformierbarkeit.

Angesichts eines dramatischen wirtschaftlichen Abschwungs, der einen Interventionsplan von mindestens zweitausend Milliarden erfordern würde, kündigt die Eurogruppe tausend an. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass diese Ankündigung eine Täuschung ist.

Die 200 Milliarden Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) an Unternehmen (für die gesamte EU) zählen zum normalen Geschäft dieser Bank. Es geht also nicht um zusätzliche Ressourcen, mit Ausnahme der 25 Milliarden die als Garantie zur Verfügung gestellt werden. Die 100 Milliarden des Arbeitslosenfonds (SURE) existieren einfach nicht, da maximal 10 Mrd. pro Jahr verwendet werden dürfen (immer für die gesamte EU). Für Italien wäre das ein Betrag von rund einer Milliarde, die aber an die werten Herrschaften zurückgezahlt werden soll.

Wir wissen, dass der ESM aufgrund der Bedingungen, die (entgegen der Behauptungen) auch in der neuen Version bestehen bleiben, inakzeptabel ist. Aber selbst wenn die italienische Regierung – entgegen der Versicherungen von Conte – schändlicherweise beschließen würde, die Troika ins Haus zu lassen, würde sie vom ESM maximal 36 Milliarden erhalten, natürlich auch rückzahlbar.

Dies ist das Bild der sogenannten „europäischen Solidarität“. Aber die Euromanen unter uns, beginnend mit unserem unanständigen Finanzminister Gualtieri, erzählen die Geschichte der „vierten Säule“, des Anti-Covid-19-Fonds, auf den das Dokument der Eurogruppe nur ganz allgemein Bezug nimmt (vielleicht werden wir in ein paar Monaten darüber sprechen), aber nur um uns mitzuteilen, dass es aus dem europäischen Haushalt finanziert wird. Angenommen, dass dieser Fonds in der Zukunft entsteht, würde er daher von einzelnen Staaten anteilsmäßig finanziert und wäre nicht in der Lage zusätzliche Ressourcen für die wirtschaftliche Notlage bereitzustellen.

Wir werden regelrecht an der Nase herumgeführt. Propaganda-Anzeigen ohne jegliche Substanz. Die Wahrheit ist, dass jeder Staat sich der Krise selbst stellen muss, wie das deutsche Nein zu Eurobonds zeigt.

Es ist schlimm, dass die italienische Regierung das Paket der Eurogruppe nicht abgelehnt hat. Aber während wir auf das Nein zum ESM pochen, während wir das Parlament auffordern, sich seiner Aktivierung zu widersetzen, muss ein komplexeres Nein hinsichtlich des gesamten Pakets folgen. Die bereitgestellten Mittel sind armselig, wenn sie nicht sogar (wie im Fall des ESM) die Fremdverwaltung des Landes vorbereiten.

Darüber hinaus hat die Conte-Regierung gezeigt, dass sie leider völlig im Einklang mit der neoliberalen Mentalität und Praxis steht, die die Europäische Union regiert. Die von Conte, jenseits von bloßen Erklärungen, versprochenen 400 Milliarden Euro werden zu einer Reihe von Garantien für Banken führen, die Ladenbesitzer und Kleinunternehmer dazu zwingen, sich zunehmend zu verschulden, und Gefahr laufen ihren Betrieb einstellen zu müssen.

Wenn wir an diesem Punkt nicht in den Abgrund einer endlosen Krise und Unterwerfung versinken wollen, gibt es nur eine Alternative: den Austritt aus dem Euro und der EU, die Wiedererlangung der nationalen Souveränität angefangen mit der währungspolitischen Hoheit.

“Liberiamo l’Italia” appelliert daher an all jene, die mit den Zielen der Befreiung übereinstimmen, alle verfügbaren Kräfte so schnell wie möglich zu vereinen.

  • Nein zu der in der Eurogruppe erzielten Einigung.
  • Die italienische Regierung verpflichtet sich umgehend, nicht auf den ESM zurückzugreifen. Falls sie es doch tut, muss sie zurücktreten und es werden unverzüglich Neuwahlen angesetzt.
  • Die EU muss aufgehalten werden. Brechen wir mit der Europäischen Union und dem Euro.
  • Lasst uns Italien mit einem Plan, der die besten Kräfte des Landes aktiviert, wieder aufbauen.

Übersetzung: Stefan Rossi

Quelle: www.sollevazione.it

Das deutsche Vaterland und – nicht nur – die Grünen

Eine aktuelle Bemerkung

In der Hysterie um Covid nützen manche die Gunst der Stunde, um parteipolitische Entschei­dungen zu treffen, welche sonst auf größeren Widerstand stoßen würden. Die grüne Polit­kommissarin Ulrike Lunacek, bekannt, weil sie die vorletzten Parlamentswahlen für die Grünen so gründlich verjankert hat, bringt jetzt eine deutsche Parteifreundin, ehedem Vorsitzende der Grünen in Brandenburg, in einem der wichtigsten kulturellen Institutionen Österreichs unter. Lunacek strebt offenbar die Rolle des Herbert Kickl an, welcher dieser in der schwarz-blauen Regierung gespielt hatte, als Scharfmacherin vom Dienst. Die Rolle des passiven Gesichts nach Außen für Regierungs-PR ist ja schon von Werner Kogler besetzt.

Presse, 13. März 2020-03-14:

Naturhistorisches Museum: Direktor Köberl soll gehen. Kunststaatssekretärin Lunacek präsentiert die Deutsche Katrin Vohland als neue Direktorin.

Schon am Tag vor der Präsentation der Entscheidung für die Spitze des Naturhistorischen Museums berichtete Generaldirektor Christian Köberl der APA, man habe ihm mitgeteilt, die Entscheidung sei gefallen: Seine Amtszeit (seit 2010) werde nicht verlängert, ihm folge Katrin Vohland, eine 51-jährige Biologin  aus Deutschland. Köberl bezweifelt, dass die Entscheidungsfindung objektiv war. ‚Ich frage mich, was ich falsch gemacht habe.’ – Die Biologin Vohland leitet eine Forschungsabteilung des Museums für Naturkunde in Berlin und war von 2005 – 2007 Parteivorsitzende der Grünen in Brandenburg. 2019 kandidierte sie dort für die Grünen. Es war aber die von Übergangsminister Schallenberg eingesetzte Kommission, die sie ex aequo mit Köberl auf Platz 1 reihte, hört man.“

Standard, 13. März 2020

Kathrin Vohland wird neue Direktorin des NMH Wien.

„Große Überraschung bei der Bestellung der neuen Leitung des Naturhistorischen Museums Wien. Die Biologin Katrin Vohland vom Museum für Naturkunde in Berlin soll Christian Schöberl an der Soitze des Naturhistorischen Museum (NMH) in Wien nachfolgen, obwohl sich dieser für eine Verlängerung seiner Amtszeit beworben hatte. Kunststaatssekretärin Ulrike Lunacek will am Freitag die neue NMH-Führung präsentieren.

ORF: „Dass Vohlands parteipolitischer Hintergrund bei den Grünen für ihre Entscheidung eine Rolle gespielt hat, wies Lunacek zurück. „Ich mache keine parteipolitischen Besetzungen“, entscheidend sei für sie die Qualität. „Es kann aber auch nicht sein, dass ich jemanden, der mich überzeugt, nicht benenne, nur weil sie eine Grüne ist. Das hat mit Parteipolitik nichts zu tun.“ Vohland wird ihre Parteimitgliedschaft ruhend stellen.“ https://wien.orf.at/stories/3038850/ (13. März 2020)

Wie gute wir diese Sprüche kennen …

Über den aktuellen Anlass hinaus, wäre das die Gelegenheit, die Ausrichtung der österreichi­schen „Links“-Liberalen und ihrer Intellektuellen einmal zu thematisieren.

Was nicht heißt, dass Lunacek als solche zu sehen ist – sie ist einfach eine grüne Apparat­schik, war bei ihrer Partei eher unbeachtete Generalsekretärin und sodann EP-Abgeordnete. Dort hat sie sich u. a. dadurch ausgezeichnet, dass sie einen Zensur- und Maulkorb-Antrag der Grünen mit eingebracht hatte. Als der unsägliche Gerhard Schröder einmal einen Anfall von politischer Vernunft hatte – er wurde und wird dafür bezahlt – und die Nordsee-Pipeline befürwortete, wollten ihm die Grünen sein Recht auf Meinungs-Äußerung nehmen und ihm dementsprechende Stellungnahmen verbieten. Die ebenso unsägliche Lunacek lief brav mit, bis man ihr irgendwann bedeutete: Das macht einen schlechten Eindruck, anderen den Mund zu verbieten.

Aber hier geht es nicht darum. Inzwischen ist ja Lunacek wieder wer. Sie soll auf eine wichtige Klientel der Grünen scheuen und „Kultur machen“.

Aber es sind nicht die Grünen allein. Da hatten wir doch einen Kurzfrist-Kulturminister, namens Thomas Drozda. Frau Rendi-Wagner machte ihn zu ihrem Bundesgeschäftsführer. Als er wegen seiner Vorliebe zu luxuriösen Uhren schließlich den Hut nehmen musste, rechtfertigte er sich: Das habe schon Kreisky so gewollt. Ganz unrecht hatte er ja nicht. – Dieser Herr Drozda hat also nicht die bisherige Direktorin des KHM verlängert, die soweit einen akzeptablen Job gemacht hatte: Diesmal nützte ihr nicht einmal, dass sie eine Frau war, was doch sonst in diesen Kreisen ein entscheidendes Kriterium ist, und was uns sicher auch diesmal wieder präsentiert werden wird. Er wählte einen gewissen Eike Schmidt, erraten: einen Deutschen. Aber der sagte schließlich im letzten Moment ab, als schon viel Geld für den Wechsel geflossen war. Der jetzige Außenminister Schallenberg, im Dezember auch schon Minister in der Bürokraten-Regierung, hatte kaum eine andere kurzfristige Möglichkeit, als die Direktorin Sabine Haag zu verlängern.

Zurück zur deutschnationalen Ausrichtung unserer „Links“-Liberalen.

Man nennt Georg Schönerer manchmal einen Hitler-Vorläufer. Damit tut man ihm zuviel der „Ehre“ an, dazu war er bei weitem politisch nicht bedeutend genug. Dieser Schönerer hatte Ende des 19. Jahrhunderts eine Zeitschrift gegründet: Unverfälschte Deutsche Worte. Als man dieser Zeitschrift und den Schönerianern generell einmal vorwarf, sie würden ständig ins Deutsche Reich hinüber schielen, dichtete einer ihrer Schreiberlinge zurück:

Wir schielen nicht, wir schauen
hinüber frank und frei.

Wir schauen frei und offen
wir schauen unverwandt
wir schauen froh hinüber
ins deutsche Vaterland.

Dieses Gedicht findet man übrigens in der Zeitschrift „Jugend“ – damals eine „progressives“ bürgerliche Kulturzeitschrift, im Jahrgang 1900. – Dort sind wir inzwischen wieder angekom­men. Meistens versteckt sich der Deutschnationalismus allerdings im europäischen Gewand. Einige unter ihnen befürworteten jedoch schon offen nicht nur den impliziten Anschluss durch die EU, sondern riefen auch schon direkt zum Anschluss auf, wie etwa Robert Menasse.

AFR, 14. März 2020